Hamburg

»Hast du die verdammte Heizkostenrechnung schon gesehen? – Das ist um fast ein Drittel teurer als im Vorjahr!«

Julia, die sich vor knappen fünf Minuten eine heiße Badewanne eingelassen hatte, öffnete die Augen. Auf dem Wannenrand saß Fiona, die nicht nur ihre Mitbewohnerin war, sondern auch eine ihrer Ex-Freundinnen. Sie hielt einen Stapel Briefe in der Hand.

»Und Rundfunkgebühren sind auch fällig. – Wir sollten den Fernseher einfach wieder abmelden

»Ich bin für so etwas nicht geschaffen, Fi. Darüber haben wir doch schon x-mal diskutiert. Jedes Mal, wenn es an der Tür klingelt, bin ich nahe am Herzinfarkt, weil ich denke, dieser GEZ-Gebühren-Mensch steht auf der Schwelle

»Ich sag ja nurFiona warf das Papier ins Waschbecken, ohne vorher nachzusehen, ob es darin trocken war. Julia seufzte. Das war klassisch Fi und einer von vielen Gründen, weshalb sie als WG-Partnerinnen zwar gerade so funktionierten, als Paar aber schon nach ein paar Monaten gescheitert waren.

»Wars das, Fi? – Weil eigentlich würde ich jetzt gerne weiter baden

»Kannst du ja.« Fiona erhob sich und begann, vor dem Spiegel ihren Afro-Look in Form zu zupfen und Make-up aufzutragen. »Sorry, aber ich kann nicht warten, bis du fertig bist«, erklärte sie. »Hinter mir liegt ein beschissener Tag, jetzt will ich vorsorgen, dass der Abend nicht ebenso elend wird. Und beim ersten Treffen zu spät zu kommen gibt sicher einen fetten Minuspunkt!«

Auch das noch.

Julia war versucht, sich noch tiefer in den Schaum gleiten zu lassen und einfach nicht mehr aufzutauchen.

Fiona hatte also wieder ein Date. Wie schön. Nicht, dass sie noch irgendein Interesse an ihrer Ex hatte außer allenfalls Freundschaft. Dazu lag ihre Kurzbeziehung, die sowieso eher eine Affäre gewesen war, schon zu lange zurück. Die WG hatte sich eher zufällig ergeben, weil sie vor zwei Jahren beide gleichzeitig auf Wohnungssuche gegangen waren, um bald einzusehen, dass bezahlbare Ein-Zimmer-Appartements rar waren. Die sechzig Quadratmeter mit winzigem Badezimmer, Wohnküche und zwei kleinen Räumen mit Blick in den Hinterhof hatte ihnen letztendlich ein gemeinsamer Bekannter vermittelt.

»Willst du nicht wenigstens mal fragen, oder interessiert dich überhaupt nicht mehr, was ich tue

Ein vorwurfsvoller Unterton lag in Fionas Stimme, während sie mit einem dicken Pinsel Puder mit Goldglanz auf ihre milchkaffeefarbene Haut auftrug.

Nein, eigentlich nicht, denn mein Tag war genauso trostlos.

Julia verkniff sich den Kommentar. Sie war müde, fühlte seit ihrer Recherche im kalten Verlagsarchiv ein leichtes Kribbeln in der Nase und wollte einfach nur ihre Ruhe. Dann ging sie aber doch den Weg des geringsten Widerstands.

»Okay, sorry. Wer ist die Glückliche, wo hast du sie kennengelernt, was weißt du von ihr

Einen Moment lang starrte Fiona sie verdutzt an, dann brach sie in Lachen aus.

»Hej, ich will doch nicht über mein Date reden! Ich meinte das Vortanzen heuteFionas Heiterkeit war von einer Sekunde auf die nächste verschwunden. »Es war grauenvoll

»In anderen Worten: Du bist nicht engagiert

»Ja, was soll ich tunFiona hob hilflos die Schultern. »Die wollen einfach keine PoC

»Daran liegt es

»Rassismus. Was denn sonst

Woran es auch gelegen haben mochte, das Resultat war dasselbe: Fiona verdiente weiterhin kein Geld mit Ausdruckstanz und baute gerade vor, was die nächste Mietzahlung betraf.

»Bei mir läuft es auch nicht gut. Meine letzte Reportage wurde nicht –«

Mitten in ihrem Satz surrte das Handy, das sie auf der Waschmaschine abgelegt hatte. Julia wedelte mit der nassen Hand – eine Geste, die Fiona zunächst nicht verstand. Als sie es ihr schließlich reichte, fiel es Julia beinahe ins Wasser.

Der Anrufer meldete sich nicht mit Namen. Grundsätzlich nicht. Mit einer Selbstverständlichkeit, die zu seinem gesamten Auftreten passte, ging er davon aus, dass sie seine Stimme erkannte. Es war Chefredakteur Dr. Egle, und er teilte ihr mit, dass ihr Kurzartikel über Arian Tabor nicht in die Online-Ausgabe komme. Die Ereignisse hätten sich überstürzt, der Mord an dem Rumänen sei nun so gut wie aufgeklärtzumindest, was den Täter betraf. Die Details würden morgen früh in Wien auf einer polizeilichen Pressekonferenz bekanntgegeben. Sie solle den Nachtzug nehmen, Platzreservierung und Online-Ticket erhalte sie per Mail.

Bruchteile von Sekunden war Julia versucht, das Handy einfach gegen die Badezimmerfliesen zu donnern. Ihre Pläne für den Abendein Glas Rotwein, ein gutes Buch, dann ins Bettfielen ins Badewasser. Wie betäubt legte sie das Handy hinter sich auf den Klodeckel. Knappe eineinhalb Stunden blieben ihr, um zu packen und zum Hauptbahnhof zu fahren.

Ȁhm

Fiona schaute ihr verwundert dabei zu, wie sie aus der Wanne stieg und sich ins Handtuch wickelte.

»Hast du jetzt auch ein Date, oder was

»Nein. Aber einen richtig fetten Auftrag

Julia wickelte ein zweites Handtuch um ihre nassen Haare.

Hoffentlich, ergänzte sie in Gedanken.