Gracen
„Pop-Tarts oder Cinnamon Toast Crunch?“, frage ich Lilly. Sie sitzt an dem langen Esstisch, der die Küche vom Wohnbereich trennt.
„Eier und Würstchen“, sagt sie, ohne den Blick vom Fernseher im Wohnzimmer abzuwenden. Im Moment sieht sie mit Vorliebe Paw Patrol. Letzte Woche war ihre Lieblingssendung noch Doc McStuffins, Spielzeugärztin.
„Tut mir leid, Baby“, erwidere ich und streiche ihr durchs Haar, woraufhin sie den Kopf zur Seite dreht, um mir auszuweichen. Ich muss unwillkürlich lächeln, denn ich weiß, wie ungern sie sich von ihrem geliebten Paw Patrol ablenken lässt. „Wir haben keine Eier und Würstchen mehr, aber wir fahren später einkaufen.“
Sie blickt zu mir auf. „Kommt Marek mit?“
Ich zucke zusammen und gehe auf direktem Weg zum Kühlschrank, weil ich nicht will, dass sie mir mein Unbehagen ansieht. Es wird immer schwieriger, ihre Fragen zu beantworten. Sie ist neugierig auf Marek, aber sie kann nicht recht einordnen, wer er ist.
Ein Anflug von Wut bringt mein Blut in Wallung, woraufhin ich nach der Milch greife und die Tür etwas fester als nötig zuschlage. Mein Gespräch mit Marek gestern Abend ist nicht ganz so verlaufen, wie ich gehofft habe. Wie jedes Mal, wenn wir miteinander sprechen, endete es in einem erbitterten Streit.
Ich bin immer noch verletzt, weil er mich verlassen hat, und scheue mich nicht davor, ihm deshalb Vorwürfe zu machen. Doch sobald er mich daran erinnert, dass ich ihm drei Jahre mit seiner Tochter vorenthalten habe, werde ich von Schuldgefühlen übermannt. In solchen Momenten brodelt in mir ein solcher Selbsthass, dass ich nicht einmal imstande bin, ihm in die Augen zu sehen. Also gehe ich, um mich seinem durchdringenden Blick und seinen bissigen Bemerkungen zu entziehen.
Ich lasse ihn gewinnen, dann schweigen wir uns wieder an. Doch auf diese Weise werden wir nie eine Lösung finden.
Gestern Abend hat Marek jedoch erklärt, dass er Lilly kennenlernen will. Es ist an der Zeit, dass sie erfährt, wer ihr Vater ist. Also sitze ich schon den ganzen Morgen auf glühenden Kohlen und warte darauf, dass er endlich auftaucht, damit wir uns mit Lilly zusammensetzen und ihr alles erklären können. Meine Tochter ist immer im Morgengrauen auf den Beinen, was bedeutet, dass ich zwangsweise mit ihr aufstehe. Marek ist jedoch ein Langschläfer und hat uns bisher noch nicht mit seiner Anwesenheit beehrt.
Ich werfe einen Blick auf Lilly, bevor ich in den Schrank greife, um einen Plastikbecher herauszuholen. Nach unserer Ankunft musste ich erst einmal kindgerechte Teller und Tassen kaufen, während ich die vielen Pappteller in Mareks Vorratsschrank ignorierte, von denen er offenbar isst, um sein Geschirr nicht schmutzig zu machen. Lilly schaut mich erwartungsvoll an. Scheinbar ist ihre Neugier auf Marek größer als ihr Interesse an Sky und Chase und dem Rest der Welpen im Fernsehen.
Ich habe keine Ahnung, ob Marek wie gewöhnlich Reißaus nehmen wird oder ob er sich tatsächlich zusammenreißen und erscheinen wird, um Lilly ein Vater zu sein. Also beschließe ich, meine Tochter vorerst mit einer vagen Antwort abzuspeisen. Bevor ich jedoch einen Ton herausbringen kann, betritt Marek die Küche und wendet sich Lilly zu: „Wohin kommt Marek mit?“
Meine Hand beginnt zu zittern, und ich verschütte etwas Milch, die ich gerade in den Becher gieße. Ich stelle den Karton beiseite und greife nach den Papiertüchern. Dabei sehe ich, dass Lilly ihrem Vater ein schüchternes Lächeln zuwirft, bevor sie den Kopf senkt, ohne ihm zu antworten.
„Wir brauchen ein paar Sachen aus dem Supermarkt“, sage ich beiläufig über die Schulter, während ich die verschüttete Milch aufwische.
Marek wirft Lilly einen Blick zu, doch diese weigert sich, ihn anzusehen. Seine Bestürzung ist unverkennbar. Gerade hat er versucht, seine Tochter in ein Gespräch zu verwickeln, doch sie hat ihn abblitzen lassen. Aber sie hat es nicht böswillig getan; sie weiß nicht, dass Marek sich in ihrer Gegenwart genauso unbehaglich fühlt wie sie sich in seiner.
Die Türklingel ertönt, und sofort spiegelt sich Erleichterung in Mareks Miene wider. „Ich gehe schon“, ruft er und stakst eilig durch das Nebenzimmer davon. Offensichtlich ist er froh, dem betretenen Schweigen einen Moment entkommen zu können.
Lilly wendet sich wieder dem Fernseher zu und vertieft sich umgehend wieder in Paw Patrol. Doch dann wirft sie verstohlen einen Blick auf Marek, als er den Raum verlässt. Ich verspüre einen Stich im Herzen, weil sie nicht verstehen kann, wie sehr ihr Leben gerade in Aufruhr geraten ist.
Ich bin entschlossen, mich mit ihr und Marek zusammenzusetzen, sobald er zurückkommt. Hoffentlich werden wir sie dadurch etwas beruhigen können. Ich hoffe inständig, dass Marek es gestern Abend ernst gemeint hat, als er andeutete, dass er eine Beziehung zu ihr aufbauen will. Das hoffe ich auch um meinetwillen. Wenn es sein müsste, würde ich mir meine Tochter schnappen und mit eingezogenem Schwanz nach Hause fahren, aber das wäre ganz sicher nicht die beste Lösung.
Im Flur hallen Schritte auf dem Parkett wider, die leichter klingen als die von Marek. Ich bin überrascht, als eine Frau um die Ecke kommt und die Küche betritt. Mit einem sanften Lächeln wirft sie einen Blick auf Lilly und sieht dann mich an. „Hallo, Gracen, ich bin Josie.“
„Äh … hi“, erwidere ich verwirrt und frage mich, was diese umwerfende Frau in Mareks Haus zu suchen hat. Ist sie seine Freundin? Oder die Haushälterin?
Sie scheint jedoch weder das eine noch das andere zu sein, denn sie schenkt mir ein warmherziges, freundliches … und auch wissendes Lächeln.
Offenbar spürt sie mein Unbehagen, geht um die Kücheninsel herum und streckt mir eine Hand entgegen. Zögerlich ergreife ich sie.
„Es tut mir leid, das ist sicher alles verwirrend für dich“, sagt sie und umarmt mich herzlich. „Ich will noch einmal von vorn anfangen. Ich bin Josie, die Freundin von Reed Olson. Reed und Marek sind gut miteinander befreundet.“
„Ich habe ihn kennengelernt“, erwidere ich ihr mit einem zaghaften Lächeln. „Bei der Hochzeit. Nun ja … bei der Hochzeit, die beinahe stattgefunden hätte.“
Josie nickt verständig. Sie scheint die Geschichte zu kennen, wie Marek Lilly und mich nach North Carolina mitgenommen hat. Ich erröte leicht, da mir klar wird, dass diese Frau genau weiß, dass ich Marek seine Tochter vorenthalten habe.
Josie lässt meine Hand los, tritt einen Schritt zurück und lehnt sich an die Anrichte. Mit dem Daumen deutet sie über ihre Schulter. „Reed muss mit Marek sprechen, also dachte ich, ich schaue mal vorbei und erkundige mich, ob du etwas brauchst. Außerdem möchte ich dich in North Carolina willkommen heißen.“
In ihrer Stimme schwingt ein harter Ton mit, als sie das Gespräch zwischen Reed und Marek erwähnt, aber ich hake nicht nach, weil es mich nichts angeht. Obwohl dies nicht mein Haus ist, gebieten mir meine Manieren, sie zu fragen: „Möchtest du einen Kaffee?“
„Sehr gern“, antwortet sie mit einem strahlenden Lächeln. Im nächsten Moment wendet sie sich ab und geht zu Lilly, die immer noch wie gebannt auf den Fernseher starrt. Marshall von Paw Patrol hat gerade die Leiter seines Feuerwehrautos ausgefahren und rettet eine Katze vom Baum.
Josie beugt sich vor und tippt Lilly sanft auf die Schulter. Meine Tochter zuckt leicht zusammen und dreht sich um. Da sie Josie nicht kennt, schaut sie sie zurückhaltend an.
„Hallo, Lilly“, sagt Josie mit einem Lächeln. „Ich bin Josie. Ich bin eine neue Freundin deiner Mama.“
Interessant. Sie hat nicht gesagt, dass sie eine Freundin von Marek ist, obwohl sie ihn wahrscheinlich allein durch ihre Beziehung zu Reed gut kennen muss. Die beiden Männer stehen sich offensichtlich sehr nahe. Aber in Gegenwart von Lilly erwähnt sie ihn gar nicht, denn sie scheint sich nicht ganz sicher zu sein, wie viel Lilly verstanden hat.
Josie lässt sich von meiner Tochter in ein bezauberndes Gespräch über Paw Patrol verwickeln. Während die beiden sich unterhalten, brühe ich zwei Tassen Kaffee auf und hole die Milch wieder aus dem Kühlschrank. Gerade als ich Milch in den Kaffee gegeben habe, greift Josie nach einer Tasse.
„Hast du Kinder?“, frage ich, da sie eine Menge über Paw Patrol zu wissen scheint.
Sie schüttelt lachend den Kopf. „Noch nicht, aber eines Tages. Ich bin Notärztin, und ein Grundwissen über beliebte Fernsehserien ist durchaus hilfreich, um beruhigend auf meine jüngeren Patienten einwirken zu können.“
Schlagartig fühle ich mich in Josies Gegenwart noch wohler, da wir beide in einem medizinischen Beruf arbeiten. Ich tippe auf meine Brust und sage eifrig: „Ich bin Krankenschwester.“
„Ich weiß“, sagt Josie grinsend. „Auf der Säuglingsstation, richtig?“
„Das stimmt“, bestätige ich strahlend und greife nach meiner Tasse.
Josie starrt mich abschätzend an, dann wendet sie sich kurz dem Flur zu, als befürchtete sie, dass Reed und Marek jeden Moment zurückkommen könnten, bevor sie sich wieder zu mir umdreht. Sie tritt näher, senkt die Stimme und sagt mit eindringlichem Tonfall: „Hör zu … Ich weiß nicht, wie lange die beiden noch brauchen. Da Reed Marek gerade in der Luft zerreißt, gehe ich davon aus, dass sie bald zurück sein werden. Aber du sollst wissen, dass du hier eine Freundin hast. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schwer es für dich gewesen sein muss, plötzlich aus deinem Zuhause gerissen zu werden. Ich wette, Marek ist nicht sonderlich freundlich zu dir.“
Ein Anflug von Verlegenheit überkommt mich, und ich murmele bedrückt: „Dann kennst du die ganze Geschichte. Marek hat die Hochzeit verhindert und …“
„Dich und Lilly praktisch entführt, euch hierhergeschleppt und euch links liegenlassen, während er sich am Strand vergnügt hat? Ja, ich weiß alles“, erklärt sie mit eisiger Stimme. Es ist nicht zu überhören, wie sehr sie Mareks Verhalten missbilligt. „Deshalb ist Reed gekommen, um ihm den Kopf zurechtzurücken.“
Ich schüttle den Kopf und senke den Blick, als ich von Schuldgefühlen übermannt werde. „Marek hat allen Grund …“
„Nein“, wirft Josie hastig in unnachgiebigem Tonfall ein. „Es ist völlig egal, wer wen in der Vergangenheit verletzt hat, das ist keine Entschuldigung, dich und Lilly allein hier sitzenzulassen. Das wird er verstanden haben, wenn Reed mit ihm fertig ist.“
Ich bin mir meiner Gefühle nicht ganz sicher. Vielleicht empfinde ich Dankbarkeit, vielleicht auch ein wenig Genugtuung. Auf jeden Fall habe ich Tränen in den Augen und muss schlucken. „Danke, Josie. Es tut gut, das zu hören. Marek und ich, wir sind beide wütend und verletzt. Aber als er gestern Abend nach Hause kam, hat er angedeutet, dass er eine Beziehung zu Lilly aufbauen will. Heute wollen wir mit ihr sprechen.“
Josie wirft flüchtig einen Blick auf Lilly und wendet sich dann wieder mir zu. „Wie viel weiß sie?“
Unwillkürlich stoße ich einen tiefen Seufzer aus, der deutlich zum Ausdruck bringt, wie sehr mich die Sache aufwühlt. „Nicht viel. Nur, dass ihre Mama Owen nicht heiraten wird. Und dass sie aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen wurde, um in einem fremden Haus mit einem fremden Mann zu leben, von dem sie nicht einmal weiß, welche Rolle er in ihrem Leben spielt. Ich habe Marek gestern Abend gesagt, dass wir abreisen werden, weil ich Lilly nicht länger verwirren will. Das scheint ihn zum Nachdenken bewegt zu haben. Zumindest glaube ich das.“
Josie nickt verständnisvoll. Sie nimmt einen Schluck Kaffee und fragt: „Es war sicher schrecklich, dass Marek einfach so aufgetaucht ist und dich gezwungen hat, mit ihm zu gehen. Reed hat mir erzählt, was vorgefallen ist, und hat Mareks Verhalten nicht gutgeheißen.“
Ich starre in die Tasse und bin nicht in der Lage, Josie ins Gesicht zu blicken. Beschämt gebe ich zu: „Es war ein einziges Durcheinander. Marek hat gedroht, mir Lilly wegzunehmen, und mir keine Zeit gelassen, über die Konsequenzen nachzudenken. Du kannst dir nicht vorstellen, wie aufgewühlt alle waren, als ich die Hochzeit absagte. Ich konnte weder Owens noch meinen Eltern richtig erklären, was los war. All die Leute in der Kirche, denen ich gegenübertreten musste …“
Ich verstumme, während ich an diesen schrecklichen Tag zurückdenke. Owen stürmte wütend aus der Kirche, nachdem ihm klar wurde, dass er mich nicht umstimmen konnte. Ich musste allein vor die Menge treten und vor fünfhundert Menschen verkünden, dass die Hochzeit nicht stattfinden würde.
Meine Gefühle spielten an jenem Tag völlig verrückt. Ich wusste nicht, ob ich gerettet war oder nicht.
Josie antwortet nicht.
Als ich endlich den Mut aufbringe, sie anzusehen, neigt sie nachdenklich den Kopf zur Seite. „Darf ich dich etwas Persönliches fragen?“
Ich zucke mit den Schultern. Warum nicht? Sie kennt ohnehin schon den Großteil meiner Probleme.
„Reed hat mir erzählt, dass Owen sehr wohlhabend ist. Ich bin sicher, er hätte dir geholfen, Marek vor Gericht zu besiegen, damit du Lilly behalten kannst. Warum hast du dann die Hochzeit abgesagt? Warum hast du Marek nachgegeben und zugelassen, dass er dein Leben auf den Kopf stellt?“
Diesmal erröte ich nicht vor Verlegenheit. Stattdessen spüre ich, wie mir ein eiskalter Schauer über den Rücken läuft und das Blut aus meinem Gesicht weicht. Mit dieser Frage habe ich nicht gerechnet. Eigentlich möchte ich sie gar nicht beantworten müssen. „Äh … nun, ich meine … es war Mareks gutes Recht. Ich habe ihm seine Tochter lange vorenthalten.“
Josie schüttelt den Kopf. „Nein, da steckt doch mehr dahinter. Es ist offensichtlich, dass es dir Kopfzerbrechen bereitet. Du bist kein boshafter Mensch, und ich kann das Bedauern in deiner Stimme hören. Aber da ist noch etwas anderes.“
Ja, doch dieses Etwas ist mein Geheimnis, und das werde ich für mich behalten. Ich schüttle den Kopf und hebe das Kinn an. „Nein, da ist nichts. Du weißt gar nicht, wie schlecht ich mich deshalb fühle, Josie. Seit ich herausgefunden habe, dass ich schwanger bin, hat es mich tagein, tagaus geplagt. Ich bereue zutiefst, Marek hintergangen zu haben, und kann verstehen, dass er mir nur schwer vergeben kann. Aber ich werde nicht zulassen, dass Lilly dabei verletzt wird. Solange Marek sich also um seine Tochter bemüht, werde ich der Sache eine Chance geben und seinen Zorn hinnehmen. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.“
Josie kann sich nur schwer verstellen. Ihr ist deutlich anzusehen, dass sie meine Worte abwägt und sich fragt, ob ich ihr die Wahrheit erzähle. Schließlich schenkt sie mir ein anerkennendes Lächeln und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Okay. Ich kann dich verstehen. Aber lass dich nicht von ihm herumschubsen, in Ordnung?“
Mir entfährt ein Lachen, das belustigt und zugleich ein wenig hysterisch klingt. „Äh … ich tue mein Bestes, allerdings macht er es mir nicht leicht.“
„Konzentriere du dich einfach weiter auf Lilly“, rät sie. „Ich werde dir meine Nummer und meine E-Mail-Adresse geben. Du kannst dich jederzeit bei mir melden, falls du reden willst. Wenn du Lust hast, gehen wir demnächst einen Kaffee zusammen trinken.“
„Sehr gern“, erwidere ich leise. Ich bin überwältigt von ihrer Herzlichkeit und dankbar, unverhofft eine neue Freundin gefunden zu haben.
Die Eingangstür wird geöffnet und schwere Schritte ertönen im Flur. Josie und ich treten beide einen Schritt zurück, als Marek die Küche betritt, dicht gefolgt von Reed.
Reeds Blick fällt zuerst auf Josie, dann auf mich. Er schenkt mir ein zaghaftes Lächeln. „Hey, Gracen. Schön, dich wiederzusehen.“
„Hallo“, antworte ich leise und lehne mich mit der Hüfte gegen die Theke.
„Bist du bereit, zu gehen, Schatz?“, wendet Reed sich an Josie.
Sichtlich überrascht blickt sie zu ihm auf. Offenbar hat sie damit gerechnet, dass wir uns noch weiter unterhalten würden, doch sie stellt hastig ihre Tasse ab. „Ja, sicher.“
Sie kommt auf mich zu, umarmt mich kurz und zieht dann ihr Handy aus der Tasche. „Gib mir deine Nummer.“
Ich rattere die Nummer herunter, und sie speichert sie in ihren Kontakten, bevor sie mich anlächelt. „Ich schreibe dir morgen eine Nachricht. Wir sollten uns bald auf einen Kaffee treffen.“
„Das würde mich freuen“, erwidere ich und werfe einen Blick über ihre Schulter auf Marek. Er steht mit verschränkten Armen und einem gleichgültigen Ausdruck im Gesicht da.
Reed winkt mir zu, verabschiedet sich jedoch nicht von Marek, was ich bezeichnend finde. Offensichtlich herrscht dicke Luft zwischen den beiden. Ich sehe Josie und Reed nach, als sie ohne ein weiteres Wort das Haus verlassen.
Ich trinke noch einen Schluck Kaffee und riskiere einen Blick auf Marek. Er starrt mich mit einem entschlossenen Ausdruck in den Augen an, dann nickt er Richtung Lilly. „Es ist Zeit.“
Mein Herz setzt einen Schlag aus. Ich wusste, dass dieser Moment kommen würde, aber ich bin nicht darauf vorbereitet. Lilly ist dreieinhalb Jahre alt und kann komplexe Sachverhalte kaum verstehen. Ich habe keine Ahnung, wie ich das Gespräch mit ihr beginnen soll, aber eines weiß ich mit Sicherheit: Ich muss ehrlich sein.
In dem Wissen, dass Lilly nicht nur ein liebevolles, sondern auch ein ziemlich zähes Kind ist, vertraue ich darauf, dass sie die Situation wahrscheinlich besser meistern wird als ich.