Marek
Mein Wohnzimmer liegt fast gänzlich im Dunkeln, nur das Lämpchen über dem Herd in der Küche spendet etwas Licht. Die spärliche Beleuchtung passt zu meiner düsteren Stimmung, und ich lasse mich tiefer in den Sessel sinken. Die Unterarme auf die Armlehnen gestützt, halte ich mit einer Hand ein Glas Bourbon, wobei ich es mit den Fingerspitzen am oberen Rand umfasse. Bisher habe ich nicht daraus getrunken. Das liegt daran, dass ich schon ziemlich beschwipst bin. Ich weiß nicht, warum ich es überhaupt eingeschenkt habe, aber da ich nicht müde war, als ich vor ein paar Minuten durch die Haustür gestolpert bin, dachte ich mir, mehr Alkohol könnte nicht schaden.
Die Party bei Holt war schrecklich. Normalerweise verbringe ich gern Zeit mit ihm, einem meiner besten Freunde, denn Holt ist ein extrovertierter und geselliger Typ. Er hat mit Vorliebe viele Leute um sich, vor allem Frauen. Und es gibt nichts Besseres, als sie auf einer riesigen Party um sich zu scharen, auf der die meisten Singles der Cold Fury zu finden sind.
Bereits heute Nachmittag hatten sich die Jungs bei Holt eingefunden, und sobald die Party am Abend in vollem Gange war, kamen weitere Leute. Holt hat vor, sein gesamtes Haus zu renovieren und im Laufe der Saison umzugestalten, also haben wir es noch einmal richtig krachen lassen.
Aber ich habe den Abend nicht genossen. Der Alkohol schmeckte fad, das Essen war trocken und die Frauen? Nun, sie schienen plötzlich nicht mehr so sexy zu sein.
Zumindest nicht im Vergleich zu Gracen. Ich kann gar nicht anders, als jede Frau mit Gracen zu vergleichen, denn Letztere habe ich ständig vor Augen. Zwar bin ich die meiste Zeit über wütend auf sie, aber ich fühle mich nach wie vor zu ihr hingezogen.
Deshalb bin ich heute in einer besonders mürrischen Stimmung, und ich hoffe, der Bourbon wird Abhilfe schaffen. Ich führe das Glas an meine Lippen und nehme einen großen Schluck, ohne ihn zu genießen. Dann lasse ich den Arm zurück auf die Lehne fallen und sinke grübelnd noch weiter in den Sessel.
Lilly.
Ich fühle mich so unbeholfen, dass mein Magen sich ständig verkrampft, wenn ich in ihrer Nähe bin. Sie ist absolut perfekt, und das liegt nicht daran, dass sie mir so ähnlich sieht. Aber sie hat mein natürlich gewelltes Haar geerbt, das sich bei ihr zu erstaunlichen Ringellocken formt. Und sie hat meine Augen.
Meine verdammten Augen.
Sowohl Gracen als auch ich haben blaue Augen, deren Farbtöne sich jedoch grundlegend voneinander unterscheiden. Meine Iriden sind so tiefblau wie Jeansstoff, und wenn ich emotional werde, verdunkeln sie sich sogar noch etwas. Irgendwann hat mir einmal ein Mädchen am Strand gesagt, dass sie wie Saphire strahlen, sobald das Sonnenlicht auf sie fällt. Gestern bei Lilly habe ich es auch gesehen. Sie hatte einen Strauß Löwenzahn für ihre Mutter gepflückt und ihn mir zur Begutachtung entgegengestreckt. Mit einem Lächeln wandte sie ihr Gesicht der Sonne zu, und ihre Augen funkelten wie Edelsteine.
Im Gegensatz dazu sind Gracens Iriden hellblau und von einem dunkleren Ring umrandet. Wenn man genau hinsieht, kann man die goldenen Sprenkel darin erkennen. Auf mich hatten ihre Augen immer eine magische, hypnotisierende Wirkung.
Früher habe ich ihr mit Vorliebe in die Augen gestarrt, während ich sie nahm.
Ich trinke noch einen Schluck Schnaps und spüre, wie mir schummrig wird.
Eigentlich habe ich für heute genug getrunken, denn vorhin war ich kaum in der Lage, mir mithilfe der Uber-App ein Taxi zu rufen. Meine Sinne sind mittlerweile ziemlich abgestumpft.
Irgendwann vernehme ich leise Schritte auf der Treppe, die sowohl zu den Schlafzimmern im ersten Stock als auch hinunter in den Keller führt. Sie befindet sich direkt links von mir auf der anderen Seite der halbhohen Wand, die den Wohnbereich von der Küche und dem Essbereich trennt.
Mir ist schlagartig klar, dass Gracen gerade die Treppe hinunterkommt, denn sie achtet mit gedämpften Schritten darauf, nicht zu viel Lärm zu machen. Wäre es Lilly gewesen, hätte ich sofort ihr unverkennbares Getrappel vernommen, da sie einen Schritt nach dem anderen macht und sich am Geländer festhalten muss. Außerdem schläft sie um diese Uhrzeit schon.
Ja, ich habe meine Tochter durchaus beobachtet. Ich betrachte sie auf eine Art und Weise, die man vielleicht als absonderlich bezeichnen könnte, wenn man nicht wüsste, dass sie mein Fleisch und Blut ist und ich drei Jahre lang nichts von ihrer Existenz wusste.
Gracen tritt in mein Blickfeld, und mir stockt der Atem. Wie früher trägt sie zum Schlafen ein T-Shirt. Allerdings handelt es sich dabei nicht um ein zu weites Herrenshirt, sondern um ein hautenges Oberteil, das sich perfekt an ihren zierlichen Körper schmiegt und ihre prallen Brüste verhüllt. Letztere sind nicht in einen BH gezwängt und wippen beim Gehen auf und ab. Mein Blick fällt auf ihren Hintern, der kaum von einem weißen Bikinihöschen bedeckt ist, das tief auf ihren Hüften sitzt und den unteren Teil ihrer Pobacken entblößt.
Trotz der Unmengen an Alkohol, die ich bereits konsumiert habe, reagiert mein Körper sofort auf den Anblick. Mein Schwanz schwillt an und drückt gegen den Reißverschluss meiner Jeans. Ich hebe schweigend mein Glas und kippe den Inhalt hinunter, dann stelle ich das leere Glas auf meinem Knie ab.
Unwillkürlich folge ich Gracen mit meinen Blicken, als sie mit anmutigen Bewegungen die Küche betritt. Für einen Moment verdeckt die Kücheninsel ihren Unterkörper, bis sie auf der anderen Seite den Kühlschrank erreicht. Im Halbdunkel wirkt sie geheimnisvoll und einsam, doch dann öffnet sie die Tür und wird von dem Licht beschienen, während die kalte Luft ihre Brustwarzen steif werden lässt. Ihre Nippel sind durch ihr T-Shirt deutlich zu sehen.
Ich unterdrücke ein Stöhnen und verlagere das Gewicht, wobei ich mit meiner freien Hand meinen Schwanz in meiner Hose zurechtrücke, um mir etwas Erleichterung zu verschaffen.
Verdammt, ich verfluche mich selbst für meine Reaktion. Indem ich mich auf meine Wut besinne, versuche ich, sie so unattraktiv wie möglich zu machen, aber es gelingt mir nicht. Vor mir sehe ich weiterhin die schönste Frau, der ich je begegnet bin. Und die Tatsache, dass sie mein Kind unter dem Herzen getragen hat, macht sie noch umwerfender.
Es ist verrückt.
Gracen mustert den Inhalt des Kühlschranks, dann greift sie hinein und zieht eine mit Alufolie bedeckte Kuchenform heraus. Ich bin zutiefst enttäuscht, als sie die Tür schließt und ihr Körper wieder vom Halbdunkel verschluckt wird.
Schweigend beobachte ich, wie sie die Kuchenform auf die Arbeitsplatte stellt, in einer Schublade nach einer Gabel kramt und dann die Folie abzieht.
Das ist die Gracen, an die ich mich erinnere. Sie hätte sich auch damals nicht die Mühe gemacht, sich einen Teller zu holen und ein Stück abzuschneiden. Wenn sie keine Gabel zur Hand hätte, würde sie den Kuchen mit den Fingern essen.
Sie sticht hinein und führt die Gabel an ihren Mund. Ich habe keine Ahnung, um welche Sorte es sich handelt, aber ich stelle mir einen Apfelkuchen vor und male mir aus, wie der Zimt auf meiner Zunge prickelt. Oder einen Kirschkuchen, dessen süßsäuerliches Aroma meine Geschmacksknospen zum Tanzen bringt. Was immer es ist, ich starre sie fasziniert und mit einem Steifen an, während sie ihre vollen Lippen öffnet, um einen Bissen zu essen.
Genüsslich schließt sie die Augen und legt den Kopf in den Nacken. Dann raubt sie mir fast den Verstand, als ihr ein gedämpftes, sinnliches Stöhnen entfährt, das gerade laut genug ist, um an meine Ohren zu dringen.
„Ist er wirklich so gut?“, will ich mit rauer Stimme wissen.
Gracen kann nichts erschüttern. Jede andere hätte vor Schreck einen Schrei ausgestoßen, wenn plötzlich jemand aus dem Dunkel zu ihr gesprochen hätte. Aber Gracen zuckt lediglich leicht zusammen und begegnet meinem Blick. Für einen Moment starrt sie mich nur an, und ich frage mich, ob sie in der Dunkelheit den Beweis meiner Erregung sehen kann, der zwischen meinen Schenkeln pocht.
Sie räuspert sich und fragt mit übertrieben freundlichem Tonfall: „Möchtest du ein Stück?“
Meine Güte, und ob ich ein Stück will.
Doch nicht vom Kuchen.
Statt zu antworten, erhebe ich mich aus meinem Sessel. Dabei schwanke ich leicht nach links, fange mich aber gleich wieder. Ich schlendere zur Bar am Fuße der Treppe und bemühe mich, einer geraden Linie zu folgen, um nicht so betrunken zu wirken, wie ich mich fühle. Ich gieße mir noch zwei Fingerbreit Bourbon ein und schwenke das Glas, wobei etwas von der Flüssigkeit auf meine Hand schwappt.
„Scheiße“, murmele ich, als ich mich erneut zu Gracen umdrehe.
Sie würdigt mich jedoch keines Blickes und widmet sich wieder ihrem Kuchen.
Ich hasse es, wenn man mich ignoriert.
Also gehe ich um die Kücheninsel herum, bleibe neben ihr stehen und stelle mein Glas ab. Ich senke den Blick und sehe, dass sie Kirschkuchen isst. Mein Gott, ist das sexy. Zweifellos existiert irgendwo ein Song über eine halb nackte Frau, die einen Kirschkuchen verspeist.
„Du bist betrunken“, bemerkt sie leise und sticht erneut mit der Gabel in den Kuchen. Sie piekst eine einzelne Kirsche auf und führt sie an ihre Lippen. Fasziniert beobachte ich, wie sie die Zunge herausstreckt, um die Frucht kurz zu schmecken, bevor sie in ihrem Mund verschwindet.
„Wie kommst du darauf, dass ich betrunken bin?“, frage ich, wobei sich meine Zunge allerdings ziemlich schwerfällig anfühlt.
„Du schwankst und riechst wie eine ganze Destillerie“, erklärt sie mit ausdruckslosem Tonfall, der darauf schließen lässt, dass sie sich nicht an meinem alkoholisierten Zustand stört.
„Du solltest nicht so leicht bekleidet durch das Haus laufen.“ Mein Blick wandert seitlich an ihrem Körper hinunter. Ich kann nicht sehen, ob ihre Brustwarzen immer noch steif sind, da sie von ihren Armen verdeckt sind, aber die Rundung ihres Hinterns ist atemberaubend.
„Nichts, was du nicht schon gesehen hättest“, erwidert sie gelangweilt.
In diesem Moment wird mir klar, dass es ihr völlig egal ist, ob ich sie attraktiv finde. Offenbar fühlt sie sich nicht so sehr zu mir hingezogen wie ich mich zu ihr, und das kränkt mich ein wenig.
Gracen deckt den Kuchen ab, was bedeutet, dass dieses Gespräch sich dem Ende zuneigt. Aber der Alkohol in mir will nicht, dass diese kleine Begegnung schon endet. Vor allem, weil ich die letzten Stunden auf einer Party verbracht habe, auf der mich keine Frau wirklich in Versuchung führen konnte. Einfach, weil keine von ihnen Gracen Moore war.
Ich ergreife ihr Handgelenk und ziehe an ihrem Arm. Sie ist gezwungen, sich umzudrehen und mir ins Gesicht zu sehen, doch sie starrt mich nur ausdruckslos an. Im Schein des schwachen Lichts sieht sie aus, als würde sie erwarten, dass ich mit ihr die Einkaufsliste durchgehe.
Ich packe auch ihr anderes Handgelenk und hebe ihre Arme zu beiden Seiten ihres Körpers an. Dann lasse ich meinen Blick an ihren Rundungen hinuntergleiten. Am liebsten würde ich ihn an ihren Brustwarzen verweilen lassen, die durch den dünnen Baumwollstoff ihres T-Shirts sichtbar sind, aber ich wandere mit meinen Augen tiefer.
Vorbei an dem knappen Saum ihres Oberteils, unter dem die geschmeidige Haut ihres Unterleibs hervorlugt, bis hin zu dem makellos weißen Höschen, das ihre Muschi bedeckt.
Bei dem Gedanken an ihr süßes Aroma läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Mein Gott, ich habe es geliebt, Gracen oral zu verwöhnen. Ich konnte sie stundenlang mit meiner Zunge ficken und mich nur an ihrem Stöhnen und an ihren Schreien ergötzen. Natürlich erinnere ich mich noch lebhaft daran, dass sie sich ausgiebig bei mir revanchiert hat.
Ich hebe den Kopf und begegne ihrem Blick. Ihre gleichgültige Miene ist mittlerweile einem argwöhnischen Ausdruck gewichen.
„Hast du genug gestarrt?“, fragt sie mit gedämpfter Stimme.
Niemals.
„Was erwartest du denn?“, stichle ich sie und ärgere mich, weil ich lalle. „Wenn du so leicht bekleidet herumläufst, musst du damit rechnen, dass ich dich ansehe.“
„Ich wusste nicht, dass du schon zu Hause bist“, erklärt sie.
„Und doch bin ich hier.“ Ich trete einen Schritt auf sie zu. Obwohl ich betrunken bin, entgeht mir nicht, dass sie plötzlich nach Luft schnappt.
Ich starre sie an. Ihr Gesicht ist so verdammt schön, dass es mir zuweilen körperliche Schmerzen bereitet, es zu betrachten. Ich habe ihr Gesicht in meinen Träumen vor mir gesehen. Manchmal sogar nur ihre Nase. Oder ihre Lippen.
Gracen ist mir nie ganz aus dem Kopf gegangen, egal wie sehr ich sie im Laufe der Jahre vergessen wollte. Sie war meine erste große Liebe.
Meine einzige, um genau zu sein.
Was wäre, wenn … Was wäre, wenn ich sie einfach küssen würde? Nur ein Mal. Nur ein flüchtiger Kuss. Ich könnte meine Trunkenheit dafür verantwortlich machen. Eine Dummheit im Rausch ist doch verzeihlich, oder?
Ich konzentriere mich auf ihre vollen, weichen Lippen. Unzählige Male habe ich ihr in die volle Unterlippe gebissen, und sie hat es jedes Mal genossen.
Ich ziehe an ihren Handgelenken und zwinge sie, einen Schritt näher zu kommen. Sie lässt sich bereitwillig führen und befeuchtet mit der Zunge ihre Lippen. Verdammt … ist das etwa eine Einladung?
Sie läuft mir praktisch in die Arme, leckt sich die Lippen und ist halb nackt. Ja, sie will es auch.
Ohne nachzudenken, beuge ich mich vor und neige den Kopf zur Seite.
Nur ein flüchtiger Kuss.
Ich bin ihr so nahe, dass ich ihren Atem an meinem Mund spüren kann.
„Ich habe deine Tochter vor dir geheim gehalten“, sagt Gracen mit einem verbitterten Tonfall. „Du hasst mich. Schon vergessen?“
Ich weiche zurück und bemerke, dass sie die Finger gekrümmt hat, um sich im Notfall in meine Haut krallen zu können.
Sie will, dass ich sie loslasse.
Ich erfülle ihr den Wunsch und taumle einen Schritt zurück, als ich mir endlich der Bedeutung ihrer Worte bewusst werde. Sie wollte mich nicht küssen und hat mich daran erinnert, dass ich sie nicht mehr ausstehen kann. Natürlich könnte ich sie nie hassen, immerhin ist sie die Mutter meines Kindes, doch ich verachte sie dafür, was sie mir angetan hat.
Aber ich habe Schwierigkeiten, diese Emotionen mit der Tatsache zu vereinen, dass ich mich tief im Inneren immer noch zu ihr hingezogen fühle.
„Ich gehe jetzt wieder ins Bett“, murmelt Gracen und senkt den Blick. Sie will sich an mir vorbeidrängen, aber ich packe erneut ihr Handgelenk, um sie aufzuhalten.
Sie bleibt stehen, weigert sich jedoch, mich anzusehen.
„Ich hasse dich nicht, Gracie“, sage ich aufrichtig. Denn im Wein liegt schließlich die Wahrheit.
„Nun, das ist immerhin etwas“, erwidert sie und entzieht ihre Hand meinem Griff.
Dann eilt sie die Treppe hinauf, so anmutig und leise, wie sie heruntergekommen ist. Ich blicke ihr nach, bis sie außer Sichtweite ist, und greife nach meinem Glas.
Ich kippe den Inhalt hinunter und hoffe bei Gott, dass ich betrunken genug bin, um schlafen zu können, denn ich will gar nicht darüber nachdenken, was gerade passiert ist.