Kapitel 16

 

Gracen

 

Das Haus von Coach Pretore ist riesig. In dem Moment, in dem ich die oberste Stufe seiner Veranda betrete, höre ich Gelächter und Musik aus dem Inneren. Ich bin nervös, weil ich nun zum ersten Mal mit Mareks beruflicher Welt in Kontakt kommen werde. Ich habe keine Ahnung, was zum Teufel ich hier tue, und war ziemlich überrascht, als er mich Anfang der Woche zur Saisoneröffnungsparty eingeladen hat. „Ich will Lilly mitnehmen, damit alle sie kennenlernen können, und ich nehme an, dass sie sich wohler fühlt, wenn du dabei bist. Es werden noch weitere Kinder dort sein, aber …“

„Okay“, sagte ich mit sanfter Stimme, während ich einen Stapel sauberer Wäsche faltete, den ich auf den Küchentisch geworfen hatte.

Marek blinzelte, als ihm klar wurde, dass ich die Einladung angenommen hatte. Dann fiel sein Blick auf die Wäsche. „Du faltest meine Klamotten.“

„Ich habe sie zuerst gewaschen. Keine Sorge“, antwortete ich trotzig.

„Du musst meine Wäsche nicht waschen“, sagte er schroff.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hatte nichts Besseres zu tun. Außerdem lässt du mich hier mietfrei und auf deine Kosten wohnen.“

„Gracen, du musst meine …“, begann er wieder, doch ich unterbrach ihn.

„Was für eine Party ist das eigentlich?“, fragte ich und schaffte es dadurch, Marek abzulenken.

Offenbar ist es eine verdammt große Party, wenn man von den unzähligen Fahrzeugen ausgeht, die überall in der Nachbarschaft geparkt sind. Marek hat mir erzählt, dass Coach Pretore gern alle Spieler, Trainer und Führungskräfte mitsamt ihren Familien zu Beginn der Saison zusammenbringt, um den Teamgeist zu stärken. Das erste Spiel der Vorsaison ist in zwei Tagen.

Marek zögert nicht, sondern stößt einfach die Eingangstür auf und tritt ein. Ich festige meinen Griff um Lillys Hand, dann folgen wir ihm ins Haus. Sie hat sich auf den heutigen Abend gefreut, vor allem, als sie hörte, dass noch andere Kinder dort sein würden.

Ich bin überwältigt, als ich die schiere Menge von Leuten erblicke, die überall herumstehen und sich lautstark unterhalten. Ich betrachte die Gesichter und stelle nervös fest, dass ich niemanden außer Marek kenne. Und dieser wird mich bestimmt innerhalb weniger Minuten einfach stehen lassen.

Marek geht jedoch nur wenige Schritte nach links und betritt ein Wohnzimmer. Er steuert auf ein Paar zu, um das sich einige der Gäste versammelt haben. Die zierliche, dunkelhaarige Frau hält ein winziges Baby im Arm, während die anderen es mit einem Lächeln betrachten. Ein großer Mann mit atemberaubenden bernsteinfarbenen Augen steht direkt hinter ihr.

Ich folge Marek mit einigen Schritten Abstand, als er mit der Schulter spielerisch einen anderen Mann aus dem Weg schiebt, den ich tatsächlich erkenne.

Max Fournier ist der Torwart der Cold Fury. Nachdem Marek mich verlassen hatte, habe ich mir trotzdem weiter Eishockeyspiele angesehen. Ich liebe den Sport und habe natürlich seine Karriere verfolgt, insbesondere die letzten beiden Jahre, in denen sie zweimal hintereinander den Stanley Cup gewonnen haben. Max ist einer der Stars des Teams und leicht zu erkennen, also weiß ich, wer er ist.

Marek beugt sich über das Baby, streicht ihm mit der Fingerspitze über die Brust, und blickt zu dem Mann mit den bernsteinfarbenen Augen auf. Er grinst und sagt: „Gott sei Dank hat er sein Aussehen von Kate geerbt.“

Der Mann stößt ein leises Knurren aus, bevor er den Blick wieder auf das Baby senkt und die Lippen zu einem verträumten, liebevollen Lächeln verzieht. Offensichtlich ist er der Vater.

Marek dreht sich zu mir um, und zu meiner Überraschung streckt er Lilly und mir seine Hand entgegen.

Nun, nur Lilly. Nicht mir.

Ich schiebe Lilly behutsam ein Stück in Mareks Richtung. Er ergreift ihre Hand und zieht sie zu der Gruppe.

„Das ist Lilly“, sagt Marek mit so viel Stolz in der Stimme, dass ich einerseits gerührt bin, weil er unsere Tochter so liebt, und mich andererseits schäme, weil er diese Emotionen erst jetzt empfinden darf.

Alle begrüßen Lilly herzlich und schenken ihr ein breites Lächeln. Marek hat mir mitgeteilt, dass er dem Rest der Mannschaft am Montag zu Beginn des Trainingslagers von ihr erzählt hat. Die Frau mit dem Baby geht vor Lilly in die Hocke. „Das ist Caleb. Er wurde erst letzten Monat geboren.“

Lilly reißt die Augen auf und betrachtet das Baby. Dann dreht sie sich zu mir um und sagt: „Schau, Mommy, ein Baby. So süß.“

Plötzlich habe ich das Gefühl, im Rampenlicht zu stehen, als die anderen sich scheinbar wie in Zeitlupe mir zuwenden und mich anstarren.

Mein Blick fällt auf Marek, der schlagartig vor Scham errötet. Zu seiner Verteidigung muss ich sagen, dass er sofort zu mir eilt, mich am Ellbogen fasst und mich zu sich zieht. „Scheiße, tut mir leid. Leute, das ist Gracen. Lillys Mutter.“

Er scheint aufrichtig beschämt, dass er vergessen hat, mich vorzustellen, also lasse ich mir nichts anmerken. Ich lächle, während Marek mir die anderen vorstellt.

„Das sind Zack und Kate Grantham mit dem süßen Baby“, sagt Marek.

Kate richtet sich auf und schenkt mir ein warmherziges Lächeln. Ich nicke ihr zu.

„Und das sind Max Fournier und seine Verlobte Jules.“

Ich wende mich dem Paar mit einem Lächeln zu. „Hallo. Schön, euch kennenzulernen.“

Jules ist eine hübsche Frau mit karamellfarbenem Haar und schönen, gütigen braunen Augen. Sie reicht mir sofort die Hand. „Es freut mich, dich kennenzulernen, Gracen.“

„Und das ist Ben“, sagt Marek zu Lilly, während er die Hand ausstreckt und das Haar eines kleinen Jungen zerzaust, der neben Kate steht. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt. Er ist einen Kopf größer als Lilly und sieht Zack sehr ähnlich.

„Die anderen Kinder sind unten im Keller“, bemerkt Jules und dreht sich zu mir um. „Trainer Pretore hat dieses Jahr einen Magier engagiert, um sie zu unterhalten, da wir mittlerweile einen Stall von Kindern in diesem Team haben.“

Kate lacht und zeigt mit einem Nicken auf Baby Caleb in ihren Armen. „Da hast du wohl recht. Gray und Sutton sind auch gerade Eltern geworden, und Stephanie ist im September fällig.“

Und schon fühle ich mich wieder verloren. So viele Namen, und ich kenne keinen von ihnen.

„Wie alt ist Lilly?“, will Jules von mir wissen. Wahrscheinlich versucht sie, mich etwas mehr in die Unterhaltung einzubeziehen.

„Sie wird im Januar vier“, antworte ich und lege eine Hand auf Lillys Schulter.

Jules grinst. „Meine Annabelle ist fünfeinhalb. Sie ist unten bei meinen Jungs. Ich kann Lilly mitnehmen und sie einander vorstellen.“

Gerade will ich ihr anbieten, mitzukommen, als Josie auf mich zukommt und mich in ihre Arme zieht. „Da bist du ja“, sagt sie überschwänglich, während ich ihre Umarmung erwidere. Dann flüstert sie mir ins Ohr: „Wage es nicht, mich allein zu lassen. Ich kenne hier niemanden.“

Ich ziehe den Kopf zurück und frage: „Wo ist Reed?“

„Bier holen“, antwortet sie und wirft einen Blick über die Schulter. Niemand macht Anstalten, sich Josie vorzustellen, daher nehme ich an, dass sie die Gruppe bereits getroffen hat, was bedeutet, dass sie definitiv mehr Leute hier kennt als ich.

Trotzdem ist es schön, eine Freundin hier zu haben, damit ich nicht wie eine verlorene Idiotin irgendwo herumstehen muss.

Jules wirft einen Blick auf Lilly. „Kann ich sie mit nach unten nehmen?“

Ich drücke Lillys Schulter und sie blickt zu mir auf. „Schatz, möchtest du nach unten gehen und mit den anderen Kindern spielen? Jules wird dich hinbringen.“

Sie nickt aufgeregt. „Ja, ich will spielen gehen.“

Ich wende mich wieder Jules zu. „Macht es dir wirklich nichts aus?“

Sie winkt nur ab. „Natürlich nicht. Außerdem sind da unten auch viele Mütter. Wir werden gut auf sie aufpassen.“

„Also schön“, erwidere ich und bücke mich, um Lilly einen Kuss auf die Wange zu drücken. „Sei brav, und wenn du mich brauchst, bringt Jules dich wieder nach oben.“

„Okay, Mommy“, sagt Lilly und schlingt zum Abschied ihre Arme um meine Beine. Ich streichle ihr über den Kopf, dann löst sie sich von mir. Völlig verblüfft beobachte ich, wie sie sich daraufhin zu Marek umdreht und auch ihn umarmt.

Er ist genauso überrascht von ihrer spontanen Liebesbekundung und sieht aus, als hätte ihm jemand gerade eine Ohrfeige verpasst. Bevor er die Geste jedoch erwidern kann, lässt sie ihn los und ergreift Jules’ Hand.

„Ich begleite meine Frau“, sagt Max und drängt sich an uns vorbei, um Jules und Lilly zu folgen. „Ich sehe mir lieber sie an als euch alle.“

Kate kichert und Zack würdigt ihn keines Blickes. Er nimmt lediglich Caleb von seiner Frau entgegen und wiegt ihn so behutsam in seinen Armen, dass mir das Herz aufgeht. „Komm schon. Lass uns den anderen unser Kind zeigen.“

Zum Abschied lächelt Zack und nickt mir zu, während Kate mir ein breites Grinsen schenkt. Dann verschmelzen sie mit der Menge.

Marek dreht sich um, bedenkt Josie mit einem flüchtigen Blick und wendet sich mir zu. „Hast du Hunger?“

„Nicht wirklich“, antworte ich. Marek hatte mir zwar versichert, dass die Verpflegung ausgezeichnet sein würde, aber ich habe trotzdem mit Lilly zu Abend gegessen. Ich wusste, dass sie es nicht bis zur Party aushalten würde.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragt er stattdessen und klingt dabei fast galant.

„Eine Flasche Wasser wäre toll.“

„Bist du sicher, dass ich dir nicht doch etwas zu essen holen soll?“

Ich werfe einen flüchtigen Blick auf Josie, die erstaunt die Augenbrauen in die Höhe zieht. Meine Handflächen beginnen, zu schwitzen. Entgegen meiner Erwartungen hat Marek mich bei unserer Ankunft nicht allein gelassen, sondern ist fast schon fürsorglich.

„Ganz sicher“, erwidere ich mit einem Lächeln. „Aber es ist gut möglich, dass ich später noch einmal Hunger bekomme.“

„In Ordnung.“ Er verzieht die Lippen zu einem aufrichtigen Lächeln. In diesem Moment erinnert er mich an den unbeschwerten Jungen, in den ich mich vor Jahren verliebt habe. „Ich bin gleich zurück.“

Sobald er außer Hörweite ist, beugt Josie sich zu mir vor und murmelt: „Das ist interessant.“

„Es ist seltsam“, entgegne ich mit einem Schnauben.

„Er ist richtiggehend charmant. Im Gegensatz dazu, wie er dich vorher behandelt hat, ist das doch eine nette Abwechslung.“

„Wahrscheinlich verhält er sich nur so, weil wir in der Öffentlichkeit sind“, bemerke ich trocken.

„Ich bin so froh, dass du hier bist“, sagt Josie mit überraschend unsicherem Tonfall. „Das alles ist ziemlich überwältigend.“

„Da hast du recht“, stimme ich leise zu.

Kurz darauf kommt Marek, gefolgt von Reed, zurück. Letzterer überrascht mich, indem er mich flüchtig umarmt.

Marek reicht mir eine Flasche Bier. „Bitte schön.“

„Ich wollte doch ein Wasser“, erinnere ich ihn.

Er schenkt mir jedoch ein verschmitztes Grinsen. „Komm schon, Gracie. Ein Bier wird dich nicht umbringen. Außerdem ist es eine deiner Lieblingsmarken. Besonders im Sommer hast du es gern getrunken.“

Ich verziehe die Lippen zu einem Lächeln, als ich die grüne Flasche Rolling Rock betrachte. Er hat sich tatsächlich an ein so winziges Detail aus meinem Leben erinnert, und das treibt mir fast die Tränen in die Augen. Ich muss schlucken und nehme das Getränk entgegen. „Also schön. Ein Bier.“

 

***

 

Das Untergeschoss in Coach Pretores Haus ist riesig und hat mehrere Räume, die durch breite, bogenförmige Durchgänge miteinander verbunden sind. Ich lehne mich mit der Schulter gegen den Rahmen einer dieser Türen zwischen einem großen Fernsehraum mit etlichen Sitzreihen und einem Zimmer mit einem Billardtisch, einem Airhockeytisch und einem eleganten Pokertisch mit acht Sitzplätzen. Gleich hinter dem Spielzimmer befindet sich eine Bar mit einem robusten Holztresen, vor dem einige Barhocker stehen. Am unteren Rand ist sogar eine Messingstange angebracht, auf der man seine Füße abstellen kann. Momentan arbeiten dort zwei Barkeeper.

Vor ein paar Minuten habe ich mich von Josie und Reed losgeeist, um nach Lilly zu sehen. Ich habe keine Ahnung, wo Marek ist, da er sich auf die Suche nach etwas zu essen machen wollte. Dafür war ich dankbar, denn zuweilen war es ein wenig unangenehm, wenn er mich seinen Freunden mit den Worten vorstellte: „Das ist Gracen … Lillys Mutter.“

Sie haben mich angelächelt, doch in ihren Augen lag ein Anflug morbider Neugier. Ich habe es tatsächlich gesehen. Wahrscheinlich fragten sie sich, warum ich Lilly von Marek ferngehalten hatte.

Am schlimmsten war jedoch meine Begegnung mit Holt Craig. Ich kannte ihn noch von früher, denn er hatte ein Jahr lang mit Marek am Boston College gespielt, bevor er Profi wurde. Er umarmte mich herzlich, doch in seiner Stimme schwang ein tadelnder Unterton mit, als er sagte: „Gracen, ich kann nicht glauben, dass du Mutter bist. Und wow, das war ja ein ziemlicher Schock für Marek, nicht wahr?“

Ich wusste, dass er es nicht böse meinte; diese Menschen hier sind gewissermaßen alle Mareks Familie. Es ist kein Wunder, dass sie mich nicht sonderlich mögen.

Lilly sitzt in der ersten der vier Stuhlreihen im Fernsehraum und teilt sich einen gepolsterten Sessel mit einem anderen Kind. Ich nehme an, dass es sich bei dem Mädchen um Jules’ Tochter Annabelle handelt. Viele Kinder und auch einige Eltern haben es sich auf den Sitzen bequem gemacht und beobachten den Magier, der gerade seine Darbietung beendet.

Ich habe jedoch nur Augen für Lilly. Sie hat noch nie einen Zauberer gesehen, aber sie kennt das Konzept der Magie aus Filmen wie Aschenputtel und Die Eiskönigin. Häufig läuft sie umher und singt: „Bibbidi babbidi busch.“

Im Moment hat sie die Augen weit aufgerissen und starrt voller Staunen und mit einem Hauch Ungläubigkeit den Magier an, der gerade einen bunten Schal über einen leeren Vogelkäfig wirft. Nachdem er seinen Zauberstab geschwungen hat, reißt er den Schal herunter und ein weißer Vogel erscheint. Die Kinder kreischen vor Aufregung, und Lillys Lächeln strahlt so hell wie die Sonne. Dann kichern sie und Annabelle hysterisch.

„Ich habe dir noch ein Bier mitgebracht“, höre ich Marek sagen, als er von hinten eine Hand über meine Schulter gleiten lässt, in der er eine weitere Flasche Rolling Rock hält.

Ich werfe einen Blick über die Schulter und schenke ihm ein schiefes Lächeln. „Nein, danke.“

Vor fünf Jahren hätte Marek mich zu einem zweiten Bier überredet, indem er seinen Charme hätte spielen lassen. Damals hat er mich sogar dazu bringen können, mich am Abend vor einer wichtigen Prüfung mit ihm zu betrinken. Er war unverbesserlich und zuweilen verantwortungslos. Doch nun beugt er sich vor und führt seine Lippen an mein Ohr, wobei er die Bierflasche in seiner Hand sinken lässt. „Es tut mir leid, was vorhin passiert ist.“

Ich zucke zusammen und drehe mich ihm erneut zu, um ihn erstaunt anzustarren. „Wovon redest du?“

„Von Holt“, antwortet er, als wäre keine weitere Erklärung nötig. Obwohl ich genau weiß, wovon er spricht, fügt er hinzu: „Ich habe meinen Kameraden zwar von Lilly erzählt, ihnen keine Details genannt. Die meisten von ihnen haben keine Ahnung, aber wahrscheinlich nehmen sie das Schlimmste an.“

„Schlimmer als die Wahrheit kann es nicht sein“, erwidere ich mit gedämpfter Stimme und richte den Blick wieder auf Lilly. „Du solltest es ihnen einfach sagen.“

„Es geht niemanden etwas an“, bemerkt Marek. Er steht so dicht hinter mir, dass ich die Wärme seines Körpers spüren kann, und mir wird schwindelig. „Aber irgendeine Erklärung werde ich ihnen geben müssen.“

„Nein, das musst du nicht“, presse ich heiser hervor. Mir verschlägt es beinahe die Sprache, doch ich bin mir nicht sicher, ob es an dem Thema oder an seiner Nähe liegt.

Meine Knie geben fast nach, als Marek mir das Haar von der Schulter streicht. Dann beugt er sich erneut vor und flüstert mir ins Ohr: „Du hast recht. Vielleicht muss ich es ihnen nicht erklären, aber ich habe keine Probleme, allen zu erzählen, was für eine fantastische Mutter du bist. Ich glaube nicht, dass ich dir das jemals gesagt habe. Ich danke dir dafür, dass du in Bezug auf Lilly großartige Arbeit leistest.“

Dieses Mal habe ich mich ein wenig besser unter Kontrolle und halte mich aufrecht. Doch ich schließe für einen Moment die Augen, denn das Kompliment macht mich unsagbar glücklich. Es bedeutet mir viel, nicht nur, weil er zuvor so abweisend mir gegenüber war, sondern auch, weil Lilly meine größte Errungenschaft im Leben ist.

„Komm schon, Gracie“, murmelt er mit sanfter und verführerischer Stimme. „Trink noch ein Bier. Entspann dich und lass dich gehen.“

Er hebt die Flasche Rolling Rock an und wedelt damit vor meinem Gesicht. Dennoch schüttle ich den Kopf und zeige mit einem Nicken auf Lilly, bevor ich ihn wieder ansehe. „Einer von uns muss nüchtern bleiben. Als Eltern hat man keine andere Wahl.“

Ich sage das nicht, um Marek zu beschämen, und glücklicherweise fasst er die Worte auch nicht so auf. Stattdessen grinst er mich wissend an und sagt: „Ich habe eine Idee.“

Marek drückt mir das Bier in die Hand. Ich nehme es unwillig entgegen, als er sein Handy aus der Tasche zieht. „Ich rufe meine Eltern an. Sie können Lilly in etwa einer Stunde abholen. Um die Zeit muss sie ohnehin ins Bett, sie kann bei ihnen übernachten. Dann kannst du dich entspannen und etwas Spaß haben.“

Ich strecke meine freie Hand aus und bedecke damit sein Handy. „Tu das nicht. Sie sind erst gestern Abend angekommen und zweifellos noch erschöpft von der Fahrt.“

Meine Vermutung ist sicher nicht falsch, aber der Gedanke, dass sie bereits nach Raleigh zurückgekehrt sind, belustigt mich auch ein wenig. Kaum hatten sie New York erreicht, packten sie schon ihre Sachen, um so schnell wie möglich für die Wintermonate hierher umzusiedeln. Lilly hat nun zwei weitere Großeltern, die einfach nicht genug von ihr bekommen können. Sie brauchten lediglich zwei Tage, um alles unter Dach und Fach zu bringen. Dann beluden sie ihren Wagen und machten sich auf den Weg nach Süden.

Marek war überglücklich, denn wie ich steht er seinen Eltern sehr nahe. Und sie waren immer seine größten Fans. Außerdem will er sie an all den Erfahrungen, die er mit Lilly macht, teilhaben lassen.

Sie fuhren den ganzen Weg durch und schickten uns bei ihrer Ankunft eine Nachricht. Ihr Domizil liegt nur wenige Kilometer von Mareks Haus entfernt.

Marek reißt das Handy wieder an sich und wedelt damit vor meinem Gesicht herum. „Wir würden ihnen eine Freude machen, wenn wir sie bitten, Lilly abzuholen. Als ich ihnen erzählt habe, dass ich sie heute zu der Party mitnehme, waren sie ganz enttäuscht, denn sie wollten sie so schnell wie möglich sehen. Vertrau mir einfach.“

Schweigend beobachte ich, wie er die Nummer seiner Mutter wählt. Als sie das Gespräch annimmt, zwinkert er mir zu und sagt: „Hey, Mom. Ja, die Party ist toll. Hör mal, Gracie will sich heute Abend volllaufen lassen und …“

Ich ramme ihm meine Faust in den Bauch und schlage dabei vielleicht ein wenig zu hart zu. Er krümmt sich und tritt grinsend einen Schritt zurück. „Ja … wie auch immer. Sie trinkt gern einen über den Durst. Könnten du und Dad Lilly in etwa einer Stunde abholen, damit wir uns noch ein bisschen amüsieren können?“

Marek lauscht einen Moment, dann fügt er hinzu: „Sie wird sich ebenfalls freuen, euch zu sehen.“

Daran hatte ich keinen Zweifel. Sie hat ihre Großeltern sofort in ihr Herz geschlossen und spricht seit ihrem Besuch ununterbrochen von ihnen.

„Ich schicke dir die Adresse“, sagt Marek.

Damit beendet er das Gespräch und deutet nickend auf das Bier in meiner Hand. „In einer Stunde sind sie da. Jetzt trink. Du bist auf einer Party.“

Marek legt mir eine Hand auf die Schulter und dreht mich wieder nach vorn. Dann flüstert er mir ins Ohr: „Sieh dir nur Lillys Gesicht an. Sie liebt den Zauberer.“

Ich unterdrücke ein Zittern und trinke einen Schluck Bier, während ich mich daran erinnere, dass wir beide nichts weiter sind als zwei Eltern, die sich freuen, dass ihr Kind Spaß hat.

Das ist alles. Mehr wird es nie sein.