Theo hat mir ein Bild gemalt. Ein tuscheschwarzes Rechteck. Aus der schwarzen Fläche hat er mit dürren Strichen eine Figur gekratzt. Ihr Kopf ist riesig, der Mund eine kurze, ausdruckslose Linie. Kein Leib, keine Arme, die Beine sind breite, gekritzelte Säulen, die Füße riesig. PAPA steht in windschiefen Großbuchstaben darüber.

Das Bild macht mich traurig. Es macht mich traurig, weil ich mich verstanden fühle. So verstanden, wie niemand, der in einer psychiatrischen Klinik auf der Depressionsstation in Kleidern auf dem Bett liegt, sich von einem Fünfjährigen verstanden fühlen will. Unter dem Schwarz, das die Figur ausfüllt, das die Gestalt umgibt, ist alles gelb. Die Linien, die meinen Strichmännchenkörper bilden, sind weggekratztes Schwarz, unter dem strahlendes Gelb zum Vorschein kommt. Ich weiß, dass Theo das nicht so meinte, dass Kinder so nicht malen. Dass Erwachsene Kinderbilder nicht verstehen können. Ich fühle mich trotzdem verstanden, viel zu gut verstanden. Und ich habe Angst, dass ich ihn anstecke, dass meine Gene ihn krank machen, dass das Bild schon ein Symptom ist.

Beim ersten Mal bin ich ins Krankenhaus gegangen, weil ich Friederike und Theo meinen kaputten Kopf nicht mehr antun wollte, weil ich nicht wollte, dass sie mich so sehen, weil ich nicht wollte, dass sie verstehen, was da mit mir passiert. Weil ich Angst hatte, dass Verstehen die Krankheit überträgt.

In der Klinik hängt Theos Bild neben meinem Bett. So ist es leichter, morgens aufzustehen. Es ist ein Bild, an dem ich mich festklammere, wenn ich der Welt zu kompliziert werde. Wenn ich mich selbst und auch nichts anderes mehr verstehe. Dann denke ich, dass ich nur das Schwarz von meinem Gelb kratzen muss. Das ist Glückskekspoesie. Eigentlich nicht mal. Das weiß ich. Aber manchmal hilft es.

Und manchmal ist alle Hoffnung aufgebraucht, und ich breche mitten hindurch, stelle mir vor, wie ich verzweifelt am Schwarz kratze. Wie ich kratze und kratze. Wie lebendig Begrabene. Wie ich kratze, bis kein Gelb mehr da ist, kein Blatt, nichts mehr.