Tev. Es ist brutal gutes Wetter. Wir gehen auf einen Schrebergartenflohmarkt. Friederike und ich sitzen auf einer Bank, trinken Kaffee und balancieren Pappteller mit dicken Scheiben Rührkuchen auf unseren Beinen. Das Wetter ist brutal gut, und die Kinder spielen auf dem Spielplatz. Theo und ein anderer Junge geben einander abwechselnd auf einem Karussell so heftig Schwung, dass sie beinahe runterfliegen. Wolf klettert immer wieder auf einen für Anderthalbjährige viel zu hohen Spielplatzholzturm und rutscht laut lachend die viel zu steile Rutsche herunter. Der Himmel ist brutal blau, und der Rasen, die Büsche, die Baumkronen, das alles ist brutal satt, brutal grün. Man sieht kein Haus, nur die ordentlichen, kleinen Holzhäuschen, nur Grün und Blau und Holzhäuschen, nur glückliche Menschen.

Ich schaue in den Himmel, Kuchen im Mund, und denke –

nichts. Gar nichts. Ich fühle nichts. Nichts wegen dem Himmel, nichts wegen dem Grün, wegen den anderen Menschen, wegen Friederike, wegen Theo, wegen Wolf. Ich gucke in diese Welt, und sie wirkt wie mit irgendwas überzogen, mit einer Nanoversiegelung, die mich an dieser so sauberen, schönen, richtigen, die mich an der Welt all der Menschen, die so sauber, schön und richtig sind, abperlen lässt.

Ich perle ab und fließe ins Bodenlose. Nein, das wünsche ich mir nur. Ich bin ja in dieser Welt, die für mich nur die Oberfläche einer Welt sein kann, die sich für mich nicht wie eine Welt anfühlt und sich niemals öffnen wird. Ich bin hier irgendwo verkantet, abgeschottet und ferngehalten und betrachte verständnislos das Miteinander von allem anderen. Diese karussellhafte Harmonie, diese märchenhafte Folgerichtigkeit.

Und jeder weitere Gedanke fügt sich an dieses Bild. Und ich spüre, wie es fest wird, wie es Raum greift. Dann denke ich nicht mehr, dann beginnen die Gedanken, sich selbst zu denken, reden wild durcheinander. Und ich hänge an ihren Lippen. Ich glaube ihnen jedes Wort.

Sie wissen, dass ich hier nicht hingehöre. Sie wissen, dass ich hier rausmuss, dass ich mich hier selbst rauswerfen muss. Meine Gedanken rasen. Mein Körper dreht durch, und ich versuche zugleich, mir nichts anmerken zu lassen. Wenigstens das. Ich atme schwer, mein Herz -------, Tränen stehen in meinen Augen, ich wippe nervös mit den Beinen, ich glaube, dass nackte Panik mein Gesicht verzerrt. Jetzt kann endlich jeder sehen, dass ich kein Mensch bin, jetzt ist endlich alles zu Ende. Aber Friederike lächelt mich an, Kuchen im Mund, und sagt irgendwas, und ich sage irgendwas.

Das kann nicht sein.

Für Friederike und die Kinder bin ich der Benjamin, den sie kennen, während der Benjamin, der ich bin, und die Gedanken, die ich längst nicht mehr stoppen kann, ein wütendes Chaos in mir anrichten. Jetzt nicht weinen. Ruhig atmen. Nicht weinen. Einatmen. Ausatmen. Bis mein Kopf eine Mulde findet, in der er sich zusammenrollen kann.

Ich muss hier raus. Das ist einfach. Das ist alles. Ich muss raus, und dann ist es geschafft. Ich muss sterben. Am besten sofort. Weil ich mich dieser Welt aus dem Weg schaffen muss, weil es für diesen Benjamin keinen Platz in ihr gibt, weil ich nicht mehr weiß, wie lange ich es aushalte. Weil ich spüre, dass ich es bald nicht mehr aushalte.

– Können wir gleich noch Boot fahren?, fragt Theo.

Friederike sagt etwas und sieht mich an.

– Entschuldige. Was hast du gesagt?

– Wollen wir gleich noch Tretboot fahren?, wiederholt Friederike. Dann fragt sie noch etwas. Und ich lächle und antworte irgendwas.

Und dann gehen wir zum See. Und ich lächle mehr. Das Lächeln auf meinem Gesicht ist jetzt ganz gut eingefroren. Und irgendwann sitzen wir im Boot auf dem hübschen See. Friederike und Theo treten, Wolf sitzt auf meinem Schoß. Und ich denke, ich kann ihn jetzt nicht halten. Aber ich halte den warmen, kleinen Körper, und ich vergrabe meine Nase in seinen Haaren und atme seinen Geruch ein. Und ich denke, geht halt nicht. Wird halt nicht passieren. Du hast zwei Kinder, es wird sich nicht umgebracht. Friederike würde bestimmt sehr traurig sein. Aber sie ist toll. Sie ist ----- ----- --------. Sie würde bestimmt einen neuen Mann finden, mit dem sie genauso glücklich oder unglücklich ist wie mit mir.

Nein, so war es nicht. So war es irgendwann später.

An diesem Tag sitzen wir im Boot auf dem hübschen See. Friederike und Theo treten, Wolf sitzt auf meinem Schoß. Und ich bin ein wenig genervt davon, dass Wolf auf mir sitzt, aber auch froh, dass ich nicht allein bin. Und dann erinnere ich mich an einen Ratschlag des Arztes. Ich packe mir dieses Ding, das mich mit aller Macht aus der Welt drängt, und nenne es Gefühl und schaue es ganz genau an und verfolge es zurück zu seinem Ursprung, zurück zur Kindheit des Gefühls, und ich weiß, wie es angefangen hat.