6. KAPITEL

In den zwei Wochen bis zur Hochzeit war Zachary mit den Renovierungsarbeiten beschäftigt. Er machte das zweite Bad für Abby fertig, und das Wohnzimmer mit den neuen Möbeln und dem Großbildfernseher sah sehr gemütlich aus. Irgendwann hätte er vielleicht sogar Zeit, den Fernseher einzuschalten.

Tina hatte Abby also zur Hochzeit eingeladen. Abbys Erklärung war, dass jemand anders in letzter Minute abgesagt hatte. Aber Zachary wusste, dass der eigentliche Grund für die Einladung seine Entscheidung war, niemanden mitzubringen.

Ironie des Schicksals.

Von Abby sah er seit der Nacht im Wohnzimmer nur wenig, auch wenn ihn alles Mögliche fortwährend an sie erinnerte: die betörenden Düfte in seinem Bad, nachdem sie es benutzt hatte, die köstlichen Mahlzeiten, die sie bereitete, die bunten, sehr knappen Dessous auf seiner Wäscheleine.

Einen Abend hatte sie einen Picknickkorb gepackt – einschließlich Kerzen –, um mit ihm am Strand zu essen. Er brachte es einfach nicht übers Herz abzulehnen. Ein andermal hatte sie ihn überredet, ihr zu helfen, Schokoladenkekse für die Büroangestellten mit Regenbogenglasur zu bepinseln.

Doch bei aller Vertrautheit, die zwischen ihnen entstand, blieb sie auf Distanz.

Abby war anders als alle anderen Frauen. Und oft schien sie ihn besser zu kennen als er sich selbst. Manchmal, wenn sie ihn ansah, wollte er alles hinter sich lassen, was in seiner Ehe schiefgelaufen war, die Verletzungen und Fehler begraben und neu anfangen. Mit Abby.

Aber das war unmöglich.

Abby reiste mit den übrigen Gästen zur Insel – zunächst per Bus, dann auf einer Luxusjacht, die Nick und Tina gechartert hatten, und auf der sie ein unglaubliches Büfett genossen. Zachary war nicht dabei, denn er hatte einen Hubschrauber gemietet, um Zeit zu sparen. Er traf gleichzeitig mit ihnen ein.

Abby lief ihm zum schwimmenden Hubschrauberlandeplatz entgegen.

Er wirkte ernst, und seine Augen waren mal wieder hinter einer Sonnenbrille verborgen.

Trotzdem spürte sie, wann er sie ansah, denn sofort begann ihre Haut zu kribbeln.

„Gute Reise gehabt?“, fragte er.

„Wundervoll. Und du?“

„Nicht schlecht.“

„Wie es aussieht, werden wir Nachbarn.“ Sie zeigte zu den von Palmen umgebenen Unterkünften. „Wir haben die Hütten gleich am Strand, Nummer acht und neun.“ Näher können wir uns wohl kaum sein, ohne denselben Sauerstoff zu atmen.

Zachary musste ebenfalls daran gedacht haben, weil er merklich ernster wurde. „Dann sehen wir sie uns an.“

Seit dem Kuss im Wohnzimmer hatte Abby ihn weitestgehend in Ruhe gelassen und sich auf ihre neue Praxis konzentriert, die allmählich immer mehr Kunden anzog. Zachary hatte glücklicher, entspannter gewirkt. Nicht wie heute Abend.

Die Türen waren offen, und Abby ging gleich in die erste. Die Hütten waren recht schlicht, hatten Holzwände und Palmendächer. Abby schwang ihre Tasche auf das einfache Bett, über dem ein Moskitonetz hing.

„Falls du irgendetwas brauchst …“ Er nickte zu einer Art Rattantür.

„Ah, das Bad!“

„Nein, da ist mein Zimmer.“ Und er schien gar nicht begeistert.

„Warst du schon mal hier?“

Er nickte. „Waschräume und Toiletten befinden sich neben dem Haupthaus. Das ist keine offizielle Ferienanlage. Hier gibt es nur Unterkünfte für maximal zwanzig Personen. Die übrigen Gäste werden auf der Jacht übernachten.“

„Okay.“ Sie wurden also nur durch eine aufrechte Strohmatte getrennt, was bedeutete, dass Abby hören würde, wie er sich im Bett umdrehte.

Aber sie sagte sich noch einmal, dass sie nicht Zacharys Begleitung war. Sie war bloß hier, weil Tina sie eingeladen hatte.

„Ich hoffe, du machst es dir gemütlich, solange wir hier sind“, sagte Zachary steif und förmlich.

„Was ist mit dir? Willst du dir die verdiente Pause nicht auch gönnen?“ Als er nicht antwortete, drehte sie sich um und zog ihr raffiniertes grünes Kleid aus der Tasche – das mit dem verführerischen Reißverschluss-Dekolleté.

„Das willst du anziehen?“, fragte er in die Stille hinein.

Abby erinnerte sich sehr gut, wie er reagiert hatte, als sie darin für die Fotos posierte. Und jetzt hatte er den gleichen Blick, nur noch strenger. „Ja. Entspann dich, Zachary. Es ist bloß ein Kleid.“ Das zum Ausziehen entworfen wurde. Sie schlüpfte aus ihren Sandalen und griff nach den funkelnden Stilettos. „Was meinst du, soll ich die nehmen, oder halten wir uns im Sand auf?“

Er sah auf ihre Füße. „Ich glaube, es gibt da einen gepflasterten Bereich …“

„Wenn ich hinfalle, fängst du mich auf, ja?“

„Ich bezweifle, dass es dazu kommt“, antwortete er und steuerte mit seiner Tasche auf die dünne Tür zu. „Sag mir Bescheid, wenn du so weit bist.“

Zachary im Smoking. Abby musste einen Seufzer unterdrücken, als sie wenig später ihre Tür öffnete und sah, wie er die Manschette zurechtzupfte, während er auf dem Weg auf sie wartete. Das dunkle Tuch in Kombination mit dem weißen Hemd betonte seine Bräune.

„Ich bin bereit.“

Erst jetzt drehte er sich zu ihr um. „Das Kleid … Die Farbe steht dir.“ Hinter ihm stand die Sonne tief am Himmel, sodass sie sein Gesicht nicht richtig sehen konnte, aber sie fühlte, wie er sie betrachtete. Sie war fast versucht, nach dem Reißverschluss zwischen ihren Brüsten zu greifen. Das Haar trug sie offen, weil sie wusste, dass es ihm so am besten gefiel.

Er trat auf sie zu. „Wollen wir zu den anderen gehen?“

Als er ihr den Arm anbot, wurde Abby wunderbar warm. „Du meinst, so zu tun, als wären wir gemeinsam hier?“

Er zögerte. „Nur wenn es dir nichts ausmacht, diesen Eindruck zu erwecken.“

Sie lächelte. Vielleicht gelang es ihr ja doch, Zachary ein bisschen aus der Reserve zu locken. „Macht es nicht.“

„Dann gehen wir.“

Sie hakte sich bei ihm ein, genoss das glatte Tuch seines Jacketts und den Duft seines Rasierwassers.

Die letzten Sonnenstrahlen schienen auf das Brautpaar und dessen Angehörige, und der orangerote Himmel spiegelte sich im Wasser. Tina strahlte in ihrem schulterfreien apricotfarbenen Organza-Kleid.

Nach der einfachen Zeremonie gab es ein Büfett auf der Veranda des Haupthauses. Danach spielte eine Band auf, und Nick und Tina tanzten ihre eigene Version des Hochzeitswalzers. Bald kamen andere Paare dazu.

„Willst du es mal versuchen?“, fragte Abby Zachary, der mit einer Bierflasche in der Hand zusah.

„Vielleicht später.“

Ja. Seinem Blick nach zu urteilen, sehr viel später. Wahrscheinlich wenn die Band wieder einpackte. Was war mit dem Zachary passiert, der sie vor nicht einmal zwei Stunden vor ihrer Hütte abgeholt hatte? „Sag mir Bescheid, wenn du es dir überlegt hast.“ Sie würde ihm auf keinen Fall zeigen, wie enttäuscht sie war. Deshalb mischte sie sich unter die anderen Gäste.

Wann immer sie sich umdrehte, blickte sie in ein Paar vertrauter blauer Augen. Oft wandten sie sich gleich ab, aber einige Male verharrten sie auch für eine atemberaubende Sekunde.

Diesmal jedoch sah sie ihn auf der anderen Seite der Tanzfläche, wo er über irgendetwas grinste, was jemand anders gesagt hatte. In dem Moment, in dem sich ihre Blicke trafen, wurde er ernst.

„Weißt du noch, wer ich bin?“, störte sie eine weiche männliche Stimme.

Widerwillig rang sie sich ein Lächeln ab. „Du bist Nicks Cousin“, antwortete sie dem jungenhaften Mann, dessen Name ihr nicht mehr einfallen wollte.

„Vince.“

„Ach ja.“ Sie nippte an ihrem Drink und schaute sich um, doch Zachary war verschwunden. „Wie geht’s, Vince?“

„Könnte besser sein.“ Grinsend musterte er sie mit leicht alkoholvernebeltem Blick. Sie konnte fast hören, dass er überlegte, wie lange es dauerte, bis er den Reißverschluss ihres Kleides vollständig geöffnet hätte.

Er trank von seinem Bier. „Wie wär’s mit einer Runde über die Tanzfläche?“

Einen Moment lang überlegte Abby schon, Ja zu sagen, um Zachary zu ärgern, aber der Gedanke, dass dieser Kerl sie anfasste, war ihr zu sehr zuwider, auch wenn sie nicht recht sagen konnte, was sie an ihm abstieß. „Was ist denn mit deiner Begleitung?“

Er sah Abby mit einem lüsternen Blick an, bei dem ihr eiskalt wurde. „Ich bin allein hier“, sagte er und hielt die Bierflasche in die Höhe. „Man soll den Moment genießen, sage ich immer. Also, was hältst du davon, wenn wir es zusammen versuchen?“

Sie machte einen Schritt zurück. „Danke, aber ich habe Zachary den ersten Tanz versprochen.“

„Zachary?“ Er schüttelte den Kopf. „Das Problem mit Forrester ist, dass der Typ gar nicht weiß, wie man sich amüsiert.“ Abby schaffte es nur knapp, seiner Hand auszuweichen, als er sie nach ihr ausstreckte.

„Abby? Bereit für unseren Tanz?“ Aus dem Nichts tauchte plötzlich Zachary neben ihr auf, und ehe sie etwas sagen konnte, hatte er ihr das Weinglas abgenommen und es auf einen Tisch gestellt. Er nickte dem anderen zu. „Hi, Vince.“

Dann führte er sie von Vince weg auf die Tanzfläche. Obwohl seine Finger ihren Rücken kaum berührten, klopfte ihr Herz wie verrückt, denn es hatte etwas … Beschützendes?

Zwischen den Tischen wurden Fackeln angezündet, und die Band wechselte zu verträumtem Karibik-Sound. Alle Männer hatten längst ihre Jacketts ausgezogen und Krawatten abgelegt.

Abby sah zu Zachary auf und legte ihre Hand über seine. „Beweis ihm, dass er unrecht hat, Zachary. Amüsier dich.“

Zachary drehte seine Hand um und verwob seine Finger mit ihren. Zum Teufel mit Vince! Er würde nicht zulassen, dass der Kerl Abby anfasste.

Abby lehnte sich näher an ihn, sodass er nur noch ihr Gesicht sah und das Ananas-Dessert riechen konnte, das sie gegessen hatte. „Wir können auch einen Strandspaziergang machen, wenn dir das lieber ist.“

Der Vorschlag bot einige interessante Möglichkeiten, aber vorerst legte er die freie Hand an ihre Taille. „Wer sagt, dass wir nicht beides machen können?“

Doch kaum spürte er ihre langen Locken auf seinen Fingern, wurde ihm klar, dass er sich etwas vorgemacht hatte. Hier ging es nicht um den Tanz oder darum, Vince von ihr fernzuhalten. Er wollte allen zeigen, dass sie ihm gehörte. Was absolut nicht der Wahrheit entsprach.

Ebenso wenig besaß er ein Recht, sie so dicht an sich zu drücken, dass sich ihre Schenkel aneinander rieben und er ihre Brüste fühlte.

„Es funktioniert“, flüsterte sie und nickte hinüber zu Vince, der sie, mit einem Arm um eine Brünette, beobachtete.

Als sie Zachary wieder ansah, setzte sein Verstand aus. Er hatte nicht vorgehabt, in ihren silbergrauen Augen zu versinken.

Er wich zurück und wünschte, es wäre eine Jukebox in der Nähe oder eine Rockband, die es leichter machte, sich beim Tanzen nicht so sehr zu berühren.

Vince starrte immer noch zu ihnen hinüber.

„Bleib bloß Nicks Cousin fern“, riet er ihr. „Er ist ein Frauenheld.“

„Er ist ein Blender.“

„Du kennst ihn nicht.“

„Ich kenne ihn besser, als du denkst.“ Sie schüttelte den Kopf und setzte lächelte hinzu: „Außerdem kann ich sehr gut auf mich selbst aufpassen.“

Ja, davon war Zachary überzeugt. Er hoffte nur, dass er nicht wie ein eifersüchtiger Liebhaber geklungen hatte.

„Mmh, das ist schön“, sagte sie und legte die Hände in seinen Nacken. Dabei sah sie ihn an, als wollte sie sagen, Du veränderst dich, und mir gefällt es.

Ihm gefiel die Veränderung ebenfalls. Er mochte die Gefühle, die sie in ihm weckte.

„Tina scheint sich zu freuen, dass du mal wieder tanzt“, flüsterte sie.

Zachary sah sich um und stellte fest, dass die Braut immer wieder verstohlen zu ihnen blickte. Schlimmer noch war allerdings, dass sein zunehmendes Verlangen zum nächsten Gesprächsthema zu werden drohte.

„Also … Wollen wir den Damen etwas geben, was sie glatt aus ihren Stilettos fegt?“, fragte Abby.

Er erwiderte ihr Lächeln, auch wenn er nicht wusste, warum.

„Entspann dich …“ Ihre Hände wanderten zu seinen Wangen, wo sie mit den Daumen über die Grübchen strich. Dann überraschte sie ihn, indem sie nicht ihn nicht etwa auf den Mund küsste, wie er erwartet hatte, sondern auf das linke Grübchen.

Und er konnte an nichts anderes denken als daran, wie sich ihre Lippen auf seinen anfühlen würden.

Eine Stimme übertönte die Musik, und aus dem Augenwinkel sah Zachary, wie Vince seine Partnerin, eine langbeinige Blondine, auf die Tanzfläche führte.

Doch dann verschwand alles um Zachary herum, denn seine Lippen kribbelten vor Ungeduld, und Abbys Duft erregte ihn wahnsinnig.

Er beugte sich zu ihr, und als ihre Lippen auf seine trafen, waren sie nicht mehr sanft wie eben noch auf seiner Wange, sondern heißer und fester. Abbys unglaubliche Energie übertrug sich im Kuss auf ihn.

Ein tiefes Stöhnen kam aus seiner Kehle, und erschrocken wich er zurück, doch ihr Blick hielt ihn gefangen.

Dann küssten sie sich erneut, und Zachary konnte gar nichts denken, nur noch fühlen.

Wahrscheinlich war er verrückt, den Augenblick einfach zu genießen. Er vergrub die Hände in ihrem wundervollen Haar, hielt ihren Kopf und vertiefte den Kuss.

Nur von Ferne bekam er mit, wie die Band in einen schnellen Salsa-Rhythmus wechselte, der so heiß war wie die Frau, die er in den Armen hielt.

Schließlich hob er atemlos den Kopf. Um sie herum wirbelten Farben und Gestalten, doch er sah nur Abby. Ihr Haar war ein zerzaustes Flammenmeer – sein Werk –, und ihre Augen glühten.

„Ich glaube, wir waren überzeugend“, sagte sie. Ihr Lachen klang, als wäre sie ebenso außer Atem wie er. „Kaum noch ein Stiletto in Sicht.“

Es stimmte, wie er feststellte. Die meisten Frauen hatten ihre hohen Schuhe ausgezogen und tanzten barfuß. Abby blickte zu ihm auf. „Und … was schlägst du jetzt vor?“

Lag es an dem Fackelschein, an dem Surren in seinen Ohren oder dachte Abby an dasselbe wie er? Zwei nackte Körper, die sich keine fünfzig Meter entfernt auf einem Bett räkelten.

„Den Spaziergang, den du vorhin erwähnt hast.“ Er führte Abby weg von der Party, dem Lärm und der Hitze zum kühleren, palmenüberschatteten Pfad.

Zachary war dankbar für die Dunkelheit, denn seine Hose fühlte sich vorn zwei Nummern zu klein an, und das würde sich wohl erst bessern, wenn sie näher am Meer waren.

„Warte mal“, flüsterte Abby atemlos, als sie sich den Hütten näherten.

Erst jetzt bemerkte er, dass er so sehr auf seinen Rest an Selbstbeherrschung konzentriert gewesen war, dass er Abby nicht einmal mehr angesehen hatte. Er blieb sofort stehen. „Entschuldige.“

„Meine Schuhe drücken“, sagte sie und hielt sich an seinem Arm fest, während sie ihre Zehen rieb.

„Warum ziehst du sie nicht aus?“

„Pure Eitelkeit. Ich hatte noch nie so irre Schuhe, und ich wollte …“

„Na, jetzt kannst du sie ausziehen. Hier sieht sie keiner.“

„Du schon.“ Trotzdem beugte sie sich runter und streifte die Sandalen ab. „Ich habe nur so empfindliche Füße. Die sind superkitzelig, und wenn jemand mir …“

„Du blutest ja“, fiel er ihr erschrocken ins Wort und blickte auf die Scheuermale an ihren kleinen Zehen.

„Das geht schon.“ Sie nahm ihre Schuhe auf. „Und wohin jetzt?“

„Auf jeden Fall nicht an den Strand. Mit den Stellen am Fuß darfst du nicht durch den Sand laufen.“

„Nein, wohl nicht.“

Sie stand ganz dicht vor ihm, sodass er ihren Atem spürte. Im Schatten der Palmen wirkten ihre Augen dunkel, als sie ihn von Kopf bis Fuß betrachteten. Diese Augen sahen zu viel, wussten zu viel.

Die Schuhe fielen ihr aus der Hand und landeten auf dem Weg. Dann waren ihre Hände auf seiner Brust und glitten hinauf zu seinen Schultern, bevor sie unter den offenen Hemdkragen tauchten und begannen, ihn sanft zu massieren. „Du bist vollkommen verhärtet“, murmelte sie.

Ja, und ihr dürfte auch klar sein, wo er ganz besonders hart war.

„Lass mich dir helfen, Zachary.“

Ihm helfen?

Meinte sie seinen Nacken, seinen Rücken oder andere, weit bedürftigere Körperteile? Gleichzeitig mit der Frage regte sich Angst in ihm, Angst davor, die Kontrolle zu verlieren.

Er blickte zum Horizont, wo die Lichter vom Festland wie winzige Juwelen glitzerten. Dort war die Realität; hier auf der Insel durfte er ihr für einen kurzen Moment entfliehen. Okay, nur für heute Nacht.

„Vergiss, was ich gesagt habe.“ Ihre Hände verschwanden, und sie bückte sich nach ihren Schuhen.

Seine Haut wurde kalt, wo sie ihn zuvor berührt hatte, und er wünschte, er könnte die seltsame Verbundenheit wieder fühlen, die jedes Mal da war, wenn er ihre Hände spürte.

„Gehen wir zur Party zurück“, hörte er sie sagen.

Er wartete, bis sie sich wieder aufgerichtet hatte, sah ihr in die Augen und traf eine Entscheidung: eine Nacht. „Nein.“

Abby blinzelte, als sie ihn ansah. Das war der Blick. Der Blick sagte, dass er endlich bereit war, das anzunehmen, was in den letzten paar Wochen mit ihnen geschehen war.

Es war lange her, seit sie zuletzt etwas auch nur entfernt Intimes erlebt hatte. Und bloß mit Zachary hier zu stehen, die maskuline Energie wahrzunehmen, die von ihm ausging, war schon intimer als alles, was sie bisher kannte.

Andeutungen dieses Blicks hatte sie schon vorher bei Zachary gesehen, aber diesmal wandte er sich nicht gleich wieder ab. Ihr Herz pochte wie verrückt, während ihr Körper ihr sagte, sie solle sich an ihn lehnen und vollständig mit ihm eins werden.

Doch er ließ ihr gar keine Zeit, darüber nachzudenken, was in ihr vor ging. Und das war umso verwirrender, als er derjenige war, der bis heute alles in Zeitlupe anging. Nun jedoch zog er sie an der Hand den kleinen Pfad weiter zu ihrer Hütte. Ihre geschundenen Füße hatte er offenbar schon vergessen. Anscheinend gab es für ihn kein Halten mehr, wenn er erst mal einen Entschluss gefasst hatte.

Er stieß ihre Tür auf, und sie gingen hinein. Die Luft war von Hibiskus- und Rattanduft erfüllt, und im goldenen Schein der Fackeln draußen vertieften sich die Schatten auf Zacharys Gesicht, als er sich zu ihr umdrehte.

„Vielleicht sollten wir …“ Sie verstummte, denn sie erkannte, dass er mit seinen Gefühlen kämpfte. Und auch wenn sie sich einbildete, Menschen sehr gut durchschauen zu können, vermochte sie nicht zu deuten, was ihn bedrückte. „Du hast Schwierigkeiten mit Intimität. Wer immer die Frau auch war, ich würde sagen, bei dir hat sie ganze Arbeit geleistet.“

Er zuckte merklich zusammen, blieb aber stumm.

„Du musst nichts tun, wozu du dich noch nicht bereit fühlst.“

Sein Lächeln passte nicht zu dem gequälten Ausdruck seiner Augen. „Ist das nicht normalerweise der Satz, den der Mann sagt?“

Sie musste beinahe lachen. „Man könnte fast glauben, du bist noch Jungfrau.“ Schlagartig wurde sie ernst. „Bist du nicht, oder?“

Nun lächelte er etwas überzeugender. „Nein.“

Abby atmete erleichtert auf und zündete die Lavendelduftkerze an, die sie neben ihr Bett gestellt hatte, um ruhiger schlafen zu können. „Wenn du darüber reden willst … oder was auch immer … können wir das tun.“

„Reden?“ Der heisere Tonfall, in dem die Frage herauskam, ließ Abby aufmerken. „Nein, Abby, ich will nicht reden.“ Er stieß die Hüttentür zu, lehnte sich von innen dagegen und schloss für einen winzigen Moment die Augen. „Verdammt.“

„Falls ich dir Unbehagen bereite, tut es mir leid“, sagte sie.

„Und ob du mir Unbehagen bereitest. Ich kann dir sogar erklären, wie. Sobald ich meine Augen schließe, sehe ich immerzu nur dich.“

„Das dürfte wohl das zwiespältigste Kompliment sein, das mir je gemacht wurde, aber ich versuche, nicht gekränkt zu sein.“ Sie ging zum Fußende des Bettes und öffnete ihre Reisetasche. „Setz dich auf die Bettkante.“

Dann angelte sie die Bodylotion aus ihrer Kosmetiktasche. „Öle sind besser, aber für den Moment tut’s die hier auch.“ Als sie sich wieder umdrehte, hatte er sich immer noch nicht vom Fleck gerührt. „Eine kleine Entspannungstherapie. Gratis.“ Ihr ohnehin bemühtes Lächeln schwand ganz, als sie erkannte, wie maßlos angespannt er vor Erregung war. Im Kerzenlicht schimmerten seine Augen kobaltblau. „Danach kannst du besser schlafen.“

Er gab einen kehligen Laut von sich. „Schlafen?“

„Später“, versprach sie. Viel später. Sie schloss die Rattanläden des Fensters, um den Rest der Welt auszusperren.

Bis sie die Tür verriegelt und ein Glas Wasser aus der Flasche auf dem Nachttisch eingeschenkt hatte, war er ihrer Aufforderung nachgekommen und hatte sich auf die Bettkante gesetzt.

„Trink erst mal etwas.“ Sie hielt ihm das Wasser hin.

„Danke.“

Zu gern hätte sie hinterher die Feuchtigkeit von seinen Lippen geküsst, um ihm wenigstens ein Lächeln zu entlocken. Aber Zachary dürfte eher nicht nach Lächeln zumute sein.

Daher nahm sie ihm das Glas wieder ab, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen und trank selbst daraus. Er sah auf ihre Lippen und schluckte hörbar.

„Okay“, sagte sie, nachdem sie das Glas wieder abgestellt hatte. „Mach einfach mit, und guck nicht so ernst. Es soll schließlich eine angenehme Erfahrung sein.“

Sie kniete sich vor ihn und begann, seine Schuhe aufzubinden. „Ich ziehe dir nur die Schuhe aus“, erklärte sie. Ihr Puls beschleunigte, als sie ihm Socken und Schuhe ausgezogen hatte und seine Füße berührte.

Als Nächstes nahm sie ein bisschen Lotion und verrieb sie zwischen ihren Händen, bevor sie langsam von seinen Knöchel über den Fußrücken strich. Dabei sah sie lieber auf das, was sie tat. „Schließ die Augen und stell dir vor, wie jede Anspannung durch deine Füße hinausfließt.“