4. KAPITEL

Sechsunddreißig Stunden später stand Melina im geräumigen Wohnzimmer von Adams Haus in San Francisco. Während des Fluges von Athen hatten sie beide nicht viel miteinander gesprochen. Wahrscheinlich lag es daran, dass die kurze Hochzeitsreise sie etwas durcheinandergebracht hatte.

Auch jetzt noch versuchte Melina sich einzureden, dass es nur ein Traum gewesen war, als sie in Adams Armen aufgewacht war. Sie wusste aber, dass sie diese Nacht nicht einfach vergessen konnte, da sie unterbewusst irgendwie seine Nähe gesucht hatte.

„Nun, das ist mein Zuhause“, sagte Adam, während er die Tür hinter sich schloss. „Ich hoffe, dass du dich hier wohlfühlen wirst. Sag mir einfach, wenn du etwas brauchst.“

Melina sah sich in den Zimmern um. Alles wirkte verlassen. Sie hatte gehofft, ein gemütliches Zuhause zu finden – und keine Räume, die sie an eine sterile Hotelsuite erinnerten.

Adam stellte die Koffer ab und kam zu ihr in die Küche. „Leider wirst du nicht sehr viel Essbares finden. Dafür bin ich zu selten hier. Das wird sich nun aber ändern, da du und Jamie hier den Sommer verbringen werdet.“

Melina überprüfte die Vorräte in der Küche. Er hatte recht. Es schien so, als brauchte er wirklich eine Haushälterin und ein Kindermädchen. Sie war sich aber immer noch nicht sicher, ob er auch eine Ehefrau brauchte. „Wir könnten einkaufen gehen, wenn du Zeit hast“, sagte sie. „Während du anschließend Jamie abholst, kann ich das Abendessen zubereiten. Was isst sie denn gern?“

Adam fuhr sich durch die Haare. „Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht genau. Vielleicht Makkaroni mit Käse? Bevor sie ins Bett geht, trinkt sie immer ein Glas Milch und isst Kekse.“

„Gibt es einen Supermarkt in der Nähe? Ich brauche ein paar Zutaten, um Kourabiethes zu backen. Das sind griechische Butterkekse.“

Adam sah sie überrascht an. „Willst du wirklich jetzt noch Kekse backen? Bist du nicht zu müde dafür?“

„Nein. Ich möchte deiner Tochter zeigen, wie man sie zubereitet. Außerdem führt das Backen die Menschen zusammen. Meine Mutter hat es mir beigebracht, als ich in Jamies Alter war.“

„Okay. Es gibt da einen griechischen Supermarkt in der Nähe. Die müssten alles haben, was du brauchst.“

„Sehr gut. Außerdem hätte ich gern etwas Brandy.“

„Brandy? Meine Tochter ist gerade einmal sechs. Bist du sicher, dass du unbedingt Brandy brauchst?“

„Mach dir keine Sorgen – ich nehme kaum mehr als einen Esslöffel voll. Dadurch bekommen die Kekse einen besonderen Geschmack und werden nicht so trocken.“

„Na gut. Hier muss irgendwo noch Brandy herumstehen.“

Adam konnte sich immer mehr für den Vorschlag erwärmen, dass Melina Kekse mit seiner Tochter backen wollte. Sie gefiel ihm immer besser. Er fühlte sich jeden Tag mehr zu ihr hingezogen. Er wusste aber auch, dass er sich zusammenreißen musste. „Bist du bereit?“

„Ja.“ Sie lächelte und streifte sich den Träger ihrer Handtasche über die Schulter.

Ihr Lächeln faszinierte ihn dermaßen, dass er fast vergaß, was er sich gerade eben noch vorgenommen hatte. Tatsächlich wollte er sie am liebsten in diesem Moment in die Arme nehmen und küssen.

Als sie in den kleinen Supermarkt von Mr. Papadakis kamen, konnte Adam kaum übersehen, wie begeistert Melina war. Auch ihn betörten all die exotischen Düfte jedes Mal, wenn er in den Markt kam. Hier hatte er seine Liebe zu griechischen Lebensmitteln entdeckt und deshalb angefangen, mit ihnen zu handeln.

In den Regalen entdeckten sie griechischen Kaffee, kleine Beutel mit Nüssen – insbesondere Pistazien – und große Dosen Olivenöl. Auf dem Boden standen Fässer mit gesalzenem Fisch und Gurken. Darüber hingen Regale mit Gewürzen und getrockneten Kräutern.

Um den Appetit der Kunden anzuregen, waren Tabletts mit Baklava aufgebaut. Das griechische Blätterteiggebäck war das Lieblingsdessert von Adam. Daneben standen Flaschen mit Retsina, Ouzo und griechischen Weinen.

Melina blieb vor einem Behälter mit griechischem Fetakäse stehen, atmete tief ein und lächelte.

Adam freute sich über den glücklichen Ausdruck in ihren Augen. „Na los! Kauf, worauf du Lust hast. Und vergiss nicht die Zutaten, die du für Jamies Kekse brauchst.“

Der Ladenbesitzer Josef Papadakis kam hinter der Theke hervor. „Aha! Mein Freund, der Importeur. Was können Sie mir heute Schönes anbieten?“

„Heute habe ich nichts dabei. Wir sind nur zum Einkaufen hier. Ich möchte Ihnen meine Frau Melina vorstellen. Sie kommt aus Athen.“ Adam wandte sich an Melina. „Das ist Josef Papadakis, der Besitzer dieser Oase.“

Papadakis lächelte freundlich, nahm Melinas Hand und küsste ihre Fingerspitzen. „Sie sollten Ihre griechische Ehefrau wie einen Schatz hüten“, sagte er zu Adam.

„Das werde ich tun. Wir sind erst heute Nachmittag angekommen. Melina benötigt einige Dinge für das Abendessen.“

„Wohl mehr als einige.“ Melina zuckte mit den Achseln und lächelte. „Kühlschrank und Speisekammer sind fast leer.“

„Kein Problem.“ Papadakis deutete auf die Regale. „Mein Laden gehört Ihnen.“

„Danke. Wir nehmen erst mal nur einen Teil davon mit“, lächelte Melina.

Papadakis nickte. „Aber zuerst feiern wir Ihre Hochzeit.“ Er eilte zu den Tabletts und kehrte mit einem Teller mit Baklava zurück. „Auf dass Ihre Ehe genauso süß wird.“

Melina nahm das Gebäck entgegen, biss hinein und reichte es an Adam weiter. „Nai, poli nostimo“, murmelte sie auf Griechisch und übersetzte für Adam. „Ja, sehr lecker.“

Eine Stunde später verließen sie beladen mit unzähligen Einkaufstüten den Supermarkt und gingen zurück zum Haus.

„Ich hole jetzt besser Jamie ab.“ Adam sah auf seine Armbanduhr. „Kommst du klar?“

Melina nickte nur, während sie zufrieden ihren Einkauf begutachtete.

Adam ging zur Tür und blickte noch einmal zu ihr zurück. Nun würde er seine Tochter holen, die der Grund für diese Zweckehe war. Das Problem war nur, dass die Ehe zwar praktisch, aber alles andere als befriedigend für ihn war.

Fröhlich singend, räumte Melina die frischen Lebensmittel in den Kühlschrank und die restlichen Einkäufe in die Regale. Sie mochte Adam. Vielleicht empfand sie sogar noch mehr für ihn. Nach dem Fiasko auf Korfu hatte er ihr allerdings klargemacht, dass er sie geheiratet hatte, weil er dringend ein zuverlässiges Kindermädchen für seine Tochter brauchte, und nicht eine Ehefrau.

Auch eine Scheinehe war mit Problemen verbunden. Melina wusste nicht genau, was sie von Adam halten sollte. Manchmal sah sie die Begierde in seinen Augen, dann wieder behandelte er sie wie eine gewöhnliche Haushälterin.

Unvorstellbar, dass Adam sie als richtige Ehefrau wollte. Er war ein moderner Mann, und sie war immer noch gefangen in den altmodischen Traditionen eines griechischen Dorfes.

Sie sah aus dem Fenster auf die Golden Gate Bridge. Auf der Straße unter ihr stauten sich Autos und Motorräder, und die Gehwege waren voller Fußgänger. Die Hügel am Horizont waren bebaut mit kleinen Häusern. Es war wie in Athen, nur neblig und kalt.

Voller Wehmut blickte sie auf das Hafenviertel und dachte dabei an das blaue Meer, das Athen umgab. Sie war gerade erst angekommen und hatte schon Heimweh. Auf was hatte sie sich da bloß eingelassen?

Melina ging in das Schlafzimmer, wo Adam ihr Gepäck abgestellt hatte. Zu ihrem Entsetzen musste sie feststellen, dass es wieder nur ein Doppelbett gab, genau wie auf Korfu. Das sah nach Ärger aus.

Sie fragte sich, was Adam vorhatte. Wollte er wieder zusammen mit ihr im Bett schlafen oder dieses Mal auf die Couch ausweichen?

Melina hängte gerade ihre Kleidung in den Schrank, als Adam mit seiner Tochter zurückkehrte. Jamie war ihm wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie hatte seine haselnussbraunen Augen, das goldbraune Haar und das Grübchen auf dem Kinn. „Ich möchte dir gern meine Tochter Jamie vorstellen.“

Melina lächelte und streckte Jamie die Hand aus. „Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen, Jamie.“

Zu ihrer Überraschung wich die Kleine zurück und versteckte sich hinter ihrem Vater.

Adam zuckte mit den Achseln. „Jamie?“ Da sie nicht antwortete, zog er sie zu sich nach vorn. „Melina ist den ganzen Weg aus Griechenland hierhergekommen, um für dich da zu sein. Was hast du denn?“

Jamie ließ die Schultern hängen und drückte ihre kleine Puppe fest an sich. Sie schien sich vorgenommen zu haben, Melina nicht zu mögen. „Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst. Ich habe schon eine Mutter!“

Melina erschauderte aufgrund der Bestimmtheit, die in der Stimme des Mädchens lag. „Ich könnte doch niemals …“

Adam unterbrach sie. „Jamie! Wie kannst du nur so etwas sagen?“

„Mommy hat gesagt, dass du wieder geheiratet hast und eine neue Familie gründen willst.“ Jamie stiegen Tränen in die Augen, als sie zu ihrem Vater hoch sah. „Bin ich jetzt nicht mehr deine Prinzessin?“

Adam nahm Jamie in die Arme und küsste sie auf die Stirn. „Natürlich bist du noch meine kleine Prinzessin. Und das wirst du auch immer bleiben. Da hast du Mommy falsch verstanden. Es stimmt zwar, dass ich wieder geheiratet habe, aber ich möchte trotzdem so viel Zeit wie möglich mit dir verbringen. Ich habe sogar mit deiner Mommy ausgemacht, dass du den ganzen Sommer hierbleibst.“

Das kleine Mädchen tat Melina unendlich leid. Jamie erinnerte sie an sich selbst, als sie im selben Alter war. Auch Melina hatte unter den Veränderungen in ihrer Familie gelitten, zuerst bei der Geburt ihres ersten Bruders, Andreas, und dann zwei Jahre später bei Christos.

„Vielleicht können wir ja Freunde werden?“ Sie zwang sich zu einem Lächeln und reichte Jamie erneut die Hand. „Ich werde dir alles über mein Land erzählen, und du berichtest mir von Amerika, ja? Außerdem möchte ich dir zeigen, wie man griechische Kekse backt. Na? Was hältst du davon?“

Als Melina die Kekse erwähnte, warf Jamie ihr einen kurzen neugierigen Blick zu. „Keine Mommy? Nur Freunde?“

„Keine Mommy. Wir werden einfach nur Freunde sein. Wenn du möchtest, können wir nachher zusammen die Kekse backen.“

Jamie nickte.

Aber Melina konnte in ihren Augen erkennen, dass sie ihr immer noch nicht traute.

Später am Abend gab Melina sich alle Mühe, Jamie zu zeigen, wie Kourabiethes gemacht wurden. Sie mischten Butter und Zucker, gaben Eigelb hinzu und kneteten den Teig, bis sie kleine halbmondförmige Stücke daraus formen konnten.

„Du bist eine gute Bäckerin, Jamie. Du lernst sehr schnell“, lobte Melina sie.

Daraufhin hüpfte Jamie glücklich auf und ab.

Adam musste lachen, als er in die Küche kam.

„Jetzt machen wir uns etwas zum Abendessen“, verkündete Melina. „Wie wäre es mit einem Sandwich?“

Nachdem Jamie ein halbes Käsesandwich gegessen und die Kekse mit Puderzucker bestreut und probiert hatte, gähnte sie in ihr Milchglas.

Melina sah zu Adam. „Ich mache ihr Bett fertig. Du kannst sie ja in ihr Zimmer bringen.“

„Klar.“ Adam hob seine Tochter hoch und trug sie in das kleinere der beiden Schlafzimmer. Er war sichtlich beeindruckt, wie liebevoll Melina mit Jamie umging. Es schien, als ob er bei der Wahl seiner Ehefrau eine glückliche Hand gehabt hätte. Melina nahm ihre neue Rolle als Kindermädchen ernster, als er am Anfang gedacht hatte. Adam verspürte den Wunsch, sie näher kennenzulernen. Nicht nur wegen seiner Tochter, sondern auch aus eigenem Interesse.

„Wir können sie auch morgen baden, sie hat heute einen anstrengenden Tag gehabt“, murmelte Melina, während sie Jamie Socken und Schuhe auszog. „Es ist bestimmt nicht einfach für sie, deine neue Frau kennenzulernen.“

„Jamie hat viel durchgemacht, seitdem ihre Mutter und ich uns vor zwei Jahren scheiden ließen“, sagte Adam bedauernd.

Melina deckte Jamie zu und verließ mit Adam das Zimmer. „Hoffentlich wird es ab jetzt anders.“

„Die Scheidung war nicht meine Idee gewesen. Ich war zu sehr damit beschäftigt, mein Geschäft aufzubauen. Deshalb habe ich gar nicht gemerkt, dass ich dabei meine Ehe zerstört habe. Ich hätte es besser wissen sollen.“

Melina sank in die Couch im Wohnzimmer. „Das war aber bestimmt keine Absicht.“

„Wenn ich das so genau wüsste. Jeanette hat behauptet, dass ich zu oft und zu lange weg war. Sie wollte einen Ehemann, der immer für sie da ist. Also habe ich einen Job als Verkaufsleiter mit geregelten Arbeitszeiten angenommen, um sie zufriedenzustellen. Dann wollte ich aber eine eigene Firma gründen und kündigte deshalb den Job. Daraufhin war ich noch mehr unterwegs als vorher.“

„Jamie ist ein kluges Kind. Ich glaube, dass sie mehr über die Trennungsgründe weiß, als du denkst. Kinder erzählen das manchmal nur nicht von selbst. Meiner Meinung nach macht Jamie sich wesentlich mehr Sorgen darüber, dass ich ihre Mutter ersetzen will. Du musst ihr einfach zeigen, wie wichtig sie dir ist.“

Adam war froh, dass Melina ihm dabei helfen wollte, seine Tochter zu verstehen. Wie würde aber Jamie reagieren, wenn Melina sie und ihn plötzlich verließ, sobald sie ihre Greencard hatte? Und was würde es für ihn selbst bedeuten?

„Ich glaube, ich gehe jetzt schlafen.“ Adam rieb sich den Kopf. „Ich habe etwas Kopfschmerzen.“

Melina stand auf und folgte ihm ins Schlafzimmer. Sie wusste, dass keiner von ihnen viel Schlaf bekommen würde, da es wieder nur ein Bett gab. Aber mit dieser Situation musste sie nun als Adams neue Ehefrau zurechtkommen.