Adam saß mit Melina beim Abendessen. Wie schon beim Frühstück, hielten sie nur Smalltalk miteinander.
Er starrte missmutig in die dampfende Suppenschüssel mit Hackfleischbällchen, neben der ein Teller mit warmem Pitabrot stand. In der letzten Woche hatte Melina verschiedene griechische Gerichte zubereitet, von denen ihm die meisten gut geschmeckt hatten. Es gab mariniertes Hähnchen, gebratene Lammkeulen mit Reis, eine reichhaltige Moussaka mit Fleisch und Kartoffeln sowie gefüllte Traubenblätter. Am gestrigen Freitagabend hatte sie gegrillten Fisch mit einer Kräutersauce serviert.
Adam liebte griechisches Essen, aber langsam konnte er es nicht mehr sehen. Er sehnte sich nach einem doppelten Cheeseburger und Pommes frites mit Ketchup. Doch er brachte es nicht übers Herz, das Melina zu sagen, da sie sich so viel Mühe gegeben hatte. „Wie gefällt dir das Wetter hier?“, fragte er beiläufig. Das Wetter war immer ein gutes Thema, wenn einem sonst nichts einfiel.
„Es ist etwas kühler als bei uns in Griechenland. Außerdem glaube ich, dass es hier mehr regnet.“
„Und wie gefällt dir San Francisco?“
„Das bisschen, was ich bisher gesehen habe, gefällt mir gut“, sagte Melina höflich und rührte in ihrer Suppe herum.
Adam bekam ein schlechtes Gewissen. Er hätte Melina mehr von der Stadt zeigen sollen, als nur den bekannten Fisherman’s Wharf und den Pier 39. Er hätte sie zum wahren Herz der multikulturellen Stadt bringen sollen, wo Menschen aus der ganzen Welt zusammenlebten. Sie würde ja noch eine Weile hier leben, wenn sie ihre Meinung nicht änderte. Deshalb hätte er noch die Gelegenheit, alles nachzuholen. „Tut mir leid“, sagte er. „Wir werden uns auf jeden Fall noch ein paar meiner Lieblingsplätze ansehen. San Francisco ist eine Stadt mit vielen Gesichtern, und ich würde sie dir gern zeigen. Natürlich nur, wenn du auch möchtest.“
„Vielleicht an einem Tag, an dem du nicht so beschäftigt bist.“ Melinas Augen begannen zur Freude von Adam zu leuchten. „Hast du schon immer in San Francisco gelebt?“
„Ja. Bis ich in den Importhandel eingestiegen bin und die Schönheit Griechenlands entdeckt hatte. Danach habe ich dort viel Zeit während geschäftlicher und privater Reisen verbracht. Wie ist es mit dir?“
„Ich bin in Nafplion aufgewachsen und habe dann in Athen gelebt. Da unverheiratete Frauen in meiner Familie normalerweise nicht das Dorf verlassen, war ich eine Ausnahme.“
Es folgte wieder Schweigen. Adam war beunruhigt – und noch schlimmer: Er fühlte sich schuldig, weil er Melina und sich in die unangenehme Situation gebracht hatte. Erneut versuchte er, das Schweigen zwischen ihnen zu brechen. „Ich kann es kaum erwarten, dass Jamie wieder hier ist. Du auch?“
„Natürlich. Sie ist ein reizendes Kind.“
Langsam gingen Adam die Gesprächsthemen aus. Er hoffte, dass sie ein Gespräch beginnen würde, aber sie rührte nur weiter in ihrer Suppe herum.
Allmählich konnte er das Schweigen nicht mehr ertragen. Das hätte er von einer temperamentvollen Frau wie Melina nicht erwartet. Selbst ein Streit wäre ihm lieber gewesen als das.
Was ihn aber neben dem unaufhörlichen Schweigen noch irritierte, war der exotische Duft, den Melina verbreitete. Er erinnerte ihn an sein Lagerhaus und somit an Griechenland. Die Bilder von dem Besuch im Hafen gingen ihm wieder durch den Kopf. Ein Besuch, der mit dem heißesten Sex seines Lebens geendet und ihm gezeigt hatte, was für eine aufregende Liebhaberin Melina sein konnte.
Adam atmete tief ein und genoss ihren Duft. Es war weder ein Parfum, noch schien Melina wieder in seinem Lagerhaus gewesen zu sein.
Woher konnte dieser atemberaubende Duft nur stammen?
Adam wusste, dass es nicht gut für ihn war, wenn er sich ihr wieder annäherte. Es würde nur Ärger bedeuten. Und Ärger hatte er schon genug. Wenn Mr. Webber seine Ermittlungen fortsetzte, könnte Adam sogar am Ende im Gefängnis landen, da er das Gesetz gebrochen hatte.
Trotzdem war ihm immer noch schleierhaft, wie Mr. Webber überhaupt den Verdacht äußern konnte, dass er Melina nur als Arbeitskraft ins Land geholt hatte, nachdem er sie kennengelernt hatte.
Beunruhigt rührte er in seiner Suppe herum.
„Stimmt etwas nicht mit der Suppe? Ist zu wenig Zitronensaft drin?“, fragte Melina besorgt. Sie probierte ihre Suppe und leckte sich die Lippen ab. „Ich finde, sie schmeckt gut.“
Adam stöhnte innerlich, als Melina sich mit der Zunge über die Lippen fuhr. Am liebsten hätte er sie leidenschaftlich geküsst. Aber in ihrer derzeitigen Situation war daran gar nicht zu denken. „Nein“, sagte er schließlich. „Die Suppe schmeckt fabelhaft. Alles, was du tust, ist einfach perfekt.“
„Was stimmt denn dann nicht? Soll ich dir etwas anderes zu essen machen?“
„Nein, danke. Es schmeckt mir sehr gut.“ Wie gern hätte er ihr gestanden, wie sehr er sich danach sehnte, sie zu küssen. Er verfluchte sich dafür, dass er sich so stur an die Vereinbarung hielt. Langsam hatte er nun genug von dem höflichen Smalltalk. „Melina. Gibt es da nichts, was du mir sagen möchtest?“
Sie sah ihn ausdruckslos an. „Ich glaube nicht. Warum fragst du?“
Adam wollte ihr sagen, dass alles wieder so wie vorher sein sollte. Er wollte, dass Melina, Jamie und er eine glückliche Familie wären. Wonach er sich wirklich sehnte, war, Melina wieder in den Armen zu halten und heiße Nächte mit ihr zu verbringen.
Er war sich aber nicht sicher, ob sie das auch wollte. Vielleicht hatte sie damals im Lagerhaus recht gehabt, und sie sollten wirklich allen Ernstes über ihre Ehe reden. Er schob den Suppenteller zur Seite. „Melina, ich glaube, du hattest recht. Wir sollten wirklich ein ernstes Gespräch führen.“
„Über was willst du denn reden?“
„Über uns beide. Ich würde gern erfahren, wohin unsere Beziehung deiner Meinung nach führen wird.“
„Bist du sicher, dass du das wirklich wissen willst?“ Melina hob eine Braue. „Die Antwort könnte dir nicht gefallen.“
„Vielleicht. Ich möchte sie trotzdem hören.“ Adam lief es eiskalt den Rücken herunter, als er daran dachte, was sie ihm alles erzählen konnte. Möglicherweise war es doch keine gute Idee, ein ehrliches Gespräch zu fordern. Aber immerhin redete Melina nun endlich mit ihm. Und alles war besser, als das endlose Schweigen zwischen ihnen. „Bevor du beginnst, habe ich noch eine Frage.“
Melina legte die Gabel beiseite und trank einen Schluck Wasser. „Und die wäre?“
„Dein Duft … er macht mich ganz verrückt.“
„Gefällt er dir nicht?“
„Doch, sogar sehr gut. Ich komme bloß nicht darauf, wo du diesen Duft her hast.“
„Er ist aus Papadakis’ Laden. Katherine Papadakis hat mir angeboten, dort zu arbeiten, solange ihr Mann in Griechenland ist. Ich brauchte eine Beschäftigung, deshalb habe ich den Job angenommen.“
„Du arbeitest in Papadakis’ Laden?“ Adam beugte sich zu ihr und schnüffelte noch einmal an ihr. Melina roch tatsächlich nach den griechischen Waren aus dem Supermarkt. „Seit wann? Und warum? Wegen des Geldes? Du kannst doch so viel Geld von mir haben wie du willst – du musst mich einfach nur fragen.“
„Da ich nicht die Arbeit übernehmen kann, für die du mich eingestellt hast – nämlich auf Jamie aufpassen – will ich auch kein Geld von dir annehmen. Außerdem bist du ja immer beschäftigt. Selbst wenn du zu Hause bist, hast du keine Zeit, um mit mir zu reden. Du scheinst mit deinen Gedanken immer woanders zu sein.“
„Du brauchst dir doch keinen Job zu suchen. Schließlich bist du meine Ehefrau und kümmerst dich schon um genügend andere Dinge.“ Adam lehnte sich zurück und betrachtete Melina. „Ist das der Grund dafür, weshalb du in der letzten Zeit so still gewesen bist? Hast du mich deswegen so abweisend behandelt? Du willst mich also aus deinem Leben verbannen?“
„Du hast mich doch aus deinem Leben verbannt.“ Melina war anzuhören, wie verletzt sie war. „Nachdem wir miteinander geschlafen haben, glaubte ich, dass alles anders werden würde. Ich bin davon ausgegangen, dass wir eine normale Ehe führen könnten. Aber da lag ich wohl falsch. Du hast mir ja mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben möchtest.“
„Das stimmt überhaupt nicht“, protestierte Adam und hob eine Hand. „Ich hatte nur befürchtet, dass ich dich ausgenutzt habe. Auch wenn alles anders gekommen ist, als ich mir vorgestellt habe, empfinde ich immer noch sehr viel für dich. Und ich bin mir sicher, dass es bei dir genauso ist. Habe ich recht?“
Melina sah ihn nur an und sagte nichts.
Er hielt das Schweigen kaum aus. Lag er etwa falsch?
„Das ist nun auch egal“, sagte sie schließlich. „Du hast dich dafür entschieden, dein Leben ohne mich als Ehefrau weiterzuführen. Und ich habe die Konsequenz daraus gezogen.“
Adam konnte spüren, wie verletzt sie war. Er wusste, dass es fast unmöglich war, sie von seinen wahren Gefühlen zu überzeugen. Gleichzeitig war er sich aber auch sicher, dass sie noch etwas für ihn empfand, denn sonst hätte sie ihn wohl längst verlassen und wäre zu Mrs. Papadakis gezogen. „Was auch immer du denkst, das ist kein Spiel für mich, Melina. Ich wollte dich wirklich nicht ausnutzen. Von Anfang an habe ich etwas für dich empfunden. Und mit der Zeit sind diese Gefühle immer stärker geworden.“
Melinas Gesichtsausdruck schien sich für einen Moment aufzuhellen. Immerhin wandte sie sich nicht von ihm ab.
Adam nahm noch einmal allen Mut zusammen. Vielleicht war noch nicht alles verloren. „Sosehr ich es auch gewollt hätte, ich konnte nicht zulassen, dass es zu einer Wiederholung unseres Abenteuers im Lagerhaus kommt. Ich habe befürchtet, du könntest den Eindruck bekommen, dass ich dich ausnutze. Du bist immerhin wegen der Greencard in die Staaten gekommen, und nur durch mich kannst du sie erhalten. Verstehst du, worauf ich hinauswill?“
„Mehr hast du mir nicht zugetraut? Dachtest du, dass ich nur mit dir ins Bett gegangen bin, um die Greencard zu bekommen?“
„Versteh mich bitte nicht falsch. Ich war einfach nur geschockt, als ich herausfand, dass du noch Jungfrau warst.“
„Und nun?“
„Ich wäre froh, wenn du mir noch eine Chance geben würdest, um dir zu zeigen, wie ich für dich empfinde. Deswegen wollte ich reinen Tisch mit dir machen und dir erklären, dass ich mich so sehr verändert habe, dass ich es selbst kaum verstehe. Ich möchte genau erfahren, wie deine Gefühle für mich sind, und ob du dir eine Zukunft mit mir zusammen in Amerika vorstellen kannst.“
„Ich hätte dir gern meine Gefühle für dich gezeigt, aber du hast ja ständig auf unsere Vereinbarung gepocht, sodass ich keine Möglichkeit dazu hatte.“
„Vergiss die verdammte Vereinbarung! Das ist Vergangenheit. Ich will einfach nur wissen, was du für die Zukunft erwartest, Melina. Willst du nur die Greencard, oder willst du mehr?“
Melina schloss die Augen. Ihr Zögern ließ Adam Höllenqualen erleiden. War es wirklich so schwer für sie, sich für ihn zu entscheiden?
„Ich wollte mehr als eine Greencard“, sagte sie schließlich. „Auch wenn es am Anfang in Athen noch anders war. Aber das war, bevor ich dich wirklich kennengelernt habe.“ Melina konnte die Tränen kaum noch zurückhalten. „Und dann haben sich die Dinge verändert. Du bist ein guter Mensch, aber du hast Angst davor, von einer Frau verlassen zu werden. Ich bin nicht irgendeine Frau, Adam. Das solltest du mittlerweile wissen.“
Adam stand auf und wollte zu ihr gehen, als plötzlich jemand laut an die Tür klopfte. Verflucht! Gerade jetzt, wo Melina angefangen hatte, ihm ihre wahren Gefühle zu offenbaren.
Adam versuchte, das Klopfen zu ignorieren. Wer weiß, wann sie wieder einmal die Gelegenheit hatten, sich einander anzunähern. Er musste ihr zeigen, wie stark seine Gefühle für sie waren. Vielleicht würde der Tag doch noch ein gutes Ende finden.
Das Klopfen wurde immer lauter. Wer auch immer vor der Tür stand, wollte unbedingt hinein.
Adam sah Melina verzweifelt an und lief zur Tür. Durch den Spion konnte er einen fremden Mann mit einem Schnurrbart erkennen, der zu Adams Überraschung die gleichen lavendelfarbenen Augen wie Melina hatte.
Ihm wurde klar, dass die Aussöhnung mit Melina erst einmal warten musste. Er hatte keine andere Wahl, als die Tür zu öffnen. „Ja?“
Andreas Kostos umarmte Adam strahlend. „Gabros moo!“
Schwager? „Sie sind Melinas Bruder?“, fragte Adam, als er wieder Luft bekam.
„Ich bin Andreas, der ältere Bruder. Der andere ist Christos.“
Adam erinnerte sich vage daran, dass Melina ihre beiden jüngeren Brüder erwähnt hatte, aber getroffen hatte er bisher keinen von ihnen. Er sah sich um. „Sagen Sie nicht, dass Christos auch hier ist.“
„Nein, er kommt vielleicht ein anderes Mal.“
„Ein anderes Mal?“ Vor Adams innerem Auge spielte sich eine Zusammenkunft der Familie Kostos ab. Das war wirklich das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Er hatte Wichtigeres vor. Aber immerhin war Melinas Vater nicht hier.
„Ja, natürlich. Wir können es alle kaum erwarten, Melina wiederzusehen.“ Andreas blickte über Adams Schulter. „Ist meine Schwester zu Hause?“
„Andreas!“ Melina stieß einen lauten Freudenschrei aus, als sie die Stimme ihres Bruders hörte, und rannte zur Tür, um ihn zu umarmen. „Was tust du denn hier? Bist du allein gekommen? Wie lange wirst du bleiben?“
Andreas lachte. „Die Hochzeit hat dich nicht verändert, Melina. Du bist immer noch meine kleine Schwester.“
„Kleine Schwester!“ Melina schlug ihrem Bruder scherzhaft auf die Schulter. „Ich bin fünf Jahre älter als du. Also etwas Respekt bitte.“
„Du bist vielleicht älter, aber immer noch das temperamentvolle kleine Mädchen, das ich kenne“, sagte Andreas lächelnd und musterte ihre Taille. „Wie geht es denn dem Baby?“
Melinas Lächeln verblasste. „Welches Baby?“
„Papa hat gesagt, dass du ein Baby erwartest.“
Adam stöhnte. Das hatte Melinas Vater ja auch schon behauptet, als sie in Nafplion gewesen waren. Er hätte aber nie erwartet, dass der alte Mann tatsächlich selbst daran geglaubt hatte.
Bevor Melina Andreas antworten konnte, schaltete Adam sich ein. „Andreas, Sie sind genau rechtzeitig zum Abendessen gekommen. Melina, warum bringst du deinem Bruder nicht etwas von der köstlichen Suppe?“
„Natürlich.“ Mit Freudentränen in den Augen eilte Melina in die Küche. „Komm, Andreas, bevor die Suppe kalt wird.“
Adam hielt Andreas zurück. „Warten Sie. Ihr Vater hat unrecht. Melina erwartet kein Baby. Er denkt zwar, dass wir geheiratet haben, weil Melina schwanger war. Das ist aber nicht die Wahrheit.“
„Nein?“
„Nein. Glauben Sie mir, wenn Melina schwanger wäre, dann wäre ich der Erste, der das wüsste.“
Andreas sah ihn überrascht an. „Weshalb dann die Eile? Warum haben Sie nicht gewartet, um eine traditionelle griechische Hochzeit feiern zu können? Unsere Mutter war sehr traurig darüber, dass …“
Adam seufzte. „Das ist eine lange und komplizierte Geschichte. Die wollen Sie bestimmt nicht hören.“
Andreas wirkte verwirrt. „Ich verstehe das nicht. Warum hat Papa mir dann davon erzählt?“
„Lassen Sie uns später darüber weiterreden“, flüsterte Adam. „Kommen Sie, bevor Melina ungeduldig wird.“
Melina stimmte unterdessen fröhlich ein Lied an, während sie einen dritten Teller auf den Esstisch stellte.
Adam wandte sich noch einmal an Andreas, bevor sie in das
Esszimmer kamen. „Bitte erwähnen Sie nicht noch einmal die Sache mit dem Baby vor ihr. Es fällt ihr schon schwer genug, sich an die neue Umgebung anzupassen. Und an mich.“
Andreas sah ihn verdutzt an. „Ich bin Melinas Bruder. Und ich werde sie vor allem Unheil beschützen.“
„Ich auch“, sagte Adam entschlossen. „Glauben Sie mir das!“
„Dann versprechen Sie mir, dass Sie alles tun werden, um Melina glücklich zu machen.“
„Das verspreche ich Ihnen. Ich war gerade dabei, große Fortschritte zu erzielen.“
Einen Moment lang standen sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
„Gut“, sagte Andreas schließlich, auch wenn er nicht zufrieden wirkte. „Sie müssen aber versprechen, dass Melina glücklich in Ihrem Land wird.“
„Das wird sie.“
Adam wollte es sich nicht mit Melinas Bruder verscherzen. Andreas trug zwar Anzug und Krawatte, aber es war ihm anzusehen, dass er ein Mann war, mit dem man sich besser nicht anlegte. Adam hätte daran denken sollen, dass griechische Männer sehr fürsorglich waren und sehr unangenehm werden konnten, wenn es um ihre Schwestern ging. „Falls Ihr Vater Sie hierher geschickt hat, um nach Melina zu sehen, dann können Sie Ihm sagen, dass es ihr gut geht, und dass es auch so bleiben wird. Dafür werde ich schon sorgen. Kommen Sie jetzt! Melina hat eine köstliche Suppe zum Abendessen zubereitet. Sie werden sich ganz wie zu Hause fühlen.“
Melina stellte eine dampfende Suppenschüssel auf den Tisch und setzte sich lächelnd. „Also, kleiner Bruder, was führt dich zu uns nach San Francisco?“
„Ich bin auf dem Weg nach Los Angeles, um einen Auftrag als Architekt zu besprechen. Stell dir vor, ich soll dort beim Neubau eines Footballstadions mitwirken. Nachdem ich nun mein Studium beendet habe, ist das meine erste große Chance.“
Melina strahlte. „Wer hätte gedacht, dass du gleich so einen tollen Job bekommen würdest. Mir kommt es noch wie gestern vor, dass ich auf dich aufgepasst habe. Und jetzt bist du hier in den Vereinigten Staaten und hast ein großes Projekt vor dir. Und was macht Christos? Geht es ihm gut?“
Andreas zuckte mit den Achseln. „Christos hat sich an der Uni in ein Mädchen verliebt. Jetzt hat er beschlossen, dass er lange genug gelernt hat, und nun möchte er eine Familie gründen. Er wird bei Papa im Familienunternehmen arbeiten. Obwohl ich mich frage, was alle nur an den Pistazien finden … wie auch immer, Papa freut sich darüber.“
„Und wie geht es unseren Eltern?“
„Es geht ihnen gut. Sie senden dir viele Grüße.“
Melina eilte wieder in die Küche und brachte einen Teller mit Kourabiethes.
„Deine Lieblingskekse, Andreas“, sagte sie lächelnd. „Ich habe sie erst heute Nachmittag gebacken, als ob ich geahnt hätte, dass du kommen würdest. Wie lange hast du denn vor, hierzubleiben?“
„Leider nicht mehr als ein paar Tage.“ Andreas probierte einen Keks und lächelte zufrieden. „Du backst immer noch wie unsere Mutter.“ Dann trank er einen Schluck Kaffee und lehnte sich zurück. „Ich habe Termine in Los Angeles, aber ich werde euch auf dem Rückweg besuchen. Natürlich nur, wenn ihr Platz für mich habt. Falls nicht, gehe ich einfach in ein Hotel.“
„Das kommt nicht infrage. Adams Tochter ist gerade für ein paar Tage bei ihrer Mutter. Deshalb kannst du gern ihr Zimmer haben.“ Melina wandte sich an Adam. „Oder nicht?“
„Aber natürlich.“ Melinas Bruder war in Adams Haus willkommen, auch wenn er sich leider einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht hatte. „Ich gehe nur schnell in Jamies Zimmer und hole meine Sachen heraus … ich habe dort die letzten Nächte geschlafen.“ Als Andreas fragend die Brauen hob, fügte Adam schnell hinzu. „Melina hat in der letzten Zeit nicht gut geschlafen, deshalb wollte ich ihr etwas mehr Freiraum lassen.“
Andreas sah zu seiner Schwester. „Also hatte Papa doch recht damit, dass du dich hier nicht wohlfühlst?“
Melina warf Adam einen skeptischen Blick zu und versuchte, vom Thema abzulenken. Sie überlegte kurz und wandte sich wieder an ihren Bruder. „Was hast du da noch einmal gesagt, als du hereingekommen bist? Papa hat dir erzählt, dass ich schwanger bin? Das ist nicht wahr!“
Ihr Bruder sah sie überrascht an. „Warum machst du dir Sorgen, dass ich von dem Baby weiß? Du bist ja immerhin eine verheiratete Frau. Und Kinder sind ein Segen.“ Er nahm sich einen weiteren Keks. „Ich lasse mir da allerdings noch etwas Zeit.“
„Was redest du da für einen Unsinn?“, fragte Melina verärgert. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich kein Baby erwarte. Das einzige Kind in diesem Haus ist Jamies Tochter.“
Andreas lächelte. „Na gut, wenn du es geheim halten willst, ist mir das auch recht.“
Adam spürte, dass die Situation langsam außer Kontrolle geriet. Er musste nun einschreiten. Auch wenn es vielleicht schon zu spät war, da Melina mittlerweile sehr verärgert war.
Sie warf Adam wütende Blicke zu.
„Das ist doch alles nicht so wichtig, Melina. Wahrscheinlich hat das alles nur als Scherz begonnen“, sagte Adam beruhigend.
Melina kniff ärgerlich die Augen zusammen.
„Wir reden später darüber weiter“, fuhr Adam fort. „Ich werde jetzt erst mal meine Sachen aus Jamies Zimmer holen. Dann könnt ihr euch in Ruhe unterhalten. Ich bin in ein paar Minuten zurück.“
Melina konnte Adam keine Szene machen, da ihr Bruder mit am Tisch saß. Es regte sie aber fürchterlich auf, dass er sich so einfach aus der Affäre zog. Während sie über seinen Besuch bei ihren Eltern damals nachdachte, wurde ihr klar, dass er sie tatsächlich nur aus Mitleid geheiratet hatte. Er hatte gemerkt, wie sehr sie von ihrem Vater unter Druck gesetzt wurde, und wie sie darunter litt. Durch die Heirat hatte er ihr die ersehnte Freiheit ermöglicht – einen Umzug nach Amerika. Aber er würde sie niemals wirklich lieben. Doch das Letzte, was sie von ihm wollte, war sein Mitleid.
Andreas gähnte und stand auf. „Entschuldigt mich. Der Jetlag macht sich langsam bei mir bemerkbar. Ich gehe besser schlafen. Wir reden morgen weiter. Und übrigens, Adam. Ich glaube, wir können uns als Schwäger auch duzen.“
„Du hast recht, Andreas.“
Andreas gab Melina einen Kuss auf die Wange und ging mit Adam in Jamies Zimmer.
Melina räumte den Tisch ab, während Adam voll bepackt mit Kleidungsstücken aus Jamies Zimmer kam. Er sah sie kurz an und verschwand dann im großen Schlafzimmer.
Melina brachte die Teller noch schnell in die Küche und folgte dann Adam. „Wir sollten wirklich ein ernstes Wort miteinander reden“, sagte sie, als sie im Schlafzimmer war.
Adam drehte sich zu ihr. „Das glaube ich auch. Bevor du beginnst, möchte ich dir sagen, dass du alles falsch verstanden hast. Auch wenn es vielleicht anders gewirkt hat, wollte ich dich nie verletzen. Weder vor unserer Hochzeit noch danach.“
„Das hast du aber getan.“
„Das ist nicht wahr“, protestierte Adam. „Ich weiß, dass unsere Ehe nicht unter den glücklichsten Umständen begonnen hat, aber ich meinte es so, als ich sagte, dass ich etwas für dich empfinde.“
„Deine Taten sprechen allerdings für sich. Und was meine angebliche Schwangerschaft betrifft, so scheint mein Vater zu glauben, dass du mich geschwängert hast und mich deshalb heiraten musstest, oder?“
Adam warf ein Bündel Unterwäsche in die Kommode und hängte einen Anzug in den Schrank, bevor er sich zu ihr drehte. „Wahrscheinlich hast du recht. Aber bei mir liegst du falsch. Komm schon, Melina. Du weißt, dass ich mich verändert habe. Ich bin nicht mehr der Mann, den du in Athen kennengelernt hast.“
Adam versuchte, ihre Hand zu ergreifen und sich mit Melina auf das Bett zu setzen.
Aber sie wich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Als wir deine Eltern besucht haben, da hätte ich deinem Vater deutlicher machen müssen, dass du kein Kind von mir erwartest. Leider war ich nicht auf so eine Situation vorbereitet und wusste einfach nicht, wie ich ihm das ausreden sollte. Er war so wütend, dass ich befürchtete, er würde alles an dir auslassen.“
„Mein Vater ist eben sehr temperamentvoll. Aber … als du vorhin gesagt hast, dass alles vielleicht nur ein Scherz war, hat mich das sehr getroffen.“
„Ich wollte nur nicht, dass dein Vater dich noch mehr unter Druck setzt.“
„Deshalb also wolltest du mich so schnell heiraten? Nur um mich vor meinem Vater zu beschützen, und weil du Mitleid mit mir hattest?“ Melinas Stimme versagte.
„Ich weiß es nicht genau.“ Adam fuhr sich frustriert durch die Haare. Er befürchtete, dass er auf dem besten Weg war, Melina zu verlieren. „Natürlich wollte ich dich beschützen. Ich wollte verhindern, dass du verletzt wirst. Das war aber nicht der einzige Grund für die schnelle Hochzeit. Ich musste wegen Jamie zurück nach Hause. Das war keine Lüge gewesen. Es kamen einfach so viele Dinge zusammen.“
Adam griff erneut nach ihrer Hand. „Glaub mir, ich wollte mein Leben mit dir verbringen.“
„Warum?“
„Weil du ehrlich und liebevoll bist. Wenn du in meiner Nähe bist, dann fühle ich mich so stark. Seitdem du mir begegnet bist, hat sich vieles zum Guten verändert. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich am Anfang Angst davor hatte, mit dir zusammenzuleben. Letztendlich bin ich aber froh, dass wir geheiratet haben.“
Melina ignorierte seine ausgestreckte Hand und wich weiter zurück. „Sprich nicht zu mir, als ob ich ein Kind wäre. Ich bin eine erwachsene Frau und weiß, wenn jemand mich liebt. Was du für mich empfindest, ist bloß pure Lust.“
„Das stimmt nicht. Als wir in meinem Büro zusammen geschlafen haben, war das ein Zeichen meiner Liebe zu dir. Danach habe ich mich nur zurückgezogen, weil mir klar wurde, dass ich der erste Mann war, der dich berührt hat. Ich wusste einfach nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte, und was das für unsere Zukunft bedeutete.“
Melina schüttelte den Kopf und deutete auf das Schlafsofa.
„Wenn das alles ist, was du zu sagen hast, dann weißt du ja, wo du ab sofort schlafen wirst, wenn Jamies Zimmer belegt ist.“
Adam spürte, dass es unmöglich war, Melina umzustimmen. Sie hatte sich ihre Meinung über ihn gebildet, und davon rückte sie keinen Deut ab. Im Moment war sie zu wütend auf ihn, um ihm eine Chance geben zu können, alles wiedergutzumachen.
Das nahm ihn mehr mit, als er gedacht hatte. Nicht einmal bei der Scheidung von seiner Exfrau hatte er so sehr gelitten. Adam war fest entschlossen, dass es zu keiner weiteren Scheidung käme. Melina verstand einfach nicht, wie viel er für sie empfand. Es musste doch einen Weg geben, um sie zu überzeugen, wie sehr er sie liebte. Nur war das verdammt schwer, wenn sie jedes Wort von ihm anzweifelte.
Schlaflos verbrachte Adam die Nacht auf dem Sofa. Er sehnte sich sehr danach, zu ihr zu gehen und ihr zu zeigen, wie stark seine Gefühle für sie waren. Nur dumm, dass Andreas nebenan war.
Er konnte kaum den morgigen Tag abwarten.
Die Dinge wären komplett anders verlaufen, wenn Katherine Papadakis nicht am nächsten Morgen in Adams Haus gekommen wäre.
„Geht es Ihnen gut, meine Liebe?“, fragte die Frau, als Melina ihr die Tür öffnete. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht, weil Sie heute Morgen nicht zur Arbeit erschienen sind.“
Adam kam zur Tür, als er Katherines Stimme hörte. „Katherine? Welch Überraschung! Kommen Sie herein. Wir wollten gerade Kaffee trinken.“
Katherine war für Adam in den letzten Jahren nicht nur eine Geschäftspartnerin, sondern auch eine Freundin geworden. Er schätzte sie besonders dafür, dass sie Melina einen Job gegeben hatte, obwohl sie noch nicht einmal eine Greencard hatte.
„Ich habe Ihre Frau heute Morgen vermisst“, sagte Katherine und sah kurz zu Melina. „Deshalb habe ich den Laden abgeschlossen und bin schnell hergekommen, um zu sehen, ob es ihr gut geht.“ Sie machte eine Pause und fragte dann zögernd. „Sie haben doch nichts dagegen, dass Melina mir im Laden hilft?“
„Ich verstehe zwar nicht, warum Melina glaubt, dass sie selbst Geld verdienen muss, aber nein, ich bin nicht dagegen. Ich war nur überrascht, da ich es eher zufällig erfahren habe.“
Andreas kam aus seinem Zimmer und schnappte einen Teil des Gesprächs auf. „Meinst du das mit der Schwangerschaft, Adam?“
Katherine sah Melina überrascht an. „Sie sind schwanger? Sind Sie deshalb nicht in den Laden gekommen? Fühlen Sie sich nicht wohl?“
„Ich bin nicht schwanger!“ Melina hob die Hände, drehte sich um und lief ins Wohnzimmer. „Ihr seid alle verrückt!“ Adam versuchte, sie zu beruhigen. „Ich nicht. Ich weiß, dass du nicht schwanger bist.“ Katherine kam zu Melina ins Wohnzimmer. „Was hat es mit dieser Schwangerschaft auf sich?“
„Das ist ein Missverständnis, Katherine.“ Melina setzte sich auf die Couch und bedeckte die Augen mit zitternden Händen. „Es geht mir gut. Ich bin nur zu Hause geblieben, weil mein Bruder mich besucht. Aber ich bin nicht schwanger.“
„Lassen Sie mich Ihre Hände ansehen, meine Liebe.“ Katherine bestand trotz der zweifelnden Blicke von Adam darauf. „Vielleicht kann ich das für Sie klären.“
„Wie können Sie ein Problem klären, das gar nicht existiert?“, fragte Melina skeptisch.
„Die Hände einer Frau lügen nie. Jetzt zeigen Sie mir Ihre Hände, und dann werden wir schon sehen“, antwortete Katherine ruhig.
Adam seufzte. „Gut. Dann bringen wir es hinter uns und können das Thema anschließend endgültig vergessen.“
Katherine sah Adam verärgert an, nahm Melinas Hände und musterte ihre Handflächen ausführlich.
Melinas Hände zitterten, und ihr Herz raste. Sie konnte doch nicht nach nur einem einzigen Mal mit Adam schon schwanger sein. Wenn sie richtig mit Adam verheiratet wäre, hätte sie sich nichts dagegen gehabt, aber da er nur ihren Körper begehrte, war sie nicht bereit für ein Kind. Melina sah zu Adam. An seinem Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass ein Baby mit ihr das Letzte war, was er wollte.
„Ich wusste es doch! Ich irre mich nie!“, triumphierte Katherine schließlich. Sie nahm Melina in die Arme und küsste sie auf die Stirn. „Herzlichen Glückwunsch, meine Liebe. Sie bekommen ein Baby.“
Adam fluchte leise hinter ihnen. Katherine mochte gute Absichten haben, aber in diesem Fall lag sie falsch. Niemand konnte eine Schwangerschaft an den Händen einer Frau ablesen. Außerdem war es noch viel zu früh. Sie hatten doch erst vor einer Woche miteinander geschlafen.
Aber ohne Verhütung.
Adam stockte der Atem. Er hatte an diesem Tag keine Kondome dabei gehabt, da er nicht damit gerechnet hatte, mit Melina zu schlafen. Erst die erotischen Statuen und das Funkeln in Melinas Augen hatten alles verändert.
Zudem war es ja nur ein einziges Mal gewesen.
Andreas starrte Adam an. „Du hast gesagt, ich kann dir vertrauen, Schwager, und trotzdem hast du mir nicht die Wahrheit erzählt.“
Adams Nackenhaare sträubten sich. „Ich schwöre, dass es für mich eine genauso große Überraschung ist wie für dich.“
Adam sah zu Melina und fragte sich, was wohl aus ihnen würde, wenn sie wirklich schwanger war. Würde sie ihm doch noch eine Chance geben, ihr seine wahren Gefühle zu zeigen? Oder würde es alles zwischen ihnen vollkommen zerstören?