1. KAPITEL

In dem Moment, als sie Tyler James wiedersah, hatte Kate das Gefühl, ihre ganze Welt würde schlagartig auf den Kopf gestellt.

Ganz so dramatisch war es vielleicht nicht, aber immerhin war das heftige Verlangen, das sie bei seinem Anblick überfiel, mehr als verwunderlich. Dieses Verlangen war ein hauptsächlicher Bestandteil der kurzen Beziehung gewesen, die sie vor endlosen Zeiten einmal gehabt hatten.

Es war sechs lange Jahre her, dass sie Tyler zum letzten Mal gesehen hatte. Warum also spielten ihre Hormone plötzlich verrückt? Sie hatte doch noch nicht einmal ein Wort mit ihm gewechselt.

Schließlich war sie längst über ihn hinweg.

Außerdem hatte sie sich gut auf diesen Moment vorbereitet.

Seit sie vor einigen Wochen Tylers Namen auf der Liste der Junggesellenauktion gelesen hatte, war kaum ein Tag vergangen, an dem sie sich nicht seelisch auf ein Wiedersehen eingestellt hatte. Die Zeitschrift, für die sie arbeitete, sponsorte die Auktion. Also gab es keine Möglichkeit für sie, sich davor zu drücken.

Zuerst war sie vor allem neugierig gewesen. Das war nicht weiter erstaunlich, denn Neugierde zählte zu ihren hervorstechenden Eigenschaften. Dieser Wesenszug war in ihrem Beruf durchaus hilfreich. So war sie immer Feuer und Flamme für eine neue Story und hatte sich nicht zuletzt wegen ihrer Lust auf alles Neue als Journalistin einen Namen gemacht.

Aber je näher der Tag der Auktion rückte, desto neugieriger war sie. Diese Neugier ging weit über die Wissbegier einer Journalistin hinaus.

Sie fieberte dem Wiedersehen geradezu entgegen und fürchtete sich gleichzeitig davor. Die Zeit mit Tyler war das Beste gewesen, was ihr je passiert war.

Die erste große Liebe war jedoch selten von Dauer, und Kate hatte nach der Trennung von Tyler immer nach vorne geschaut. Aber sein Name auf der Liste hatte eine Flut von schönen Erinnerungen zurückgebracht.

Insgeheim hoffte sie, er wäre vielleicht geschrumpft, hätte eine Glatze bekommen und seine Muskeln verloren.

Sie nippte an ihrem Champagner, um ihre trockene Kehle zu befeuchten. Der Mann, mit dem sie einmal ihr Leben verbringen wollte, würde jeden Moment die Bühne betreten.

Da war er.

Sie schluckte, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Tyler war immer noch der attraktivste Mann, dem sie je begegnet war. Er stand dort vor einem Publikum, das ausschließlich aus Frauen bestand, und wirkte so gelassen und ruhig, als würde er keinen der abschätzenden Blicke bemerken.

Er sah unglaublich gut aus. Viel besser, als sie in Erinnerung gehabt hatte. Und sie konnte sich an vieles erinnern. Wenn die sechs Jahre überhaupt Spuren an ihm hinterlassen hatten, so war er mit den Jahren nur noch attraktiver geworden.

Die feinen Linien um die Augenwinkel ließen sein markantes Gesicht mit den hohen Wangenknochen interessanter und gereifter erscheinen. Seine Augen waren noch immer von einem sensationellen Blau, und das braune, von der Sonne hier und da gebleichte Haar war noch voll und dicht. Er trug es wie damals an den Seiten und im Nacken sehr kurz. Ihr Blick wanderte zu seinem schön geschwungenen Mund.

An diese verführerischen Lippen konnte sie sich auch allzu gut erinnern. Sie hatte Tylers Küssen und Berührungen nie widerstehen können.

Die Erinnerungen an Tyler waren ihr ins Gedächtnis gebrannt. Über die Jahre hinweg war es ihr immer besser gelungen, nicht mehr an ihn zu denken und die Vergangenheit zu verdrängen. Sie hatte sich auf ihre Karriere konzentriert und sich in einem fremden Land eine Existenz aufgebaut.

Kate war erst einundzwanzig Jahre alt gewesen, als sie die wichtige Entscheidung getroffen hatte, Sydney zu verlassen und nach Los Angeles zu ziehen. Kurz nach ihrer Ankunft in den USA hatte sie Tyler kennengelernt. Durch ihn war ihr die Umstellung leicht gefallen, und sie hatte ihren Entschluss nicht bereut.

Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und trank noch einen Schluck Champagner. Dies war kein geeigneter Zeitpunkt, um sich in Erinnerungen an Tyler zu ergehen. Sie sollte sich besser auf die nächsten zehn Minuten konzentrieren. Denn immerhin hatte sie den Auftrag, die Abschlussrede zu halten. Als leitende Redakteurin musste sie dabei seriös und gelassen wirken. Es war also nicht angebracht, sich von Erinnerungen an eine alte Liebe ablenken zu lassen.

„Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen. Ich präsentiere Ihnen den letzten Kandidaten für heute Abend. Ich muss Ihnen wahrscheinlich nicht erzählen, um was für ein außergewöhnlich attraktives Exemplar es sich hier handelt.“

Ein leises Raunen ging durch den Raum, und alle Augen wandten sich zur Bühne. Jenny Adams, die Starmoderatorin des örtlichen Fernsehsenders, deutete auf den Mann zu ihrer Rechten und setzte ihre Ansage fort.

„Ich weiß genau, dass Ihnen dieser Anblick gefällt, Ladies. Tyler James ist Ausbilder bei der Navy-Einheit SEAL. Für alle, die es nicht wissen, SEAL ist die Abkürzung für Sea, Air und Land. Dass es sich dabei um eine erstaunlich schlagkräftige Spezialeinheit der Navy handelt, ist den meisten von Ihnen bestimmt bekannt. Tyler ist einen Meter neunzig groß, hat Muskeln, die sich sehen lassen können, und unglaublich blaue Augen. Er ist für alle Gelegenheiten bestens gerüstet und sucht dringend einen Job.“

Pfiffe und ausgelassene Rufe gingen durchs Publikum. Der Mann auf der Bühne straffte die breiten Schultern und lächelte freundlich. Er zeigte keine Spur von Verlegenheit.

„Was ist Ihnen Tyler also wert, Ladies? Kommen Sie, seien Sie nicht knauserig! Das Ramirez-Waisenhaus ist doch Grund genug. Es braucht dringend Ihre Hilfe, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Wer von Ihnen wollte außerdem diesen strammen Kerl hier nicht die ganze nächste Woche für alle Arbeiten zur Verfügung haben? Gartenarbeit, Autowäsche, kochen oder putzen. Ihr Wunsch ist Tylers Befehl, meine Damen. Ich würde ja selbst für ihn bieten, aber ich fürchte, mein Ehemann hätte einiges dazu zu sagen. Also, wer eröffnet die Gebote?“

Erst jetzt wurde Kate die volle Bedeutung von Kellys Angaben über seinen Beruf bewusst. Offensichtlich hatte es in Tylers Karriere eine gewaltige Veränderung gegeben. Er war Ausbilder geworden. Kate konnte sich das kaum vorstellen. Als sie sich kennenlernten, war Tyler ein aktiver SEAL-Offizier gewesen. Er sah blendend aus in seiner Uniform und strotzte nur so von männlichen Idealen. Er war ganz gewiss niemand, der Lust hatte, hinter den Kulissen zu agieren. Er liebte seinen Beruf und strebte eine große Laufbahn an. Wie war es wohl zu seinem Sinneswandel gekommen?

Nachdenklich schaute sie den Mann auf der Bühne an. Fragen über Fragen wirbelten in ihrem Kopf umher.

Warum hatten sie einander keine echte Chance gegeben?

Hatte es sich ausgezahlt, dass sie ihren aussichtsreichen Karrieren folgten statt ihren Gefühlen?

Und nun, da sie beide erwachsen geworden waren, wie sehr hatten sie sich verändert?

Um sich abzulenken, ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen. Die Aufmerksamkeit der anwesenden Frauen war von dem Geschehen auf der Bühne wie gebannt. Kate fand das nicht weiter verwunderlich, denn immerhin wurde dort eine echte Attraktion geboten.

Die Frauen hier waren großartige Kolleginnen und Mitarbeiterinnen. Jede von ihnen war in ihrem jeweiligen Bereich ausgesprochen talentiert und zielstrebig, gleichgültig, ob es sich um Reporterinnen, Redakteurinnen oder Fotografinnen handelte.

Diane war Kates persönliche Assistentin und hatte diese Wohltätigkeitsveranstaltung organisiert, die von ihrem gemeinsamen Arbeitgeber, der Frauenzeitschrift Femme, gesponsort worden war. Sie war es auch gewesen, die das Waisenhaus als Begünstigten ausgewählt hatte. Umsichtig hatte sie jedes Detail berücksichtigt und war ihrer Aufgabe in jeder Hinsicht gerecht geworden. Kate musste nichts weiter tun, als ihre Rede vorzubereiten und anwesend zu sein.

Als ob sie ihre Gedanken gelesen hätte, wandte sich Diane zu ihr um. „Warum gibst du kein Gebot ab, Kate? Es wird Zeit für etwas Aufregung in deinem Leben.“

Aufregung in ihrem Leben? Auf keinen Fall. Sie hatte es mit diesem Mann bereits probiert und trug noch immer die seelischen Narben als Beweis.

Zu ihrer Verlegenheit bedachten jetzt auch die anderen Frauen am Tisch sie mit neugierigen Blicken.

Kate straffte die Schultern und setzte eine strenge Miene auf. „Es tut mir leid, dass ich euch enttäuschen muss. Ich habe leider keine Zeit für Aufregungen. Was sollte ich auch mit einem Mann wie ihm anfangen?“

Ihre Stimme klang fest und entschieden, doch insgeheim jagte ihr der Gedanke an eine ganze Woche mit Tyler wohlige Schauer über den Rücken.

Das war ein ganz und gar unangebrachtes Gefühl und weckte erneut Erinnerungen – ziemlich verbotene Erinnerungen.

Diane lächelte amüsiert. „Genau das meine ich. Wenn du nicht weißt, was du mit einem Mann wie ihm anfangen sollst, brauchst du wirklich Hilfe. Warum lebst du nicht einfach ein bisschen und zeigst uns, dass du auch nur ein menschliches Wesen bist?“

Die anderen Frauen an ihrem Tisch stimmten mehr oder weniger lautstark zu und versuchten, sie zu einem Gebot zu überreden. Kate musste angesichts ihres Eifers unwillkürlich lächeln, schüttelte aber abwehrend den Kopf.

Dabei war Dianes Bemerkung eigentlich zutreffend. In den letzten Jahren hatte Kate sich in ihre Arbeit geradezu vergraben. Disziplin und Fleiß waren ihrer Meinung nach die Schlüssel zum Erfolg. Daher hatte sie sich entschlossen, beides im Übermaß aufzubringen. Aber das Dasein eines Workaholics hatte seine Schattenseiten.

In Kates Leben gab es wenig Spaß und Abwechslung. Früher einmal war sie fröhlich und impulsiv gewesen. Und eigentlich war sie viel zu jung, um auf jegliches Vergnügen zu verzichten. Vielleicht war ein dezenter Flirt mit einem alten Freund ein wirksames Gegengift? Auch wenn es sich bei dem alten Freund um einen verflossenen Liebhaber handelte und es möglicherweise einiges nachzuholen gab.

Es konnte nicht schaden, ein Gebot abzugeben. Sie war bestimmt nicht die Einzige. Die bisherigen Reaktionen der Frauen auf Tyler zeigten deutlich, dass auch andere nach ihrem Scheckbuch kramen würden.

„Schon gut, ihr habt gewonnen.“ Sie hob in gespielter Resignation die Hände und legte angesichts der erfreuten Ausrufe einen Finger auf die Lippen. Dann leerte sie ihr Champagnerglas, wandte sich nach vorn und reckte einen Arm in die Höhe.

„Fünfhundert Dollar!“, rief sie laut.

Plötzlich war es völlig still im Raum. Doch anstatt verlegen in sich zusammenzusinken, straffte Kate den Rücken und wartete erhobenen Hauptes auf den Moment, da Tylers Blick auf sie fallen würde. Sie war mehr als gespannt auf seine Reaktion. Gab es da noch einen Funken der früheren Leidenschaft zwischen ihnen?

In der nächsten Sekunde hatte Kate ihre Antwort. Tyler richtete den Blick auf sie. Seine blauen Augen weiteten sich im ersten Schock des Wiedererkennens. Dann sahen sie einander für eine endlos scheinende Zeit wie gebannt an. Keiner von ihnen war bereit, den Blick zu senken. Es war, als wäre ein stummer Wettkampf entbrannt. Auch dies war etwas, woran Kate sich nur allzu gut erinnern konnte.

Vielleicht lag es am Champagner, vielleicht auch an dem überfüllten Raum, jedenfalls brach Kate plötzlich der Schweiß aus, und ihr Herz flatterte wie ein gefangener Vogel.

„Wer bietet mehr?“, fragte Jenny mit einem professionellen Lächeln in die Menge hinein.

Oh, bitte, irgendjemand, betete Kate still vor sich hin.

Ihr stummes Flehen wurde erhört. Endlich kam Bewegung in die Sache. Einige Hände fuhren in die Höhe. Kates erstes Gebot war ziemlich hoch gegriffen. Für die anderen Männer waren an diesem Abend höchsten vierhundert Dollar geboten worden. Aber sie hatte ihren Kolleginnen beweisen wollen, dass sie durchaus zu Risiken bereit war.

„Fünfhundertundfünfzig!“, rief eine üppige Blondine.

Kate verdrehte die Augen. Die Blonde war eindeutig nicht Tylers Typ. Er bevorzugte Dunkelhaarige.

„Sechshundert!“, bot eine junge rothaarige Frau, die große Ähnlichkeit mit Nicole Kidman hatte. Mit einem siegesgewissen Lächeln blickte sie im Raum umher.

„Sechshundertundfünfzig!“

Kate setzte sich auf und musterte die dritte Bieterin. Es handelte sich um eine Brünette mit sehenswertem Busen, die von weitem an Catherine Zeta-Jones erinnerte.

Und sie war eindeutig Tylers Typ.

Diane beugte sich vor und lächelte Kate verschmitzt an. „Du wirst dich doch nicht von diesen Amateurinnen überbieten lassen?“

Kate schüttelte den Kopf. Das kam natürlich nicht in Frage. Ehrgeiz war ihre zweite Natur, und sie hatte noch nie einen Konkurrenzkampf gescheut. Sie nahm einen großen Schluck aus ihrem aufgefüllten Champagnerglas und streckte kampfbereit die Hand hoch. „Eintausend Dollar!“

Sämtliche Blicke im Raum waren auf Kate gerichtet. Die meisten waren neugierig. Nur die Blonde, Nicole Kidman und Catherine Zeta-Jones schauten Kate ziemlich böse an.

„Höre ich noch mehr? Nein? Also gut, zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten!“ Jenny schlug mit dem Auktionshammer vernehmlich auf den Tisch vor ihr. „Dieses Prachtexemplar geht an Kate Hayden. Ihr Magazin ist heute Abend unser Hauptsponsor. Gut gemacht, Kate. Kommen Sie doch zu uns herauf, um sich Ihren Neuerwerb abzuholen.“

„Na, dann mal los, Mädchen!“ Diane lachte und klopfte ihr aufmunternd den Rücken. „Ich wusste gar nicht, was alles in dir steckt.“

Kates ganzer Körper fühlte sich plötzlich wie taub an. Mühsam setzte sie Schritt vor Schritt und war froh über den tosenden Applaus, der ihr hämmerndes Herz übertönte.

Die Situation, in die sie sich da hineinmanövriert hatte, war ziemlich vertrackt. Ein kurzes Zusammentreffen mit Tyler war alles, worauf sie sich eingestellt hatte. Sie hatte mit dem Austausch von einigen höflichen Floskeln hinter der Bühne gerechnet. Aber jetzt würde es ein Wiedersehen vor versammeltem Publikum geben.

Während sie vorsichtig die Stufen zur Bühne hinaufstieg, sah sie Tyler in die Augen. Ihre Knie fühlten sich an wie Pudding, und sie konnte nur beten, dass sie ihm nicht einfach vor die Füße fiel. Aus der Nähe sah er noch viel besser aus. Seine lebhaften blauen Augen, deren Farbe an einen wolkenlosen Sommerhimmel erinnerte, ruhten fragend auf ihr. Kate spürte, wie ihr die Kehle eng wurde. Hoffentlich war sie noch in der Lage, in ganzen Sätzen zu sprechen.

Er war unglaublich attraktiv, männlich und sexy. Je näher sie ihm kam, desto fiebriger fühlte sie sich.

„Du siehst fantastisch aus, Katie. Es ist lange her.“

Der Klang seiner tiefen, warmen Stimme jagte ihr Schauer über den Rücken. Sie atmete tief durch und versuchte, sich zusammenzureißen.

„Das ist wahr. Sehr lange. Es ist schon erstaunlich, was man so alles für die Wohltätigkeit auf sich nimmt, nicht?“

In seine Augen trat ein Blitzen, das ihr vertraut war. Es hatte sie früher schon bei unzähligen Gelegenheiten dahinschmelzen lassen.

„Aber, aber! Wie sprichst du denn mit deinem Verlobten?“

„Exverlobten“, verbesserte sie leise. Sie war unfähig, den Blick von ihm zu wenden.

Dabei war sie schon immer der Überzeugung gewesen, dass es seine unglaublichen Augen waren, die sie zu den verrücktesten Dingen verleiteten. Gerade jetzt kam sie sich vor wie ein hypnotisiertes Kaninchen.

Jenny musterte sie beide mit Interesse. „Es sieht ganz so aus, als ob die zwei hier sich viel zu erzählen hätten“, verkündete sie durch das Mikrofon. „Wollten Sie vor dem Ende der Veranstaltung nicht noch ein paar Worte sagen, Kate?“

Kate zwang ihren Blick in eine andere Richtung und stellte sich hinter das Rednerpult. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich auf ihre Professionalität zu verlassen. Denn ihr ganzes Denken war erfüllt von Erinnerungen an Tyler. Zum Glück hatte sie sich ein paar Notizen zu ihrer Rede gemacht.

„Als stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift Femme möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie heute Abend dabei waren.“ Sie warf einen Blick auf das Papier in ihrer Hand. „Durch Ihre Großzügigkeit haben wir über zehntausend Dollar für das Ramirez-Waisenhaus eingenommen. Gut gemacht, meine Damen!“

Kate fand, dass sie selbst ein ganz besonderes Lob verdiente hatte. Immerhin hatte sie ein Zehntel des Betrags beigesteuert. Und das für einen Mann, den sie am Schluss dieser Veranstaltung so schnell wie möglich loswerden musste.

Den Verlust von tausend Dollar konnte sie viel leichter verkraften als die Verlegenheit darüber, dass Tyler Zeuge ihrer eifrigen Bemühungen geworden war. Sie hatte sich ziemlich ins Zeug gelegt, um ihn zu ersteigern.

Der Applaus erstarb, und Kate konzentrierte sich wieder auf ihre Rede.

„Mein ganz besonderer Dank gilt an dieser Stelle den Männern, die heute Abend und die ganze nächste Woche so großmütig ihre Zeit zur Verfügung stellen. Alle, die heute eines dieser Prachtexemplare ersteigert haben, können sich wirklich glücklich schätzen. Ich jedenfalls tue es.“

Das war eine glatte Lüge. Sie wollte Tyler damit nur glauben machen, dass sie ruhig und gelassen war.

Kate wandte sich ihm mit einem Lächeln zu. Als er ihr einen Kuss auf die Wange hauchte, brandete erneut Applaus auf.

Verdammt, jetzt zitterten ihre Knie schon wieder. Es war nur ein flüchtiger Kuss nötig, und sie fühlte sich wie bei ihrem allerersten Treffen. Überwältigt, hingerissen und nicht mehr in der Lage, ihre Reaktionen zu kontrollieren.

Sie hielt sich am Rednerpult fest, setzte ein strahlendes Lächeln auf und wandte sich ans Publikum. „Nochmals, vielen Dank, meine Damen. Ich hoffe sehr, dass wir uns bei der nächsten Veranstaltung wiedersehen.“

Sie wollte gehen, aber Jenny hielt sie am Arm fest. „Nicht so schnell, Kate. Haben Sie vergessen, was zum Abschluss jeder Ersteigerung gehört?“

Kates Herz hämmerte. Sie hatte schon gehofft, sich davonstehlen zu können und das alberne Ritual zu vermeiden, dem sich jede erfolgreiche Bieterin an diesem Abend unterziehen musste. Es gab nämlich die sogenannten Freundschaftsarmbänder, die eine peinliche Ähnlichkeit mit Handschellen hatten. Mit ihnen wurden die ersteigerten Männer an ihre jeweilige Besitzerin gebunden. Es war dumm und kindisch. Aber es schien so, als ob sie gute Miene zum bösen Spiel machen müsste.

„Dann also los, Kate, kommen Sie her. Genieren Sie sich nicht. Sie können es jederzeit wieder entfernen, falls Sie das möchten.“

Mit einem anzüglichen Lächeln legte Jenny den Plastikreif um Kates Handgelenk, das andere Ende um Tylers, verschloss die Schellen sorgfältig und steckte den Schlüssel dann in Tylers Hosentasche.

Kate unterdrückte einen Fluch. Sie schwor sich, nie wieder in ihrem Leben Champagner zu trinken.

Dabei wusste sie tief in ihrem Inneren, dass nicht der Alkohol Schuld war. Sie hatte für Tyler geboten, weil ein Blick in seine blauen Augen ihr das Gehirn vernebelt hatte.

Obwohl sie ganz sicher war, keine Gefühle mehr für Tyler zu hegen, fand sie die Vorstellung unerträglich, dass eine andere Frau ihn eine ganze Woche lang an ihrer Seite haben würde. Nur deshalb hatte sie sich zu ihrem letzten Gebot hinreißen lassen.

„Na, das ist doch ein Spaß. Oder etwa nicht?“, fragte Tyler mit einem verschmitzten Lächeln.

Als er seinen gefesselten Arm und damit auch Kates in einer Siegespose in die Luft hielt, applaudierte das Publikum lang und anhaltend. Gelächter und Anfeuerungsrufe erschallten, und überall flackerten die Blitzlichter der Fotoapparate auf. Kate biss die Zähne zusammen und zwang sich zu einem Lächeln. Insgeheim wünschte sie sich, der Boden würde sich auftun und sie verschlucken.

„Ja, ich amüsiere mich wie verrückt“, stieß sie zornig hervor und ruckte merklich an der Handschelle.

„Komm schon, es dauert nicht mehr lange. Und nachher haben wir reichlich Zeit, um uns neu kennenzulernen.“

Die Art, wie er das sagte, beschleunigte ihren Puls. Sie wollte ihn nicht neu kennenlernen. Sie wollte nur noch diese Bühne verlassen und die Handschellen loswerden.

Sie ließ nachdrücklich den Arm fallen und zwang ihn damit, dasselbe zu tun. Tyler zog an der Kette, die sie miteinander verband, als wollte er sie darauf aufmerksam machen, dass sie ohne sein Zutun den Arm nicht um einen Zentimeter hätte senken können.

„Lass uns gehen“, zischte sie böse. Sie setzte sich in Bewegung. Ihm blieb nicht viel anderes übrig, als ihr zu folgen.

Und was sollte sie jetzt tun? Freundlich mit ihm plaudern und Höflichkeiten austauschen?

Frustriert biss sie sich auf die Unterlippe. Sie verbrachte ihr Leben damit, über Texten zu grübeln und geeignete Wörter und Sätze zu finden. Auf diese Situation war sie nicht vorbereitet.

Tyler von weitem auf der Bühne zu sehen, war eine Sache gewesen. Aber sozusagen an ihn gekettet durch die Gegend zu laufen, das war etwas völlig anderes. Und dafür hatte sie auch noch ein kleines Vermögen bezahlt.

Sie würde hinter der Bühne einen Moment mit ihm plaudern und ihn dann seiner Wege schicken. Genau, das war eine gute Idee.

Aber warum kam sie sich nur so seltsam vor? Sie wurde das Gefühl nicht los, dass das Schicksal sich gerade einen Scherz mit ihr erlaubt hatte.

Tyler schüttelte fast unmerklich den Kopf. Das war genau die Kate, die er in Erinnerung hatte. Stolz, unabhängig und wunderschön. Der Blick aus ihren großen braunen Augen traf ihn immer noch bis ins Mark.

Es hatte ihm während ihrer kurzen Beziehung immer Spaß gemacht, sie zu necken. Die goldenen Flecken in ihren Augen sprühten dann jedes Mal Funken. Dies geschah auch, wenn ihre sexuelle Erregungskurve anstieg. Das wusste er noch allzu gut.

Als sich ihre Blicke zum ersten Mal trafen, war ihm, als hätte er einen Schlag in die Magengrube erhalten. Auf Kates Anwesenheit bei der Auktion war er ganz und gar nicht gefasst gewesen. Unwillkürlich war sein Blick immer wieder zu ihr geglitten, während sie ihn kühl ignorierte.

Aber warum hatte sie dann dieses verrückte Gebot abgegeben? Wenn er das nur wüsste!

„Nun komm schon“, zischte sie und zog nicht besonders sanft an den Handschellen.

Tyler verbiss sich ein Grinsen. Sie hatte sich überhaupt nicht verändert. Sie war noch immer energisch und eigensinnig. Wie damals war sie auch jetzt nicht bereit, auf irgendjemanden zu warten. Sie beschleunigte ihre Schritte, und er folgte ihr amüsiert.

Sein Blick fiel auf ihren Po, dessen verführerische Kurven sich unter dem engen schwarzen Leinenrock deutlich abzeichneten. Auch ihr wundervoller Gang hatte sich nicht verändert. Sie schritt auf ihren endlos langen Beinen anmutig einher. Bei dem Gedanken an ihre sensationellen Beine wurde ihm ganz heiß. Wie oft hatte sie ihre schlanken, muskulösen Schenkel um ihn geschlungen …

Für eine Frau war Kate mit fast einem Meter achtzig sehr groß. Aber das lenkte nicht im Mindesten von ihren hinreißenden Kurven ab. Seiner Erfahrung nach waren große Frauen meistens sehr knabenhaft, hatten wenig Busen und kaum Rundungen. Bei Kate lag die Sache jedoch anders. Sie war ungewöhnlich wohl proportioniert. Ihre üppigen Kurven und ihre schmale Taille gaben eine aufregende Silhouette ab.

Kate war schlicht und ergreifend eine Schönheit.

Er löste seinen Blick von ihrem Po und betrachtete ihr Haar. Sie trug es kürzer als früher, und das stand ihr ausgezeichnet. Rötlich schimmernde Reflexe blitzten in ihrem schulterlangen, schokoladenbraunen Haar auf. Nur mit Mühe konnte er sich davon abhalten, seine Finger in ihrer knisternden Mähne zu vergraben.

Seine Aufmerksamkeit von ihrer Figur auf ihr Haar zu lenken, linderte sein Verlangen keineswegs. Ganz im Gegenteil. Die Vorstellung, ihr dichtes, seidiges Haar zu berühren, hatte eine verheerende Wirkung. Tyler spürte, wie ihm die Kehle eng wurde.

Es sah ganz so aus, als wäre er noch immer nicht über sie hinweg. Nun, das war keine große Überraschung.

Wie viele Nächte hatte er wach gelegen und an sie gedacht? Wie oft hatte er sich vorgestellt, sie läge neben ihm und er brauchte nur die Hand nach ihr auszustrecken? Seine Fantasien über Kate hatten ihn immer begleitet. Vor allem diesen Fantasien war es zu verdanken, dass er in dem endlos langen Jahr in der Rehabilitationsklinik nicht den Verstand verloren hatte.

Zwei Jahre nach ihrer Trennung hatte er der Tatsache ins Auge sehen müssen, dass sein Knie dauerhaft beschädigt war. Keine noch so intensiven Übungen und Behandlungen konnten etwas daran ändern. Die Zeit in der Klinik war eine nicht enden wollende Reihe von eintönigen Tagen und schlaflosen, schmerzerfüllte Nächten. Nichts konnte ihn von der Erkenntnis, dass er für immer aus dem aktiven Dienst ausscheiden musste, ablenken. Bis auf seine Gedanken an Kate.

Das Leben hatte ihm wirklich übel mitgespielt.

Jetzt schien es, als ob seine Fantasien wahr werden würden. Die Frage war nur, wie er damit umgehen sollte.

Vom ersten Moment an, als er sie dort an dem Tisch sitzen sah, war er wie gebannt gewesen. Sie war umgeben von attraktiven Frauen, und doch konnte keine sie an Schönheit überbieten. Sie hatte ihn angesehen und ihre hinreißenden Lippen geschürzt. Plötzlich hatte er Mühe gehabt zu atmen. Tatsächlich hatte er sich beim ersten Anblick von Kate nach sechs Jahren gefühlt, als hätte er einen schlimmen Anfall von Taucherkrankheit. Nur das in diesem Fall keine Überdruckkammer helfen konnte.

Das Verlangen nach ihr war wie ein Blitzschlag über ihn gekommen. Er wollte zu ihr laufen, sie in die Arme schließen und ihren sinnlichen Mund küssen. Er wollte sie daran erinnern, wie unglaublich gut sie sich im Bett verstanden hatten.

Ihr Anblick hatte ihn von Anfang an daran erinnert, was für ein fantastisches Paar sie abgegeben hatten. Die Vorstellung, die nächsten sieben Tage mit ihr zu verbringen und vielleicht alte Zeiten wieder aufleben zu lassen, war verlockend. Zumal er sich damit von der alles entscheidenden ärztlichen Tauglichkeitsprüfung in der nächsten Woche ablenken konnte.

Ja, das hörte sich nach einem guten Plan an.

Und wie jeder gute SEAL hielt er sich immer an den Plan.