5. KAPITEL

Kate hatte die ganze Woche bis ins Detail geplant.

Sie würde zu Hause arbeiten und sich alle nötigen Informationen über die Auktion besorgen. Außerdem konnte sie endlich ihre Neugier über Tyler befriedigen. Diese Neugier hatte sie geplagt, seit sie seinen Namen zum ersten Mal auf der Auktionsliste entdeckt hatte.

Je mehr Zeit sie mit Tyler verbrachte, desto mehr wollte sie über ihn erfahren. Vor allem wollte sie wissen, warum er sich für die Versteigerung zur Verfügung gestellt hatte.

Aber die interessanteste Frage war, wie weit sie beide in dieser Woche gehen würden. Immerhin hatten sie sich bereits zweimal geküsst. Bei dem Gedanken an den letzten Kuss auf der Bank liefen Kate wohlige Schauer über den Rücken.

Die Türklingel unterbrach ihre Grübeleien. Augenblicklich beschleunigte sich ihr Puls, denn sie erwartete niemanden außer Tyler.

Sie holte tief Luft und öffnete die Tür. „Das Packen hat ja nicht lange gedauert.“

Tyler hielt seine kleine Reisetasche hoch und lächelte. „Ich dachte, ich brauch nicht allzu viele Klamotten.“

„Komm doch herein. Du reist also mit kleinem Gepäck. Das hört sich an, als müssten wir uns ernsthaft über deine Erwartungen unterhalten. Du hast doch nicht etwa vor, nackt herumzulaufen, oder?“

Er trat ein und stellte seine Tasche ab. „Erwartungen habe ich eigentlich keine. Du bist der Boss und sagst mir, was ich tun soll. Und was das Nacktsein anbelangt, es ist mir eine liebe Gewohnheit geworden.“

„In diesem Fall muss ich dir leider sagen, dass ich kürzlich mit dem Fechten angefangen habe. Und ich meinerseits habe die Angewohnheit, zu Hause zu trainieren.“

Er lachte amüsiert. „Vielen Dank für die Warnung. Obwohl ich selbst auch nicht ungeschickt bin mit dem Schwert.“

Sie stimmte in sein Lachen ein. „Beim Fechten benutzt man einen Degen, kein Schwert.“

Er blickte sich in Kates Wohnzimmer um. „Gemütlich hast du es hier. Ich habe mir dein Haus ganz anders vorgestellt.“

„Wie denn?“

Kate hatte gehofft, dass ihm ihr Zuhause gefallen würde. Denn ein Zuhause war das Haus ihrer Großeltern für sie geworden. Es war ein Ort, an dem sie sich sicher und geborgen fühlte. Während ihrer Kindheit war es ihrer verbitterten, mürrischen Mutter nie gelungen, ein wirkliches Heim zu schaffen. Kate hatte das immer schmerzlich vermisst.

„Nun ja, irgendwie größer und aufwändiger. Eben Beverly Hills.“

„Nicht jeder, der in Beverly Hills wohnt, hat eine Villa mit weitläufigem Grundstück. Ich bin schließlich kein Filmstar. Warum machst du es dir nicht einfach bequem?“

Wieder grinste er. „Wie bequem soll ich es mir machen?“

„Du wirst immerhin eine Woche hier verbringen. Also fühl dich ganz wie zu Hause. Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?“

„Nein, vielen Dank.“

„Möchtest du vielleicht etwas anderes?“

„Ja. Dich.“

Das war ziemlich direkt. Kate stand bewegungslos da und überlegte, wie sie reagieren sollte. „Ich glaube, wir müssen eine Hausordnung aufstellen.“

Unbeeindruckt von ihren Worten kam Tyler langsam auf sie zu. „Ich muss dich jetzt küssen.“

Ihr wurden die Knie weich. „Tyler, ich …“

„Ich muss einfach.“

Er senkte seinen Mund auf ihren und seufzte. Danach sehnte er sich, seit sie die Tür aufgemacht hatte. Sie war so unerhört sexy mit ihrem ausgeblichenen, viel zu großen T-Shirt, den Shorts und den bloßen Füßen.

Als sie seinen Kuss erwiderte, wurde ihm klar, dass er viel mehr wollte als sie zu küssen. Er wollte Kate ganz, mit Haut und Haaren. Er wollte sie in den Armen halten. Ein Kuss für einige flüchtige Momente genügte ihm nicht. Vielleicht genügte ihm nicht einmal eine Woche.

Dieser Gedanke machte ihm Angst.

Das konnte er ihr nicht antun. Er hatte ihr nichts zu bieten. Er war nur ein Mann, der vermutlich nächste Woche keinen Job mehr hatte. Sie hatte etwas Besseres verdient.

Kates Nähe, die Wärme ihres Körpers und ihr nachgiebiger Mund verdrängten diese Bedenken. Er konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. Kate lag in seinen Armen und erwiderte seinen Kuss begierig. Das war im Augenblick das Einzige, was zählte.

Sanft ließ er seine Hände unter ihr T-Shirt gleiten und liebkoste ihre weiche, seidige Haut. „Du hast mir gefehlt“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Er schloss die Augen und inhalierte ihren Duft. Gardenien. Er erinnerte sich daran, dass seine Kissen, Laken und Decken früher immer nach Gardenien gerochen hatten, wenn Kate bei ihm gewesen war.

Er spürte ihre Hände auf seinem Rücken. „Was möchtest du, Katie?“, fragte er leise.

Statt einer Antwort schmiegte sie sich noch enger an ihn und suchte erneut seinen Mund.

Davon hatte er geträumt, seit er sie bei der Auktion wiedergesehen hatte.

So hätte es in den vergangenen sechs Jahren sein müssen.

Keine andere Frau hatte je einen solchen Sturm von Gefühlen in ihm ausgelöst. Ein einziger Blick aus Kates schönen braunen Augen genügte, um sein Blut in Wallung zu bringen. Wenn er sie in den Armen hielt, konnte er sogar seine Schuldgefühle vergessen. Schuldgefühle, die ihn quälten, seit er sie vor sechs Jahren Hals über Kopf verlassen hatte. Auch die Leere, die er seitdem verspürt hatte, zählte nicht mehr.

Sie legte die Hände auf seine Brust und schob ihn sanft von sich. „Ich denke, wir sollten die Dinge langsam angehen“, sagte sie und sah ihm in die Augen.

In ihrem Blick standen so viel Verwirrung und Verwundbarkeit, dass er auf der Stelle in die Wirklichkeit zurückkehrte.

Was dachte er sich eigentlich dabei, sie jedes Mal zu küssen, wenn er sich ihr auf einen Meter genähert hatte? Zwar hatte sie seine Küsse erwidert. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie einen sexuell ausgehungerten Kerl wie ihn wirklich in ihrem Leben gebrauchen konnte. Es war höchste Zeit, ein wenig mehr an sie zu denken.

Es war nicht besonders fair, sie als Ablenkung zu benutzen. Auch wenn ihm mit der drohenden Entlassung der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, sie konnte schließlich nichts dafür.

„Vermutlich hast du recht mit der Hausordnung“, sagte er und steckte die Hände in die Hosentaschen. Das schien ihm im Moment die einzige sichere Methode, da er seine Finger offenbar nicht von Kate lassen konnte.

„Wo sollen wir anfangen?“, fragte sie unsicher.

„Das ist deine Entscheidung, du bist der Boss.“

Sie nickte und setzte sich auf einen Sessel möglichst weit entfernt von ihm.

Er nahm auf dem gegenüberliegenden Sofa Platz und blickte sich um. Es war ein behaglicher Raum, eingerichtet im Landhausstil. Mit großen Fenstern, die viel Licht hereinließen. Vorhangstoff, Kissen, Pflanzen, die vielen Bücher und Kleinigkeiten trugen eindeutig Kates Handschrift.

Er gehörte nicht hierher.

Er war nur ein Eindringling. Dies war Kates Zuhause, das ihr den Rückzug von ihrem anstrengenden Job ermöglichte.

Kate räusperte sich. „Also gut. Regel Nummer eins. Du sorgst für dich selbst.“

„In Ordnung.“

„Da ich diese Woche einen wichtigen Artikel schreiben muss, darf es keine Störungen geben. Das ist Regel Nummer zwei.“

„Einverstanden.“

„Regel Nummer drei besagt, dass du dein Verhalten ändern musst.“

„Inwiefern?“

Er fand es eigentlich ziemlich grausam, dass er sie diesen Punkt Wort für Wort aussprechen ließ. Denn er wusste genau, worauf die dritte Regel hinauslief. Aber vielleicht half ihr das, herauszufinden, was sie eigentlich wollte.

Sie verdrehte die Augen. „Du küsst mich immerzu.“

„Und du erwiderst meine Küsse.“

Sie stand auf und begann, im Zimmer herumzulaufen. „Ja, das schon. Aber ich habe in letzter Zeit sehr viel gearbeitet. Da ist es wohl kein Wunder, dass ich den Kopf verliere, wenn ein annehmbarer Kerl auftaucht.“

„So, du findest also, dass ich annehmbar bin.“

Kate strich sich das Haar hinter die Ohren und blickte ihn grimmig an. „Ich finde, dass du eine Landplage bist.“

Er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Auch ihre Art zu streiten hatte sich nicht verändert. „Trotzdem hast du noch ganz schön viel für mich übrig. Aber ich werde es nicht gegen dich verwenden.“

Für einen Moment fiel ihr keine Erwiderung ein. Er war ziemlich unverschämt. Außerdem schwirrte ihr noch der Kopf von seinem atemberaubenden Kuss.

Sie holte tief Atem und zählte im Geiste bis zehn. „Du kannst dir einbilden, was immer du magst. Wir sollten jedoch beim Thema bleiben. Es gibt noch etwas, das wir dringend besprechen müssen.“

„Ach ja, der mysteriöse Gefallen, um den du mich bitten wolltest. Dazu sind wir noch nicht gekommen.“

„Ich brauche deine Hilfe. Mein Chef will, dass ich einen Artikel über die Auktion schreibe. Wenn ich es tue, werde ich zur Chefredakteurin befördert. Ich habe eingewilligt.“

Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Den Artikel zu schreiben dürfte dir nicht schwerfallen. Was habe ich dabei zu tun?“

Sie zögerte kurz. Wenn Tyler seine Privatsphäre immer noch so wichtig nahm wie früher, würden ihm ihre nächsten Worte nicht gefallen. „In dem Artikel geht es um dich und mich. Wir sind sozusagen das Thema.“

Er ließ die Arme sinken und runzelte die Stirn. „Es gibt kein Wir.“

Diese Bemerkung tat ihr seltsamerweise weh. Aber er hatte recht.

Sie straffte die Schultern und sah ihm in die Augen. „Das weiß ich. Aber wir haben doch beschlossen, die Sache mit der Hausarbeit durchzuziehen. Oder jedenfalls so zu tun als ob. Kannst du nicht einfach mitspielen?“

Er stand auf, ging zu ihr und berührte kurz ihr Kinn. „Mitspielen wobei?“

„Du musst Teil der Geschichte sein. Sonst kann ich den Artikel nicht schreiben.“

„Mein Einverständnis hängt davon ab, wie weit ich gehen muss.“

„So weit wie nötig.“

Ihre Worte hingen wie eine Herausforderung in der Luft. Tyler und sie standen nah beieinander. Es war nur ein Schritt nötig, und Kate hätte sich wieder in seine Arme schmiegen können. Aber der spannungsgeladene Moment ging ereignislos vorüber.

„Wir sprechen immer noch über den Artikel?“, fragte er mit erhobenen Augenbrauen.

„Was denkst du denn? Natürlich. Und es wäre schön, wenn du deine Hände von mir lassen könntest.“

Nachdenklich nickte er mit dem Kopf. Dann trat er zu dem Tischchen, auf das er seinen Autoschlüssel gelegt hatte. Er nahm den Schlüssel und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um.

„Okay, ich mache mit. Aber jetzt muss ich erst einmal an die frische Luft. Sonst breche ich Regel Nummer drei, noch bevor der Spaß richtig angefangen hat. Ich bin bald zurück.“ Er warf ihr eine Kusshand zu und verließ das Zimmer.

Kate blickte ihm gedankenverloren nach. Er würde ihr helfen, das war gut. Aber es würde keinem von ihnen leichtfallen, die Regeln einzuhalten.

Tyler ließ den Motor seines Wagens an und startete rasant von der Bordsteinkante weg. Sein geliebter Porsche fuhr sich wie ein Traum. Er war leicht zu handhaben und gab ihm die Möglichkeit, seine Fahrkünste zu trainieren. Übung machte schließlich den Meister. Das predigte er auch seinen Rekruten immer wieder.

Wenn doch Kate auch so leicht zu handhaben wäre. Sie beide waren eindeutig auf Kollisionskurs. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem Zusammenstoß kommen würde. Ein Zusammenstoß, der leicht Narben für das ganze Leben hinterlassen konnte.

Die vor ihnen liegende gemeinsame Zeit machte ihm Sorgen. War es in Anbetracht der großen gegenseitigen Anziehungskraft überhaupt möglich, dass sie diese Woche unbeschadet überstanden? Dies wagte er zu bezweifeln, auch wenn die Anziehungskraft nur eine rein körperliche war.

Aber vielleicht gelang es zumindest Kate. Ihre Beziehung hatte nur wenige Monate gedauert. Sie war jung und unerfahren in ein fremdes Land gekommen, und er war ihr Fels in der Brandung gewesen. Zwischen damals und heute lagen jedoch sechs Jahre. Kate hatte sich verändert. Sie war eine erfolgreiche Frau und kam vermutlich in jeder Lebenslage hervorragend zurecht.

Sie hatte ihm unverblümt gesagt, warum sie die Woche mit ihm verbringen wollte. Sie brauchte seine Hilfe für diesen dummen Artikel. Das machte ihm die Sache leichter. Es gab einen praktischen Grund für ihr Einverständnis, und er musste sich nicht länger den Kopf über ihre Beweggründe zerbrechen.

Während er die Melrose Avenue entlangfuhr, überlegte er, ob Kate sich wohl daran erinnerte, wie sie zusammen diese Gegend erkundet hatten. Sie waren damals unzertrennlich gewesen. Ihm hatte es Freude gemacht, den Fremdenführer für Kate zu spielen. Einkaufsbummel, noble Restaurants, Ausflüge ins Umland und auch ein Besuch in Disneyland hatten zu ihrem abwechslungsreichen Programm gehört.

Sie hatten viel Spaß zusammen gehabt. Besonders in Disneyland hatten sie sich aufgeführt wie alberne Schulkinder. Bei der Erinnerung daran musste Tyler lächeln. Vielleicht gelang es ihm ja, einiges wieder aufleben zu lassen.

Immer noch lächelnd, fuhr er durch das Tor des Waisenhauses. Ja, er würde Kate helfen. Aber wenn sie glaubte, dass er keine Gegenleistung dafür forderte, hatte sie sich getäuscht.

Die Kinder spielten unter einer alten Eiche und machten dabei markerschütternden Lärm. Für einen kurzen Moment fühlte Tyler sich in die Zeit zurückversetzt, da er selbst als verstörtes und verängstigtes Kind dieses Tor durchschritten hatte.

Das Waisenhaus selbst hatte sich nicht sehr verändert. Nur die Kinder waren andere als in den langen Jahren, die er hier verbracht hatte.

Eine schmale kleine Frau löste sich aus der Gruppe und kam auf ihn zu, während er beim Aussteigen aus dem tief liegenden Wagen etwas unelegant seine langen Glieder streckte. Als er vorsichtig auftrat, durchzuckte ein heftiger Schmerz sein Knie.

Er stöhnte auf und stützte sich auf dem Autodach ab. Er hätte den verdammten Wagen schon vor Jahren verkaufen sollen. Nur sein blödsinniger Stolz hatte ihn daran gehindert. Denn dieser Sportwagen war das letzte Symbol seiner Männlichkeit und Kraft. Außerdem war der Porsche der einzige Luxus, den er sich je gegönnt hatte. Und der einzige erfüllte Wunsch von den vielen, die er als mittelloses Kind in Los Angeles, der Stadt der Träume, gehabt hatte.

„Hallo“, begrüßte er die zarte Frau, die nun bei ihm angekommen war. „Lange nicht gesehen.“

Lächelnd breitete er die Arme aus. Er wusste genau, so schlecht es ihm auch gehen mochte, in der Gesellschaft von Mary Ramone würde er sich um einiges besser fühlen. Das war schon immer so gewesen. Sie kannten einander von Kindheit an. Mary wusste ihn zu nehmen und durchschaute jede seiner Stimmungen. Sie war seine beste Freundin.

Nachdem sie ihn umarmt hatte, knuffte sie ihn spielerisch in die Schulter. „Ja, sehr lange. Du hattest wohl viel zu tun.“

„Du weißt doch, wie es ist. Den jungen Soldaten das Auto-fahren beizubringen ist harte Arbeit.“

Sie nickte und hakte sich bei ihm unter. Gemeinsam gingen sie auf das baufällige Backsteingebäude zu, das so lange seine Heimat gewesen war.

„Und du?“, fragte er und deutete auf die spielenden Kinder.

„Macht dir dein Job noch Spaß?“

„Ich hoffe, du bist nicht gekommen, um mir wieder Vorträge über die Eintönigkeit meines Daseins zu halten. Du weißt, wie viel mir meine Arbeit bedeutet.“

„Aber hast du denn niemals das Bedürfnis, deinen Horizont zu erweitern? Zu erfahren, was außerhalb dieser Mauern vor sich geht?“

Er für seinen Teil hatte das Waisenhaus verlassen, sobald er alt genug war. Er war zur Navy gegangen, um die Welt kennenzulernen.

Jetzt war sie es, die auf die Kinder deutete. „Ich liebe die Kinder. Sie brauchen mich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine andere Arbeit mich so erfüllen könnte.“

„Ja, schon. Aber du hast dein ganzes Leben hier verbracht“, sagte er beharrlich. „Wenn wir mehr Geld hätten, könntest du noch jemanden einstellen. Dann hättest du auch mal Freizeit. Du könntest reisen und dir fremde Orte ansehen. Andere Menschen treffen.“

Über ihr Gesicht glitt ein Schatten. Tyler senkte schuldbewusst den Kopf. Im Gegensatz zu ihm war Mary geblieben. Sie hatte ihre Träume aufgegeben, während er seine verwirklichen konnte.

„Wir brauchen tatsächlich Geld, und zwar bald. Andernfalls werden diese Tore für immer geschlossen. Dann werde ich auf der Straße stehen. An die Kinder wage ich gar nicht zu denken.“

„Gibt es nicht noch irgendetwas, das wir tun können?“, fragte Tyler beunruhigt.

Sie blieb stehen und strich ihm sanft über das Haar. „Du hast schon genug getan.“

„Man müsste die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Heim lenken“, sagte Tyler, als ob er ihre Worte nicht gehört hätte.

Während sie das Haus betraten und in die Küche gingen, formte sich in seinen Gedanken eine Idee, die schnell konkrete Gestalt annahm.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte Mary.

Sie hantierte geschäftig in der Küche herum, um das Abendessen für die Kinder vorzubereiten. Seit er als kleiner Junge in das Waisenhaus gekommen war, hatte Mary für ihn gesorgt. Sie war nicht einmal ein Jahr älter als er, aber sie hatte ihn von Anfang an bemuttert. Das war einer der Gründe, weshalb er sie so gern hatte.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, vielen Dank. Mir ist gerade eingefallen, dass ich noch etwas zu erledigen habe. Ich muss mich beeilen, bis bald.“

„Aber du bist doch gerade erst gekommen!“, protestierte sie.

Ohne auf ihren Einwand zu achten, küsste er sie auf die Stirn und eilte zur Tür.

Er hatte einen Plan. Je eher er Kate davon erzählte, umso besser.

Kate zündete die Kerzen an, trat vom Tisch zurück und blickte sich um. Dann rückte sie ein letztes Mal die Bestecke zurecht. Alles war perfekt. Das gedämpfte Licht der Tiffanylampen und der Schein der Kerzen ließen das Zimmer mit den braun gestrichenen Wänden und dem ockerfarbenen Sofa noch behaglicher als sonst erscheinen.

Tyler würde über den Aufwand, den sie getrieben hatte, vermutlich lachen. Früher waren ihre Mahlzeiten bei weitem weniger pompös gewesen. Wie oft hatten sie gelieferte Pizza aus der Schachtel gegessen. Und das nicht etwa am Esstisch, wie es sich für gesittete Leute gehörte. Nein, im Bett. Sie hatten sich gegenseitig gefüttert, sich den Mozzarella von den Fingern geleckt und ihre Aufmerksamkeit dann wieder ganz anderen Dingen zugewendet.

Bei der Erinnerung musste sie lächeln. Sie entkorkte die Weinflasche und strich sich das Kleid glatt.

Ja, heute Abend hatte sie alle Register gezogen. Sie wollte Tyler verführen. Sie war zu dem Schluss gekommen, dass ihr zunehmendes Verlangen nach ihm nur auf eine Weise gestillt werden konnte. Sie wollte ihn so sehr, dass es fast schmerzte.

Darüber hinaus hätte eine leidenschaftliche Nacht mit ihm vermutlich den Vorteil, dass er bei ihrem Spiel mit vollem Einsatz mitmachen und die Gründe nicht fortwährend hinterfragen würde. Bei dem Artikel, den sie zu schreiben hatte, war sie auf seine Mitarbeit angewiesen.

Was aber, wenn sie ihre Sache etwas zu gut gemacht hatte und die Geschichte aus dem Ruder lief? Die große Anziehungskraft zwischen ihnen und die Tatsache, dass sie ihn über alle Maßen begehrte, waren nicht zu leugnen. Sie war ganz und gar nicht sicher, ob sie sich selbst im Hinblick auf Tyler über den Weg trauen konnte. Und falls ihre Gefühle außer Kontrolle gerieten, würde sie ihn am Ende der Woche ein zweites Mal gehen lassen können?

Nun ja, schließlich war sie erwachsen. Sie hatte einen Beruf, war erfolgreich und würde ganz bestimmt nicht an gebrochenem Herzen sterben. Jedenfalls hoffte sie das.

Die Türklingel unterbrach ihre Gedanken.

„Hi, wie wäre es mit einem Abendessen?“, fragte sie, nachdem sie Tyler die Tür geöffnet hatte.

Sosehr sie sich auch um Gelassenheit bemühte, bei seinem Anblick begann ihr Herz wie rasend zu schlagen.

„Ich sollte dich warnen. Ich habe einen Bärenhunger.“

Sein begehrlicher Blick glitt aufreizend langsam über ihren Körper. Kate hatte den Eindruck, dass er mit dem Dessert anfangen wollte. Wobei sie selbst den Nachtisch darstellte und er sich mit einer Portion nicht zufriedengeben würde.