DREIZEHN

Der Tandler war wohl auf dem Sofa im Wohnzimmer eingeschlafen. Lautes, mehrstimmiges Geschrei vor der Tür des Appartements weckte ihn. Er sah auf die Uhr, es war kurz vor drei. Den Stimmen nach mussten Theos Söhne, Dorian und Sali im Flur sein. Er öffnete die Tür. Der Polizist, der das Appartement bewachte, hatte seine Pistole gezückt und auf die Männer gerichtet – Sali trug Isis auf seinen Armen.

Wenig später saßen alle im Wohnzimmer und redeten durcheinander. Isis war inzwischen in einen Bademantel aus dem Hotel gewickelt, und Antonia verarztete ihre Füße. Sali hatte sie getragen, da sie sich die Fußsohlen zerschnitten hatte und nicht auftreten konnte. Abgesehen davon schien es ihr einigermaßen gut zu gehen. Der Tandler hatte Tee für sie gekocht, sie klammerte sich an der Tasse fest und sah müde aus.

Der Polizist hatte mittlerweile seine Kollegen verständigt. Man hatte wohl auch Frau Suchanek erreicht, die gleich kommen wollte. Nun standen vier Polizisten vor dem Appartement, dessen Tür auf Anordnung der Beamten offen bleiben musste.

»Wie habt ihr sie gefunden?«, verlangte Antonia zu wissen.

Alle redeten gleichzeitig, dann einigten sie sich, dass Stefanos erzählen sollte.

»Wir haben über den GPS-Tracker den gesamten Fahrtenverlauf vom Zamberk-Tachov aufgezeichnet, seit Dienstag früh. Er ist direkt nach der Testamentseröffnung einfach nur blöd durch die Gegend geheizt, wahrscheinlich wollte er sich abreagieren. Ist kein einziges Mal stehen geblieben. Dann gegen zwei Uhr ist er vermutlich was essen gegangen, zumindest hat er da längere Zeit vorm Holzpoldl in Neulichtenberg geparkt. Danach ist er direkt zu einer Adresse in Wels gefahren und dort ungefähr eine Dreiviertelstunde geblieben – wir haben die Adresse überprüft und herausgefunden, dass das eine Baufirma ist, die Rigipsplatten und ähnliche Sachen verarbeitet. Danach ist er weiter Richtung Pucking unterwegs gewesen, zu einer Adresse an der Traun. Das ist ein Betonwerk. Die machen Platten und so große Röhren für Kanäle. Auch dort ist er etwas länger geblieben. Danach war er daheim. Er wohnt in so einem teuer renovierten Luxusaltbau in der Brucknerstraße. Der nächste Stopp war dann bei euch im Bachlfeld hinterm Haus. Da hat er zwei Stunden verbracht, erst um halb drei in der Nacht ist er wieder weggefahren, Richtung Braunau. Und den nächsten Halt kennst du ja.

Wir haben dann überlegt, dass er Isis vielleicht bei einer der beiden Baufirmen versteckt haben könnte. Wir haben uns aufgeteilt und dort auf die Lauer gelegt. Plan haben wir keinen gehabt, auch keine Idee, wonach wir eigentlich schauen wollen. Nach irgendwas, das uns komisch vorkommt. Ja, und bei der Betonfirma an der Traun ist uns komisch vorgekommen, dass zweimal am Tag ein Kerl mit einem Plastiksackerl und einer Flasche Wasser in der Hand auf einem Weg verschwunden ist, der vom Firmengelände aus in einen kleinen Wald führt. Nicht zum Traunufer, sondern der Pfad biegt zwischen den Bäumen rechts ab, und der Kerl kam nach ziemlich kurzer Zeit mit einem nun leeren Sackerl und ohne Flasche wieder. Du kannst auch vom Radweg an der Traun in diesen Wald. Da ist zwar ein hoher Zaun mit Stacheldraht, aber anscheinend haben die nicht gemerkt, dass sich vermutlich schon vor längerer Zeit an einer Stelle Wildschweine unter dem Zaun durchgegraben haben. Da waren noch Haare von den Viecherln am Maschendraht. Ich hab mir das dann näher angeschaut. Es war eng, aber ich hab mich durchquetschen können. Ich bin auf der Seite vom Betonwerk nicht ganz in den Wald gegangen, ich hab ja nicht gewusst, ob da jemand kommt. Aber so wie es ausgeschaut hat, war da eine Hütte, so ein kleines Häusl. Wir haben dann Sali und Dori angerufen und sind heut in der Nacht hin – über diese Wildschweingrube, nicht übers Betonwerk, denn da sind die Tore abgeschlossen, und die haben tatsächlich einen Wachdienst, der das Gelände mit einem Hund kontrolliert. Den Rest kannst du dir denken. Die Isis sitzt ja jetzt hier.«

»Ihr seid verrückt. Ihr seid verrückt! Und dafür lieb ich euch. Aber euer Vater bringt mich um, wenn der davon erfährt. Ihr hättet erwischt werden können und könntet jetzt tot sein«, stammelte der Tandler.

»Geh, Sebo, wir waren zu viert und haben uns das Gelände angeschaut. Da war keine Armee versteckt, nur die Isis«, sagte Petros.

»Und wir waren vorsichtig!«, ergänzte Sali.

»Der Zamberk-Tachov muss sich ziemlich sicher gewesen sein, dass niemand dahinterkommt. Die Isis war nicht bewacht, und die Hütte hätte jedes Kind mit einem Schraubenzieher von außen öffnen können«, fuhr Stefanos fort.

In diesem Augenblick kam Frau Suchanek. Sie sah aus wie jemand, den man mitten in der Nacht aus dem Bett geholt hatte. Auf ihrem Gesicht waren Abdrücke vom Kopfpolster sichtbar, ihre Haare waren zerrauft. Sie trug verschiedenfarbige Socken.

Sie blickte strafend in die Runde, dann wandte sie sich an Isis. »Schön, dass wir uns kennenlernen, Frau Bruckner. Wegen der vielen Sheriffs hier hätte das auch schiefgehen können.«

»Wegen der Sheriffs sitz ich jetzt hier und nicht mehr in meinem Gefängnis. Haben Sie überhaupt eine Idee, wo ich war?«, fragte Isis wütend.

»Verschiedene, Frau Bruckner, verschiedene Ideen, die wir alle heute überprüft hätten. Und ich bin mir sicher, dass eine davon die richtige gewesen wäre.«

»Das glaub ich nicht«, murmelte Stefanos leise.

Frau Suchanek atmete tief durch. »Bitte entschuldigen Sie den ungeschickten Anfang. Bitte erzählen Sie mir, was seit Dienstag passiert ist. Ich geh davon aus, dass Sie keine Lust haben, mit in mein Büro zu kommen, und wahrscheinlich möchten Sie auch nicht in ein Krankenhaus.«

Isis nickte.

»Gut. Ist es okay, wenn ich auf dem Handy aufzeichne, was Sie mir erzählen?«

»Wenn Sie mir versprechen, dass Sie keinen meiner Freunde für irgendwas verantwortlich machen, nur weil sie sich nicht bei Ihnen gemeldet, sondern mich selbst befreit haben«, erwiderte Isis.

Frau Suchanek versprach es, und Isis erlaubte die Aufzeichnung.

»Ich bin in einem Auto wach geworden, einem fahrenden Lieferwagen«, begann sie. »Mir war schlecht, und ich hab fürchterliche Kopfschmerzen gehabt. Meine Hände waren gefesselt, meine Beine nicht. Dann haben wir irgendwo angehalten, die Tür ging auf, jemand hat mir einen Sack über den Kopf gezogen und mich auf einen Weg gezerrt. Dort sind Glasscherben gelegen, ich hab mir die Füße zerschnitten und fürchterlich geschrien, bis mich jemand hochgehoben und getragen hat. Nach ein paar Metern bin ich auf den Boden geworfen worden und sollte aufstehen. Es war Waldboden, aber mit den Schnitten an den Füßen konnte ich trotzdem kaum gehen. Dann hab ich ein Schloss und eine Tür gehört, bin auf einen Holzboden gefallen, die Tür wurde wieder geschlossen. Ich hab am Anfang gedacht, ich bin allein, dann hab ich gespürt, dass da jemand ist. Dieses Rasierwasser, das ist schon einzigartig penetrant. ›Mariano, was willst du?‹, hab ich auf gut Glück gesagt, und er hat angefangen zu lachen.« Isis nahm einen Schluck Tee, ihre Stimme klang heiser.

»›Ich weiß, dass wir rein biologisch verwandt sind‹, hat er gesagt, ›aber mit so was wie dir verbindet mich nichts. Deshalb bitte weiterhin Herr Zamberk-Tachov, auch wenn’s nicht genehm ist.‹ Er hat mir dann gesagt, dass er an meine Vernunft appellieren will und erst dann, wenn das nichts hilft, zu anderen Maßnahmen greifen wird. Er habe Schulden bei unangenehmen Menschen, Schulden in Höhe von mehreren Millionen. Deshalb müsse ich ihm das Erbe abtreten, damit er die Schulden bezahlen könne. Er habe auch schon ein Schriftstück aufgesetzt, ich müsse es nur unterschreiben. Ich würde ja eh nicht an Besitz hängen, da sei ich genauso dumm wie die Adriana, also könne es mir auch wurscht sein. Ich war perplex. Er hat mir dann den Text vorgelesen. In dem steht, dass ich ihm das Erbe abtreten würde, weil ich mir sicher sei, dass Tante Adi wegen ihrem Schlaganfall nicht bei Sinn und Verstand gewesen ist. Zwar sei er kein gesetzlicher Erbe, würde aber den Namen tragen und allein schon durch seine Investitionen ins Schloss zeigen, dass er ein echter Zamberk-Tachov ist. Mit dem Schrieb könne er dann das Testament als Ganzes anfechten und sich auch noch die Ländereien in Slowenien unter den Nagel reißen. Ich hab ihm gesagt, dass er sich den Wisch irgendwohin stecken kann, wo es finster ist. Dann hat er mir ziemlich heftig ins Gesicht geschlagen.« Isis rieb sich die Wange, die immer noch leicht grünlich lila schimmerte.

»Er sagte, das sei ein Vorgeschmack auf die Kommunikation, die ab jetzt herrschen werde, wenn ich nicht auf seinen vernünftigen Vorschlag höre. Er habe Zeit. Wir haben uns dann gestritten, was mich im Nachhinein wundert. Es wundert mich, dass er sich drauf eingelassen und mir nicht wie sonst arrogant das Wort abgeschnitten hat und einfach gegangen ist. Ich hab ihn angeschrien und gefragt, warum er so strunzdumm ist und Schulden bei irgendwelchen Leuten macht, anstatt wie jeder andere auch bei der Bank. Er hat gebrüllt, dass mich das einen Dreck angeht. Ich hab gesagt, dass es dann vielleicht ein weniger teures Auto auch getan hätte, wenn er sich nichts leisten kann, und dann hat er gesagt, dass es Spielschulden sind. Er hat anscheinend in Bulgarien bei illegalen Spielen mitgemacht und steht bei diesem Raiko, dem er die Oldtimer verkauft hat, mit sechs Millionen in der Kreide. Wenn er die Hälfte davon bezahlt, darf er wohl wieder mitspielen, er ist sich sicher, dass er gewinnen wird. Aber wenn ich mich weiterhin so spröd anstell, hat er gesagt …«

»Und dann?«, fragte Frau Suchanek, weil Isis verstummt war.

»Dann ist er gegangen. Jemand mit einer Gesichtsmaske ist gekommen, hat mit einer Metallschelle eine Kette an meinem Knöchel befestigt und mich auf ein Klappbett geworfen. Das war wie damals auf dem Dachboden, ich hab einen Radius von weniger als zwei Metern zum Bewegen gehabt. Der Mann hat mir eine Flasche Wasser gegeben und zwei kalte Burger von McDonald’s. Dann war er weg. Es war sehr still dort, und dann ist die Sonne aufgegangen. Die Hütte hat keine Fenster, nur so ein Oberlicht im Dach. Ich hab vermutet, dass in der Nähe ein Industriegelände ist, weil ich ziemlich lang Maschinenlärm gehört hab.« Sie nahm wieder einen Schluck vom Tee, der mittlerweile kalt war. »Zweimal am Tag hat mir jemand Essen und Wasser gebracht. Einmal am Tag ist der Zamberk-Tachov gekommen –«

»War das immer zur gleichen Zeit?«, fragte Frau Suchanek.

»Mein Zeitgefühl ist wahrscheinlich ein bisserl durcheinander«, sagte Isis. »Der Lärm von den Maschinen war jedes Mal vorbei, aber es war noch hell.«

»Dann muss er nach Betriebsschluss gekommen sein«, meinte Frau Suchanek. »Vielleicht kriegen wir ihn so.«

»Aber jetzt ist Samstag«, warf Stefanos ein. »Da arbeitet bestimmt niemand, vielleicht hat er da einen anderen Zeitplan?«

»Sie geben mir jetzt sofort die Adresse von der Hütte«, befahl sie, und Stefanos gehorchte. Frau Suchanek ging auf den Balkon, um zu telefonieren. Es dauerte länger, anscheinend gab es viel zu erklären, und sie musste mit verschiedenen Leuten sprechen. »Wir werden ein SEK in der Hütte und im Wald verstecken«, verkündete sie schließlich. »Und zugreifen, sobald sich jemand zeigt.«

»Wenn Sie einen Fehler machen, kann ihn das verschrecken«, warf Isis ein. »Vielleicht kommt er am Samstag zu einer anderen Zeit, vielleicht kommt aber auch nur der Mann, der mir das Essen gebracht hat.«

Frau Suchanek fluchte, ging erneut zum Telefonieren auf den Balkon. »Wir kriegen ihn!«, sagte sie bestimmt, als sie wieder ins Zimmer trat.

»Jetzt möchte ich aber wissen, ob Sie diesen Betrieb überhaupt auf der Liste der möglichen Verstecke gehabt haben«, meldete sich Petros vorlaut.

Frau Suchanek warf ihm einen vernichtenden Blick zu, dann sagte sie leise: »Tatsächlich nicht. Wir haben zwar auch die GPS-Route zurückverfolgt, sind aber davon ausgegangen, dass Herr Zamberk-Tachov und Sie längst in Deutschland oder Slowenien sind. Da gab es verdächtige Anrufe auf dem Handy von dem Herrn –«

»Also ohne uns hätten Sie sie nie gefunden«, rief Stefanos triumphierend. »So viel zum Thema Sheriff!«

»Spätestens heute hätten wir auch die beiden Adressen überprüft«, meinte Frau Suchanek schmallippig.

»Und die Hütte im Wald nicht gefunden«, unterbrach sie Petros. »Weil Sie ohne Durchsuchungsbefehl nämlich gar nicht aufs Gelände dürfen! Den kriegen Sie erst bei ausreichendem Verdacht, bis dahin hätte er Isis längst woandershin gebracht.«

»Was wollen Sie eigentlich?« Nun wurde Frau Suchanek ungehalten. »Dass ich Sie dafür lobe, dass Sie Ihr eigenes und das Leben Ihrer Freunde und der Frau Bruckner aufs Spiel gesetzt haben? Und dass das zufällig gut ausgegangen ist? Das können Sie vergessen!« Wütend sprang sie auf, ging auf den Balkon und telefonierte.

»Lasst die Frau einfach ihre Arbeit machen«, meinte Antonia. »Es geht nicht darum, wer recht hat, es geht darum, dass die Isis wieder bei uns ist und der Mariano verhaftet und angeklagt wird. Ich werde euch bis zum Ende meines Lebens nicht vergessen, was ihr für meine Tochter getan habt. Die Frau Suchanek muss sich an Regeln halten, hat dabei mit Bürokratie zu kämpfen, ich möcht ihren Job nicht machen müssen.«

»Das SEK ist in Position, ich informiere Sie, sobald wir ihn haben«, sagte Frau Suchanek, als sie das Zimmer wieder betrat. »Frau Bruckner und Frau Bruckner, Sie müssen mit dem Herrn Tandler hier im Hotel bleiben, bis der Herr Zamberk-Tachov gefasst ist. Es kommt gleich jemand vorbei und schaut sich Ihren Gesundheitszustand an. Die anderen Herrschaften dürfen bleiben, wenn Sie das unbedingt möchten. Das ist bei Schutzunterbringung eigentlich nicht üblich, und wenn das jemand von den Oberen erfährt, komm ich in die Bredouille. Betrachten Sie das als mein persönliches Dankeschön.« Damit verließ sie das Appartement und schloss die Tür hinter sich.

»Sollen wir bleiben?«, fragte Stefanos und sah dabei Isis an.

»Vielleicht ist es besser, wenn wir alle zusammenbleiben, bis der Zamberk-Tachov verhaftet ist«, meinte sie. »Aber sehr bequem wird das wahrscheinlich nicht für euch.«

»In meinem Schlafzimmer stehen zwei Betten, die kann man auseinanderschieben, dann können wir uns das Zimmer teilen«, bot Antonia an. »Dann haben wir für fünf Männer hier im Wohnzimmer die große Schlafcouch, ein Sofa und zwei Sessel. Was meint ihr?«

Die Griechen und Albaner nickten, sie waren so müde, dass sie wahrscheinlich auch auf dem Boden problemlos eingeschlafen wären.

»Ruft Theo an«, sagte der Tandler, »eure Eltern machen sich sonst Sorgen.«

»Längst erledigt«, antwortete Petros, »hab eine Nachricht geschickt.«

Wenig später kam eine Ärztin, untersuchte Isis und versorgte ihre Verletzungen. »Alles in Ordnung. Schlafen Sie sich aus, dann sind Sie morgen wieder fit«, lautete ihr Rat.

Die beiden Griechen bezogen die Schlafcouch. Sali und Dorian lagen schon auf dem Sofa, und der Tandler baute sich ein Bett, indem er die zwei Fauteuils gegenüberstellte. Zusammengerollt passte er dadrauf, und es war gar nicht so unbequem.

Es war schon Nachmittag, als Frau Suchanek wieder im Appartement erschien. »Wir haben ihn. Sie können nach Hause gehen.«

Der Tandler verlangte, etwas mehr zu erfahren. Frau Suchanek setzte sich und wartete, bis alle versammelt waren.

»Um elf Uhr fünfundvierzig ist ein Lieferwagen mit dem Aufdruck eines Zementherstellers aufs Gelände gefahren«, begann sie. »Der Fahrer hat das Tor aufgeschlossen und ist direkt in Richtung Waldweg abgebogen. Er hat die Tür vom Laderaum geöffnet, und der Zamberk-Tachov ist mit zwei weiteren Personen ausgestiegen. Alle drei sind zur Hütte gegangen, und dort haben wir sie festgenommen. Zurzeit werden alle vernommen, ich muss da auch gleich hin. Herr Zamberk-Tachov ist wirklich lustig, er streitet alles ab und hat auch schon einen Anwalt –«

»Einen Herrn Dr. Viehhofer?«, unterbrach sie der Tandler.

Frau Suchanek nickte und wunderte sich, warum das bei Isis und dem Tandler Gelächter auslöste.

»Der Herr Viehhofer ist ein Vollkoffer, der selbst ins Gefängnis gehört«, sagte Isis und fasste kurz zusammen, was sie mit ihm erlebt hatten.

»Interessant«, meinte Frau Suchanek. »Vielleicht kann ich das im Dialog mit dem Herrn verwenden.«

»Wie kommt der darauf, dass er einfach behaupten kann, unschuldig zu sein?«, fragte Sali.

»Er sagt, dass er überfallen worden sei und die drei Männer im Lieferwagen ihn entführt hätten. Kreativ ist er ja. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Wir haben mit einer Drohnenkamera alles aufgezeichnet; so einvernehmlich, wie die zur Hütte marschiert sind, glaubt ihm das keiner. Dann haben wir die DNA-Spuren von der Frau Bruckner im BMW und in der Hütte. Wir haben die Aussage vom Mörder von der Frau Zamberk, und vielleicht können wir Zamberk-Tachov auch noch nachweisen, dass er seine Mutter umgebracht hat. Am Dienstag ist die Exhumierung, im Lauf der Woche wissen wir dann mehr.«

Eine Woche später saßen alle an einem großen Tisch beim Lehner – die ganze Familie Ropas, die Beratis, der Tandler, Isis und Antonia. Es war früh, noch nicht einmal elf Uhr, und um die Zeit war wenig los, sodass sie sich ungestört unterhalten konnten. Antonia und Isis kamen gerade von einem Gespräch mit Frau Suchanek, und natürlich waren alle neugierig zu erfahren, wie es um den Zamberk-Tachov stand.

»Die Doroteja ist vergiftet worden«, begann Isis den Bericht. »Mit Arsen, was so ziemlich die dümmste Methode ist, jemanden umzubringen, weil man Arsen in Leichen noch jahrelang finden kann. Es reichert sich in Haaren und Fingernägeln an. Da war noch genug Material im Sarg, um es nachzuweisen. Die Gerichtsmediziner gehen davon aus, dass ihr das Gift über mehrere Monate verabreicht worden ist. Das heißt, der Tod von Doroteja war kein natürlicher. Und mit Hilfe der Briefe, die der Sebo damals beim Ausräumen vom Schloss gefunden hat, kann man auch belegen, dass die Doroteja Angst vor ihrem eigenen Sohn gehabt hat.«

»Wie ist er denn ans Arsen gekommen? Man kann ja nicht einfach losgehen und welches kaufen, oder?«, meinte der Tandler.

»Indem er vom Haus in den Schuppen gegangen ist. Das Arsen lag bei Lovrenc und Doroteja in der Werkstatt«, erklärte Isis.

Jetzt war nicht nur der Tandler baff, alle redeten aufgeregt durcheinander.

»Das Haus, in dem die Doro gewohnt hat, gehört ihrem Bruder Peter«, übernahm nun Antonia die Erzählung. »Der lebt noch und hat es, nachdem die Doro 2007 verstorben und der Mariano ausgezogen war, nicht verkauft, sondern immer nur kurzfristig vermietet. Aber ohne den Schuppen, in dem sich die Werkstatt befindet. Der Peter sammelt alte Motorräder. Er hat die Werkstatt selbst benutzt, um seine Mopeds unterzustellen, und sich nie darum gekümmert, was da sonst noch herumliegt. Ein unwahrscheinliches Glück. Wenn Peter alles weggeworfen und modernisiert hätte … Die Kripo hat in einem alten Werkzeugschrank neben anderen gefährlichen Substanzen eine große Menge Arsen entdeckt. Und zwei leere Laborgläser, in denen früher Arsen aufbewahrt worden ist. Die geschätzte fehlende Menge reicht locker für den Mord.«

»Und wie ist dieser Peter ans Arsen gekommen?«, fragte Theo.

»Das hängt mit der Familiengeschichte zusammen«, fuhr Antonia fort. »Die Familie von Doroteja besaß früher in Slowenien und in der Steiermark Glashütten. Die in der Region Pohorje in Josipdol sogar bis kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, die im Feistritztal nur bis Mitte des 19. Jahrhunderts und noch eine in Soboth, in der Region Eibiswald, an der Grenze zwischen der Steiermark und Kärnten. Arsenik war eine Art Abfallprodukt bei der Glasherstellung in diesen Hütten. Und manche Arbeiter haben das Arsen gegessen. Sie haben es Hüttenrauch genannt. Die haben das Arsen wie ein Zuckerl gelutscht oder wie Salz auf ihr Speckbrot gestreut.«

»Und sind nicht dran gestorben?« Der Tandler konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte.

Isis schüttelte den Kopf. »Ich hab das auch erst heute von der Frau Suchanek gelernt: Wenn du weniger als zwei Milligramm zu dir nimmst, hat Arsen sogar eine stimulierende Wirkung. Es steigert die Leistungsfähigkeit, regt den Appetit an und macht die Haare schön und glatt, weshalb manche Frauen früher sogar regelmäßig Arsen konsumiert haben. Peter kann sich daran erinnern, dass ein paar von den Knechten, die auf dem Gutshof seiner Großeltern mitgearbeitet haben, Arsenik-Esser waren. Man hat es auch den Pferden gegeben, deren Leistung konnte man so steigern. Das Arsen aus der Werkstatt ist von der Zusammensetzung her identisch mit den Spuren, die man in Dorotejas Leiche gefunden hat.«

»Dann kann der Zamberk-Tachov ja behaupten, seine Mutter sei Arsenik-Esserin gewesen und hat sich versehentlich überdosiert«, brummte Dorian.

»Das mit dem Überdosieren geht nicht, weil bei den Arsenik-Essern eine Art Gewöhnung eintritt. Wenn du über lange Zeit eine geringe Menge zu dir nimmst, entwickelst du eine Art Toleranz und verträgst ein Vielfaches der für andere Menschen tödlichen Dosis. Der Labormediziner geht davon aus, dass Doroteja in den letzten Wochen ihres Lebens eine hohe Dosis Arsen erhalten hat: insgesamt wahrscheinlich zwischen sechshundert und achthundert Milligramm. Die Vergiftungssymptome, die sie vorher in den Briefen beschrieb, wurden wohl nicht von Arsen verursacht, sondern sind wahrscheinlich auf Eisenhut oder andere Giftpflanzen aus dem Glashaus zurückzuführen. Wir glauben, dass er am Anfang mit Pflanzengiften experimentiert hat und nicht wusste, dass in einigen der Laborgläser Arsen war. Sie waren nicht beschriftet, er hat das wahrscheinlich erst später zufällig herausgefunden.«

»Und was macht der Zamberk-Tachov jetzt?«, wollte Dorian wissen.

»Einen Eiertanz zwischen Abstreiten und Verhandeln. Er will die Bulgaren ans Messer liefern, dieser Raiko Stojanow ist wohl in Österreich in verschiedene illegale Geschäfte verwickelt, die Finanzfahndung und das Dezernat für Betrug suchen ihn schon länger. Der Mariano will gegen ihn aussagen, dafür aber Straffreiheit. Das geht aber nicht – wegen der Mordanklage und der Anstiftung zum Mord. Die Anstiftung zum Mord kann er nicht abbeuteln, beim Mord an Doro versucht er es gerade.«

»Die Frau Suchanek ist zuversichtlich, dass er maximal Sonderkonditionen für seine Haft aushandeln kann, den Anklagen aber nicht entgehen wird«, ergänzte Antonia. »Und jetzt lassts uns feiern, Kinder, verbannts den Zamberk-Tachov in euren Gedanken dorthin, wo er hingehört: ins hinterste Eck!«

Mariano Zamberk-Tachov wurde in Untersuchungshaft verbracht, und der Prozess gegen ihn sollte im September beginnen. Doch dazu kam es nicht mehr. Knapp vier Wochen nach seiner Verhaftung starb er in der Justizvollzugsanstalt. Es sah aus wie Selbstmord durch Erhängen, zur Zeit des Vorfalls waren aber auch einige Straftäter mit bulgarischer Herkunft im Gefängnis. Frau Suchanek vermutete deshalb, dass Raiko Stojanow dahintersteckte. Entweder hatte man Zamberk-Tachov so bedroht, dass er sich tatsächlich das Leben genommen hatte, oder man hatte ihn umgebracht. Nachweisbar war leider nichts.

Mit diesen Neuigkeiten hatten sich Isis und der Tandler an Mariä Himmelfahrt auf den Weg zum Oberen Rosenhofer Teich gemacht, um endlich die Stupsers zu besuchen, denen es in Linz zu heiß war, weswegen sie im Moment im Mühlviertel wohnten, wo es zumindest abends und nachts richtig kalt wurde.

»Und was passiert jetzt mit dem Schloss?«, fragte Frau Stupser, nachdem sie ihm und Isis Kaffee nachgeschenkt hatte.

»Das wissen wir leider auch nicht. Diese komische Investorenfirma versucht, Besitzansprüche geltend zu machen. Die Umbauarbeiten zum Hotel gehen weiter, weil der Pachtvertrag mit dem Betreiber davon ja angeblich nicht berührt ist«, meinte Isis.

»Und Sie, Herr Tandler? Was machen Sie jetzt?«

»Geh, Flora, sei doch nicht so neugierig!«

»Im September Urlaub in Griechenland«, antwortete der Tandler.

»Ich hab eine Wohnung gefunden, in der Keplerstraße, direkt gegenüber vom Sebastian. Die wird noch Ende August frei, dann zieh ich um, und der Sebo hat seine Wohnung wieder für sich allein«, sagte Isis.

Herr Stupser sah den Tandler fragend an, der zuckte mit den Achseln. »Zwei von ihren Fenstern schauen genau auf mein Schlafzimmer und das kleine Kabinett. Da können wir uns mit Zeichensprache verständigen«, meinte er. Hauptsache, Isis blieb in seiner Nähe.

Die erzählte fröhlich von ihren Plänen, eine Ayurveda-Praxis in Linz aufzumachen. Dafür wollte sie prüfen, ob man beim Ausbildungsinstitut in Kremsmünster Teile ihrer bisherigen Zertifikate anerkennen würde, denn im Rahmen ihrer Heilpraktikerausbildung hatte sie auch Kurse zur traditionellen indischen Medizin besucht. Im Gegensatz zu Deutschland, wo es nur Medizinern erlaubt war, Ayurveda therapeutisch einzusetzen, und Heilpraktiker viele Möglichkeiten hatten, waren Heilpraktiker in Österreich nicht zugelassen, Ayurveda-Therapeuten aber schon. Herr Stupser war ganz begeistert, und die beiden fachsimpelten über Homöopathie.

»Und Ihre Nachbarin, diese Frau Wewerka?«, fragte Frau Stupser.

»Die hat überlebt, die ist zäh. Ich hab gehört, dass sie bald aus dem Krankenhaus entlassen werden soll, aber erst für längere Zeit in eine Rehaklinik geht, bevor sie dann nach Hause kommt.«

»Fährt das Fräulein Bruckner denn mit nach Griechenland?« Frau Stupser strahlte den Tandler an, als ob sie Heiratsvermittlerin wäre und gerade ein Paar zusammenbringen würde.

»Ja, die Isis kommt mit. Und auch ihre Mutter und die ganze Familie Ropas. Ob das eine Erholung wird, weiß ich noch nicht. Wir sind für die drei Wochen jetzt schon komplett verplant, von Theos Dorf bis zu Freunden von Antonia – Besuche über Besuche!«

»Ach, da werden Sie schon das eine oder andere Momenterl finden, wo Sie sich mit dem Fräulein Bruckner davonstehlen können«, meinte Frau Stupser mit einem Augenzwinkern, und der Tandler dachte: Hoffentlich hat sie recht!