Kelly erreichte das Gelände des Elite-Gymnasiums von North Andover, der Saint Christopher's Academy. Die Ironie war Kelly bewusst. Die Schule war nach dem Schutzheiligen der Reisenden benannt worden, und es war dieselbe Schule, die einen Schüler beherbergte, der in irgendeiner Weise mit dem Verschwinden von Faith Wilson in Verbindung stand.
Er hatte kürzlich das Facebook-Profil von Clive Branson gefunden. Es dauerte eine Weile, da sein Nickname Princebransonthefirst war. Wer nennt sich so?
Beängstigender war die Anzahl der Mädchen, mit denen er befreundet war. Seine Profilseite war übersät mit Beiträgen über Frauen, Geld und Drogen.
Kelly erkannte die bedeutende Gelegenheit, mehr über diesen Jungen zu erfahren, wenn auch nur, um sich auf die Zukunft vorzubereiten. Ihm wurde schnell bewusst, dass sich die Bedrohungen, denen Mädchen heutzutage ausgesetzt waren, geändert hatten. Je mehr er von Jungen wie Branson lernen konnte, desto besser würde er Embry schützen können, wenn schon nichts anderes.
Die Schülerinnen und Schüler kamen in kleinen Gruppen aus dem kathedralenartigen Gebäude heraus. Die Akademie ähnelte in ihrer Gestaltung und in ihrem Umfang einer geschmacklosen Variante von Hogwarts. Efeu kroch das
Außenmauerwerk des Gebäudes hinauf. Nach einigen Minuten Internetrecherche, stellte sich heraus, dass das jährliche Schulgeld fast sechzigtausend Dollar, das hieß fast zwei Drittel von Kellys Jahresgehalt, betrug. Er hatte sich über die erstaunlichen Möglichkeiten informiert, die der Besuch einer solchen Schule bot. Es war fast ein garantierter Zugang zu Eliteuniversitäten, aber allein die Kosten für das Schulgeld würden den Durchschnittsbürger in den Bankrott treiben.
Kelly hatte aus dem Facebook-Konto des Teenagers erfahren, dass er Fußball spielte. In seinen Timeline-Postings behauptete er, sehr gut darin zu sein. Eine Welt, die von Klicks auf einen „Gefällt mir“ Button gesteuert wurde, definierte nun das Selbstwertgefühl einer Generation.
Kelly stieg aus dem Auto aus. Sein Impala war inmitten des Meeres von High-End-Sportwagen und SUVs fehl am Platz. Wie sollten diese Kinder jemals den Wert harter Arbeit lernen, ohne jemals für etwas arbeiten zu müssen?
fragte er sich.
Er hörte einen Pfiff von einem der Felder hinter der beeindruckenden Schulfassade. Kelly sah eine Gruppe junger Männer, die in einer Aufwärmübung um das Tor joggten. Zu weit entfernt, um den Jungen zu lokalisieren, näherte er sich zu Fuß. Das perfekt geschnittene Gras war grüner, als es für diese Jahreszeit sein sollte, aber Kelly vermutete, dass die Menge des Geldes, die hier hineingeworfen wurde, offenbar Mutter Natur entgegenwirken könnte.
Als er über das Campusgelände lief, fühlte er ein seltsames Gefühl des Versagens. Kelly war stolz auf die Dinge, die er im Leben erreicht hatte, aber in der Gegenwart von wahrem Reichtum und dessen Ertrag erkannte er, dass er seiner Tochter niemals eine solche Chance bieten konnte. Keine noch so harte Arbeit und die anschließende Bezahlung von Überstunden könnte ihn an das Geld heranbringen, das für den Besuch einer solchen Schule nötig wäre. Die Einsicht traf ihn hart.
Er sah einen dünnen Jungen in einem von der Akademie ausgegebenen grauen Hemd und marineblauen Shorts zusammen mit ein paar anderen Mannschaftskameraden am Rande des Feldes herumlungern. Ein Pfiff ertönte erneut und der stämmige Trainer schrie: „Beeilt euch, Jungs. Ihr bewegt euch, als hättet ihr vergessen, dass unser Trainingsspiel mit Suffolk nächste Woche stattfindet.“
Die drei Jungen zeigten ihm den Mittelfinger und gingen weiter. Der niedergeschlagene Trainer wandte sich ab und begann, Kegel aufzustellen. Kelly sah angewidert zu. Er identifizierte einen der drei Spieler als Clive Branson. Er erklomm die kleine Erhebung des Feldes und schloss zu ihm auf.
„Clive Branson?“
„Wer will das wissen?“ Der Junge drehte sich um und richtete seine dürre Brust auf Kelly.
„Ich.“
„Und wer sind Sie?“
Branson verschränkte die Arme und gab Kelly einen selbstgefälligen Blick voll reiner Arroganz. Eine seltsame Welt, in der der übertrieben aufgeblasene Machismo eines grünen Jugendlichen ihn denken ließen, er hätte die Macht, einen Mann wie Kelly einzuschüchtern.
„Detective Kelly von der Bostoner Polizei.“
„Soll mir das etwas sagen?“
„Das sollte es.“
„Und warm?“
„Weil ich bei der Mordkommission bin, und hier bin, um über Faith Wilson zu sprechen.“
„Ich sage es noch einmal. Sollte mir dieser Name etwas sagen?“
Bransons Worte vermittelten Selbstvertrauen, aber seine Körpersprache erzählte eine ganz andere Geschichte. Der Teenager brach den Augenkontakt in dem Moment ab, als
Kelly den Namen des toten Mädchens erwähnte. Sein Körper verlagerte sich und der Junge drehte seinen Fuß nach außen. Es war eine unfreiwillige unbewusste Reaktion. Der Junge fühlte sich unwohl.
Kelly nahm die nonverbalen Hinweise des Teenagers auf und wusste ohne Zweifel, dass dieser Junge wichtige Informationen haben könnte.
„Du und ich müssen uns ein wenig unterhalten.“
„Nein, das glaube ich nicht. Wissen Sie, wer mein Vater ist? Ihm gehört die größte Kette von Lebensmittelgeschäften im Staat Massachusetts und er ist mit dem Bürgermeister persönlich befreundet.“
„Wer dein Daddy ist und wen er kennt, hat keinen Einfluss auf mich.“
„Dann sollten Sie vielleicht mit meinem Anwalt sprechen.“
Kelly bezweifelte nicht, dass das Kind einen Anwalt hatte. Wahrscheinlicher für das Geschäft seines Vaters, aber er war sich sicher, dass er schon geholfen hatte, um die schlechten Entscheidungen des fehlgeleiteten Jugendlichen ein oder zwei Mal zu auszubügeln. Die unbekümmerte Machtausübung bedeutete definitiv, dass dieses Kind die kriminelle Grenze mit einer gewissen Häufigkeit überschritten hatte, wahrscheinlich durch Drogen- und Alkoholdelikte. Da er noch zu jung war, war seine Akte versiegelt. Und da er ein reicher Jugendlicher war, war seine Akte wahrscheinlich makellos.
Der Trainer näherte sich. „Entschuldigen Sie, Sir. Darf ich Sie fragen, warum Sie mit einem meiner Spieler sprechen?“
„Kelly, BPD Mordkommission.“ Er entblößte seine Marke. „Ich muss Pelé hier ein paar Fragen stellen. Es sollte nicht lange dauern. Es sah nicht so aus, als würde ich beim Training stören.“
„Ich bin nicht sicher, ob Sie das tun können. Brauchen Sie nicht einen Durchsuchungsbefehl oder so etwas?“
Kelly war schockiert. Der Trainer, der von den Kids gerade
wie er wie ein Bürger zweiter Klasse behandelt worden war, stand nun für den Punk ein, der ihm den Finger gezeigt hatte. „Kein Durchsuchungsbefehl erforderlich. Alles, was ich wollte, war eine kleine Unterhaltung mit dem jungen Herrn Branson. Keine große Sache. Aber er könnte Informationen haben, die mir bei einem Fall helfen können.“
Clive Branson streckte sein Handy aus und lächelte breit. „Hier. Es ist für Sie.“
„Hallo?“ fragte Kelly, in der Annahme, dass eine von zwei Personen am anderen Ende der Leitung war, entweder Branson Senior oder ein Anwalt.
„Hier ist Lawrence Shapiro, Anwalt der Familie Branson.“ Die Stimme war schroff und quietschte mit einer Schrillheit, die Kellys Nerven zerreißen ließ. Sie sprach auch Bände über das Familienleben des Kindes. Er entschied sich dafür, einen Anwalt statt seines Vaters anzurufen.
„Hier spricht Detective Kelly vom Bostoner Morddezernat. Ich habe ein paar Fragen an Clive, die helfen könnten, einige Probleme mit einem Vermisstenfall zu klären, in den er vor einem Jahr verwickelt war.“
„Was hat das Morddezernat mit dem Verschwinden von Wilson zu tun?“
„Zunächst einmal wird das Mädchen nicht mehr vermisst. Sie ist tot. Und zweitens habe ich ihren Namen nie erwähnt.“
Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen. Shapiro räusperte sich. „Sie dürfen nicht mit meinem Mandanten über diesen Fall sprechen. Ist das klar, Mr. Kelly?“
„Detective. Und ja, ist klar. Ich hinterlasse dem Jungen meine Karte für den Fall, dass Ihr Mandant seine Meinung ändert und beschließt, mit uns zu kooperieren. Es wäre eine Schande, ihn in einen Mord verwickelt zu sehen, ohne mir seine Version der Geschichte erzählen zu können.“ Kelly schaute Clive Branson in die Augen, als er den letzten Teil sagte, in der Hoffnung, dass die verschleierte Drohung bei ihm
ankommen würde. Wieder sprach die Körpersprache des Jungen Bände. Er verbarg etwas, und was auch immer es war, es hat den eingebildeten Teenager in Angst und Schrecken versetzt.
„Ich denke, es ist Zeit für Sie zu gehen, Detective“, forderte der Trainer ihn auf.
„Ich gehe jetzt. Und viel Glück beim Coaching. Scheint, als hätten Sie eine wirklich tolle Truppe hier.“
Kelly brauchte nicht zu warten, um den niedergeschlagenen Gesichtsausdruck des Trainers zu sehen. Er drehte sich um und begann, in die Richtung zurückzugehen, aus der er gerade gekommen war, und ließ die einzige wirkliche Spur hinter sich, die er bis dahin gefunden hatte.
Zurück in seinem Impala erkannte er, dass eine Außenperspektive auf diesen Fall genau das sein könnte, was er brauchte, und er kannte das perfekte Paar smaragdgrüner Augen, das ihm dabei helfen konnte.
Obwohl der Meteorologe im Fernsehen Tauwetter angekündigt hatte, hatte Kristen Barnes noch keine Anzeichen dafür gesehen. Es muss schön sein, neunzig Prozent der Zeit falsch zu liegen und trotzdem seinen Job zu behalten
, dachte sie. Die Temperatur in den frühen Abendstunden war um zehn Grad gefallen, seit die Sonne untergangen war. Eine schlechte Nacht, um Netzstrümpfe und einen kurzen schwarzen Lederminirock zu tragen. Zumindest hatte sie eine leichte Jacke an, auch wenn sie aufgeknöpft war. Ihre Kunden erwarteten das von ihr, und Barnes lieferte.
Sie blieb nie zu lange an einer Stelle, ging aber auch nie sehr weit in beide Richtungen ihres Blocks. Es war nicht die unangenehmste Ecke, in der sie gearbeitet hatte, aber es war auch nicht die sauberste. Sie blickte auf die Rinne unter ihren
Plateauschuhen, die mit gebrauchten Injektionsnadeln und Drogenbeuteln übersät war. Ein Zeichen der Zeit. Barnes hatte miterlebt, wie ganze Häuserblocks durch den Opioid-Handel dezimiert wurden. Nicht ihr Problem. Sie hatte mit ihrer eigenen Welt von Mist zu kämpfen, und ihrer bescheidenen Meinung nach war das weitaus wichtiger.
Ein Auto wurde beim Überholen langsamer. Manchmal brauchten diese Jungs ein paar Runden, um den Mut zum Anhalten aufzubringen. Barnes zündete sich eine Zigarette an und blies den ersten Zug schön langsam in Richtung des älteren Modells Lincoln aus. Ihr Kopf folgte der Richtung des Autos und sie lächelte verschämt. Vielleicht beim dritten Mal?
dachte sie. Alles, um diese Nacht hinter sich zu bringen. Sie suchte heute Abend ihren siebten Kunden auf. Das war die magische Zahl, die ihre Chefs wollten. Sie stellte die Regeln nicht auf, versuchte wie verrückt, sie zu befolgen und brach sie gelegentlich.
Sie hörte das Knarren des Lincoln um die Ecke. Das Knirschen von Metall auf Metall in der Vorderachse erfüllte die ruhige Nacht, als die braune Limousine am Bordstein zum Stehen kam.
Die getönte Scheibe ging nach unten, so dass sie den Mann im Inneren deutlicher sehen konnte. Übergewicht mit schlechter Haut. Sein Haar war verfilzt und sah aus, als hätte er seit mehreren Tagen keine ordentliche Dusche mehr gehabt. Die flaschenbodendicken Brillengläser vervollständigten den Blick. Er sah als, als arbeitete er in einem Horrorkabinett.
„Hey Baby, soll ich dich mitnehmen?“
Dieser erbärmliche Wurm brauchte drei Runden, um zu stoppen, und das war sein bester Aufreißerspruch?
Barnes lehnte sich an die Beifahrerseite des Wagens. „Ich habe dich hier noch nie gesehen, Schatz. Bist du von hier?“
„Willst du einsteigen oder nicht?“, ertönte es von innen.
Barnes sah sich um und schnipste ihre Zigarette über das
Autodach auf die andere Seite. Die Glut flackert auf, als sie auf den Asphalt traf. Sie zog am Türgriff und stieg ein, versank in dem abgenutzten grauen Leder des Sitzes. Etwas knirschte unter ihr. Sie erhob sich, um einen zerdrückten Kartoffelchip wegzuwischen. Der Boden war mit alten Verpackungen übersät, ein Who's who der Automatenkost.
Der Mann setzte den Wagen in Fahrt und beschleunigte, bevor Barnes überhaupt eine Chance hatte, die Tür vollständig zu schließen. Der Schwung schlug die Armlehne der Tür gegen ihr Knie. „Hey Mann, entspann dich. Du wirst angehalten, und ich habe keine Lust, heute Nacht ins Gefängnis zu gehen.“
Der Mann sagte nichts und nahm die erste Straße rechts.
„Wo gehen wir hin? Ich habe eine Stelle, zu der niemand geht.“ Barnes schaute in den Seitenspiegel. „Du hast das schon mal gemacht, oder?“
Der Mann sagte nichts, außer dass er seine trockenen Lippen leckte. Die Vorderachse des Lincoln klang, als würde sie vom letzten Faden zusammengehalten. Barnes war schon zu lange dabei und wusste, dass etwas nicht stimmte. Sie wurde durch das Schweigen des Mannes zunehmend nervös.
Sie umklammerte die kleine Handtasche, die sie unter ihren rechten Arm gesteckt hatte. Sie spürte das Gewicht ihres Inhalts und dachte darüber nach, ihn dem fetten Mann auf dem Fahrersitz zu enthüllen. Barnes zögerte und wartete geduldig seine Absichten ab. Sieben und fertig, sie wünschte sich, ihre Glückszahl wäre sechs gewesen.
Loses Fett aus der Taille des Mannes quoll unter seinem verschwitzten orangefarbenen T-Shirt hervor. Der Mann hätte ein Stunt-Double für Charlie Browns Great Pumpkin sein können, aber sein beeindruckender Körperumfang könnte auch ihre Luftröhre zerdrücken, wenn er die Chance dazu hätte. Der Raum des Lincoln fühlte sich plötzlich beengt an.
„Also, wie heißt du, Süßer?“ fragte Barnes und hoffte, dass die vorgetäuschte Süße ihres Tons die Stimmung aufhellen
würde.
Er grunzte und wischte sich dann die Nase an seinem entblößten Unterarm ab, wobei die Aktion eine Schleimspur entlang der dunklen Armhaare hinterließ. „Gavin.“
„Weißt du, ich muss dich fragen und laut den Regeln musst du mir wahrheitsgemäß antworten.“ Barnes machte eine Kunstpause. „Bist du ein Cop?“
Der Mann gluckste lauthals. „Weit davon entfernt...“ Er glitt mit der rechten Hand vom ausgefransten, schweißverschmierten Leder des Lenkrads und betaschte Barnes' Oberschenkel. „Ich bin deine Rakete heute Nacht, Baby. Und du bist kurz davor, abzuheben.“
Sie spürte, wie die Feuchtigkeit seiner fleischigen Hände ihre zerrissene Strumpfhose befeuchtete, und bekämpfte den Impuls, ihr Bein wegzuziehen. Das gehörte zum Job. Sie akzeptierte die abstoßende Berührung. Ein unangenehmes Stück Arbeit, aber notwendig, wenn sie das Geschäft abschließen wollte. „Was suchst du heute Abend?“
„Wie viel?“ Gavin behielt seine Augen auf der Straße und seine Hand auf ihrem Oberschenkel.
„Kommt darauf an, was du willst.“
„Ich will alles.“
„Das kostet dich achtzig für all das.“ Barnes fuhr verführerisch mit dem Finger von ihrer Lippe zum Bauch.
Der Mann lächelte und entblößte dabei gelben Zahbelag. Sein Kopf drehte sich, aber nicht zu Barnes. Seine Augen blickten hinter sie in Richtung des Rücksitzes, als er die Verriegelung einschaltete.
Barnes folgte seinem Blick und sah das Ende eines geflochtenen Seils, das unter einer Rolle silbernem Klebeband herausragte.
„Halte an! Sofort!“
Der Mann begann, auf die bevorstehende Kreuzung zuzusteuern. Das Licht ging von Gelb auf Rot über. Der
Lincoln wurde nicht langsamer und fuhr weiter, ohne Anstalten zu machen, anzuhalten. Erst als der in die Kreuzung einfahrende Durchgangsverkehr Gavin zwang, auf die Bremse zu treten. Sowohl er als auch Barnes rutschten nach vorne, als der Wagen plötzlich an Fahrt verlor und wild ins Schleudern geriet.
Der Fahrer nahm seine Hand von Barnes' Oberschenkel, um sich gegen das Armaturenbrett zu stemmen. Die Unterbrechung gab ihr die Möglichkeit, nach dem Inhalt ihrer Handtasche zu greifen. Sie öffnete den Reißverschluss der kleinen Tasche und schob ihre Hand hinein, gerade als der Wagen quietschend zum Stehen kam.
Barnes fand, was sie suchte. Ihre Hände schlossen sich um den Griffihrer kompakten halbautomatischen Glock 23.
Als sie die Waffe ziehen wollte, schlug der große Mann mit seinem dicken, schmierigen Arm nach ihr. Fett oder nicht, das Gewicht und die schiere Kraft des Schlages des Mannes auf ihre Brust war schwindelerregend. Sie keuchte, schnappte nach Luft.
Eine plötzliche Flut von Rot und Blau füllte das Innere des Lincoln. Der laute Knall von Metall auf Metall hallte mit einem ohrenbetäubenden Krachen wider. Der Wagen ruckte heftig nach vorne, das Fenster auf der Fahrerseite zersplitterte, und die lauten Kommandos von Beamten in Zivil, die mit Gewehren auf den Fahrer gerichtet waren, ergänzten die Geräusche des Zusammenstoßes.
Eine Hand griff hinein, entriegelte die Tür manuell und riss sie auf. Behandschuhte Hände ergriffen den übergroßen Fahrer und rissen ihn vom Sitz. Barnes konnte das Wimmern der erstickten Bitten des Mannes hören, als mehrere Schläge auf den Möchtegern-Vergewaltiger niederprasselten.
Barnes öffnete ihre Tür und ging auf die Straße hinaus. Sie streckte sich, rieb sich die Brust und nahm sich eine Sekunde Zeit, um sich zu sammeln. Der Schlag seines dicken Unterarms
pulsierte entlang ihres Brustkorbs oberhalb des Brustbeins.
„Geht es Ihnen gut?“ fragte Sergeant Winston Blake.
„Mir geht es gut. Ich sagte doch, wir hätten nach sechs aufhören sollen.“
„Entschuldigen Sie die Verzögerung. Die Kommunikationen heute Abend waren wirklich scheiße. Wir haben nur Bruchstücke aus Ihrem Feed bekommen.“
„Ich habe im Seitenspiegel nach euch gesucht, aber ihr wart weit weg.“
„Wir wollten ihn nicht erschrecken, indem wir ihm zu dicht auf den Fersen waren. Er ist nicht zu der Stelle gegangen.“
„Ich glaube, dieser Kranke hatte heute Abend einen ganz anderen Plan.“ Barnes zeigte mit dem Daumen in Richtung des Rücksitzes.
„Na, sieh mal einer an.“ Blake schüttelte den Kopf. „Sie haben heute Abend definitiv das Leben eines armen Mädchens gerettet.“
„Nachdem er eingebuchtet wurde, lassen Sie jemanden ein Verhör auf tieferer Ebene durchführen. Ich habe das Gefühl, dass es noch viel mehr im Leben dieses Mannes gibt, das untersucht werden muss.“
„Einverstanden.“
Barnes ging zur Fahrerseite des Wagens und beäugte den Mann. Ihm wurden Handschellen angelegt, wobei ein zusätzliches Paar verwendet wurde, um dem kräftigen Umfang und der eingeschränkten Schulterbeweglichkeit Rechnung zu tragen. Von einem kleinen Schnitt oberhalb seines linken Auges lief ihm ein Blutstropfen ins Gesicht. Es sah schlimmer aus, als es war, weil es sich mit dem Schweiß vermischte, der aus den Poren des Mannes austrat.
Sie trat ihn leicht, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Der Mann sah auf. Lust war nicht mehr in seine Augen, wie es nur Minuten zuvor der Fall gewesen war. Dieser Blick hatte sich in eine weinerliche Verwirrung verwandelt.
Barnes zog einen Gegenstand aus ihrer Handtasche. Sie hielt ihn vor sein Gesicht. Die roten und blauen Stroboskoplichter tanzten über die Marke. „Detective Barnes, Bostoner Polizei. Sieht aus, als hätten Sie sich heute Abend das falsche Mädchen ausgesucht.“
Der schwergewichtige Mann sagte nichts, senkte nur den Kopf.
Nummer sieben hat ihr definitiv eine frühe Nacht eingebracht. Sieben Freier in einem zweistündigen Stunt war eine anständige Zahl und würde die Ecke für ein oder zwei Nächte schließen. Und dann würde, wie bei allen Verbrechen aus Lust, die Not die Angst vor einer Verhaftung überwältigen, und die Straßen würden wieder zu ihrem üblichen Geschäft von Prostituierten und ihren Kunden zurückkehren.
„Warum gehen Sie nicht rein und machen sich frisch? Schnappen Sie sich das Auto von Moynihan. Nehmen Sie sich den Rest der Nacht frei“, bot Blake an.
„Klingt gut.“ Barnes ging weg und setzte sich auf den Fahrersitz von Pete Moynihans nicht gekennzeichnetem Auto. Ihr Telefon klingelte, als sie anfuhr. Barnes sah auf die Anrufer-ID und lächelte. Es war lange her, dass dieser Name dort erschienen war, aber es war eine willkommene Überraschung.
„Sankt Michael? Rufst du mich an? Welchem Umstand verdanke ich diese Ehre?“
„Hey Kris, ich weiß, es ist eine Weile her“, sagte Kelly. „Aber ich könnte wirklich deine Hilfe bei etwas gebrauchen. Können wir uns treffen?“
„Es war ein höllischer Tag.“
„Für uns beide.“
„Lass uns das bei einem kalten Bier bei Shep's besprechen.“
„Shep's“ soll es sein. Sagen wir in einer halben Stunde?“
„Mach eine Stunde daraus. Ich muss meine Kleider wechseln und etwa zehn Pfund Nutten-Make-up entfernen.“ „Ich bezahle
die erste Runde. Klingt, als würdest du sie brauchen.“