Ein warmer orangeroter Schein flackerte durch die Vorhangritzen, als das Feuer sich in Ivanson House ausbreitete. Rauch wirbelte aus einem Dachfenster – das genau zu diesem Zweck geöffnet war – und stieg in den tintenschwarzen Himmel auf.
Bald würde sich der widerlich süße Geruch von ausgelassenem Fett dazugesellen.
Victoria stand vor dem Haus und sah gebannt zu, wie die Flammen um sich griffen. »Warum hast du Pauline Thomsons Leiche nicht verbrannt?«
Ein Schniefen – dann platzte ein gewaltiger Nieser aus Razors heraus, gefolgt von einem Trompetenstoß ins Taschentuch und noch mehr Geschniefe. »Weil ich kein Unmensch bin, du blutrünstiges Biest.« Er streckte die Hände aus, um sie an der Feuersbrunst zu wärmen. »Kerry Millbrae hat schon genug gelitten, da muss ich nicht auch noch ihr Haus abfackeln. Die Ärmste besteht ja so schon zu fünfundneunzig Prozent aus Narben.«
Der Rauch wurde dunkler, dicht und fettig vor dem Hintergrund des schweren, schneeverwirbelten Himmels.
Sie räusperte sich. »Was ist mit den anderen Häusern?«
»Ach was.« Er deutete nach links. »Auf der Seite haben wir einen Mörder und Vergewaltiger.« Dann nach rechts. »Und da drüben einen ehemaligen Abgeordneten und Triebtäter. Kein Mensch wird einen von den beiden vermissen.«
Markys Gesicht hatte noch nie besonders gesund ausgesehen, aber das Licht, das von Ivanson House ausstrahlte, verlieh seinen Zügen einen öligen, gelbsüchtigen Schimmer. Er hielt sich nur mit Mühe aufrecht und stützte sich schwer auf die Schulter seines furchtbaren Spießgesellen. »Ich will … dass die Leiche von dem Jungen … morgen früh vergraben wird.« Eine Dosis Sauerstoff zischte durch die Maske, während er mit geschlossenen Augen dastand und sie keuchend einsog. »Ein Feuer … ein Feuer pro Nacht … reicht wohl fürs Erste.«
Man hätte nicht gedacht, dass ein leeres Haus so schnell in Flammen aufgehen würde. Vielleicht waren die hölzernen Bodendielen ja viel leichter entflammbar, als sie aussahen? Oder die dünnen Birkenholzleisten, die als Putzträger verwendet worden waren. Oder vielleicht war Razors einfach nur ein richtig guter Brandstifter?
Was immer der Grund war, die Flammen breiteten sich rasend schnell aus.
Ivanson House war wie Ivansons Leiche – auf eine Art faszinierend. Sie konnte kaum den Blick von dem wachsenden Inferno wenden. »Es spielt keine Rolle, was sie getan haben, wir sollten den Nachbarn trotzdem Bescheid sagen. An die Tür klopfen und ihnen die Chance geben …«
»Razors wird dich morgen im Auge behalten, Bigtoria. Nur um sicherzustellen, dass es keine … Komplikationen gibt. Nicht wahr, Razors?«
»Oh aye . Aber ganz genau.«
Sie blinzelte, riss sich vom Bann des Feuers los. »Ich brauch keinen Babysitter.«
»Du kriegst trotzdem einen, Mädel, ob’s dir gefällt oder nicht.«
Ging das schon wieder los.
Victoria drehte sich um und baute sich vor dem bösartigen alten Mann auf. »Du kannst mich mal …«
Eine muntere Version dieser bekannten Zirkusmelodie dudelte tief in der Tasche ihrer Warnjacke. Sie zog das Spielzeug-Walkie-Talkie hervor, während Farrows Stimme schon aus dem offenen Mund des Clowns tönte.
»Golf Foxtrot Vier an Alpha Charlie Eins, sprechbereit?«
Sie ließ Razors noch ein paar Sekunden lang die volle Wucht ihres finsteren Blicks spüren, dann drückte sie auf die Nase des Clowns. »Sprechbereit.«
»Ich bin in der Farrier’s Lane, Ma’am. Sind Sie gerade draußen? Sehen Sie das? Sieht aus, als ob es schon wieder brennt!«
»Moment mal.« Sie warf einen Blick auf Marky, der dastand und mit einem rhythmischem Zischhhhh-ffffump in seine Sauerstoffmaske atmete. »Jetzt sehe ich es.«
»Verflixt. Wir müssen den Löschtrupp alarmieren …« Eine Pause. »Ach, Mist! Ich hab vergessen, dass Ian ja Kerry Millbraes Haus bewacht – wir können ihn nicht von dort abziehen. Was ist, wenn der Feuerteufel als Nächstes dort zuschlägt?«
Das Licht flackerte in den Dachfenstern, was bedeutete, dass das Feuer sich entweder über die Treppe oder direkt durch die Decke des Erdgeschosses nach oben ausgebreitet hatte.
»Ma’am, Sie sind näher am Sanctuary House als wir – können Sie hingehen und den Alarm auslösen? Helen und Aggie halten dort die Stellung. Sagen Sie ihnen, wir haben einen Code Schwarz!«
Aber sie war ja gar nicht näher dran – sie war hier drüben auf der Westseite von Glenfarach, obwohl sie eigentlich auf der Ostseite sein sollte. Wenn die Sache mit Joseph Ivanson nicht gewesen wäre …
Marky nahm seine Sauerstoffmaske ab, nickte Victoria zu und formte mit den Lippen überdeutlich die Worte: »Ja, wird gemacht!«
Womit er sie wahrscheinlich nur loswerden wollte, aber was blieb ihr anderes übrig?
Sie drückte wieder die Clownsnase. »Verstanden.«
»Danke, Ma’am. Wir kommen, so schnell wir können. Ende.«
Marky tätschelte ihren Arm, als ob sie ein wohlerzogener Pudel wäre. »Braves Mädchen. Und lass dir ruhig Zeit. Wir wollen doch nicht, dass sie hier löschen … bevor alle Spuren vernichtet sind.« Er packte Razors’ Arm. »Komm jetzt, die Bullen sind im Anmarsch. Wir müssen los.«
»Aye , bringen wir dich heim.« Er drehte sich um und half dem alten Knacker, durch den Schnee davonzuwackeln, immer der Spur nach, die Victoria gezogen hatte, als sie hierhergerannt war.
Bei dem Tempo würde es bis nächsten Donnerstag dauern, ehe sie zu Hause ankamen.
Razors blickte sich um. »Nicht vergessen, Mädel: Gleich morgen früh entsorgen wir beide den toten jungen Kerl.« Ein Lächeln. »Aber zwing mich nicht, dich holen zu kommen.«
Als ob er ihr damit Angst einjagen könnte.
Black Joe Ivanson schüttelt sich und zerrt an seinen Fesseln, seine Schreie durch das Seil um seinen Hals erstickt, als Razors Mortimers Klinge in sein verbliebenes Auge rammt.
Razors war bloß ein kleiner alter Mann.
Das Blut sprudelt aus der zerstörten Augenhöhle und rinnt über seine Wangen, in seinen albernen buschigen Backenbart hinein, und tropft von dort auf die Matratze, die sich in eine Mohnblumenwiese verwandelt.
Man könnte ihr eine Hand auf den Rücken binden und die andere in eine Plastiktüte stecken, und sie würde immer noch mit ihn fertigwerden.
Arme und Beine zittern, die Muskeln krampfen, während der letzte gequälte Atemzug aus seinem blutigen Mund entweicht …
Der konnte ihr keine Angst machen.
Sie stieß einen flatternden Atemzug aus und sah zu, wie die zwei über die Brindle Lane davonstapften.
Zeig ein bisschen Rückgrat, Herrgott noch mal.
Victoria formte die hohlen Hände zu einem Megafon. »Und ich will hoffen, dass ihr euch nicht über Nacht davonstehlt. Ich will meine fünfundzwanzig Prozent!«
Markys Reibeisenstimme wehte ihr durch das Schneegestöber entgegen. »Was lange währt, wird endlich gut.«
Und sie verschwanden um die Ecke in die West Main Street.
Oh Mann …
Sie sackte zusammen.
Fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
Schüttelte sich.
So, jetzt schnell den Löschtrupp alarmieren.
Aber vorher hatte sie noch etwas zu erledigen.
Victoria hämmerte an die Tür des perversen Abgeordneten. »SIE DA DRINNEN ! RAUS AUS DEM BETT , ABER SCHNELL – HABEN SIE NICHT GEMERKT , DASS ES BRENNT ?« Dann das Gleiche bei dem Mörder und Vergewaltiger. »FEUER ! AUFSTEHEN ! NA LOS , RAUS AUS DEM HAUS !«
In beiden Häusern ging das Licht an.
Das musste reichen.
Sie watete durch den unberührten Schnee auf die North Street zu. Mit etwas Glück wäre sie längst weg, bevor Farrow oder dieser Idiot Harlaw eintrafen.
Denn die durften um Himmels willen nie erfahren, was hier heute Abend passiert war.