11. KAPITEL
Als sich der Zwischenfall ereignete, war Bauman noch ein junger Mann und mit einem Partner beim Fallenstellen in den Bergen, die die Gabelung des Salmon vom Oberlauf des Wisdom River trennen. Nachdem sie nicht viel Glück gehabt hatten, beschlossen er und sein Partner, zu einem besonders wilden und abgelegenen Pass aufzusteigen, durch den ein kleiner Bach lief, in dem es angeblich viele Biber gab. Der Pass war berüchtigt, weil dort ein Jahr zuvor ein einsamer Jäger dem Anschein nach von einem wilden Tier getötet worden war. Seine halb aufgefressenen Überreste wurden anschließend von einigen Goldgräbern gefunden, die erst in der Nacht zuvor sein Lager passiert hatten.
Präsident Theodore Roosevelt, Jagden in amerikanischer Wildnis
11. Tagebucheintrag
9. Oktober
Wir denken, wir haben einen Bären. Das war der Konsens des Hauseigentümer-Treffens heute Morgen. Ich ging vor dem Frühstück herum und klopfte an Türen. Dabei versuchte ich es erneut bei den Durants. Das Gleiche wie beim letzten Mal. Von innen das schwache Leuchten des Fernsehers, das Zzzzzp-Zzzzzp des Crosstrainers. Diesmal jedoch keine Stimmen, und ich bin stolz auf mich, dass ich die Türklingel ausprobiert habe. Und als niemand reagierte, ging ich sogar in ihren Garten. An den Küchenfenstern und der Hintertür waren die Vorhänge zugezogen. Ich klopfte an die Scheibe. Ich rief ihre Namen. Wieder keine Antwort. Mostar warnte mich davor, mir Hoffnungen zu machen. »Sie verlassen Elba nicht.« Aber sie erklärte nicht, warum, und riet mir, keine Zeit damit zu verschwenden, mir den Kopf zu zerbrechen.
Doch wie soll ich mir das verkneifen? Ist es ihnen peinlich, entthront zu werden? Verstecken sie sich im selbst auferlegten Exil, weil ihre Fassade zerbröckelt ist? Ich denke, das ergibt einen Sinn. Das Model und der Verkäufer. Alles nur Blendwerk. Ich zerbreche mir den Kopf.
Alle anderen waren jedoch aufgeschlossen. Wir trafen uns im Gemeinschaftshaus, um über die Ereignisse der vergangenen Nacht zu sprechen. Die Perkins-Forsters haben von ihrem Schlafzimmerfenster aus ebenfalls etwas gesehen. Sie waren sich nicht sicher, was, eine dunkle Masse am Rand des Lichtkegels ihrer Veranda-Beleuchtung. Und Bobbi glaubt, einen Blick auf etwas erhascht zu haben, das sich durch den Wald bewegte. Reinhardt hat nichts gesehen. Er hat tief und fest geschlafen. Mostar ebenfalls. Zumindest war unsere Entscheidung, sie nicht aufzuwecken, richtig gewesen.
Bei unserem Treffen schockte sie mich mit dem, was sie über einen Bären sagte. Als wir zuvor an ihre Tür geklopft hatten, um ihr Bescheid zu geben, dass wir uns zusammensetzen wollten, erzählte ich ihr, was ich gesehen hatte. Ich benutzte das Wort. Ich nahm kein Blatt vor den Mund. Ihrem Nicken und ihrem Tonfall entnahm ich, dass sie mir glaubte. Sie können sich also vorstellen, wie ich mich fühlte, als ich sie zur Gruppe sagen hörte: »Tja, es hört sich so an, als hätten wir es mit einem Bären zu tun, der hier herumschnüffelt.«
Bevor jemand antworten konnte, fügte sie hinzu, dass es sich um nichts anderes handeln könne. Bären seien die einzigen Tiere, die groß genug sind, um die Kronen der Apfelbäume zu erreichen. Hätten denn nicht alle bemerkt, dass ihre verbliebenen Äpfel (an die die Hirsche nicht herangekommen waren) verschwunden sind? Ich hatte es bemerkt und sah, dass es einigen anderen auch aufgefallen war. Viele Obstbäume sahen regelrecht »demoliert« aus. Ich weiß, dass es bestimmt einen besseren Begriff dafür gibt, aber viele von den oberen Ästen waren abgebrochen, und sämtliche Früchte waren heruntergepflückt. Eichhörnchen hätten einen solchen Schaden nicht anrichten können, und Rehe wären selbst auf den Hinterbeinen stehend nicht so weit hinaufgekommen. Das war Mostars Logik.
Sie wies auch darauf hin, dass Waschbären, falls jemand sie im Verdacht haben sollte, vielleicht klug genug wären, um die Kompostbehälter zu öffnen, aber sicherlich nicht stark genug, um diese aus ihren Fundamenten zu reißen. Damit schienen alle zufrieden zu sein. Und auch ich ertappte mich dabei, dass ich für eine Sekunde alles noch einmal überdachte. Bären sind schließlich groß und haarig. Außerdem haben sie keinen Hals. Und sind sie nicht ziemlich groß, wenn sie sich auf die Hinterbeine stellen? Das alles ergab irgendwie einen Sinn, und wenn Mostar es sagte – vielleicht flippten Dan und ich grundlos aus. Schließlich war ich die Einzige, die wirklich etwas gesehen hatte. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Dan Mostar zustimmen würde.
Doch dann ergriff er das Wort und fragte nach den Spuren. Hätten Bären denn keine Krallen? Ich bemerkte Vincents Gesichtsausdruck und wie er den Blick zu Boden senkte. Hatte er auch schon in eine ähnliche Richtung gedacht?
Reinhardt winkte ab. »Weiß einer von uns wirklich, wie Bärenspuren in freier Wildbahn aussehen? Und ist es nicht normal, dass Abdrücke von Tieren im Lauf der Zeit ihre Form ändern, wachsen und sich verwandeln, wenn die Spuren schmelzen und dann wieder gefrieren? Ich erinnere mich, dass ich in Connecticut einmal Hirsch-Spuren entdeckt habe, die eine Woche alt waren und ausgesehen haben, als wären Elefanten über meinen Rasen getrampelt.«
Das zeigte Wirkung im Raum, die Boothes und Perkins-Forsters nickten zustimmend. Ich bemerkte, dass Palomino Mostar anblickte, die, abermals zu meiner Verwunderung, Reinhardt offen zu seiner »scharfsinnigen Erklärung« beglückwünschte. Palomino sah so verwirrt aus, wie ich mich fühlte. Ich warf Dan einen »Was soll das?«-Blick zu, und er antwortete, indem er sich an die Versammelten wandte. »Ja, aber wir reden hier nicht über Schnee. Asche schmilzt nicht und gefriert nicht. Und selbst wenn Zeit oder Wind oder was auch immer diese Spuren in etwas anderes verwandeln könnte, sie sind so frisch, dass man jedes kleine …«
Und dann verstummte er plötzlich. Zunächst verstand ich nicht, warum. Ich blickte ihn an und bemerkte, dass er Mostar direkt ansah. Ihre Augen waren vielleicht einen Millimeter größer als sonst, und sie schüttelte beinahe unmerklich den Kopf. Ich glaube nicht, dass es irgendjemand anderem auffiel. Alle Blicke waren nach wie vor auf Dan gerichtet. Er seufzte nur, zuckte mit den Schultern und sagte: »Aber … ja … jetzt, wo ich es laut ausspreche … Sie haben recht, ich weiß nicht, wie Bärenspuren aussehen. Tut mir leid, ich bin einfach sehr müde.«
Reinhardt sagte herablassend: »Natürlich, natürlich«, und senkte den Kopf mit gespielter Großmut.
Mostar sagte unmittelbar im Anschluss lachend: »Wir haben also einen flauschigen Besucher«, und mit einer Handbewegung Richtung Waldrand fügte sie hinzu: »Und wir haben womöglich auch das Rätsel gelöst, wer den verwundeten Puma getötet hat.«
Daraufhin riss Vincent die Hände in einer stillen »Heureka«-Geste hoch. Ich hörte ein zustimmendes »Mm-hm« von Carmen sowie ein Grunzen von Reinhardt.
Mostar fuhr mit einem ganz leichten Lächeln fort: »Was bedeutet, dass wir etwas vorsichtiger sein müssen, meinen Sie nicht?«
Weitere zustimmende Laute, mehr unterstützende Körpersprache. Es war verrückt; Dan würde es einen »Bizarre-Welt-Moment« nennen. Mostar hatte den Raum unter Kontrolle.
Und dann fragte sie: »Hat jemand Bärenspray?«
Alle waren perplex.
Einen angespannten Moment lang sagte niemand etwas, bis Bobbi rief: »Nein!« Ich glaube, sie war von ihrer Vehemenz selbst überrascht. Aber als wir sie alle ansahen, fuhr sie fort: »Das ist doch grausam! Sie wollen doch nur fressen, und Sie möchten ihnen Tränengas verabreichen?«
Mostars Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Gelassen, diplomatisch – ich kann die Worte lediglich erahnen, die sie sich verbiss. »Ich denke nur an den Puma«, erwiderte sie ruhig, »und dass wir nicht wollen, dass so etwas noch einmal passiert.«
Bobbi argumentierte dagegen. »Wir waren überrumpelt. Und wenn wir in Zukunft einfach auf der Hut sind, wenn wir aufpassen, wohin wir gehen, und den Kompostbehältern etwas Platz geben …«
Effie erweckte den Eindruck, als wollte sie Bobbi widersprechen, aber als sie sich zu ihr drehte, um etwas zu sagen, mischte sich Carmen ein: »Oder … wenn wir die Behälter ausräumen und die essbaren Abfälle in den Wald werfen, weg von den Häusern …«
»Dann hätten sie keinen Grund mehr, so nahe heranzukommen.« Reinhardt vervollständigte die Gedankenkette mit selbstgefälligem Gesichtsausdruck. Er gratulierte sich zweifellos selbst zu dem Plan.
Bobbi wirkte glücklich und erleichtert. Sie griff nach Vincents Hand und drehte sich zu Dan um. »Niemand erwartet, dass Sie das machen, Danny, wir werden uns alle selber darum kümmern. Das ist nur recht und billig.«
Wieder war Mostar nichts anzumerken. Okay, vielleicht eine ganz leichte Anspannung in ihrer Stimme? Ich glaube, ich kenne sie inzwischen gut genug, um zu wissen, wie unterdrückte Wut bei ihr aussieht. »Ist es denn nicht …«, sagte sie langsam, wobei sie jedes Wort genau abwog, »gefährlich, Bären zu füttern?«
Schweigen im Raum. Bobbi bat Vincent mit einem Blick um Unterstützung. »Ich denke, das gilt nur in stark touristischen Gebieten«, sagte er. »Es ist eher ein langfristiges, saisonales Problem, das sich bei einer einmaligen Situation wie unserer nicht stellt.«
Bobbi fügte hinzu: »Und wenn Sie ›gefährlich für die Bären‹ meinen, trifft das meiner Meinung nach nur dann zu, wenn sie ihren Jagdinstinkt verlieren, weil sie von Menschen abhängig werden.«
Vincent brachte es auf den Punkt: »Was wiederum kein Problem ist, da unser Kompost höchstens eine Mahlzeit ergibt.«
»Aber ihnen Essen hinzuwerfen«, Mostar senkte ihre Stimme, »wird sie das nicht … ermutigen?«
»Wozu?«, fragte Carmen. »Bären sind nicht aggressiv. Es sei denn, sie haben gerade Junge und werden überrascht.« Als wollte sie ihr Argument unterstreichen, streckte sie die Hand an Effie vorbei aus, um Palominos Wange zu streicheln.
War irgendetwas davon wahr? Carmens Erklärung, warum Bären angreifen, die Rechtfertigung der Boothes, sie nur einmal zu füttern?
Mostar schien kurz davor zu platzen. Ich sah den Wandel, das hochkochende Brodeln. Keine Konsensbildung mehr, kein Friede, Freude, Eierkuchen mehr. Ich erinnere mich, dass ich dachte: Oh Scheiße, jetzt geht’s los.
Aber dann passierte etwas völlig Verrücktes.
Ihr Gesicht. Ich hatte diesen Ausdruck noch nie gesehen. Sie ließ den Kopf hängen, senkte den Blick und richtete ihn zur Seite, als würde sie im Geiste einen Anruf von jemandem entgegennehmen. Das war alles neu, völlig unentzifferbar. Als sie sich wieder an die Anwesenden wandte, klang ihre Stimme so weit entfernt, wie ich sie noch nie gehört hatte.
»Also gut, dann packen wir es an.«
Und wie sie anschließend ging: langsam, schleppend. Alles an ihr. Als hätte Gott am Dimmer gedreht.
Sie ging an uns vorbei, ohne Dans »Mostar?« zur Kenntnis zu nehmen.
Außer uns schien niemand ihre Veränderung bemerkt zu haben. Warum auch? Alle eilten zu ihrem neuen, aufregenden kleinen Projekt davon. Immer auf sich selbst achtend. Unsere Gemeinde.
Bis auf Pal. Ihr besorgter Blick wanderte von mir zu Mostar, als ihre Eltern sie wegführten.
»Mostar?« Wir folgten ihr zu ihrem Haus. Diesmal hatte ich ihr hinterhergerufen, und ich tat es noch einmal, als sie bei ihrer Haustür ankam. »Mostar, was ist denn los?« Als sie nach dem Türknopf griff, legte ich meine Hand auf ihre. Das schien sie aus ihrer Trance zu reißen. Ihre Augen fokussierten sich wieder und blickten zu mir auf, ihre Hand auf meiner Wange.
»Bitte entschuldigen Sie, Katie. Und Sie auch, Danny.« Ein kurzer Blick auf die sich zerstreuende Menge, dann bugsierte sie uns in und durch ihr Haus zum Garten. »Es tut mir leid, dass ich Sie nicht vorher vor der ›Bärentaktik‹ gewarnt habe.« Wir standen jetzt auf ihrer Hintertreppe und blickten auf die Spuren, die durch ihren Garten führten. »Ich hielt das für die beste Möglichkeit, um sie zu erreichen. Die Diskussion in etwas Vertrautes zu packen.« Sie trat auf die Asche und näherte sich dem nächsten Fußabdruck. Der Himmel war Tag und Nacht klar gewesen, und die Abdrücke waren so deutlich wie zu dem Zeitpunkt, als sie entstanden waren. Sie streckte die Hände aus, um den ersten abzumessen, und sah uns an. »Natürlich glaube ich Ihnen, aber die anderen hätten Ihnen nicht geglaubt. Es gibt zu viele mentale Hürden, wenn man das Unglaubliche glauben soll.« Sie schüttelte den Kopf. »Wenn man gewarnt wird, dass das Land, in dem man aufgewachsen ist, kurz vor dem Zusammenbruch steht, dass die Freunde und Nachbarn, die man schon sein ganzes Leben lang kennt, versuchen werden, einen zu töten …« Sie seufzte tief und hob die Hände zum Himmel. Ein Anflug von Wut. »Verleugnung. Komfortzone. Zu stark. Und wer von uns kann schon über sie urteilen?«
Ich sicherlich nicht. Ich hätte alles dafür gegeben, in meiner Komfortzone bleiben zu dürfen. Sogar jetzt, als Mostar das rätselhafte Trauma ihrer Vergangenheit ansprach. Ich hätte sie danach fragen können, genauso wie ich sie all die anderen Male hätte fragen können, als sie es angesprochen hatte. Aber ich tat es nicht. Ich stand nur da und hoffte, dass sie das Thema wechseln würde, und wünschte mir dann eine Sekunde später, dass sie es nicht getan hätte.
»Die Leute sehen die Gegenwart nur durch die Linse ihrer persönlichen Vergangenheit.« Sie verzog den Mund. »Vielleicht ist das auch mein Problem.« Sie setzte sich auf die Stufen und richtete den Blick auf die Asche. »Gewalt. Gefahr. Das ist meine Komfortzone.« Sie blickte wieder zu uns auf. »Am ersten Abend dachten Sie wahrscheinlich, ich wäre verrückt.« Sie deutete mit einem Nicken auf unser Haus und, ich vermute, auf unseren Garten. »Aber ich wusste, was ich tat. Ich weiß, wie schnell die Gesellschaft in Brand geraten kann. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Ich habe es durchlebt. Und die da …« Sie richtete den Blick wieder auf die Fußabdrücke. »Die da sind womöglich echt.« Sie hob den Kopf zum Wald. »Vielleicht sind sie da draußen.«
Sie? Im Plural?
»Aber woher soll ich wissen, ob sie gefährlich sind?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Vielleicht sind sie ja freundlich. Vielleicht ziehen sie hier nur durch. Und der Kampf mit der großen Raubkatze: Woher weiß ich, dass es keine Notwehr war oder dass Vincent nicht recht hat mit seiner Aasfresser-Theorie? Ich weiß es nicht.«
Dann verstand ich, was über sie gekommen war. Und es ließ mich frösteln.
Zweifel.
»Bärenspray«, schnaubte sie. »Das war erst der Anfang. Wer weiß, wie weit ich Sie heute alle gebracht hätte, wenn die anderen mich nicht gestoppt hätten. Und vielleicht hatten sie recht.« Ihr Blick traf meinen und den von Dan. Entschuldigend? »Habe ich irgendwelche Beweise dafür, dass sie bedrohlich sind, irgendwelche Beweise für etwas anderes als«, sie kniff die Augen fest zusammen, »die Linse meiner persönlichen Vergangenheit?«
Ich ertrug es nicht mehr. Ich ertrage es immer noch nicht. Es ist ein paar Stunden her, seit Mostar uns gesagt hat, wir sollen nach Hause gehen. Seitdem haben wir sie nicht mehr zu Gesicht bekommen. Dan hat sich an die Arbeit gemacht und schrubbt das Dach der Perkins-Forsters. Ich werde ihn dort abholen, nachdem ich etwas im Garten gearbeitet habe. Viel gibt es nicht zu tun. Die Samen sind alle gepflanzt, inzwischen auch der Reis, verteilt auf einer Fläche von dreißig mal dreißig Zentimetern, über die ich etwas Erde geworfen habe. Die Tröpfchenbewässerung funktioniert hervorragend, sodass man nichts von Hand gießen muss. Nicht, dass irgendetwas anstehen würde. Im Grunde genommen besteht meine »Gartenarbeit« darin, ein Auge auf einen Raum voller Schlamm zu werfen.
Wahrscheinlich sollte ich zuerst nach Mostar sehen. Sie tut mir leid, und ich sorge mich um den Rest von uns. Wir sind abhängig von ihr, Dan und ich und die ganze Siedlung, ob es den anderen nun bewusst ist oder nicht. Wir können nicht zulassen, dass sie an sich selbst zweifelt und irgendwann so orientierungslos ist wie der Rest von uns. Wir brauchen sie, um stark zu sein. Wir brauchen sie dringend.
Aus meinem Interview mit Frank McCray jr.
Ja, ich habe den Sasquatch Companion gelesen und stimme der offiziellen Herkunftsgeschichte größtenteils zu. Ich finde, das Buch bringt einige gute Argumente vor, was die Abstammung des Gigantopithecus und seine Migration von Asien nach Amerika betrifft. Aber Co-Migration? Da bin ich mir nicht so sicher.
Nun, ich habe nicht die Spur eines Beweises, um das zu belegen, wenn Sie mich also darauf festnageln möchten, nur zu. Aber wenn man sich anschaut, was mit Greenloop passiert ist, was wäre wenn … was wäre wenn … sie nicht nur mit uns gemeinsam migriert sind. Was wäre, wenn sie uns gejagt haben? Ist das nicht der Grund, warum wir herübergekommen sind? Weil wir den grasenden Tieren über die beringische Landbrücke gefolgt sind? Was wäre, wenn wir den Karibus nachgestellt haben, während sie uns nachgestellt haben? Es würde mit keiner ihrer Adaptionen kollidieren, sondern ihnen nur einen anderen Zweck zuordnen. Nächtliches Jagen hätte uns dort erwischt, wo wir am verwundbarsten waren. Die Fähigkeit, sich zu tarnen, hätte sie prädestiniert für Angriffe aus dem Hinterhalt. Und breite Füße hätten ihnen die nötige Geschwindigkeit verliehen, um uns zu jagen.
Und wenn sie uns erwischten … Falls die Statistiken stimmen, sprechen wir von der dreifachen Kraft eines Gorillas, der bereits sechsmal stärker ist als wir. Und der große Kopf besitzt dieselbe konische Form wie der eines Gorillas – dabei handelt es sich um einen Sagittalkamm, eine Schädelplatte, in der ihre Kiefermuskeln verankert sind. Diese Muskeln geben einem Gorilla einen der stärksten Bisse der Welt, mit knapp neunhundert Newton pro Quadratzentimeter. Verdreifachen Sie das jetzt bei einem Sasquatch, und stellen Sie sich vor, was ein Biss mit unseren Knochen anrichten würde.
Vielleicht haben sie ihre Beißkraft, ihre Körperkraft und ihre Geschwindigkeit genutzt, um mit uns um Nahrung zu konkurrieren, oder vielleicht waren wir die Nahrung. Sie müssen über dieses Thema mit Josephine Schell sprechen. Sie weiß mehr über fleischfressende Affen als ich.
Doch aus irgendeinem Grund waren wir diejenigen, nicht sie, die es kaum erwarten konnten, auf diesen riesigen neuen Kontinent zu fliehen. Und was wäre, wenn wir, die schwache kleine Spezies, genug Zeit hatten, um unsere Anzahl und unser Selbstvertrauen aufbauen und die größeren Primaten schließlich um die Vorherrschaft in Nordamerika herausfordern zu können? Was wäre, wenn sie deshalb so schwer fassbar geblieben sind, weil sie wussten, was passieren würde, wenn sie aus den Schatten treten würden? Sie sahen, was wir mit der Säbelzahnkatze, dem Canis dirus und dem Riesen-Kurzschnauzenbären machten. Sie sahen oft genug, was wir mit anderen Tieren taten, um zu erkennen, dass sie sich auf der falschen Seite der Evolution befanden.
Zumindest bis zum Ausbruch des Mount Rainier.
Josephine Schell glaubt, ich gehe zu weit. Bei ihr dreht sich alles um Ökosysteme und Kalorienbedarf, und vielleicht hat sie recht. Aber vielleicht gab es auch ein latentes Gen, das in diesen Kreaturen erwachte, als sie auf Greenloop stießen und sich einem Rudel in die Enge getriebener, isolierter Homo sapiens gegenübersahen. Vielleicht sagte ihnen ihr Instinkt, es sei an der Zeit, die Evolution gegen Devolution zu tauschen und sich darauf zu besinnen, wer sie einmal gewesen waren, um sich zurückzuholen, was ihnen gehört.