Des Kerkermeisters Tochter: „Lieber Gott, wie verschieden sind Männer!" (Altes englisches Trauerspiel „Farlamon und Arcite")
PERSONEN:
EIN REICHER KAUFMANN SOBEIDE, seine junge Frau BACHTJAR, der Juwelier, Sobeidens Vater SOBEIDENS MUTTER SCHALNASSAR, der Teppichhändler GANEM, sein Sohn GÜLISTANE, eines SchifFshaupt-
manns Witwe Im Hause
Ein armenischer Sklave Schalnassars
Ein alter Kameltreiber Ein Gärtner Seine Frau
BAHRAM, Diener des Kaufmanns Ein Schuldner des Schalnassar
In einer alten Stadt im Königreich Persien
Die Zeit ist der Abend und die Nacht nach dem Hochzeitsfest
des reichen Kaufmanns
ERSTE SZENE
Das Schlafzimmer im Hause des reichen Kaufmanns.
Rückwärts eine Alkove mit dunklen Vorhängen. Links
eine Tür, rechts eine kleine Tür in den Garten und ein
Fenster. Lichter.
Es treten auf: Der Kaufmann und sein alter Diener Bahram.
DER KAUFMANN Bahram, gabst du gut acht auf meine Frau ?
DIENER Acht, inwiefern?
KAUFMANN Sie ist nicht fröhlich, Bahram.
DIENER
Sie ist ein ernstes Mädchen. Und die Stunde liegt schwer auch auf der leichtesten, bedenk'.
KAUFMANN
Und auch die andern: je mehr Lichter ich befahl zu bringen, um so trüber hing
ein Schleier über dieser Hochzeitstafel.
Sie lächelten wie Masken, und ich fing
mitleidige und finstre Blicke auf,
die hin und wieder flogen, und ihr Vater
versank zuweilen in ein düsteres Sinnen,
aus dem er selbst sich mit gezwungnem Lachen
aufschreckte.
DIENER Herr, der allgemeine Stoff der Menschen hält nicht gut den stillen Glanz von solchen Stunden, Wir sind nicht gewohnt was andres, als nur mit den nächsten Dingen uns abzuschleppen. Kommt ein solcher Tag, so fühlen wir: still tut ein Tor sich auf, daraus uns eine fremde, kühle Luft anweht, und denken gleich ans kühle Grab. Aus einem Spiegel sehen wir unser eignes vergessenes Gesicht entgegenkommen und sind dem Weinen näher als dem Lachen.
KAUFMANN Sie nahm von keiner Speise, die du ihr vorschnittest.
DIENER
Herr, ihr mädchenhaftes Blut hielt ihr die Kehle zugeschnürt; sie nahm doch übrigens vom Obst.
KAUFMANN
Ja, einen Kern! ich hab's gesehen, vom Granatapfel.
DIENER
Auf einmal auch besann sie sich, daß Wein, wie flüssig Blut durchfunkelnd durch Kristall, vor ihr stand, und sie hob den schönen Kelch und trank ihn wie mit plötzlichem Entschluß zur Hälfte aus, und Röte flog ihr in die Wangen, und sie mußte tief aufatmen.
KAUFMANN Mir scheint, das war kein fröhlicher Entschluß, so tut, wer selber sich betrügen will, den Blick umwölken, weil der Weg ihn schaudert.
DIENER Du quälst dich, Herr. So sind die Frauen nun.
KAUFMANN (im Zimmer herumschauend, lächelt) Auch einen Spiegel hast du hergestellt.
DIENER
Herr, du befahlst mir's selbst, der Spiegel ist's aus deiner Mutter Kammer, wie das andre. Und selbst befahlst du mir, gerade den ....
KAUFMANN So? tat ich das? Dann war's ein Augenblick, in dem ich klüger war als eben nun. Ja, eine junge Frau braucht einen Spiegel.
DIENER
Nun geh' ich noch, den Becher deiner Mutter zu holen, mit dem kühlen Abendtrunk.
KAUFMANN Ja, hol' den Abendtrunk, geh', guter Bahram. (Bahram ab)
Du, Spiegel meiner Mutter, wohnt kein Schimmer von ihrem blassen Lächeln drin und steigt wie aus dem feuchten Spiegel eines Brunnens
empor? Ihr Lächeln war das matteste und lieblichste, das ich gekannt, es glich dem Flügelschlagen eines kleinen Vogels, bevor er einschläft in der hohlen Hand.
(vor dem Spiegel)
Nein, nichts als Glas. Er stand zu lange leer.
Nur ein Gesicht, das lächelt nicht: das meine.
Mein Selbst, gesehen von den eignen Augen:
so inhaltslos, als würfen nur zwei Spiegel
das unbewußte Bild einander zu.
O könnte ich darüber weg! nur einen,
den kleinsten Augenblick darüber weg,
und wissen, wie das Innre ihres Blicks
mich nimmt! Bin ich für sie ein alter Mann?
Bin ich so jung, als manchesmal mich dünkt,
wenn ich in stiller Nacht in mich hinein
auf den gewundnen Lauf des Blutes horche?
Heißt das nicht jung sein, wenn so wenig Hartes
und Starres noch in meinem Wesen liegt?
Mich dünkt, daß meine Seele, aufgenährt
mit dünner, traumhafter, blutloser Nahrung,
so jung geblieben ist. Wie hätt' ich sonst
dies schwankende Gefühl, ganz wie als Knabe,
Txnd diese seltsame Beklommenheit
des Glücks, als müßt' es jeden Augenblick
mir aus den Händen schlüpfen und zerrinnen
wie Schatten? Kann ein alter Mensch so sein?
Nein, alten Menschen ist die Welt ein hartes,
traumloses Ding; was ihre Hände halten,
das halten sie. Mich schauert diese Stunde
mit ihrem Inhalt an, kein junger König
kann trunkner dieses rätselhafte Wort
„Besitz" vernehmen, wenn's die Luft ihm zuträgt!
(dem Fenster nah)
Ihr schönen Sterne, seid ihr da, wie immer! Aus meinem sterblichen, haltlosen Leib heraus dem Lauf von euch in kreisenden, ewigen Bahnen zuzusehen, das war die Kost, die meine Jahre leicht erhielt, daß ich den Boden kaum mit meinen Füßen zu treten glaubte. Bin ich wirklich welk geworden, während meine Augen immer an diesen goldnen hingen, die nicht welken? Und hab' ich aller stillen Pflanzen Art, ihr Leben zu begreifen, ihre Glieder gelernt, und wie sie anders auf den Bergen
und anders wieder nah am Wasser werden, sich selber fast entfremder, doch im tiefsten sich selber treu; und konnte sicher sagen : der geht es wohl, von reiner Luft genährt, leicht spielt sie mit der Last der edlen Blätter, der hat ein schlechter Grund und dumpfes Leben den Halm verdickt, die Blätter aufgeschwemmt ... und mehr .... und von mir selber weiß ich nichts, und dicke Schalen legen sich ums Auge und hemmen dieses Urteil ....
(Er geht hastig vpteder vor den Spiegel)
Leeres Werkzeug!
Auch überrumpelt läßt du nicht die Wahrheit wie Menschen oder Bücher doch zuweilen in einem Blitz erkennen.
DIENER
(zurückkommend) Herr!
KAUFMANN
Was ist? DIENER Die Gäste brechen auf. Dein Schwiegervater, auch andre haben schon nach dir gefragt.
KAUFMANN Und meine Frau?
DIENER
Nimmt Abschied von den Eltern.
KAUFMANN
(steht einen Augenblick mit starrem Blick, dann geht er mit starken Schritten durch die Tür links.)
DIENER
(filgt ihm)
Die Bühne bleibt eine kurze Zeit leer. Dann tritt der Kaufmann wieder ein, einen Leuchter tragend, den er auf den Tisch neben den Becher mit dem Abendtrunk stellt. Hinter ihttt tritt Sobeide ein, von ihrem Vater und ihrer Mutter geführt. Aäe bleiben in der Mitte des Zimmers, etwas links, stehen, der Kaufmann etwas abseits.
SOBEIDE
(löst sich sanft von den Eltern. Der Schleier hängt ihr
rückwärts herab. Sie trägt eine Perlenschnur im Haar
und eine größere um den Hals.
DER VATER
Ich hab' von vielem Abschied nehmen müssen. Dies ist das Schwerste. Meine gute Tochter, das ist der Tag, den ich zu fürchten anfing,
als ich dich in der Wiege lächeln sah. und der der Alp in meinen Träumen war. (zum Kaufmann)
Vergib mir das. Sie ist mehr als mein Kind. Ich geh' dir, was ich nicht benennen kann, denn jeder Name faßt nur einen Teil — sie aber war mir alles!
SOBEIDE
Lieber Vater! Die Mutter bleibt bei dir.
DIE MUTTER
(sanft)
O laß ihn doch: er hat ganz recht, daß er mich übersieht; ich bin ein Teil von seinem Selbst geworden: was mich trifft, trifft ihn auch zugleich; doch was
ich tu, berührt ihn anders nicht, als wenn die Rechte und Linke sich des gleichen Leibs begegnen. Die Seele bleibt indes ein ewig saugend Kind und drängt sich nach den lebensvollem Brüsten. Leb' wohl. Sei keine schlechtre Frau als ich,
und keine minder glückliche. Dies Wort schließt alles ein.
SOBEIDE
Einschließen ist das Wort; In euer Schicksal war ich eingeschlossen: nun tut das Leben dieses Mannes hier die Pforten auf, und diesen Augenblick, den einz'gen, atme ich in freier Luft: nicht eure mehr, und noch die Seine nicht. Ich bitt' euch, geht, ich fühl', dies Ungewohnte, so ungewohnt wie Wein, hat größre Kraft und macht mich mein und sein und euer Dasein mit andren Blicken ansehn, als -mir ziemt.
(mühsam lächelnd)
Ich bitt' euch, seht mich nicht verwundert an:
mir gehn oft solche Dinge durch den Kopf,
nicht Traum, nicht Wirklichkeit. Ihr wißt, als Kind
war ich noch ärger. Und ist nicht der Tanz,
den ich erfunden hab', auch solch ein Ding:
wo ich aus Fackelschein und tiefer Nacht
mir einen flüssigen Palast erschuf,
drin aufzutauchen, wie die Königinnen
des Feuers und des Meers im Märchen tun.
Die Mutter hat indes dem Vater einen Blick zugeworfen
und ist lautlos zur Tür gegangen. Lautlos ist ihr der
Vater gefolgt. Nun stehen sie, Hand in Hand, in der
Tür und verschvoinden im nächsten Augenblick.
SOBEIDE Geht ihr so leise! Wie? Und seid schon fort! (sie wendet sich, steht schweigend, den Blick zu Boden)
DER KAUFMANN
(umfängt sie mit einem langen Blick, geht dann nach
rückwärts, bleibt wieder unschlüssig stehen)
Willst du den Schleier nicht ablegen?
SOBEIDE (schrickt auf, sieht sich zerstreut um)
KAUFMANN
(deutet nach dem Spiegel) Dort.
SOBEIDE (bleibt stehen, löst mit mechanischen Bewegungen den
Schleier aus dem Haar)
KAUFMANN Es wird dir hier — in deinem Haus — vielleicht
im ersten Augenblick an manchem fehlen.
Dies Haus ist seit dem Tode meiner Mutter
entwöhnt, dem Leben einer Frau zu dienen.
Auch trägt, was etwa an Geräten da ist,
kaum solchen Prunk an sich, womit ich gern
dich eingerahmt erblickte, doch mir schien
das nicht sehr schön, was jeder haben kann:
ich ließ aus der gepreßten Luft der stillen,
verschlossnen Schränke, die mir selbst den Atem
ergriff, wie Sandelholz im Heiligtum,
dies alles nehmen und zu deinem Dienst
in deine Kammer stellen, dort hinein,
woran vom Leben meiner Mutter etwas —
verzeih — für mich noch hängt. Mir war, ich könnte
dir damit etwas zeigen. . . . Manchen Dingen
sind stumme Zeichen eingedrückt, womit
die Luft in stillen Stunden sich belädt
und etwas ins Bewußtsein gleiten läßt,
was nicht zu sagen war, auch nicht gesagt sein sollte.
Pause
Es tut mir weh, dich so zu sehn, betäubt von diesen überladnen Stunden, die kaum aufrecht gehen unter ihrer Last.
Es ist zu sagen, alles Gute kommt
auf eine unscheinbare, stille Art
in uns hinein, nicht so mit Prunk und Lärm.
Lang' meint man, plötzlich vverd' es fern am Rand
des Himmels wie ein neues Land auftauchen:
das Leben, wie ein nie betretnes Land.
Doch bleibt die Ferne leer, allein die Augen
begreifen langsam da und dort die Spur,
und daß es rings ergossen ist, uns einschließt,
uns trägt, und in uns ist, und nirgends nicht ist.
Ich rede Sachen, die dir wenig Freude
zu hören macht. Sie klingen wie Entsagung.
Bei Gott! mir klingen sie nicht so. Mein Kind,
nicht wie ein Bettler fühl' ich mich vor dir,
(mit einem großen Blick auf sie)
wie schön dir auch der große Glanz der Jugend vom Scheitel niederfließt bis an die Sohlen .... du weißt nicht viel von meinem Leben, hast gerade nur ein Stück von seiner Schale durch eine Hecke schimmern sehn im Schatten. Ich woUt', du sähest in den Kern davon: so völlig als den Boden untern Füßen, Hab' ich Gemeines von mir abgetan.
Scheint dir das leicht, weil ich schon alt genug bin?
Freilich, mir sind auch Freunde schon gestorben, —
dir höchstens die Großeltern, — viele Freunde,
und die noch leben, wo sind die zerstreut?
An ihnen hing der längst verlernte Schauer
der jungen Nächte, jener Abendstunden,
in denen eine unbestimmte Angst
mit einem ungeheuren, dumpfen Glück
sich mengte, und der Duft von jungem Haar
mit dunklem Wind, der von den Sternen kam.
Der Glanz, der auf den bunten Städten lag, der blaue Duft der Ferne, das ist weg, ich fand' es nicht, wenn ich auck suchen ginge. Allein im Innern, wenn ich rufe, kommt's, ergreift die Seele, und mir ist, es könnte auch deine —
(er wechselt den Ton) Weißt du den Tag, an dem du tanzen mußtest vor deines Vaters Gästen, wie? Ein Lächeln blieb immerfort auf deinen Lippen, schöner als jedes Perlenband und trauriger als meiner Mutter Lächeln, das du nie gesehen hast. Der Tanz hat alle Schuld:
dies Lächeln und der Tanz, die Beiden waren verflochten wie die wundervollen Finger traumhafter Möglichkeiten. Möchtest du, sie wären nie gewesen, da sie's sind, die schuld sind, meine Frau, daß du hier stehst?
SOB^IDE
(in einem Ton, in welchem man hört, wie die Stimme die Zähne berührt)
Befiehlst du, daß ich tanzen solle, oder befiehlst du etwas andres?
KAUFMANN Meine Frau, wie sonderbar und wild sprichst du mit mir?
SOBEIDE Wild? Hart, kann sein: mein Schicksal ist nicht
weich. Du redest wie ein guter Mensch, so sei so gut und rede heute nicht mit mir! Ich bin dein Ding, so nimm mich für dein Ding, und laß mich wie ein Ding auch meinen Mund vergraben tragen und nach innen reden!
(Sie weint lautlos, mit zmammengeprejlten Lippen, das Gesicht gegen das Dunkel gewandt)
KAUFMANN So stille Tränen und so viele! Dies ist nicht der Schauer, drin der Krampf der Jugend sich löst. Hier ist ein Tieferes zu stillen als angeborne Starrheit scheuer Seelen.
SOBEIDE
Herr, wenn du in der Nacht erwachst und mich
so weinen hörst aus meinem Schlaf heraus,
dann weck' mich auf. Dann tu' ich, was dein Recht
ist, mir zu wehren, denn dann träume ich
in deinem Bett von einem andren Mann
und sehne mich nach ihm, das ziemt mir nicht,
mich schaudert vor mir selber, es zu denken:
versprich mir, daß du mich dann wecken wirst!
(Pause. Der Kaufmann schweigt; tiefe Erregung färbt sein Gesicht dunkel)
Du fragst nicht, wer es ist? Ist dir's so gleich? Nein? Dein Gesicht ist dunkel, und dein Atem geht schwer? So will ich selber dir es sagen: du hast ihn hie und da bei uns gesehn,
sein Name ist Ganem — des Schalnassar Sohn,
des Teppichhändlers — und ich kannte ihn
drei Jahre lang. Doch nun seit einem Jahr
hab' ich ihn nicht gesehn.
Dies sag' ich dir, dies letzte geh' ich preis,
weil ich's nicht leide, daß ein Bodensatz
von Heimlichkeit und Lüge in mir bleibt:
ob du's erführst, ist gleich: ich bin kein Becher,
für rein gekauft und gift'ger Grünspan drin,
der seinen Boden frißt — und dann, damit
Du mir ersparst, in meinem Haus als Gast
ihn etwa oft zu sehn, denn das ertrüg' ich schwer.
KAUFMANN (drohend, aber schneü von Zorn und Schmerz erstickt) Du! Du hast ... du hast ....
(er schlägt die Hände vors Gesicht)
SOBEIDE So weinst du auch an deinem Hochzeitstag? Hab' ich dir einen Traum verdorben? Sieh, du sagst, ich bin so jung, und das, und das —
(zeigt auf Haar und Wangen)
ist wirklich jung, doch innen bin ich müd',
so müd' es gibt kein Wort, das sagen kann,
wie müd' und wie gealtert vor der Zeit.
Wir sind gleich alt, vielleicht bist du noch jünger
du hast mir im Gespräch einmal gesagt:
Seitdem Ich lebe, diese ganze Zeit
war' dir beinahe nur in deinen Gärten
dahingegangen und im stillen Turm,
den du gebaut, den Sternen nachzuschauen.
An diesem Tage hielt ich es in mir
zum erstenmal für denkbar, deinen Wunsch
und meines Vaters, das war's noch viel mehr,
ja .... zu erfüllen. Denn mir schien, die Luft
im Haus bei dir müßt' etwas Leichtes haben,
so leicht! so ohne Last! und die bei mir
war so beladen mit Erinnerung,
der luftige Leib schlafloser Nächte schwamm
darin umher, an allen Wänden hing
die Last der immer wieder durchgedachten,
verblaßten, jetzt schon toten Möglichkeiten;
die Blicke meiner Eltern lagen immer
auf mir, ihr ganzes Leben .... viel zu gut
verstand ich jedes Zucken ihrer Augen,
und über allem diesem war der Druck
von deinem Willen, der sich über mich
wie eine Decke schweren Schlafes legte. Es war gemein, daß ich mich endlich gab : ich such' kein andres Wort, doch das Gemeine ist stark, das ganze Leben voll davon : wie könnt' ich's unter meine Füße bringen, da ich darinnen war bis an den Hals?
KAUFMANN So wie ein böser Alpdruck lag mein Wunsch auf deiner Brust! so hassest du mich doch . . . .
SOBEIDE
Ich haß' dich nicht, ich hab' zu hassen nicht gelernt, vom Lieben nur den Anfang erst, der brach dann ab, doch kann ich andre Dinge schon besser, als: mit Lächeln, wie du weißt, zu tanzen, wenn mir schwerer als ein Stein das Herz drin hing, und jedem schweren Tag entgegen, jedem Übel ins Gesicht zu lachein: alle Kraft von meiner Jugend ging auf in diesem Lächeln, doch ich trieb's bis an das Ende, und nun steh' ich da.
KAUFMANN Dies alles hängt nur schattenhaft zusammen.
SOBEIDE Wie dies zusamm' hängt, daß ich lächeln mußte und endlich deine Frau geworden bin ? Willst du das wissen? muß ich dir das sagen? So weißt du, weil du reich bist, gar so wenig vom Leben, hast nur Augen für die Sterne und deine Blumen in erwärmten Häusern? Merk', so hängt dieszusamm': arm war mein Vater, nicht immer arm, viel schlimmer: arm geworden, und vieler Leute Schuldner, doch am meisten der deine; und von meinem Lächeln lebte die kummervolle Seele meines Vaters, wie andrer Leute Herz von andren Lügen. Die letzten Jahre, seit du uns besuchst, da könnt' ich's schon, vorher war meine Schulzeit.
KAUFMANN Meine Frau geworden! Sie hätt' sich ebenso mit einer Scheere die Adern aufgetan und in ein Bad mit ihrem Blut ihr Leben rinnen lassen, war' das der Preis gewesen, ihren Vater von seinem großen Gläubiger zu lösen! .... So wird ein Wunsch erfüllt!
SOBEIDE
Nimm's nicht so hart. Das Leben ist nun so.
Ich selber nehm's schon wie im halben Traum.
Wie Einer, wenn er krank ist, nicht mehr recht
vergleichen kann und nicht mehr sich entsinnen,
wie er am letzten Tag dies angesehen,
und was er dann gefürchtet und gehofft:
er hat den Blick von gestern schon nicht mehr . .
so, wenn wir in die große Krankheit: Leben
recht tief hineingekommen sind. Ich weiß
kaum selber mehr, wie stark ich manche Dinge
gefürchtet, andere wie seiir ersehnt,
und manches, was mir einfällt, ist mir so,
als war's das Schicksal einer andern Frau,
grad' etwas, das ich weiß, doch nicht das meine.
Schau, meine Art ist bitter, doch nicht schlimm:
war ich im ersten Augenblick zu wild,
so wird auch kein Betrug dabei sein, wenn ich
sanft sitzen werd' und deinen Gärtnern zusehn.
Mein Kopf ist abgemüdet. Mir wird schwindlig,
wenn ich zwei Dinge in mir halten soll
die miteinander streiten. Viel zu lang
hab' ich das tuen müssen. Ich will Ruh'!
Die gibst du mir, dafür bin ich dir dankbar.
Denk' nicht, das wäre wenig: furchtbar schwach ist alles, was auf zweifelhaften Grund aufwächst. Doch hier ist nichts als Sicherheit.
KAUFMANN Und dieser Mensch?
SOBEIDE
Auch das nimm nicht zu schwer. Schwer war's zu nehmen, hätt' ich dir's verschwiegen; nun hab' ich's hergegeben. Laß es nun!
KAUFMANN Du bist nicht los von ihm!
SOBEIDE-
Meinst du? Was heißt
denn „los"? Die Dinge haben keinen Halt,
als nur in unserm Willen, sie zu halten.
Das ist vorbei.
(Handbewegung)
KAUFMANN (nach einer Pause) Du warst ihm was er dir?
SOBEIDE
(nickt)
KAUFMANN
Wie aber, wie nur denn ist dies gekommen, daß dich zur Frau nicht er —
SOBEIDE
Wir waren arm! Nein, mehr als arm, du weißt's. Sein Vater auch. Auch arm. Dazu ein harter, düstrer Mensch, wie meiner allzu weich, und auf ihm lastend, so wie der meinige auf mir. Das Ganze viel leichter zu erleben, als mit Worten zu sagen. Alles ging durch Jahre hin. Wir waren Kinder, als es anging, müde am End' wie Füllen, die man allzu früh am Acker braucht vor schweren Erntewagen.
KAUFMANN Es ist zu sagen: das kann nicht so sein, das mit dem Vater. Diesen Schalnassar, den Teppichhändler, kenn' ich. Nun, es ist ein alter Mensch; von ihm mag Gutes reden, wer will, ich nicht. Ein schlechter alter Mensch!
SOBEIDE
Kann sein, gleichviel! Ihm ist's der Vater eben. Ich hab' ihn nie gesehn. Er sieht ihn so.
Er nennt ihn krank, wird traurig, wenn er redet von ihm. Deswegen hab' ich ihn auch nie gesehn, das heißt, seit meiner Kinderzeir, und da nur hie und da am Fenster lehnen.
KAUFMANN Doch gar nicht arm, nichts weniger als arm!
SOBEIDE
(ihrer Sache völlig sicher, traurig lächelnd) Meinst du, dann stund' ich hier?
KAUFMANN
Und er? SOBEIDE Wie, er?
KAUFMANN Er ließ dich deutlich sehn, daß ihm unmöglich schien, was er und du durch Jahre wünschtet und lang möglich hieltet?
SOBEIDE Da es unmöglich war! .,. und dann, zudem „durch Jahre wünschtet" — alle diese Dinge sind anders, und die Worte, die wir brauchen, sind wieder anders. Hier ist dies gereift,
und hier vermodert. Augenblicke gibt's,
die Wangen haben, brennend wie die Sonnen —
und irgendwo schwebt ein uneingestanden
Geständnis, irgendwo zergeht in Luft
der Widerhall von einem Ruf, der nie
gerufen wurde; irgend etwas flüstert:
„Ich gab mich ihm", merk': in Gedanken! „gab" —
der nächste Augenblick schluckt alles ein,
so wie die Nacht den Blitz ... Wie alles anfing
und endete? Nun so: ich tat die Lippen
nicht auf und bald auch meine Augenlider nicht,
und er —
KAUFMANN Wie war denn er?
SOBEIDE
Mich dünkt, sehr vornehm. Wie Einer, der im Andern selbst sein Bild zerstören will, dem Andern Schmerz zu sparen — ganz ungleich, nicht so gütig mehr wie sonst — die größte Güte lag drin, so zu sein — zerrissen, voll von einem Spott, der ihm im Innern weher tat vielleicht als mir, wie ein Schauspieler manchesmal, so seltsam
voll Absicht. Andre Male wieder so
von meiner Zukunft redend, von der Zeit,
da ich mit einem Anderen —
KAUFMANN (heftig)
Mit mir?
SOBEIDE
(kalt) Mit irgend einem Anderen vermahlt, so redend, wie er wußte, daß ich nie ertragen würde, daß es sich gestalte. So wenig, als er selbst es eine Stunde ertrüge, denn er gab sich nur den Schein, mein Wesen kennend, wissend, daß ich so mit mindren Schmerzen mich losmachen würde, sobald ich irr' an ihm geworden wäre.
Es war zu künstlich, aber welche Güte lag drin.
KAUFMANN Sehr große Güte, wenn es wirklich nichts war, als nur ein angenommner Schein.
Z6
SOBEIDE
(heftig) Mein Mann, ich bitt' dich, dieses Eine bitt' ich von dir: verstöre unser Leben nicht: es ist noch blind und klein wie junge Vögel: mit einer solchen Rede kannst du's töten! Nicht eine schlechte Frau werd' ich dir sein: ich meine, langsam finde ich vielleicht in andern Dingen etwas von dem Glück, nach dem ich meine Hände streckte, meinend, es war' ein Land ganz voll damit, die Luft, der Boden! und man könnte dort hinein: jetzt weiß ich schon, ich sollte nicht hinein .. . Ich werde dann beinahe glücklich sein, und alle Sehnsucht ohne Schmerz verteilt an Gegenwart und an Vergangenheit wie helle Sonne in den lichten Bäumen, und wie ein leichter Himmel hinterm Garten die Zukunft: leer, doch alles voller Licht . . . Nur werden muß man's lassen: jetzt ist noch alles voll Verworrenheit, du mußt mir helfen, das darf nicht geschehn, daß du mit einem falschen Wort dies Leben zu stark an mein vergangnes knüpfst: sie müssen
geschieden sein durch eine gläserne, lufdose Mauer wie in einem Traum.
(am Fenster)
Der Abend darf nicht kommen, der mich hier
an diesem Fenster fände ohne dich:
— schon nicht zu Haus zu sein, nicht aus dem Fenster
von meiner Mädchenkammer in die Nacht
hinauszuschaun, hat eine sonderbare,
gefährliche, verwirrende Gewalt:
als lag' ich auf der Straße, niemands eigen,
so meine Herrin, wie noch nie im Traum!
Ein Mädchenleben ist viel mehr beherrscht
von einem Druck der Luft, als du begreifst,
dem Freisein das Natürliche erscheint.
Der Abend darf nie kommen, wo ich hier
so stünde, aller Druck der schweren Schatten,
der Eltern Augen, alles hinter mir,
im dunklen Vorhang hinter mir verwühlt.
und diese Landschaft mit den goldnen Sternen,
dem schwachen Wind, den Büschen so vor mir!
(immer erregter)
Der Abend darf nie kommen, wo ich dies mit solchen Augen sähe, die mir sagten:
Hier liegt ein Weg, er schimmert weiß im Mond: bevor der schwache Wind die nächste Wolke dem Mond entgegentreibt, kann den ein Mensch zu Ende laufen, zwischen Hecken hin, dann aber einen Kreuzweg, einen Rain, im Schatten dann vom hohen Mais, ztiletzt in einem Garten! und dann hätt' er schon die Hand an einem Vorhang, hinter dem ist alles: Küssen, Lachen, alles Glück der Welt so durcheinander hingewirrt wie Knäuel goldner Wolle, solches Glück, davon ein Tropfen auf verbrannten Lippen genügt, so leicht zu sein wie eine Flamme, und gar nichts Schweres mehr zu sehen, nichts mehr zu begreifen von der Häßlichkeit!
(fast schreiend)
Der Abend darf nie kommen, der mit tausend gelösten Zungen schreit: Warum denn nicht? warum bist du ihn nicht in einer Nacht gelaufen? Deine Füße waren jung, dein Atem stark genug, was hast du ihn gespart, damit dir reichlich überbleibt, in deine Kissen nachts hineinzuweinen?
(sie kehrt dem Fenster den Rücken, klammert sich an
den Tisch, sinkt in sich zusammen und bleibt auf den
Knien liegen, das Gesicht an den Tisch gedrückt, den
Leib vom Weinen durch schütter t)
Lange Pause
KAUFMANN Und wenn Ich dir die erste Tür auftäte, die einzige verscWossne auf dem Weg? (er tut's; durch die geöffnete kleine Tür in den Garten rechts fällt Mond herein)
SOBEIDE
(auf den Knien, beim Tisch) Bist du so grausam, in der ersten Stunde ein abgeschmacktes Spiel aus meinem Weinen zu machen, bist du so, mich recht zu höhnen? so stolz darauf, daß du mich sicher hältst?
KAUFMANN
(mit aller Beherrschung) Ich hätte sehr gewünscht, du hättest anders gelernt von mir zu denken, doch dazu ist jetzt nicht Zeit. Dein Vater, wenn's das ist, was dich so drückt,
dein Vater ist mir nichts mehr schuldig, vielmehr ist zwischen mir und ihm seit kurzer Zeit dergleichen abgemacht, wovon ihm Vorteil und damit hoffentlich ein später Schimmer von Freudigkeit erwächst.
(sie hat sich auf den Knien, zuhörend, ihm näher geschoben)
Du könntest also — du kannst, ich meine, wenn es dieses war, was dich am meisten lähmte, wenn du hier in einem — fremden Haus, den Mut des Lebens, der dir verloren war, neu eingeatmet, dich wie aus einem schweren Traum zur Hälfte aufrichtest, und es diese Tür hier ist, von der du fühlst, sie führt zum wachen Leben: So geb' ich dir vor Gott und diesen Sternen den Urlaub, hinzugehn, wohin du willst.
SOBEIDE
(immer auf den Knien)
Wie? KAUFMANN Ich seh' in dir so wenig meine Frau, als sonst in einem Mädchen, das, vor Sturm,
vor Räubern von der Straße, sich zu schützen für kurz hier in mein Haus getreten wäre, und spreche mir mein Recht ab über dich, so wie mir keines zusteht über eine, die solcher Zufall in mein Haus verschlüge.
SOBEIDE
Was sagst du da?
KAUFMANN Ich sage, du bist frei, durch diese Tür zu gehn, wohin du willst: frei wie der Wind, die Biene und das Wasser.
SOBEIDE -
(halb aufgerichtet) Zu gehn?
KAUFMANN Zu gehn.
SOBEIDE
Wohin ich will?
KAUFMANN
Wohin du willst, zu welcher Zeit du willst.
SOBEIDE (noch immer betäubt. Jetzt an der Tür)
Jetzt?! hier?!
KAUFMANN Jetzt, so wie später. Hier, wie anderswo.
SOBEIDE
(zweifelnd) Doch zu den Eltern nur?
KAUFMANN (in stärkerem Tone)
Wohin du willst.
SOBEIDE (zwischen Lachen und Weinen) Das tust du mir? Das hab' ich nie im Traum gewagt zu denken, nie im tollsten Traum war' ich auf meinen Knien mit dieser Bitte
(sie fällt vor ihm auf die Knie)
zu dir gekrochen, um dein Lachen nicht
zu sehn bei solchem Wahnsinn .... und du tust's,
du tust es! Du! Du guter, guter Mensch!
(er hebt sie sanft auf, sie steht verwirrt) 43
KAUFMANN (sich abwendend) Wann willst du gehen?
SOBEIDE Jetzt im Augenblick!
O, sei nicht zornig, denk' nicht schlecht von mir! Sag' selber: kann ich denn die Nacht bei dir, bei einem Fremden bleiben? muß ich nicht sogleich zu ihm, gehör' ich ihm denn nicht? Wie darf sein Gut in einem fremden Haus die Nacht verweilen, als wär's herrenlos?
KAUFMANN (bitter) Gehörst ihm schon?
SOBEIDE
Herr, eine rechte Frau ist niemals ohne Herrn: von ihrem Vater nimmt sie der Gatte, dem gehört sie dann, sei er lebendig oder in der Erde; der nächste und der letzte ist der Tod.
KAUFMANN So willst du nicht, zum.indest bis zum Tag, zurück zu deinen Eltern?
SOBEIDE
Nein, mein Lieber. Das ist vorbei. Mein Weg ist nun einmal nicht der gemeine: diese Stunde trennt mich völlig ab von mädchenhaften Dingen. So laß mich ihn in dieser einen Nacht auch bis ans Ende gehn, daß alles später mir wie ein Traum erscheint, und ich mich nie zu schämen brauch'.
KAUFMANN
So geh'!
SOBEIDE
Ich tu dir weh?
KAUFMANN (xvendet sich ab)
SOBEIDE
Erlaub', daß ich aus diesem Becher trinke.
KAUFMANN Er ist von meiner Mutter, nimm ihn dir.
SOBEIDE
Ich kann nicht, Herr. Doch trinken laß mich draus.
(sie trinkt)
KAUFMANN
Trink' dies und sei dir nie im Leben not, aus einem Becher deinen Durst zu löschen, der minder rein als der.
SOBEIDE
Leb wohl.
KAUFMANN
Leb' wohl. (sie ist schon auf der Schwelle) Hast du nicht Furcht? Du bist noch nie allein gegangen. Wir sind außerhalb der Stadt.
SOBEIDE .
Mein Lieber, mir ist über alle Furcht und leichter, als noch je am hellen Tage. (sie geht)
KAUFMANN
(nachdem er ihr lange nachgesehen, mit einer schmerzlichen BL'wegung)
Als zog' jetzt etwas seine stillen Wurzeln
aus meiner Brust, ihr hinterdrein zu fliegen,
und in die leeren Höhlen trete Luft!
(vom Fenster wegtretend)
Scheint sie mir nicht im Grund jetzt minder schön,
so hastig, gar so gierig, hinzulaufen,
wo sie kaum weiß, ob einer auf sie wartet!
Nein: ihre Jugend muß ich nur recht fassen,
ganz eins mit allem Schönen ist auch dies
und diese Hast steht diesem Wesen so,
wie schönen Blumen ihre stummen Mienen.
(Pause)
Ich glaube, was ich tat, ist einer Art
mit dem, wie ich den Lauf der Welt erkenne!
Ich will nicht andere Gedanken haben,
wenn ich die hohen Sterne kreisen seh',
und andere, wenn ein junges Weib vor mir steht.
Was dort die Wahrheit, muß es hier auch sein.
Auch ist zu sagen, wenn es diese Frau
wenn dieses Kind es nicht ertragen kann,
zwei Dinge gleichzeitig in sich zu halten,
von denen eins das andre Lügen straft,
soll ich es können, mit der Tat verleugnen,
was ich mit der Vernunft und dumpfer Ahnung
dem Ungeheuren abgelernt, das draußen
sich auftürmt von der Erde zu den Sternen?
Ich nenn' es Leben, jenes Ungeheure,
und Leben ist auch dies, wer dürft' es trennen? Was ist denn Reifsein, wenn nicht: ein Gesetz für sich und für die Sterne anerkennen! Jetzt gab mir also mein Geschick den Wink, so einsam fortzuleben, wie bis nun, und — kommt einmal das Letzte, ohne Erben und keine Hand in meiner Hand, zu sterben.
Verwandlung.
ZWEITE SZENE
Ein getäfelte^- Raum im Haus des Schalnassar. Links rückwärts kowvit die Treppe herauf, rechts rückwärts steigt sie empor, eng und steil. In Stockhöhe läuft eine Galerie aus durchbrochenem Holzwerk mit Öffnungen, inneren Baikonen, um die ganze Bühne. Offene Ampeln. Links und rechts vorne Türen mit Vorhängen. An der linken Wand eine niedrige Bank zum Sitzen, weiter rückwärts ein Tisch mit Sitzen.
Auf der Sitzbank neben der Tür links sitzt der alte
Schalnassar, in seinen Mantel gewickelt. Vor ihm steht
ein junger Mensch, der verarmte Kaufinann.
SCHALNASSAR
War' ich so reich, als ihr mich haltet — wahrlich, ich bins nicht, weit davon entfernt, mein Lieber — Ich könnt' euch dennoch diesen Aufschub nicht gewähren, wirklich, Freund, um euretwillen: allzunachsicht'ge Gläubiger sind bei Gott, des Schuldners Untergang,
DER SCHULDNER
Schalnassar, hört mich!
SCHALNASSAR Nichts mehr! Ich kann nichts hören! Meine Taubheit wächst immerfort mit euren Reden. Geht! Geht nur nach Haus: bedenkt, euch einzuschränken: Ich kenn' eu'r Haus, ihr habt viel Ungeziefer, Dienstboten mein' ich. Drückt den Aufwand nieder, den eure Frau euch macht: er schickt sich nicht für eure Lage. Was? ich bin nicht da, euch zu beraten! Geht nach Hause, sag' ich.
DER SCHULDNER
Ich wollte schon, mein Herz läßt mich nicht gehn, dies Herz, das so aufschwillt! Nach Haus! Mir ist die Tür von meinem Haus schon so verhaßt! Ich kann nicht durch, daß nicht ein Gläubiger den Weg mir sperrte.
SCHALNASSAR
Welch ein Narr war't ihr! Geht heim zu eurer schönen Frau, so geht! Geht hin! Setzt Kinder in die Welt! Verhungert!
(Klatscht in die Hände. Der arifienische Sklave kommt
die Stiege herauf. Schalnassar flüstert mit ihm, ohne
den Andern zu beachten.)
so
DER SCHULDNER
Nicht fünfzig Goldstück' hab' ich in der Welt?
Dienstboten, sagtet ihr? Ein altes Weib,
die Wasser trägt, sonst nichts! Und die, wie lang noch?
Kein armer Teufel, den Almosen füttert,
ist elend dran wie ich: ich hab' gekannt
die Süßigkeit des Reichtums: jede Nacht
hab' ich geschlafen, und Zufriedenheit
war rings um meinen Kopf, und süß der Morgen.
Doch still! sie liebt mich noch, und mein Zusammenbruch
ist ganz vergoldet! O, sie ist mein Weib!
SCHALNASSAR
Ich bitt' euch, geht, ich muß die Lampen brennen, solang' ihr hier herumsteht! Geh' mit ihm. Da sind die Schlüssel.
DER SCHULDNER
(seine Angst überwindend)
Guter Schalnassar!
ich wollt' euch nicht um einen Aufschub bitten!
SCHALNASSAR Wie? meine Taubheit spiegelt mir was vor?
DER SCHULDNER
Nein, wirklich!
SCHALNASSAR
Sondern ?
DER SCHULDNER
Um ein neues Darlehn!
SCHALNASSAR
(wütend) Was wollt ihr?
DER SCHULDNER
Nein, ich will ja nicht, ich muß! Du hast sie nie gesehn, du mußt sie sehn! Mein schweres Herz hört auf, so dumpf zu pochen und hüpft vor Freude, wenn mein Aug' sie sieht.
(immer erregter)
Dies alles muß sich wenden! ihre Glieder sind für den Dienst der Zärtlichkeit geschaffen, nicht für die wilden Klauen der Verzweiflung! Sie kann nicht betteln gehn mit solchem Haar! Ihr Mund ist ganz so stolz als süß: das Schicksal
will mich nur überlisten — doch ich lache — wenn du sie sähest, alter Mann —
SCHALNASSAR
Das will ich! Sagt ihr: der alte Mann, von dessen Gold ihr junger Mann so abhängt —■ merkt euch, sagt: der gute alte Mann, der schwache Greis — verlangte, sie zu sehn. Sagt: alte Männer sind kindisch: warum sollt' es der nicht sein? Doch ein Besuch ist wenig. Sagt ihr noch: es ist beinah' ein Grab, das sie besucht, ein Grab, das grad' noch atmet. Wollt ihr das?
DER SCHULDNER
Ich hörte sagen, das ihr euer Gold
anbetet wie was Heiliges, und zunächst dann
den Anblick von gequälten Menschen liebt
und Mienen, die den Schmerz der Seele spiegeln.
Doch seid ihr alt, habt Söhne, und ich glaub' nicht,
daß diese bösen Dinge wahr sind. Drum
will ich ihr's sagen, und wenn sie mich fragt:
„Wie mir das deucht?" so will ich sagen: „Liebste,
nur wunderlich, nicht schlimm!" —Lebt wohl, doch laßt,
wenn euer Wunsch gewährt ist, die Erfüllung des meinen, Schalnassar, nicht lange anstehn!
Der Schuldner und der armenische Sklave gehen ab, die Stiege hinab.
SCHALNASSAR
(allein. Er steht auf, dehnt sich, scheint nun viel größer)
Ein süßer Narr ist das, ein süßer Schwätzer!
„Hört, alter Mann!" — „Ich bitt' euch, alter Mann!"
Ich hörte sagen, seine Frau ist schön
und hat so feuerfarbnes Haar, darin
die Hände, wenn sie wühlen, "Glut und Wellen
zugleich zu spüren meinen. Kommt sie nicht,
so soll sie lernen, auf der nackten Streu
zu schlafen!
Schlafenszeit war' nun für mich!
Man sagt, Genesene brauchen langen Schlaf. Allein, bin ich schon taub, so will ich taub sein für solche Weisheit. Schlafen ist nichts andres als voraus sterben. Ich will meine Nächte zugießen noch den Tagen, die mir bleiben. Freigebig wiU ich sein, wo's mir gefällt:
der Gülistane will ich heute abend
mehr schenken, als sie träumt. Dies gibt den Vorwand,
daß sie die Kammer rauscht und eine größte
bezieht, die näher meiner. Wenn sie's tut,
soll Saft von Nelken, Veilchen oder Rosen
ihr Bad sein, Gold und Bernstein soll sie trinken,
bis sich das Dach in toUem Schwindel dreht.
(er klatscht in die Hände, ein Sklave kommt, er geht links ab, der Sklave folgt ihm)
Gülistane kommt die Treppe links riickxvdrts herauf,
hinter ihr eine alte Sklavin. Ganem beugt sich spähend
oben aus einer Nische vor, kommt die Treppe rechts
rückwärts herab.
GANEM
(nimmt sie bei der Hand)
Mein Traum! wo kommst du her? Ich lag so lang' und lauerte.
Die alte Sklavin steigt die Treppe hinauf.
GÜLISTANE
Ich? aus dem Bade steig' ich und geh' in meine Kammer.
GANEM
Wie du funkelst vom Bad!
GÜLISTANE
Mein Bad war flüssig glühndes Silber vom Mond.
GANEM
War' ich der Bäume einer, die dort stelin, ich würp mein ganzes Laubwerk bebend ab und sprang' zu dir! O war' ich hier der Herr!
GÜLISTANE Ja, wärest du! Dein Vater ist sehr wohl. Er bat mich, heut zur Nacht mit ihm zu speisen.
GANEjM Verdammte Kirnst, die dieses Blut erweckte, das schon so nahe am Erstarren war. Ich sah ihn diesen Morgen mit dir reden. Was war's?
GÜLISTANE Ich hab's gesagt.
GANEM
Sag', war's nicht mehr? Du lügst! es war noch mehr!
GÜLISTANE
Er fragte —
GANEM Was? Doch still, die Wände hören.
Sie flüstert.
GANEM Geliebtes!
Indes du redest, reift in mir ein Plan, höchst wundervoll, merk' auf! und so begründet: er ist nur mehr der Schatten seines Selbst, er steht noch drohend da, doch seine Füße sind Lehm. Sein Zorn ist Donner ohne Blitz, und — merk' wohl — all seine Begehrlichkeit ist nichts als Prahlerei des Alters.
GÜLISTANE
Nun, was gründest du auf dies?
GANEM
Die größte HofFnung. (er flüstert)
GÜLISTANE
Allein dies Gift —
gesetzt, es gäbe eins mit solcher Wirkung:
dem Geist nur tödlich und dem Körper spurlos —
dies Gift verkauft dir niemand!
GANEM
Nein, kein Mann, doch eine Frau —
GÜLISTANE
Um welchen Preis?
GANEM
Um den, daß sie vermählt mich wähnt und zu besitzen mich wähnt — nachher.
GÜLISTANE
Dies machst du keine glauben.
GANEM
Es gibt schon lange eine, die dies glaubt.
GÜLISTANE
Du lügst: gerade, sprachst du, war' der Plan gereift, nun aber sagst du: lange gibt's schon eine.
GANEM
Die gibt's: ich hab' in dieses Liigennetz sie eingesponnen, eh' ich recht gewußt, zu welchem Ende. Heute ist mir's klar.
GÜLISTANE Wer ist's?
GANEM
Des ärmlichsten Pastetenbäckers hinkende Tochter, in der letzten Gasse des SchifFerviertels.
GÜLISTANE
Wer?
GANEM
Was tut ein Name? Ihre Augen hingen
so hündisch bang' an mir, wenn ich vorbeiging:
es war von den Gesichtern, die mich reizen,
weil sie die Lüge so begierig trinken
und solche Träumereien aus sich spinnen!
Und so blieb ich dort stehn und sprach sie an.
GÜLISTANE
Und wer schafft ihr das Gift?
GANEM
Das tut ihr Vater, indem er's dort verwahrt, von wo sie's stiehlt.
GÜLISTANE Wie? ein Pastetenbäcker?
GANEM
Doch sehr arm und sehr geschickt, — jedoch für keinen Preis von uns zu kaufen: denn er ist von denen, die heimlich einen Teil der heiligen Bücher verwerfen und von keiner Speise essen, auf die von unser einem Schatten fiel. Ich geh' zu ihr, indessen du mit ihm zu abend ißt.
GÜLISTANE
So hat ein jedes sein Geschäft.
GANEM Das meine aber soll dem deinigen die Wiederholung sparen. Ich bin früh zurück. Brauch' einen Vorwand. Geh' von ihm. Denn traf ich dich mit ihm —
(Jo
GÜLISTANE
(hält ihm den Mund zu)
O still, nur still!
GANEM
(bezwungen) Wie kühl sind deine Hände, und wie glüht zugleich dein Blut hindurch, du Zauberin! Du hältst gefangen mich im tiefsten Turm und fütterst mich um Mitternacht mit dem, was deine Hunde übriglassen, schlägst mich, läßt mich im Staube kriechen.
GÜLISTANE
Recht! und du!
GANEM
(gebrochen von ihrem Blick) Und ich?
(sieht zu Boden) Nun eben Ganem heiß' ich doch! Ganem der Liebessklave!
(er sinkt vor ihr nieder, umschlingt ihre Füße)
GÜLISTANE
Geh' nur, geh'!
Ich hör' den Vater, geh'! Ich heiß' dich gehn! Ich will nicht, daß man uns beisammen trifft!
GANEM
Ich hab' ein eitles inhaltsloses Lächeln, Das trefflich dient, ihm ins Gesicht zu sehn.
Gülistane geht die Treppe hinauf. Der armenische
Sklave kojnmt von unten. Ganem wendet sich, rechts
vorne abzugehen.
DER SKLAVE
War Gülistane hier?
GANEM
(zuckt die Achseln)
DER SKLAVE
Doch sprachst du eben.
GANEM
Mit meinem Hund!
DER SKLAVE
So find' ich sie wohl hier (geht hinauf)
Die Bühne bleibt kurze Zeit leer, dann tritt von links Schalnassar auf mit drei Sklaven, die Geräte und Schmuck tragen. Er läßt alles an der linken Wand niederstellen, wo ein Tisch mit niedrigen Sitzen befindlich ist.
SCHALNASSAR Hier legt dies her! hier dies! und tragt nun auf!
(er geht an die unterste Stufe der Treppe rechts)
Ah, der Genes'ne, sagt man, soll der Sonne entgegengehn. Nun denn, ich steh' schon hier,
Giilistane kommt die Treppe herab, erführt sie zu den Geschenken.
und weiß nichts mehr von Krankheit, als daß Perlen, ihr Werk sind und der Bernstein, wenn sie Muscheln zu ihrem Sitz wählt oder Bäume. Wahrlich, die liegen beide da! Und hier sind Vögel der Seide recht lebendig eingewebt, wenn dir's der Mühe wert, sie anzusehen.
GÜLISTANE Dies ist zuviel.
SCHALNASSAR
Für einen Taubenschlag,
ö3
doch nicht für ein Gemach, das groß genug ist, um unbetäubt den Duft von Rosenöl zu tragen, den die Krüge hier ausatmen.
GÜLISTANE Die wundervollen Krüge!
SCHALNASSAR
Der ist Onyx, der Chrysopras, wie? nicht der Rede wert. Für undurchdringlich gelten sie und lassen den Duft so durch, als war' es morsches Holz.
GÜLISTANE .
Wie dank' ich dir?
SCHALNASSAR
(versteht nicht)
GÜLISTANE
Wie ich dir danken kann?
SCHALNASSAR
Indem du alles dies
vergeudest: diesen Tisch von Sandelholz
und Perlmutter brauch' in kühlen Nächten statt dürrer Zweige, dir das Bad zu wärmen und achte, wie das Feuer sprüht und duftet.
Man hört unten einen Hund anschlagen, dann mehrere.
GÜLISTANE Durchsichtige Gewebe!
(hebt sie empor)
SCHALNASSAR
Totes Zeug! Ich bring' dir einen Zwerg, der zwanzig Stimmen von Menschen und von Tieren in sich hat. Statt Papagei'n und Affen schenk' Ich dir sehr sonderbare Menschen, Ausgeburten von Bäumen, die sich mit der Luft vermählen. Die singen nachts.
GÜLISTANE
Ich will dich küssen!
Das Anschlagen der Hunde wird stärker, scheint näher.
SCHALNASSAR Sag', ob junge Männer besser verstehn zu schenken?
GÜLISTANE
Was für Stümper sind die in dieser Kunst, und welch ein Meister du!
Der armenische Sklave kommt, zupft Schalnassar am Kleide, flüstert.
SCHALNASSAR
Ein Mädchen sagst du? wohl ein Weib, doch jung, wie? ich versteh' dich nicht!
GÜLISTANE
Von welchem Weib ist da die Rede, Liebster?
SCHALNASSAR
Von keinem. „Bleib" sprach ich zu diesem da, und du mißhörtest mich.
(zum Sklaven) Sprich hier, und leise!
DER SKLAVE
Sie ist halbtot vor Angst, ein Wegelagrer
war hinter ihr: dann rissen sie die Hunde
zu Boden. Ohne Atem fragte sie:
„Ist dies Schalnassars Haus, des Teppichhändlers?"
SCHALNASSAR Es ist des süßen Narren Weib. Er schickt sie! Sei still!
(geht zu Gülistane, die eine Perlenschnur um den Hals legt)
O schön! sie sind den Platz nicht weft!
(tritt tvieder zu den Sklaven)
DER SKLAVE
Sie redet auch von Ganem.
SCHALNASSAR
Meinem Sohn! Gleichviel! Sag': ist sie schön?
DER SKLAVE Mir schien sie's.
SCHALNASSAR
Wie?
DER SKLAVE Allein entstellt von Angst.
GÜLISTANE
Geschäfte?
SCHALNASSAR
(zu ihr)
Keines, als dir zu dienen.
(greift hin, ihr die Spange am Nacken zu schließem es gelingt ihm nicht)
GÜLISTANE Aber!
SCHALNASSAR
(greift sich ans Auge) Eine Ader
sprang mir im Aug'. Ich muß dich tanzen sehn, dann saugt das Blut sich auf.
GÜLISTANE
Wie wunderlich! SCHALNASSAR Tu's mir zulieb!
GÜLISTANE
Da muß ich mir mein Haar aufstecken.
SCHALNASSAR Steck' dir's auf! Ich kann nicht leben, Solang' du dich verweilst.
Gülistane geht die Treppe hinauf.
(zum Sklaven)
Führ' sie herauf! sag' nichts als dies: hier stünde, den sie sucht. Merk': den sie sucht, nicht mehr!
(geht auf und nieder, der Sklave ab)
So arglos ist kein Mensch, ich will nicht glauben,
daß es dergleichen Narren gibt! Was Wegelagrer
Er schickt sie her, und was dem widerspricht,
ist aufgeschminkt.
Ich dachte nicht, daß diese Nacht dies bringt,
doch Gold treibt dieses alles aus dem Nichts!
Ich wUl sie hüten, wenn sie mir gefällt:
ihr eigner Mann soll ihr Gesicht nicht mehr
zu sehn bekommen! goldne Kettchen leg' ich
um ihre Knöchel!
Ich will mit zweien hausen und sie zähmen,
daß sie in einem Reif wie Papageien
sich schaukeln.
Der Sklave führt Sobeide die Treppe herauf Sie ist
verstört, ihre Augen wie erweitert, ihr Haar zerrüttet,
die Perlenschnüre herabgerissen. Sie trägt keinen
Schleier mehr.
SCHALNASSAR Kam' mein Sohn vor Ärger um! Ei da! und wie sie sich verstellt und zittert! (er winkt dem Sklaven zu gehen)
SOBEIDE (sieht ihn angstvoll an) Bist du der Schalnassar?
SCHALNASSAR
Ja. Und dein Mann —
SOBEIDE
Mein Mann? wie weißt du das? bin ich denn nicht gerade jetzt . . . war alles nicht heut nacht? . . . Wie . . . oder du errätst ?
SCHALNASSAR
So neckisch rede mit einem jungen AfFen. Ich bin alt und weiß, wie viel ich Macht hab' über euch.
SOBEIDE
Wohl hast du Macht, doch wirst dusienichtbrauchen, mir wehzutun.
SCHALNASSAR
Nein, beim wahrhaft'gen Licht! Doch ich bin nicht geschaffen, süß zu reden, noch viel zu reden.
Beflissne Schmeichelei liegt hinter mir: der Mund, der einer Frucht den Saft aussaugt, ist stumm. Und dies ist das Geschäft des Herbstes. Mag immerhin der Frühling süßer duften, der Herbst verlacht den Frühling! Sieh nicht so auf meine Hand. Weil sie voll Adern ist, Gerank, darin der Lebenssaft erstarrt. — o, sie ergreift dich noch und kann dich halten! Schon weh! ich will's mit einer Perlenschnur umwickeln, komm!
(xvill sie fortziehen)
SOBEIDE
(macht sich los) Erbarm' dich meiner, du, mein armer Kopf ist ganz zerrüttet! Redest du mit mir? Sag', du bist trunken oder willst mich narren! Weißt du denn, wer ich bin? Doch ja, du sprachest von meinem Mann! Heut war mein Hochzeitstag! Weißt du das? Heut! wie ich mit ihm allein war,
mit meinem Mann, da kam es über mich, ich weinte laut, und wie er fragte, dann erhob ich meine Stimme gegen ihn und sagte ihm von Ganem, deinem Sohn, alles! ich sag' dir später, wie es war. Jetzt weiß ich's nicht. Nur dies: er hat die Tür mir aufgetan, in Güte, nicht im Zorn, und mir gesagt: ich bin nicht seine Frau: ich kann hingehen, wo ich will. — So geh' und hol' mir Ganem! geh' und hol' ihn mir!
SCHALNASSAR
(greift zornig in seinen Bart) Verdammtes Blendwerk! welcher Teufel ließ dich
ein? SOBEIDE Die Tochter Bachtjars bin ich, lieber Herr, des Juweliers.
SCHALNASSAR (klatscht in die Hände, der Sklave kommt)
Ruf Ganem! SOBEIDE (unvoiUkürlich laut) Ruf ihn her!
SCHALNASSAR
(zum Sklaven) Hinauf die Mahlzeit! Ist der Zwerg bereit?
DER SKLAVE
Er wird gefüttert; wenn er hungrig ist, ist er zu boshaft.
SCHALNASSAR
Gut, dies wUl ich ansehn. (geht'mit dem Sklaven links vorne ab)
SOBEIDE
(allein) Nun bin ich hier. Wie, fängt das Glück so an? Ja, dies hat kommen müssen, diese Farben kenn' ich aus meinen Träumen, so gemischt. Aus Bechern trinken wir, die uns ein Kind, durch Blumenkränze mit den Augen leuchtend, hinhält — doch aus den Wipfeln eines Baumes da fallen schwarze Tropfen in den Becher und mischen Nacht und Tod in unsern Trunk.
(sie setzt sich auf die Bank) In alles, was wir tuen, ist die Nacht
vermengt, selbst unser Aug' hat was davon:
das Schillernde in unseren Geweben
ist nur ein Einschlag, seine wahren Fäden
sind Nacht.
Der Tod ist überall: mit unsern Blicken
und unsern Worten decken wir ihn zu,
und wie die Kinder, wenn sie was verstecken
im Spiel, vergessen wir sogleich, daß wir's
nur selber sind, die ihn vor uns verstecken
O wenn wir Kinder haben, müssen sie
das alles lange, lange nicht begreifen.
Ich hab's zu früh gewußt. Die schlimmen Bilder
sind immerfort in mir: sie sitzen immer
in mir wie Turteltauben in den Büschen
und schwärmen gleich hervor.
(sie steht auf)
Doch nun wird Ganem kommen! Wenn mein Herz nur nicht mein ganzes Blut so in sich preßte. Ich bin zum Sterben müd'. Ich könnte schlafen.
(mit mühsamer Lebhaftigkeit) Ganem wird kommen! dann ist alles gut!
(sie atmet den Duft von Rosenöl und xvird die kostbaren Dinge gewahr)
Wie alles dies hier duftet! wie es funkelt!
(mit erschrockenem Staunen)
Und da! Weh mir, dies ist des Reichtums Haus, blödsinnige, belogne Augen, seht!
(sie erinnert sich fieberhaft)
Und dieser Alte wollte Perlenschnüre mir um die Hände winden: sie sind reich! und „arm" war seines Mundes zweites Wort! So log er, log nicht einmal, hundertmal! ich sah sein Lächeln, wenn er log, ich führs, es würgt mich hier!
(sie sucht sich zu beruhigen)
O! wenn er log — es gibt dergleichen Dinge,
die eine Seele zwingen! und sein Vater —
ich hab' um meinen Vater viel getan! —
sein Vater dies? dies würgt mich noch viel mehr!
mutloses Herz, er kommt, und Irgend etwas
enthüllt sich, alles dies begreif ich dann,
begreif ich dann, —
(sie hört Schrittet blickt wild umher, dann angstvoll)
Komm! laß mich nicht allein!
Gülhtane und eine alte Dienerin steigen die Treppe herab und gehen zu den Geschenken bei dem Tisch.
SOBEIDE
(auffahrend) Ganem! bist du es nicht?
GÜLISTANE
(halblaut)
Sie ist verrückt.
(sie lädt der Sklavin die Geschenke eines nach dem anderen auf die Amte)
SOBEIDE
(steht in einiger Entfernung von ihr)
Nein, Fräulein, nicht verrückt. Seid nur nicht bös. Die Hunde sind mir nach! zuerst ein Mensch! Ich bin fast tot vor Angst! Er ist mein Freund, er wird euch sagen, wer ich bin. Ihr wißt nicht, was Angst aus einem Menschen machen kann. Sagt, Fräulein, fürchten wir uns denn nicht alle selbst vor Betrunknen? und der war ein Mörder! Ich bin nicht mutig, und Ich hab' ihn doch
mit einer Lüge, die mir wie der Blitz
in meinen armen Kopf gefahren ist.
für eine WeUe weggehalten — dann
ist er gekommen, seine Hände waren
schon da! Habt Mitleid mit mir, seid nicht zornig.
Ihr sitzt da an dem schönen Tisch mit Lichtem,
ich stör' euch auf. Doch seid ihr seine Freunde,
er wird euch alles sagen. Und dann später,
wenn wir uns sehn und ihr mich besser kennt,
dann lachen wir zusammen noch darüber.
(schaudernd)
Jetzt könnt* ich noch nicht lachen!
GÜLISTANE
(sich zu ihr umvoendend) Wer ist dein Freimd? wer wird uns alles sagen?
SOßEIDE
(arglos freundlich) Ei, Ganem.
GÜLISTANE
Was hast du hier für ein Geschäft?
SOBEIDE
(tritt näher, sieht sie starr an)
Wie, bist du nicht die Witwe Kamkars, des SchifFshauptmanns?
GÜLISTANE
Und du die Tochter Bachtjars, des Juweliers?
(sie betrachten einander aufmerksam)
SOBEIDE Es ist lang her, daß wir einander sahn.
GÜLISTANE Was kommst du, hier zu tun?
SOBEIDE So lebst du hier? — Ich komm' den Ganem
(stockend)
um ein Ding fragen — dran sehr vieles hängt •— für meinen Vater —
GÜLISTANE
Hast ihn lange nicht gesehn, den Ganem?
SOBEIDE Fast ein Jahr ist das. Daß Kamkar starb, dein Mann, ist nun vier Jahr. Ich weiß den Tag. Und wie lang' lebst du hier?
GÜLISTANE
Verwandte sind's zu mir. Was kümmert's dich, wie lang. Zwar, eben drum: nun seit drei Jahren.
SOBEIDE
(schxpeigt)
GÜLISTANE
(zu der Sklavin)
Sieh zu, daß nichts hinunterfällt! Die Matten hast du?
(zu Sobeide)
Kann sein, wenn eine liegen bliebe und Ganem fände sie, es fiel' ihm ein, die Wange drauf zu betten, weil mein Fuß
darauf geruhr, und was du dann auch redest, so war' er taub für deine Sache! Fand' er vielleicht die Nadel, die aus meinem Haar gefallen ist und etwa danach duftet: er sah' dich nicht, so hingen seine Sinne an dieser Nadel
(zu der Sklavin)
Geh', heb' sie mir auf! Ei, bück' dich doch!
Sie stößt die Sklavin, Soheide bückt sich schnell und hält
der Sklavin die Nadel hin. Gülistane nimmt ihr die
Nadel aus der Hand und sticht nach Sobeide.
SOBEIDE
Weh', warum stichst du mich?
GÜLISTANE
Damit ich dir zuvorkomm', kleine Schlange, geh', dein Gesicht ist solch ein eitles Nichts, man sieht dir an, was du verbergen willst. Geh' wieder heim, ich rate dir. Du komm' und schlepp', soviel du kannst.
(zu Sobeide) 80
Was mein ist merk', das halte ich und wahr' es mir vor Dieben! (sie geht mit der Sklavin die Treppe hinauf)
SOBEIDE
(allein) Was bleibt mir nun? Wie kann das noch gut werden, was so beginnt? Nein, nein, mein Schicksal will mich prüfen! Was soll dieses Weib ihm sein? Dies ist nicht Liebe, dies ist Lust, ein Ding, das Männern nötig ist zu ihrem Leben.
(fieberhaft hastig) Er kommt und wirft dies ab mit einem Wort und lacht mich aus. Steht auf Erinnrungen! jetzt oder nie bedarf ich euer ! weh, daß ich euch rufen muß in dieser Stunde! Kommt keine seiner Mienen mir zurück? kein unzweideutig Wort? ah, Worte, Mienen, aus Luft gewobner Trug! ein schweres Herz hängt sich an euch und ihr zerreißt wie Spinnweb' Fahr' hin Erinnerung, ich hab' mein Leben heut hinter mich geworfen, und ich steh' auf einer Kugel, die ins Ungewisse rollt! (immer erregter)
Ganem wird kommen, ja, sein erstes Wort zerreißt die Schlinge, die mich würgen will; er kommt und nimmt rrfich in den Arm — ich triefe von Schreck und Grau'n anstatt von Duft und Salben ich schweig' von allem, ich häng' mich an ihn und trink' die Worte ihm vom Mund. Sein erstes, sein erstes Wort wird alle Angst betäuben .... er lächelt alle Zweifel weg ... er scheucht . . . wenn aber nicht? . . ich will nicht denken! will
nicht! Ganem kommt die Treppe herauf.
Ganem!
SOBEIDE
(schreit auf)
(sie läuft auf ihn zu, he fühlt seine Haare, sein Gesicht, fällt vor ihm nieder, drückt den Kopf an ihn, zwischen krampfhaftem Lachen und Weinen)
Hier bin ich! nimm mich, nimm mich! halt'mich fest! Sei gut zu mir! Du weißt ja alles nicht! Ich kann noch nicht . . . Wie schaust du mich
denn an?
(sie steht wieder auf, tritt zurück, sieht ihn mit entsetzlicher Spannung an)
GANEM (bleibt vor ihr stehen) Du?
SOBEIDE
(in fliegender Eile) Ich gehör' dir, Ganem! ich bin dein! Frag' mich jetzt nicht, wie dies gekommen ist: dies ist der Kern von einem Labyrinth, wir srehn nun einmal hier! Sieh' mich doch an! Er selber hat mich freigegeben! er . . Mein Mann. Was wechselt dein Gesicht jetzt so?
GANEM
Um gar nichts. Tritt hierher, man hört uns etwa —
SOBEIDE
Ich fuhr, es ist an meinem Wesen etwas, das dir mißfallt. W'^arum verbirgst du mir's?
GANEM
Was willst du?
SOBEIDE
Ich will nichts, als dir gefallen. Hab' Nachsicht mit mir. Sag' worin ich fehle:
ich will so folgsam sein! War Ich zu kühn? Siehst du, es ist nicht meine Art: mir ist, als hätt' mich diese Nacht mit ihren Fäusten gepackt und hergeworfen, ja, mir schaudert vor allem, was ich dort vermocht zu reden, und daß ich dann vermocht, den Weg zu gehn. Mißfällt dir, daß ich's konnte?
GANEM
Warum weinst du?
SOBEIDE Du hast die Macht, mich so veränderlich zu machen. Ich muß lachen oder weinen, erröten und erblassen, wie du's willst.
GANEM (küßt sie)
SOBEIDE
Wenn du mich küssest, sieh' mich anders an! Nein. Ich bin deine Magd. Tu, wie du willst. Laß mich hier lehnen. Ich will sein wie Lehm in deinen Händen und an nichts mehr denken. Was runzelst du die Srirn?
GANEM
Weil du nun bald schon nach Hause mußt. Was lächelst du?
SOBEIDE
Ich weiß doch, Du willst mich nur versuchen.
GANEM
Nein, wahrhaftig, da irrst du dich. Was meinst du denn? Ich kann dich nicht hier behalten. Sag' mir, ist dein Mann denn über Land gereist, daß du nicht Furcht hast?
SOBEIDE
Ich bitte, hör' nun auf, ich kann nicht lachen!
GANEM
Nein, ganz im Ernst: wann soll ich zu dir kommen?
SOBEIDE Zu mir, wozu? Du siehst, ich bin doch hier: Sieh', hier zu deinen Füßen setz' ich mich: ich hab' sonst kein Daheim als wie die Streu
zur Seite deinem Hund, wenn du mich sonst nicht betten willst. Und niemand wird mich holen! Er hebt sie auf.
GANEM
(klatscht vergnügt in die Hände) Vortrefflich! wie du dich verstellen kannst, wo's die Gelegenheit erheischt! bei Gott, es steht dir prächtig! und es soll uns nützen! Jetzt wird's am freien Spielraum nicht mehr fehlen, uns furchtlos unsrer Lust zu überlassen — Wann soll ich zu dir kommen?
SOBEIDE
(zurück tretend)
Ich bin wahnsinnig! mein Kopf ist schuld, daß ich dich andre Worte, als du in Wahrheit redest, reden höre! Ganem, so hilf mir! hab' Geduld mit mir? Was ist heut' für ein Tag?
GANEM
Wozu das jetzt!
SOBEIDE Es bleibt nicht so, es ist nur von der Angst,
und weil ich in der einen Nacht zuviel hab' fühlen müssen, das hat mich zerrüttet. Heut' war mein Hochzeitstag: wie ich allein war mit meinem Mann, hab' ich geweint und ihm gesagt, es ist um dich: er hat die Tür mir aufgetan. —
GANEM
Ich wett', er hat die Fallsucht und wollte frische Luft. Du bist zu närrisch! Laß mich dein Haar auflösen und dich küssen. Dann aber schnell nach Haus: was später kommt, soll besser werden als der Anfang heute !
(er will sie an sich ziehen)
SOBEIDE (macht sich los, tritt zurück) Ganem! er hat die Tür mir aufgetan und mir gesagt, ich bin nicht seine Frau, ich kann hingehen, wo ich will .... der Vater
ist los von seinen Schulden und mich läßt er
hingehen, wo ich will .... zu dir, zu dir!
(sie bricht in Schluchzen aus) Ich lief, da war der Mensch, der mir den Schmuck
wegnahm und mich umbringen wollte — dann die Hunde —
(mit dem Ausdruck kläglicher Verlassenheit) und jetzt bin ich hier, bei dir!
GANEM (unaufmerksam, nach rückwärts horchend) Mir ist, ich hör' Musik! hörst du's nicht auch — von unten?
SOBEIDE Dein Gesicht und noch-etwas, Ganem, erfüllen mich mit großer Angst — Hör' nicht auf dies, hör' mich! hör' mich, ich bitte! Hör' mich, die deinem Blick mit offner Seele daliegt, die ihres Blutes Flut und Ebbe vom Wechsel deines Angesichts empfängt: du hast mich einstgeliebt — dies, scheint mir, ist vorbei-Was dann geschah, ist meine Schuld allein: dein Glanz schwoll an in meinem trüben Sinn wie Mond im Dunst
GANEM
(horcht nach rückwärts)
SOBEIDE
(immer vp'ilder)
Gesetzt, ich war dir nichts: warum dann logst du? wenn ich dir was war, warum hast du gelogen ? Sprich zu mir — Bin ich dir nicht der Antwort wert?
Sonderbare Musik draußen und Stimmen.
GANEM Bei Gott, es ist des Alten Stimme und die ihre!
Die Treppe herunter kommt ein ßötenspielender Zwerg und ein -weibisch aussehender Sklav:, der eine Laute spielt, voraus andere mit Lichtern, dann Schalnassar, auf Gülistane gestützt, zuletzt ein Verschnittener; mit einer Peitsche im Gürtel.
Gülistane macht sich los, tritt nach vorne, scheinbar
auf dem Boden etvoas suchend, die anderen kommen
auch nach vorne. Die Musik verstummt.
GÜLISTANE
(über die Schulter^ zu Schalnassar)
Mir fehlt ein Büchslein, ganz von dunklem Onyx, mit Salbe voll. Bist du noch immer da,
Du Tochter Bachtjars! Auf, und bück' dich doch, ob du's nicht finden kannst!
SOBEIDE
(schvpeigt, sieht auf Gattern)
SCHALNASSAR
So laß und komm! ich schenk' dir hundert andre.
GÜLISTANE
Doch die Salbe war ein Geheimnis!
GANEM
(dicht bei Gülistatie) Wozu soll der Aufzug?
SCHALNASSAR
Was kommst du nicht? wer alt ist, kann nicht
warten! Und ihr voran! macht Lärm und tragt die Lichter! Betrinkt euch: was hat Nacht mit Schlaf zu tun! Voran bis an die Tür, dort bleibt zurück!
Die Sklavetf steilen sich wieder itt Ordttung.
GANEM
(vpütend) Was Tür? an welche Tür?
SCHALNASSAR
(zu Gülistane, die sich an ihn lehnt)
Antwort' ich ihm? Es ist, um dir zu schmeicheln! Tu' ich's nicht, geschieht's, um dir zu zeigen, daß mein Glück der Schmeichelei des Neides nicht bedarf.
GANEM
(zu Gülistane) Sag' nein! sag', daß er lügt!
GÜLISTANE
Geh', guter Ganem, und laß uns durch. Dein Vater ist genesen, darüber freun wir uns. Was stehst du finster? Man muß sich doch mit den Lebend'gen freun, so lang' sie leben.
(sieht ihm unter die Augen) 91
GANEM
(reißt dem Verschnittenett die Peitsche weg)
Wozu trägst du die Peitsche, altes Weib?
Stieb' auseinander, krüppelhafte Narrheit!
(er schlägt auf die Musiker und die Lichter ein, vpirft dann die Peitsche weg).
Schamlose Lichter, aus! und du, zu Bett,
geschwollner Leib! ihr, aufgeblähte Adern!
ihr, rote Augen! Du, verfaulter Mund!
fort in ein ungesellig' Bert! und Nacht,
lautlose Nacht statt unverschämter Fackeln
und frecher Pfeifen!
(er weist den Alten hinaus)
SCHALNASSAR (bückt sich mühsam um die Peitsche) Mir die Peitsche, mir!
SOBEIDE
(schreit auf) Sein Vater! beide, um das Weib! die beiden!
GÜLISTANE
(■windet dem Alten die Peitsche aus der Hand) Geh' selber doch 7u Bett, jähzorniger Ganem,
pa
und laß beisammen, was beisamm' sein will! Schilt deinen Vater nicht! Ein alter Mann weiß richtiger zu schätzen, und ist treuer als eitle Jugend. Hast du nicht Gesellschaft? Des Bachtjar Tochter steht doch da im Dunklen: ich hab' oft sagen hören, sie war' schön. Auch weiß ich wohl, du warst verliebt in sie. Nun gute Nacht.
Sie wenden sich alle zum Gehen.
GANEM
(voild) Geh' nicht mit ihm!
GÜLISTANE
(über die Schultern zurück)
Ich geh', wohin mein Herz mich heißt.
GANEM
(flehend)
Geh' nicht mit ihm!
GÜLISTANE
Ei, laß xuis durch! auch morgen ist ein Tag.
GANEM (an der Treppe vor ihr liegend)
Geh' nicht mit ihm!
GÜLISTANE
(umgewandt)
Du Tochter Bachtjars, so halt' ihn doch! ich will ihn nicht! ich trete mit meinem Fuß nach seinen Händen! du!
SOBEIDE (voie von Sinnen) Ja! ja! wir wollen einen Reigen tanzen! Gib mir die Hand! und ihm! und ich dem Alten! Wir wollen unser Haar auflösen: welche das längre Haar hat, soll den Jungen haben für heut — und morgen wieder umgekehrt! Gemeinheit hat den Thron! die Lügen triefen vom menschlichen Gesicht wie Gift vom Molch! Ich will mein Teil von eurer Lustiglceit!
(zu Ganem, der den Hinaufsteigenden zornig nachsieht)
Hinauf! stiehl sie dem Vater aus dem Bett, würg' ihn im Schlaf; ein Trunkner wehrt sich nicht!
Ich seh' dir's an: du stirbst, mit ihr zu liegen! Wenn du sie satt bist oder wechseln willst, dann komm zu mir, wir wollen leise gehn, mein alter Mann hat keinen tiefen Schlaf, nicht so wie die, die dies anhören können und schlafen gehn dabei!
(sie vpirft sich zu Boden)
Ich will dies ganze Haus aufheulen aus dem Schlaf mit Schmach und Zorn und Jammer . . .
(sie liegt stöhnend)
O, dich hab' ich so geliebt.
und du zertrittst mich so!
Ein alter Sklave zeigt sich rückwärts, löscht Lichter aus, ißt eine herabgefallene Frucht
GANEM
(schlägt jähzornig in die Hände)
Auf! schafFt sie fort! hier ist ein Weib, das schreit. Ich kenn' sie kaum! sie sagt, es ist um mich! Ihr Vater wollte sie dem reichen Mann verkuppeln, aber sie verdreht das Ganze
und sagt, ihr Mann war' auch ein solcher Kuppler, und der ist nur ein Narr, soviel mich dünkt.
(er tritt nahe an sie heran, mitleidig spöttisch)
Ihr seid doch allzu gläubig. Doch daran
Ist eure Art mehr schuld als unsre Kunst.
Nein, steh' nur auf, ich will dich nicht mehr ärgern.
SOBEIDE
(richtet sich auf, ihre Stimme ist hart)
So war an allem nichts, und hinter allem ist nichts. Von allem dem werd' ich nicht rein: was heut in mich kam, kann nicht mehr heraus. Aus Anderen vielleicht. Ich bin zu müd'.
(sie steht)
Fort, fort! ich weiß, wohin ich geh! nur hier hinaus!
Her alte Sklave ist langsam die Stiege hinabgegangen.
GANEM
Ich halt' dich nicht. Allein den Weg — wirst du den finden? Zwar, du fandest ihn . . .
SOBEIDE Den Weg! den gleichen Weg!
(sie schaudert)
Der alte Mann soll mit mir gehn. Ich hab' nicht Furcht, ich will nur nicht allein sein: erst bis wieder Tag ist —
GANEM
(gebt nach rückwärts, holt den alten Sklaven zurück)
SOBEIDE Mir ist, ich trüg' ein Kleid, daran die Pest und grauenvolle Spur von Trunkenheit und wilden Nächten klebte, und ich brächte es nicht herunter als mit meinem Leib zugleich. Jetzt muß ich sterben, dann ist alles gut. Doch schnell, bevor dies schattenhafte Denken an meinen Vater wieder Blut gewinnt: sonst wird es stark und zieht mich noch zurück, und ich muß weitergehn in meinem Leib.
GANEM
(führt den Alten langsam vor) Merk' auf. Dies ist des reichen Chorab Frau. Verstehst du mich?
DER ALTE
(nickt) Des reichen!
GANEM
Wohl. Die sollst du begleiten.
DER ALTE Wie?
GANEM Du sollst den Weg sie führen bis an ihr Haus.
DER ALTE
(nickt)
SOBEIDE Bis an die Gartenmauer. Von dort weiß ich allein, wohin ich soll. Will er das tun? Ich dank' dir. Das ist gut, sehr gut. Komm, alter Mann, ich geh' mit dir.
GANEM Geht hier den Gang, der Alte weiß den Weg.
SOBEIDE
Er weiß ihn, das ist gut, sehr gut. Wir gehn.
Sie gehen durch die Tür rechts ab. Gattern wendet sich, die Treppe hinaufzugehen,
Verwandlung
DRITTE SZENE
Der Garte» des reichen Kaufmannes. Von rorne rechts läuft die hohe Gartenmauer nach links rückvpärts. In ihr ist ein kleines vergittertes Pf Örtchen, zu dem Stufe» führen. Links verläuß sich ein gexrundner Weg zwischen Bäutne». Es ist früher Morgen. Die Büsche sind mit Bluten beladen und die Wiesen stehe» voller Blumen. Im Vordergrund sind der Gärtner und seine Frau beschäftigt, zarte blühende Sträucher aus einer ojfenen Trage zu nehmen und im ausgegrabenen Boden umzusetzen.
DER GÄRTNER Dort kommen schon die Andern. Nein, das ist ein Einzelner . . . der Herr!
DIE FRAU
Der Herr? am Morgen nach seiner Hochzeit vor der Sonne auf, im Garten und allein. Das ist kein Mann wie andre Männer.
DER GÄRTNER
Schweig. Er kommt hierher.
DER KAUFMANN
(tritt langsam von links her auf)
Die Stunde, wo die Sonne noch nicht auf ist und alle Zweige in dem toten Licht dahängen ohne Glanz, ist fürchterlich. Mir ist, als sah' ich diese ganze Welt zurückgestrahlt von einem grauenhaft entseelten Spiegel, öde wie mein innres Auge! O welkten alle Blumen! war' mein Garten ein giftiger Morast, ganz ausgefüllt mit den verfaulten Leibern seiner Bäume! und meiner mitten drunter!
(er zerpflückt einen blühenden Zweig, dann hält er inne nnd läßt ihn fallen)
Ei, ein Geck! ein alter Geck, so alt als melancholisch, so lacherlich als alt! ich will mich setzen und Kränze winden und ins Wasser weinen!
(er geht ein paar Schritte weiter, fährt wie unwillkürlich mit der Hand nach dem Herzen)
O wie ist dies von Glas, und wie der Finger, mir dem das Schicksal daran pocht, von Eisen!
Die Jahre setzen keine Ringe an und legen keine Panzer hier herum.
(er geht wieder ein paar Schritte, stößt dabei auf den
Gärtner, der seinen Strohhut abnimmt; fährt aus seine»
Gedanken auf, sieht den Gärtner fragend an)
DER GÄRTNER Dein Diener Scheriar, Herr, der dritte Gärtner,
DER KAUFMANN Wie? Scheriar, wohl. Und diese ist dein Weib?
DER GÄRTNER Ja, Herr.
DER KAUFMANN Allein sie ist um vieles jünger wie du. Und einmal kamst du zu mir klagen, daß sie mit einem Burschen — welcher war's?
DER GÄRTNER
Der Eseltreiber war's
DER KAUFMANN
Da jagt' ich den aus meinem Dienst, und sie lief dir davon.
DER GÄRTNER
(sich verneigend)
Du kennst die Wege aller heiligen Sterne, doch du erinnerst dich der Raupe auch, die einmal neben deinen Füßen kroch. Es ist so, Herr. Doch kam sie mir zurück und lebt seitdem mit mir.
DER KAUFMANN
Und lebt mit dir! Der Bursche schlug sie wohl! Du aber nicht!
(er wendet sich ab, sein Ton wird bitter)
Wir wollen uns nur zueinander setzen
ins Gras, und Eins dem andern die Geschichte
erzählen! Lebt mit ihr! er hat sie doch!
Besitz ist alles! Welch' ein Narr ist das,
der das Gemeine schmäht, da doch das Leben
gemacht ist aus Gemeinen durch und durch!
(er geht mit starken Schritten rechts vorne weg)
DIE FRAU
(zum Gärtner) Was hat er dir gesagt?
DER GÄRTNER Nichts, nichts.
Scheide und der Kameelt7-eiber erscheinen an dem Gittertürchen
DIE FRAU
Du, weißt du was?
(näher kommend)
Schau! dort die Frau! das ist die junge Frau des Herrn! schau, wie verstört sie aussieht.
DER GÄRTNER
Kümmer' dich um deine Sach'!
DIE FRAU Schau, sie ist ohne Schleier und wer bei ihr ist. Schau. Das ist doch keiner von unsern Dienern, sag'?
DER GÄRTNER
Ich weiß nicht.
Soheide streckt ihren Arm durch das Gitter, nach dem Schloß suchend
DIE FRAU
Sie will herein. Hast du den Schlüssel?
DER GÄRTNER
(aufschauend)
Den Hab' ich, und da sie die Herrin ist, so dient man ihr, eh' sie den Mund auftut.
Du
Wohl'
Er geht hin und sperrt auf. Sobeide tritt ein, hinter ihr der Alte. Der Gärtner sperrt wieder zu. Sobeide geht mit verlorne»/ Blick nach vorne, der Alte hinter ihr. Der Gärtner geht an ihr vorbei, ninwit den Strohhut ab, ivill wieder an seine Arheit. Die Frau steht ein paar Schritte rückwärts, biegt neugierig das Buschwerk auseinander.
SOBEIDE
Sag', hier ganz nah' ist doch der Teich, nicht wahr, der große Teich, an dem die Weiden stehen?
DER GÄRTNER
(nach rechts hin zeigend)
Hier unten liegt er, Frau, du mußt ihn sehen. Soll ich dich führen ?
SOBEIDE
(heßig abvpehrend)
Nein, nein, geh' nur, geh'!
(sie will rechts abgehen, da hält sie der Alte am Kleid zurück. Sie wendet sich um.
DER ALTE
(hält bettelnd die Hand hin, zieht sie verlegen gleich wieder zurück)
SOBEIDE Was?
DER ALTE
Du bist nun daheim, ich geh' zurück.
SOBEIDE Ja, und ich hab' dir deinen Schlaf gestohlen und geb' dir nichts dafür. Und du bist alt und arm. Allein ich hab' nichts, nichts, gar nichts! So arm wie ich, war auch kein Bettler je.
DER ALTE
(verzieht sein Gesicht zum Lachen, hält wiederum seine Hand hin.
SOBEIDE
(Sieht ratlos umher, fährt sich mit der Hand ins Haar
spürt ihre Ohrgehänge von Perlen, macht eines los,
dann das andere, gibt sie ihm)
Da nimm, da nimm und geh'!
DER ALTE
(schüttelt den Kopf) O nein, o nein!
SOBEIDE (qualvoll eilig) Ich geh' sie gern, geh', geh'!
(will toeg)
DER ALTE
(hält die Ohrgehänge in der Hand) Nimm sie zurück. Gib mir ein kleines Stück Geld! Ich bin ein armer Narr. Sie kämen her, Schalnassar und die andern, über mich imd nähmen mir die Perlen. Ich bin alt und solch ein Bettler! Dies war'nur mein Unglück!
SOBEIDE
Ich hab' nichts andres. Komm heut abend wieder und bring' sie hier dem Herrn, er ist mein Mann, er gibt dir Geld dafür.
DER ALTE
Bist du auch hier?
SOBEIDE
Frag' nur nach ihm, jetzt geh' und laß mich gehn! (xvill weg)
DER ALTE (sie zurückhaltend) O wenn er gut ist, bitt' ihn du für mich, daß er mich in sein Haus nimmt: er ist reich und hat so viel Gesinde. Ich bin fleißig, brauch' wenig Schlaf. Doch in Schalnassars Haus hungert mich abends immer so. Ich will —
SOBEIDE (sich losmachend) Wenn du heut' abend kommst, so sprich zu ihm: ich ließ' ihn bitten, daß er dir's erfüllt. Nun geh', ich bitte dich, ich hab' nicht Zeit.
Der Alte geht gegen die kleine Türe, bleibt aber im Gebüsch stehen. Die Gärtnersfrau hat sich von links Sobeiden genähert. Scheide geht ein paar Schritte, dann läßt sie den leeren Blick umherschweifen, schlägt sich
an die Stirn, als ob sie etwas vergessen bitte. Sie bleibt plötzlich vor der Gärtmrsfrau stehen, sieht diese verloren an, dann fragt sie hastig:
SOBEIDE
Der Teich ist dort? wie? dort? der Teich?
(zeigt nach links)
DIE FRAU
Nein hier. (zeigt nach rechts)
Hier diesen Weg hinab. Er biegt sich dort. Du willst den Herrn einholen? er geht langsam: wenn du zum Kreuzweg kommst, wirst du ihn sehn. Du kannst ihn nicht verfehlen.
SOBEIDE
(noch verstörter)
Ich, den Herrn?
DIE FRAU
Ei ja, du suchst ihn doch?
SOBEIDE
Ich, ihn? — Ja, ja,
Ich — geh' — dann — hin.
(ihr Blick schweift angstvoll umher, haftet plötzlich auf einem unsichtbaren Ziel links rückwärts)
Der Turm! Er ist verschlossen?
DIE FRAU Der Turm?
SOBEIDE
Die Stiege, ja, zum Turm?
DIE FRAU
O nein! DerTurm ist nie verschlossen. Auch zur Nacht nicht. Weißt du das nicht?
SOBEIDE Ei, ja.
DIE FRAU
Willst du hinaufgehn?
SOBEIDE
(mühsam lächelnd) Nein nein, jetzt nicht. Vielleicht ein andermal.
(lächelnd, mit einer freundlichen Handbexpegung) Geh' nur. Geh', geh.
(allein)
Der Turm! der Turm! Und schnell. Er kommt von dort. Gleich ist's zu spait.
(sie sieht sich spähend um, geht erst langsam nach links, läuft dann durchs Gebüsch. Der Alte, der sie aufmerksam beobachtet hat, folgt ihr langsam)
DER GÄRTNER
(ist mit seiner Arbeit fertig) Komm her und hilf mir tragen.
DIE FRAU
Ei, ja, gleich.
Sie nehmen die Trage auf und tragen sie weiter nach rechts.
DER KAUFMANN
(tritt von rechts auf)
ich hab' sie so geliebt! wie gleicht dies Leben betrügerischen Träumen! Heute, hier und immer hätt' ich sie besessen! ich!
Besitz ist alles! langsame Gewalt,
einsickernd durch die unsichtbaren Spalten
der Seele, nährt die wundervolle Lampe
im Innern, und bald bricht aus solchen Augen
ein mächtigres und süßres Licht als Mond.
Ich hab' sie so geliebt! ich will sie sehn,
noch einmal sehn. Mein Aug' sieht nichts als Tod:
die Blumen welken sehends wie die Kerzen,
wenn sie ins Laufen kommen, alles stirbt,
und alles stirbt vergeblich, denn sie ist
nicht da —
Der alte Kameeltreiber kommt von links her über die Biihtie auf den Gärtner zugelaufen und zeigt diesem etwas, das links in einiger Entfernung und in der Höhe vorzugehen scheint, der Gärtner macht die Frau aufmerksam, alle sehen hin.
DER KAUFMANN
(wird dies plötzlich gewahr, folgt mit den Blicken der gleichen Richtung, wird totenblaß)
Gott, Gott! gebt Antwort! da! da! da! die Frau! da! auf dem Turm! sie beugt sich vor! was beugt sie sich so vor? schaut hin! schaut hin!
DIE FRAU
(schreit auf und schlägt die Hände vors Gesicht)
DER GÄRTNER
(läuft nach links, sieht hin, ruft zurück) Sie lebt und regt sich! Herr! komm diesen Weg!
Tier Kaufmann läuft hin. Die Frau hinter ihm.
Gleich darauf bringen der Kaufmann, der Gärtner und die Frau Soheide getragen, lassen sie im Gras nieder. Der Gärtner legt sein Oberkleid ab und schiebt es ihr unter den Kopf. Der alte Kameeltreiber steht in einiger Entfernung.
DER KAUFMANN
(auf den Knien)
Du atmest! Du wirst leben, du mußt leben! Du bist zu schön, zu sterben!
SOBEIDE
(schlägt die Augen auf)
Laß! ich muß sterben; still, ich weiß es gut. Mein Lieber, still, ich bitte. Ich hab' nicht
gedacht, dich noch zu sehn — Ich hab' dir abzubitten.
DER KAUFMANN (zärtlich) Du!
SOBEIDE
Nicht dies! Dies mußte sein. — Von früher, heute Nacht: ich war mit dir, wie's keiner Frau geziemt zu sein: ich tat mit meinem ganzen Schicksal so, wie ich's beim Tanzen tu mit meinen Schleiern, mit eitlen Händen rührt' ich an mein Selbst. Sprich nicht! versteh' mich!
DER KAUFMANN
Was geschah dir — dann?
SOBEIDE
Nicht fragen, was geschah; nicht fragen, bitte. Ich war schon vorher müd', und so am Ende! Nun ist es leicht. Du bist so gut, ich will dir noch was sagen: merk' nur auf. Die Eltern —
du weißt ja, wie sie sind — du mußt sie nehmen: ganz zu dir nehmen.
DER KAUFMANN
Ja, doch du wirst leben.
SOBEIDE
Nein, sag' das nicht: merk' auf: ich möchte manches noch sagen. Ja, da ist ein alter Mann. Der ist sehr arm: den nimm auch in dein Haus um meinetwillen.
DER KAUFMANN
Nun bleibst du bei mir: ich will erraten, was du willst: so leise du atmest, will ich doch die Harfe sein, die jedem Hauch mit Harmonie antwortet, bis du dich langweilst und sie schweigen heiß'st.
SOBEIDE
Laß solche Worte: mir ist schwindlig und sie flimmern vor den Augen. Klag' nicht viel, ich bitte dich. Wenn ich jetzt leben bliebe, verstümmelt wie ich bin, so könnt ich dir kein Kind je zur Welt bringen, und mein Leib
war' häßlich anzusehn, und früher, weiß ich, war ich zuweilen schön. Das könntest du nur schwer ertragen und vor mir verbergen. Allein ich werde ja gleich sterben, Lieber. Dies ist so seltsam: unsre Seele lebt in uns wie ein gefangner Vogel. Wenn der Käfig zerschlagen wird, so ist sie frei. Nein, nein, du darfst nicht lächeln: nein, ich fühl' es so: es ist so. Sieh', die Blumen wissen's auch und starren so vor Glanz, seit ich es weiß. Kannst du es nicht verstehen? merk' auf.
Pause.
Du bist noch da und ich auch immer noch? Jetzt seh' ich dein Gesicht, so wie ich's nie gesehn hab'. Bist du's denn, du, mein Mann?
DER KAUFMANN Mein Kind!
SOBEIDE
Aus deinen Augen lehnt sich so die Seele! und die Worte, die du redest, zucken noch in der Luft, weil dir das Herz so zuckt, aus dem sie kommen. Weine nicht, ich kann's
nicht sehn, weil ich dich nun so lieb hab'. Laß mich deine Augen sehn zuletzt. Wir hätten lang' zusammen sein und Kinder haben sollen, nun ist es schrecklich — für die Eltern?
(sie stirbt)
DER KAUFMANN
(halb gebückt)
So lautlos fällt ein Stern. Mich dünkt, ihr Herz war mit der Welt nicht fest verbunden. Nichts bleibt mir von ihr als dieser Blick, dess' Ende getaucht schon war in starrendes Vergessen, und Worte, die der falsche Hauch des Lebens noch im Entfliehen trüglich schwellen ließ, so wie der Wind, eh' er sich schlafen legt zum Trug die Segel bläht wie nie zuvor.
(er erhebt sich)
Ja, hebt sie auf. So bitter ist dies Leben: ihr ward ein Wunsch erfüllt: die eine Tür, an der sie lag mit Sehnsucht und Verlangen, ihr aufgetan — und so kam sie zurück und trug den Tod sich heim, die abends ausgegangen, -
wie Fischer, Sonn' und Mond auf ihren Wangen den Fischzug rüsten, — um ein großes Glück.
(sie heben sie auf, den Leichnam hineinzutragen) Der Vorhang fällt.
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