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Ich hätte nie gedacht, dass ich so was jemals sagen werde, aber ich mache mir Sorgen um Grandmère.

Ernsthaft. Ich glaub, jetzt ist sie wirklich am Durchdrehen. Heute kam ich wie immer zum Prinzessunterricht ins Plaza in ihre Suite – da ich im Dezember offiziell dem genovesischen Volk vorgestellt werden soll, will Grandmère sicherstellen, dass ich nicht irgendwelche Würdenträger brüskiere oder so etwas – und was macht sie? Sie bespricht mit dem genovesischen Zeremonienmeister die Hochzeit meiner Mutter.

Das ist mein heiliger Ernst. Sie hat ihn einfliegen lassen. Aus Genovia!

Die beiden saßen am Esstisch und hatten ein Riesenblatt Papier vor sich ausgebreitet, auf das lauter Kreise gezeichnet waren, und Grandmère schob kleine Papierstreifen hin und her. Als ich ins Zimmer kam, guckte sie hoch und sagte auf Französisch: »Ah, Amelia. Très bien. Komm her und setz dich zu uns. Wir beide haben eine Menge mit Vigo zu besprechen.«

Mir sind wahrscheinlich die Augen aus dem Kopf getreten. Ich konnte nicht glauben, was ich sah, und hoffte, dass das, was ich sah, nicht das war… na ja, was ich zu sehen glaubte.

»Grandmère«, fragte ich, »was macht ihr da?«

»Sieht man das nicht?« Grandmère zog ihre aufgemalten Brauen in ungeahnte Höhen. »Wir planen die Hochzeit, was sonst?«

Ich schluckte. Das war schlecht. GANZ schlecht.

»Aha«, sagte ich. »Und wessen Hochzeit, Grandmère?«

Sie sah mich sehr bissig an. »Dreimal darfst du raten«, sagte sie.

Ich schluckte noch mal. »Äh, Grandmère?«, bat ich sie. »Kann ich mal kurz mit dir sprechen? Unter vier Augen?«

Aber Grandmère wedelte nur mit der Hand und sagte: »Vigo darf alles hören, was du mir zu sagen hast. Er konnte es übrigens kaum erwarten, dich endlich kennen zu lernen. Vigo, darf ich vorstellen – Ihre königliche Hoheit, Prinzessin Amelia Mignonette Grimaldi Renaldo.«

Das Thermopolis ließ sie unter den Tisch fallen. Wie üblich.

Vigo sprang vom Tisch auf und eilte auf mich zu. Er war viel kleiner als ich, etwa in Moms Alter und hatte einen grauen Anzug an. Offenbar teilt er Grandmères Vorliebe für Lila, denn er trug ein lavendelfarbenes Hemd aus glänzendem Stoff und eine ebenso glänzende dunkelviolette Krawatte.

»Hoheit!«, stieß er hervor. »Es ist mir eine Ehre. Ich freue mich sehr, endlich Ihre Bekanntschaft zu machen.« Und zu Grandmère: »Wie Recht Sie hatten, Madame. Sie hat die Renaldo-Nase, kein Zweifel.«

»Na bitte«, sagte Grandmère zufrieden. »Verblüffend, nicht wahr?«

»Absolut.« Vigo formte Zeigefinger und Daumen zu einer Art Kameralinse und sah mit zusammengekniffenen Augen hindurch. »Rosa«, sagte er entschieden. »Eindeutig rosa. Oh, ich liebe rosa gekleidete Brautjungfern! Trotzdem schlage ich für die übrigen Brautjungfern Cremeweiß vor. Ganz à la Diana. Aber Diana hatte ohnehin einen untadeligen Geschmack.«

»Wirklich nett, Sie kennen zu lernen«, begrüßte ich Vigo. »Die Sache ist nur, ich glaube, meine Mutter und Mr Gianini hatten an eine Trauung im kleinen Kreis gedacht. Und zwar im…«

»Rathaus.« Grandmère verdrehte die Augen. Das sieht bei ihr besonders Furcht erregend aus, weil sie sich vor langer Zeit einen schwarzen Lidstrich eintätowieren ließ, damit sie keine wertvolle Zeit mit Schminken verliert, in der sie zum Beispiel irgendjemanden schikanieren könnte. »Ja, ich weiß. Das ist natürlich absurd. Die beiden werden im Goldenen Saal des Plazahotels getraut, und im direkten Anschluss daran findet im großen Ballsaal ein Empfang statt, wie es sich für die Mutter der zukünftigen Regentin von Genovia geziemt.«

»Aha…«, sagte ich. »Aber ich glaube, die beiden haben sich das anders vorgestellt.«

Grandmère schaute mich ungläubig an. »Ach ja? Aber dein Vater kommt natürlich für alle anfallenden Kosten auf. Und ich lasse mich auch nicht lumpen – beide dürfen jeweils fünfundzwanzig Gäste einladen.«

Ich warf einen Blick auf das vor ihr liegende Blatt Papier, auf dem ich weit mehr als fünfzig Papierstreifen sah.

Grandmère muss meinen Blick bemerkt haben, denn sie sagte hastig: »Ich selbst komme unter dreihundert natürlich nicht aus.«

Ich starrte sie an. »Unter dreihundert was?«

»Gästen, natürlich.«

Ich fühlte mich allmählich leicht überfordert. Wenn ich sie davon abbringen wollte, brauchte ich Verstärkung.

»Wie wär’s«, schlug ich vor, »wenn ich mal zu Dad runtergehe und ihn frage, was er davon hält…«

»Dann viel Glück«, schnaubte Grandmère. »Er ist mit dieser Bellerieve auf und davon und seitdem habe ich nichts von ihm gehört. Wenn er nicht Acht gibt, ergeht es ihm wie deinem Mathelehrer.«

Dabei ist es natürlich hochgradig unwahrscheinlich, dass Dad jemanden schwängern könnte, weil ich ja nur deshalb anstelle irgendeines ehelich gezeugten Kindes Thronfolgerin bin, weil er seit seinem Hodenkrebs, der nur durch eine massive Chemotherapie geheilt werden konnte, zeugungsunfähig ist. Aber Grandmère hält vermutlich so wenig von mir als Nachfolgerin, dass sie diese Tatsache verdrängt.

In diesem Moment erklang unter Grandmères Sessel ein schwaches Wimmern. Wir sahen beide nach unten. Ihr Zwergpudel Rommel starrte verängstigt zu mir hoch.

Ich weiß schon, dass ich abschreckend aussehe, trotzdem finde ich es lächerlich, dass der Hund solche Angst vor mir hat. Und dabei liebe ich Tiere!

Aber wahrscheinlich würde es selbst dem heiligen Franz von Assisi schwer fallen, Rommel zu mögen. Seit einiger Zeit hat er irgendein Nervenleiden (ich vermute, es hat etwas damit zu tun, dass er in Grandmères Nähe leben muss), wodurch ihm alle Haare ausgefallen sind. Deshalb zieht ihm Grandmère jetzt kleine Pullover und Mäntelchen an, damit er sich nicht erkältet.

Heute trug er ein Nerzjäckchen. Doch, im Ernst. Der Pelz war violett gefärbt, wie der, den sich Grandmère um die Schultern geschlungen hatte. Ich finde es schon Horror, dass Menschen Pelze anziehen, aber es ist noch tausendmal schlimmer, wenn ein Tier das Fell eines anderen Tieres trägt.

»Rommel!«, schimpfte Grandmère. »Hör auf zu knurren.«

Dabei knurrte er gar nicht. Er winselte. Aus Angst. Vor mir! MIR!

Wie oft muss ich mich an einem einzigen Tag eigentlich demütigen lassen?

»Dummer Hund, du!« Zu Rommels Entsetzen griff Grandmère nach unten und hob ihn hoch. Ich sah, wie sich ihre Brillantbroschen in seine Wirbelsäule bohrten (er hat kein Gramm Fett am Leib, und seit er kein Fell mehr besitzt, ist er besonders empfindlich, was spitze Gegenstände angeht), aber sie gab ihn nicht frei, obwohl er nach Kräften zappelte.

»Hör zu, Amelia«, begann Grandmère. »Deine Mutter und dieser Wie-heißt-er-noch-gleich müssen heute Abend die Namen ihrer Gäste und deren Adressen notieren und mir durchgeben, damit ich morgen die Umschläge drucken lassen kann. Ich kann mir denken, dass deine Mutter einige ihrer … unkonventionellen Bekannten einladen möchte, Mia, aber ich hielte es für besser, wenn sie sich vielleicht nach draußen zu den Fotografen und Touristen stellen könnten, um zu winken, wenn deine Mutter der Limousine entsteigt. Dann haben sie das Gefühl, dabei zu sein, ohne dass sie mit ihren unattraktiven Frisuren und ihrer schlecht sitzenden Kleidung das Gesamtbild stören.«

»Grandmère«, sagte ich. »Ich glaub echt…«

»Und was sagst du zu diesem Kleid?« Grandmère hielt das Foto einer Hochzeitsrobe von Vera Wang mit aufgeblähtem Glockenrock in die Höhe, das Mom unter Garantie nie anziehen würde.

Vigo hüstelte. »Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte, Hoheit. Dieses hier scheint mir ideal zu sein.« Er wedelte mit einem anderen Foto.

Es zeigte ein hautenges Armanikleid, das Mom ebenso wenig anziehen würde.

»Hm, Grandmère…«, versuchte ich es wieder. »Das ist wirklich nett von dir, aber Mom will keine große Hochzeit. Echt. Ganz sicher nicht.«

»Bö’ff!«, machte Grandmère. Das ist französisch und heißt so viel wie: Ich will nichts hören. »Wenn sie erst die köstlichen Hors d’œuvres sieht, die beim Empfang serviert werden, wird sie ihre Meinung schon ändern. Erzählen Sie ihr davon, Vigo.«

Er zählte genüsslich auf: »Mit Trüffeln gefüllte Champignons, Lachscarpaccioröllchen mit Spargelspitzen, Zuckererbsenschoten mit einer Füllung aus Ziegenkäse, zart gekräuselte Endivienblätter mit Roquefortsträuseln …«

Ich versuchte es ein letztes Mal: »Trotzdem nicht, Grandmère. Glaub mir.«

»Unsinn«, sagte sie. »Vertrau mir, Mia. Deine Mutter wird unsere Anstrengungen zu schätzen wissen. Vigo und ich sorgen dafür, dass ihre Hochzeit zu einem unvergesslichen Erlebnis wird.«

Daran zweifelte ich keine Sekunde.

»Ja, aber Grandmère, Mom und Mr Gianini hatten eine ganz einfache und schlichte…«

Grandmère schleuderte mir einen ihrer berüchtigten Blicke zu – die wirklich unglaublich Furcht einflößend sind – und sagte mit Grabesstimme: »Während dein Grandpère fröhlich gegen die Deutschen ins Feld zog, brachte ich drei Jahre damit zu, uns die Nazis – von Mussolini ganz zu schweigen – vom Leibe zu halten. Sie warfen Granaten gegen das Palastportal und wollten mit ihren Panzern den Burggraben durchqueren. Doch ich hielt ihnen stand – mit schierer Willenskraft. Und jetzt willst du mir erzählen, Amelia, dass es mir nicht gelingen sollte, eine einzige schwangere Frau dazu zu bringen, sich meinen Wünschen zu fügen?«

Nicht, dass ich Mom mit den Nazis oder Mussolini gleichsetzen will, aber wenn es darum geht, Grandmère Widerstand zu leisten, ist sie jedem faschistischen Diktator um Längen voraus.

Ich merkte, dass ich in diesem Fall mit vernünftigen Argumenten nicht weiterkam. Deshalb tat ich erst mal so, als würde ich mitmachen, lauschte Vigo, der von der Menüfolge und der Musik schwärmte, die er für die Trauung und den Empfang ausgewählt hatte – und bewunderte sogar die Präsentationsmappe des Fotografen, den er engagiert hatte.

Erst als sie mir den Entwurf für die Einladung zeigten, wurde mir plötzlich etwas klar.

»Die Hochzeitsfeier ist ja am Freitag!«

»Ja.« Grandmère nickte.

»An Halloween!« Derselbe Tag, den Mom für ihre standesamtliche Trauung vorgesehen hat – und zufälligerweise genau der Tag von Shameekas Party.

Grandmère schaute gelangweilt. »Und?«

»Na ja … Halloween, du weißt schon.«

Vigo sah meine Großmutter an. »Halloween?«, fragte er verständnislos. Mir fiel ein, dass man in Genovia kein Halloween feiert.

»Ein heidnischer Feiertag«, antwortete Grandmère mit einem Schaudern. »Die Kinder verkleiden sich und erpressen Süßigkeiten von völlig Unbekannten. Furchtbare amerikanische Tradition.«

»Und das Ganze ist in einer knappen Woche«, warf ich ein.

Grandmère zog ihre aufgemalten Augenbrauen hoch. »Und?«

»Na ja, das ist so … du weißt schon … bald. Viele Leute…«, (ich zum Beispiel), »haben vielleicht schon etwas anderes vor.«

»Ich will niemandem zu nahe treten, Hoheit«, Vigo hüstelte, »aber wir sollten die Trauung über die Bühne bringen, bevor man es Ihrer Mutter… nun… zu sehr ansieht.«

Na toll. Also weiß sogar der genovesische Zeremonienmeister schon, dass meine Mutter guter Hoffnung ist.

Warum mietet Grandmère eigentlich keinen Werbezeppelin und lässt ihn über New York kreisen?

Plötzlich kam Grandmère eine Idee. »Apropos Hochzeit, das ist eine ideale Gelegenheit, dich über die Erwartungen an deinen zukünftigen Gemahl aufzuklären.«

Moment mal. »Mein zukünftiger was

»Gemahl«, erklärte Vigo eifrig. »Der Ehemann der Regentin. Prinz Philip ist beispielsweise der Gemahl von Königin Elizabeth. Und der Mann, den Sie eines Tages ehelichen werden, Hoheit, wird Ihr Gemahl sein.«

Ich blinzelte ihn an. »Ich dachte, Sie wären der fürstliche Zeremonienmeister?«

»Vigo ist nicht nur Zeremonienmeister, sondern auch unser Protokollchef«, erläuterte Grandmère.

»Ah, Protokoll. Das heißt, er kann Steno und so?«

Grandmère verdrehte die Augen. »Beim Protokoll geht es um Fragen des Zeremoniells und der Etikette, die zum Beispiel bei Staatsakten und Treffen mit ausländischen Würdenträgern beachtet werden müssen. Vigo kann dir erklären, was von deinem zukünftigen Gemahl erwartet wird. Nur damit es später keine unerfreulichen Überraschungen gibt.«

Dann ließ mich Grandmère ein Blatt Papier rausholen und genau aufschreiben, was Vigo mir diktierte, damit ich – wie sie sich ausdrückte – in vier Jahren, wenn ich aufs College ginge und mir in den Kopf setzte, mich mit einem völlig unpassenden Partner einzulassen, genau wisse, weshalb sie darüber so ungehalten sein wird.

College? Grandmère ahnt offensichtlich nicht, dass ich schon jetzt aktiv von Gemahlsanwärtern umworben werde.

Zugegeben, ich kenne noch nicht mal den richtigen Namen von Jo-C-rox. Aber es gibt ihn.

Dann erklärten mir beide genau, wie sich mein zukünftiger Gemahl zu verhalten hat, und irgendwie kommen mir langsam Zweifel, ob ich in nächster Zeit von jemandem Zungenküsse kriegen werde. Mir ist jetzt auch klar, weshalb Mom meinen Vater nie heiraten wollte – wenn er sie denn gefragt hätte.

Ich klebe den Zettel mit meinen Notizen hier rein:

Verhaltenskodex für den Gemahl
der Prinzessin von Genovia

 

Der Gemahl hat die Erlaubnis der
Prinzessin einzuholen, bevor er den Raum verlässt.

 

Der Gemahl hat zu warten, bis die Prinzessin gesprochen hat,
bevor er selbst das Wort ergreift.

 

Der Gemahl hat bei jeder Mahlzeit zu warten,
bis die Prinzessin ihre Gabel in die Hand nimmt,
bevor er selbst mit dem Essen beginnt.

 

Der Gemahl hat erst Platz zu nehmen,
wenn die Prinzessin sich gesetzt hat.

 

Der Gemahl hat sich zu erheben,
sobald die Prinzessin aufsteht.

 

Der Gemahl hat so lange von jeglichen
riskanten Unternehmungen Abstand zu nehmen –
dazu gehören z. B. Auto- oder Bootsrennen,

 

Bergsteigen, Fallschirmspringen –,
bis ein gesunder Thronerbe zur Verfügung steht.

 

Im Falle einer Annullierung oder Scheidung der Ehe
erklärt der Gemahl, für alle Zeiten auf das Sorgerecht für die
während der Ehe geborenen Kinder zu verzichten.

 

Der Gemahl hat etwaige Staatsbürgerschaften zugunsten
der genovesischen Staatsbürgerschaft aufzugeben.

Was für ein Weichei soll ich denn eines Tages abkriegen?

Wahrscheinlich muss ich mich glücklich schätzen, wenn mich überhaupt noch einer will. Ich meine, das kann doch nur ein Schwachkopf sein, der ein Mädchen heiratet, das er nicht unterbrechen darf. Und das er bei einem Streit nicht einfach im Zimmer sitzen lassen kann. Oder dem zuliebe er seine Staatsbürgerschaft aufgeben muss.

Mich schaudert bei dem Gedanken an den Versager, den ich eines Tages heiraten muss. Und mir blutet das Herz, wenn ich an die coolen Rennfahrer, Bergsteiger und Fallschirmspringer denke, die ich haben könnte, wenn ich keine beknackte Prinzessin wäre.

 

 

DIE FÜNF GRÖSSTEN NACHTEILE MEINES LEBENS ALS PRINZESSIN:

 

  1. Ich kann Michael Moscovitz niemals heiraten (er würde seine amerikanische Staatsbürgerschaft nie aufgeben, um Genovese zu werden),
  2. kann nirgendwo ohne Bodyguard hingehen (sosehr ich Lars mag; aber selbst der Papst darf manchmal alleine beten),
  3. muss bei wichtigen Themen wie Massentierhaltung oder Rauchen einen neutralen Standpunkt einnehmen,
  4. bekomme Prinzessunterricht von Grandmère und
  5. werde weiterhin gezwungen, Mathe zu lernen, obwohl ich in meinem zukünftigen Beruf als Regentin eines kleinen europäischen Fürstentums garantiert nichts damit anfangen kann.