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Ich stehe unter Schock. Ganz im Ernst.

Nicht weil Mom und mein Mathelehrer durchgebrannt sind, was ja irgendwie auch sehr romantisch ist, finde ich.

Nein, was mich daran so schockt, ist, dass Dad – Dad – ihnen dabei geholfen hat. Er hat Grandmère die Stirn geboten. Und wie!

Langsam beginne ich zu glauben, dass Dad überhaupt keine Angst vor Grandmère hat! Ich glaube, er hat bloß keine Lust, ständig mit ihr rumzustreiten. Wahrscheinlich ist es oft bequemer für ihn nachzugeben, als sich auf einen Kampf einzulassen. Kämpfe mit Grandmère können nämlich verdammt anstrengend und erbittert sein.

Aber diesmal hat er den unbequemen Weg gewählt. Diesmal hat er es ihr gezeigt.

Wetten, dass er dafür büßen muss?

Ich glaube nicht, dass ich das je richtig verdauen werde. Ich muss alles, was ich jemals über ihn dachte, neu überdenken. Ich würde sagen, das ist mit dem Schock vergleichbar, den Luke Skywalker bekommt, als er herausfindet, dass Darth Vader sein leiblicher Vater ist. Nur umgekehrt.

Während Grandmère noch hinter dem Flügel saß und schimpfte, ging ich zu Dad und umarmte ihn. »Wahnsinn! Du hast ihnen echt geholfen.«

Er sah mich neugierig an: »Wieso klingst du so überrascht?«

Ups. Megafettnäpfchen. »Och, na ja, du weißt schon warum.«

»Nein, weiß ich nicht.«

»Na ja…« (Warum? WARUM kann ich nicht einmal erst denken und dann reden?)

Ich war versucht, mir eine Lüge auszudenken. Aber ich glaube, Dad hatte mich schon durchschaut, weil er in so einem drohenden Tonfall sagte: »Mia…«

»Ja gut, okay«, brummte ich und gab nach. »Es ist nur, dass es manchmal so aussieht – nur so aussieht, echt –, als hättest du ein bisschen Angst vor Grandmère.«

Dad legte mir einen Arm um die Schultern. Und das alles direkt vor den Augen dieser Klatschkolumnistin Liz Smith, die gerade aufgestanden war, um den übrigen Gästen in den großen Ballsaal zu folgen. Sie lächelte uns an, und ich glaube, sie fand uns niedlich.

»Nein, Mia«, sagte Dad. »Ich habe keine Angst vor meiner Mutter. Sie ist gar nicht so schlimm, wie du denkst. Man muss sie nur zu nehmen wissen.«

Das ist ja was ganz Neues.

»Aber abgesehen davon«, fuhr er fort. »Hast du etwa wirklich geglaubt, ich würde dich im Stich lassen? Oder deine Mutter? Ich werde mein Leben lang für euch da sein.«

Das war so süß, dass ich einen Moment lang Tränen in den Augen hatte. Vielleicht lag das aber auch am Zigarettenrauch. Es waren eine Menge Franzosen unter den Gästen.

»War ich dir bisher so ein schlechter Vater, Mia?«, fragte er plötzlich.

Damit überrumpelte er mich total. »Nein, Dad, natürlich nicht. Ihr wart immer ziemlich gute Eltern.«

Mein Vater nickte. »Ich verstehe.«

Wahrscheinlich reichte das nicht, deshalb sagte ich: »Nein, im Ernst. Ich könnte mir keine besseren Eltern wünschen…« Und dann konnte ich es mir nicht verkneifen, noch hinzuzufügen: »Nur dass ich Prinzessin werden muss, das hättest du mir nicht unbedingt antun müssen.«

Er sah mich so an, als hätte er mir gerne zärtlich das Haar gerauft, wenn ich nicht so viel Mousse drin gehabt hätte, dass er mit Sicherheit darin kleben geblieben wäre.

»Tut mir Leid«, sagte er. »Aber glaubst du im Ernst, du wärst als Nancy Normalmädchen glücklicher?«

Hm. Ja.

Außer dass ich nicht gerne Nancy heißen würde.

Vielleicht wäre das sogar eines dieser nachhaltig berührenden Erlebnisse geworden, über das ich in meinem Englisch-Tagebuch hätte schreiben können, wenn nicht Vigo in diesem Moment auf uns zugeeilt wäre. Er sah supergestresst aus. Ist ja auch verständlich. Seine Hochzeitsfeier war völlig schief gelaufen: Zuerst war das Brautpaar nicht aufgetaucht und jetzt hatte sich auch noch die Gastgeberin, Grandmère, in ihrer Suite eingeschlossen und weigerte sich herauszukommen.

»Sie weigert sich herauszukommen?«, fragte mein Vater nach.

»Ganz genau, Hoheit.« Vigo sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. »Ich habe sie noch nie so wütend erlebt! Sie sagt, ihr eigen Fleisch und Blut hätte sie hintergangen und die Schande sei so groß, dass sie sich nie mehr in der Öffentlichkeit blicken lassen könne.«

Dad verdrehte die Augen. »Kommt mit«, sagte er.

Als wir vor der Tür zum Penthouse standen, gab Dad mir und Vigo durch eine Handbewegung zu verstehen, leise zu sein, und klopfte dann.

»Mutter«, rief er. »Mutter, ich bin es, Phillipe. Darf ich reinkommen?«

Keine Antwort. Aber sie war zweifellos drinnen, denn ich hörte Rommel leise winseln.

»Mutter«, wiederholte Dad. Er versuchte, am Knauf zu drehen, aber die Tür war verschlossen. Er seufzte tief.

Ich konnte ihn gut verstehen. Schließlich hatte er den größten Teil des Tages damit verbracht, ihre perfekten Pläne zu vereiteln. Das war bestimmt anstrengend gewesen. Und jetzt auch noch das.

»Mutter«, sagte er noch mal. »Ich möchte, dass du jetzt die Tür öffnest.«

Immer noch keine Antwort.

»Mutter. Dein Benehmen ist lächerlich. Entweder öffnest du mir jetzt die Tür oder ich hole jemanden vom Hotel und lasse sie öffnen. Willst du, dass ich so weit gehe?«

Ich wusste, es wäre Grandmère ein Gräuel, wenn ein Hotelangestellter Zeuge unseres Familienkrachs würde; eher würde sie sich uns sogar ungeschminkt zeigen. Deshalb legte ich Dad eine Hand auf den Arm und flüsterte: »Dad, lass mich mal probieren.«

Dad zuckte mit den Achseln und warf mir einen Blick zu, als wollte er sagen: »Wenn du unbedingt drauf bestehst.« »Grandmère?«, rief ich durch die Tür. »Grandmère, ich bin’s, Mia.«

Ich weiß auch nicht, was ich erwartete. Bestimmt nicht, dass sie mir die Tür öffnete. Ich meine, wenn sie es schon nicht bei Vigo tat, den sie zu vergöttern scheint, oder bei ihrem eigenen Sohn, der – wenn sie ihn schon nicht vergöttert  – immerhin ihr einziges Kind ist, warum sollte sie es dann bei mir tun?

Hinter der Tür blieb es still. Wenn man von Rommels Jaulen absah.

So schnell ließ ich mich nicht entmutigen. Etwas lauter rief ich: »Das mit Mom und Mr Gianini tut mir wirklich sehr Leid, Grandmère. Aber eins musst du zugeben: Ich hab dich gewarnt, dass sie so eine Hochzeit nicht wollen wird. Weißt du noch? Ich hab dir gesagt, dass sie eine kleine Feier will. Dir ist bestimmt auch schon aufgefallen, dass kein Einziger von den Gästen von ihr eingeladen wurde. Das sind alles deine Freunde. Okay, mit Ausnahme von Mamma und Pappa. Und Mr Gs Eltern. Aber diese Imelda Marcos zum Beispiel, die kennt Mom doch gar nicht. Und Barbara Bush? Die mag ja ganz nett sein, aber du willst doch nicht behaupten, sie wäre Moms beste Freundin?«

Immer noch keine Antwort.

»Grandmère«, rief ich durch die Tür. »Ich muss mich sehr über dich wundern. Du hast mir immer gesagt, dass eine Prinzessin Haltung bewahren muss. Hast du mir nicht beigebracht, dass eine Prinzessin immer gute Miene macht, egal wie schlecht es ihr geht, und sich nie hinter ihrem Geld und ihren Privilegien versteckt? Aber genau das machst du gerade. Solltest du jetzt nicht da unten sein und so tun, als wäre alles genau so, wie du es geplant hast, und einen Toast auf das glückliche Paar in absentia aussprechen?«

Erschrocken sprang ich zurück, als sich der Türknauf langsam drehte. Eine Sekunde später rauschte Grandmère heraus – ganz in purpurnen Samt gehüllt und mit einer brillantenbesetzten Tiara auf dem Kopf.

»Selbstverständlich hatte ich vor, wieder nach unten zu gehen«, erklärte sie würdevoll. »Ich wollte nur rasch meinen Lippenstift nachziehen.«

Dad und ich wechselten einen Blick.

»Klar, Grandmère«, sagte ich. »So wird’s gewesen sein.«

»Eine Prinzessin«, verkündete Grandmère, während sie die Tür abschloss, »lässt ihre Gäste niemals im Stich.«

»Werd ich mir merken«, sagte ich.

»Und was habt ihr dann hier verloren?« Grandmère sah mich und meinen Vater strafend an.

»Wir, äh, wollten bloß mal nach dir sehen«, erklärte ich.

»Ach so.« Und dann passierte etwas total Unerwartetes: Sie hängte sich bei mir ein und sagte dann, ohne Dad auch nur eines Blickes zu würdigen: »Komm, gehen wir.«

Ich merkte, dass Dad die Augen verdrehte. War ja auch echt fies von ihr, ihn so zu ignorieren.

Aber er wirkte kein bisschen eingeschüchtert, wie ich es an seiner Stelle sicher gewesen wäre.

»Sekunde, Grandmère«, sagte ich.

Und dann hängte ich mich bei Dad ein, sodass wir in einer Reihe nebeneinander im Gang standen – verbunden durch… tja, also… durch mich.

Grandmère schnaubte bloß. Aber Dad lächelte.

Und irgendwie, ich bin mir nicht ganz sicher, aber es könnte sein, dass das so ein nachhaltig berührendes Erlebnis gewesen ist.

Also, für mich jedenfalls.