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Am nächsten Tag erschien Flottmann wie versprochen in Pyjamajacke und Jeans zur Arbeit. Die Fragen der Kollegen nach seinem Outfit beantwortete er mit »Mein Anzug ist in der Reinigung«, »Man muss immer mit der Mode gehen« oder »Einen schönen Mann kann nichts entstellen«. Wie zu erwarten war, übernahmen die Flensburger Kollegen alle weiteren Ermittlungen. Immerhin wurde die Husumer Polizei in einer Pressemitteilung lobend erwähnt. Das war schon mehr, als Flottmann gehofft hatte. Einen wesentlichen Anteil an Petra Hinrichsens Rettung hatte sowieso Gerber. Seine Idee, die Position des vergrabenen Opfers anhand des Tidestands und der Uhrzeit zu ermitteln, war genial gewesen, auch wenn sie im Nachhinein nur logisch erschien. Hinrichsen musste mehrere Schutzengel gehabt haben, wobei Flottmann das nicht im wörtlichen Sinn verstand. Aber die Vorstellung passte zu ihrer Rettung in letzter Minute. Vielleicht hatten die Volksweisheiten zu Freitag, dem Dreizehnten, oder der schwarzen Katze, die den Weg kreuzte, ebenso eine Daseinsberechtigung, wenn man sie mit einem Augenzwinkern verwendete. Und die Astrologie? Für sie galt Ähnliches. Wohl fast jeder kannte sein Sternzeichen, und sich gelegentlich das Horoskop in einer Zeitschrift durchzulesen hatte noch niemandem geschadet.

Wie jedes Mal nach der Lösung eines schwierigen Falls, wenn die Anspannung von ihm abfiel, verfiel Flottmann in eine Art von Depression. Ein wenig hatte am Morgen das Schmusen mit Kater Bogomil und das Telefonat mit Lena geholfen. Doch das Gefühl würde noch einige Tage anhalten. Er wusste, dass Hilgersen genauso empfand.

Beide beschäftigten sich mit Routinearbeiten. Flottmann ließ seinen Stift auf die Schreibtischunterlage fallen, stand auf und ging zur Küche, die so groß wie ein Fahrstuhl war. Davor musste er warten, bis Malte seinen Tee zubereitet hatte. Kurz überlegte er, ob er umdrehen sollte, denn eine spezielle Mischung aus Knoblauch- und Kamillegeruch stieg ihm in die Nase. Aber der Kollege hatte ihn schon entdeckt.

»Moin. Ich bin gleich fertig. Dann kannst du rein. Mann, ich hab gehört, dass ihr den Fall gelöst habt. Tolle Sache!«

»Du hast ja auch deinen Anteil daran. Und wenn nicht dein Urlaub dazwischengekommen wäre, hätten wir dich noch mehr zurate gezogen. Schließlich bist du unser Fachmann für Astrologie und Übersinnliches.«

»Ja, schade. Unser Urlaub in Frankreich war sowieso total verregnet. Da wäre ich lieber dabei gewesen.«

»Beim nächsten Mal, Malte. Die Verbrecher sterben nicht aus.«

»Wohl wahr.« Malte goss das heiße Wasser zu den Teebeuteln in seiner Tasse und gab zwei Löffel braunen Kandis hinzu. Dann verließ er den Raum. Er machte Anstalten, das Gespräch wiederaufzunehmen, aber Flottmann huschte schnell in die Küche und wandte ihm den Rücken zu. Malte zog ab, nur der Geruch stand noch eine Weile in der Luft.

Flottmann kehrte mit einer Kanne Kaffee ins Büro zurück und schenkte Hilgersen und sich ein. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und schlürfte geräuschvoll vom starken Gebräu.

»Hast du deine Meinung zur Astrologie jetzt geändert?«, fragte er.

»Nein, warum sollte ich? Ich werde Malte beziehungsweise seine Lebensgefährtin bitten, ein Horoskop für Franziska zu erstellen. Das ist ein tolles Geburtstagsgeschenk. Sie ist übrigens Jungfrau wie ich.«

»Okay. Damit hast du meine Frage beantwortet.«

»Und du? Hast du deine Einstellung zur Astrologie geändert?«

»Ja. Früher hab ich sie nur für harmlose Spinnerei gehalten. Sie ist nicht harmlos. Aber eine winzige Wahrheit steckt doch in ihrer Methode.«

»Ach!« Hilgersen blickte Flottmann erstaunt an.

»Der Zeitpunkt der Geburt hat tatsächlich eine gewisse Bedeutung. Je nach Jahreszeit ist der Fötus im Mutterleib unterschiedlichen Bedingungen wie der Ernährung der Mutter und der Außentemperatur ausgesetzt. Das hat natürlich einen gewissen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes.«

»Interessant.«

»Es wurde wissenschaftlich untersucht, wie der Zeitpunkt der Geburt die Persönlichkeitsmerkmale beeinflusst. Die Auswirkungen konnten nachgewiesen werden, sind jedoch sehr gering. Aber natürlich hat das nichts mit den Sternen und Planeten zu tun.«

»Immerhin, immerhin!« Hilgersen schien begeistert über Flottmanns Ausführung zu sein. Vermutlich verstand er sie als ein gewisses Eingeständnis seines Kollegen.

»Sag mal, ziehst du das wirklich durch?«, fragte er nach einer Weile.

»Was?«

»Das mit dem Pyjama.«

»Klar. Ich halte mein Wort. Selbst wenn der Polizeipräsident vorbeikommt und sich bei uns bedankt.«

»Das wirst du wohl nicht beweisen müssen. Ich hab mich übrigens spontan zu einem Kurzurlaub entschlossen. Eine Woche Rom mit Franziska. Sonntag geht’s los.«

»Du fährst ins Ausland? Wo es doch hier am schönsten ist?«

»Franziska wollte es gerne. Ist ja auch eher ein Bildungsurlaub. Kolosseum, der Papst, Romulus und Remus.«

Silke Amsel kam ins Büro und legte einen Umschlag auf Flottmanns Schreibtisch. »Alles in Ordnung mit euch?«

»Alles paletti«, antwortete er. »Dein Kaffee gestern war übrigens Spitzenklasse. Könntest du uns nicht noch so einen kochen?«

»Träumt weiter, Jungs«, antwortete sie und verließ den Raum.

»Das war ein Satz mit x.« Hilgersen grinste.

»Es war einen Versuch wert. Ich komme eben an deinen Charme nicht ran.«

»Mach dir nichts draus.«

Flottmann öffnete den Umschlag und hielt eine CD in der Hand. »Polarlichter« hatte Gerber sein Album genannt. Flottmann steckte die CD in das Computerlaufwerk und startete den Player. Dann legte er die Füße auf den Aktenbock und ließ sich verzaubern.