23

Everyone Loved Her

»They love me when I fake,
this hypocrisy makes me ache«

Thomas

Daisys Fans machen sich Sorgen um sie.

Sie sind nicht die Einzigen. Ich verbringe meine Tage damit, sie zu beobachten, weil ich fürchte, dass sie noch einmal zusammenbricht. Gestern glaubte ich ernsthaft, ich müsste jemanden umbringen. Hätte ich nicht gewusst, dass es für sie dadurch nur noch schlimmer geworden wäre, hätte ich sie von der Bühne geholt.

Zwar hat sie immer wieder gesagt, dass alles in Ordnung wäre, aber ich habe darauf bestanden, einen Arzt zu rufen und sie untersuchen zu lassen. Seiner Meinung nach hatte sie einen stressbedingten Blutdruckabfall. Sie müsse sich ausruhen und vor allem ausreichend essen.

Aber natürlich weiß Daisy nicht, was Ruhe ist. Schon am nächsten Tag steht sie wieder im Studio und arbeitet. Sie hat versucht, ihren Körper so gut wie möglich zu bedecken, doch unter ihrem Pulli erkennt man die Schmerzpflaster auf ihren Schultern. Ich habe sie ihr selbst aufgeklebt, und zwar so ziemlich überall auf ihrem Körper.

Einige Fans haben es bemerkt und einen Hashtag gegen ChannelD gestartet. Die Verantwortlichen werden beschuldigt, ihren Künstlern zu viel abzuverlangen. Das gefiel Kate natürlich überhaupt nicht. Sie warf Daisy vor, nicht vorsichtig genug gewesen zu sein, und hat sie gezwungen, ihr Publikum zu beruhigen.

Deshalb postet Daisy jetzt Selfies und Videos von sich, auf denen sie lächelt und sagt, dass alles in Ordnung wäre, dass sie sich noch nie in ihrem Leben so glücklich gefühlt und dass sie das alles ihren treuen Fans zu verdanken hat.

Genau den Leuten, die sie als Nutte und Opportunistin bezeichnen.

»Warum tust du das?«

Das frage ich mich wirklich. Von Daisy kommt nur ein zerstreutes »Mmh?«. Sie blickt nicht einmal von ihrem Handy auf, auf dem sie mit Lichtgeschwindigkeit herumtippt. Seit einiger Zeit scheint sie nichts anderes mehr zu tun.

»Dee. Sieh mich bitte an.«

Sie reagiert nicht, sondern runzelt nur die Stirn und kaut an ihrem Daumennagel. Verärgert trete ich näher und greife nach ihrem Handy. Sie erschrickt und schaut mich endlich an.

»Was hast du?«, schimpft sie. »Ich bin gerade dabei, etwas zu posten!«

»Und ich rede mit dir.«

»Das habe ich nicht gehört …«

»Ich weiß. Genau da liegt das Problem.«

Sie blinzelt und schweigt. Ich weiß, dass es ihr bewusst ist, aber sie kann nicht anders. Ihr Smartphone ist ihr ganzes Leben. Zu wissen, was die Welt über sie denkt, ist ihr so wichtig wie Sauerstoff. Sie kann es nicht ertragen, dass jemand sie nicht mag, also kompensiert sie es.

»Warum postest du so etwas, wenn es nicht wahr ist?«, frage ich und werfe einen Blick auf das Selfie, das sie hochladen wollte. »Du bist auf der Bühne umgekippt, Daisy. Irgendein Arschloch hat dir eine verdammte Dose an den Kopf geworfen!«

»Weil es mein Job ist.«

»Aber es ist nicht die Wahrheit. Wozu also ist es dann gut?«

Sie lacht höhnisch, als würde ich nichts davon verstehen, und vermutlich ist das auch der Fall. Ich fühle mich meilenweit von ihrer Welt entfernt, die ich immer mehr hasse.

»Die Leute wollen keine Wahrheit«, sagt sie und greift nach ihrem Handy. »Sie bezahlen nicht für eine müde und deprimierte Version von Daisy Coleman. Weißt du, was die Öffentlichkeit noch mehr hasst als einen gescheiterten Star? Einen Star, der alles hat, was er braucht … und sich trotzdem beschwert.«

Ich weiß genau, was sie meint, und es bricht mir fast das Herz. Nachdem sie ohnmächtig geworden war, fragte Kate sie, was mit ihr nicht stimme. Daisy weinte und sagte, alles wäre zu schwierig und sie sei unglücklich.

Es war das erste Mal, dass sie es aussprach.

Aber Kate schaute nur auf sie herunter, stemmte die Hände in die Hüften und sagte: »Weißt du, wie viele Menschen töten würden, um an deiner Stelle zu sein? Hör auf, dich zu beschweren, und werd erwachsen. Meine Güte, die ganze Welt liegt dir zu Füßen!«

Vermutlich werde ich mich mein Leben lang daran erinnern, was Daisy schluchzend als Antwort hauchte: »Warum habe ich dann das Gefühl, dass die Welt mich in der Hand hat?«

Ich habe Angst. Ich habe Angst, dass sie sie ein für alle Mal zerbrechen.

»Du würdest es mir doch sagen … wenn du an deiner Belastungsgrenze angekommen wärst, nicht wahr?«

Ihr Gesicht zeigt keine Regung. Ich sehe, wie sie schluckt, und dann schenkt sie mir dieses Lächeln, das ich aus tiefstem Herzen hasse.

Das Lächeln für die Journalisten.

»Aber natürlich.«

Und dann macht sie da weiter, wo sie aufgehört hat. Den Rest des Nachmittags verbringe ich damit, ihr hinter der Glasscheibe des Studios beim Singen zuzusehen. Unzählige Male fängt sie wieder von vorn an und ärgert sich. Nichts ist ihr je perfekt genug.

Selbst wenn man ihr sagt, dass eine Aufnahme gelungen ist, will sie es ein weiteres Mal versuchen, um es noch besser zu machen.

Wieder einmal vibriert mein Telefon in meiner Jacke. Ich muss nicht hinsehen, um zu wissen, wer dran ist. Meine Mutter.

Mama: Undankbarer Psychopath! Ich habe dich vor der Straße gerettet und das ist nun der Dank dafür! Gut, dass du gegangen bist!

Ich habe nach unserem letzten Telefonat auf keine ihrer Nachrichten geantwortet, aber sie lässt nicht locker. Inzwischen zeigt sie ihr wahres Gesicht. Nachdem sie zunächst versucht hat, mich zu erweichen, und merkte, dass es nicht funktioniert, beschimpft sie mich jetzt.

Ich hebe die Augen zum Himmel. Erbärmlich.