Heute wird Thomas neunundzwanzig Jahre alt.
Er glaubt, ich hätte es vergessen, aber da kennt er mich schlecht. Ich habe etwas getan, was ich vielleicht nicht hätte tun sollen, und obwohl ich in dem Moment stolz darauf war, bereue ich es allmählich.
Als Thomas nach seinem täglichen Workout unter der Dusche stand, nutzte ich die Gelegenheit, um sein Handy nach einer ganz bestimmten Nummer zu durchsuchen. Um anzurufen, habe ich mich mit einem Bibbern im Bauch in meinem Zimmer eingeschlossen.
Die ganze Woche habe ich aufgeregt und nervös auf diesen Moment gewartet. Als ich Thomas jedoch mit verbundenen Augen am Hafen hinter mir her ziehe, würde ich am liebsten weglaufen.
»Wohin gehen wir?«, erkundigt er sich stirnrunzelnd.
»Das ist eine Überraschung!«
»Na, hoffentlich sehe ich dich dabei wenigstens nackt.«
Ich verdrehe stumm die Augen, obwohl ich darüber grinsen muss.
Nur noch wenige Schritte. Als wir angekommen sind, lasse ich ihn los und stelle mich vor ihn.
»Okay … du kannst die Augen öffnen.«
Mein Herz schlägt wie wild. Thomas greift nach dem Band, das ich ihm um den Kopf gebunden habe, und blinzelt.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«
Er erstarrt mit aufgerissenen Augen. Er schaut weder mich an noch die Yacht, vor der wir stehen, und auch nicht Hayley, Javier und Micah.
Nein, seine Augen sind auf Levi und Rose neben mir gerichtet, die eher spöttisch als herzlich lächeln. Meine Aufregung fällt in sich zusammen, und ich beginne Panik zu schieben. Scheiße, da habe ich wohl einen Fehler gemacht, oder?
»Überraschung, Chris!«, ruft Rose. »Küsschen?«
»Was macht ihr denn hier?«
Meine Freunde grinsen verlegen, während mein Lächeln schwindet. Das war keine gute Idee. Ich hätte mich nicht in sein Privatleben einmischen dürfen … Ich wollte doch nur, dass seine besten Freunde bei ihm sind, so wie er es am Thanksgiving-Abend für mich arrangiert hat.
Offenbar habe ich mich geirrt.
Levi wirft mir einen Seitenblick zu und bemerkt meinen besorgten Gesichtsausdruck.
»Hör auf zu schmollen«, sagt er zu Thomas, der seine Hände in den Hosentaschen vergraben hat. »Du freust dich, uns zu sehen, gib es zu.«
Ich bin ihm dankbar, dass er mir hilft, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob es funktioniert. Thomas sieht mich an und scheint endlich zu verstehen, was passiert ist. Schließlich wendet er den Blick ab, schluckt seinen Ärger hinunter und begrüßt Levi.
»Wo sind Lucky und Li Mei?«
»Beschäftigt«, antwortet Rose. »Sie lassen dich grüßen.«
»Das glaube ich euch zwar keine Sekunde, aber danke.«
Ihre Kommunikation ist wirklich seltsam, das schockiert mich allerdings nicht so sehr. Eher ist es Thomas. Als ich Levi anrief, mich vorstellte und ihm meinen Plan darlegte, schüchterte er mich sofort ein. Er war umgänglich, das war nicht das Problem, aber ich fühlte, was für eine Art Mensch er ist.
»Daisy hat uns zu deinem Geburtstag eingeladen. Das ist doch nett von ihr, oder?«, fügt Rose mit einem geheimnisvollen Lächeln hinzu.
Ich weiß nicht, ob sie sich über mich lustig macht oder versucht, mir zu helfen, doch Thomas nickt, ohne mich anzusehen. Ich muss zugeben, dass ich eine andere Reaktion erwartet habe.
»Ich habe für den heutigen Tag und Abend eine Yacht gemietet«, sage ich mit einem verkrampften Lächeln. »Wollen wir?«
Meine Freunde begrüßen Thomas und gratulieren ihm zum Geburtstag, dann bitte ich sie, vorzugehen. Mein Bodyguard packt mich am Handgelenk, und wir bilden die Nachhut.
»Warum hast du das getan?«
Es klingt wie eine Anklage.
»Ich wollte dich überraschen. Du sprichst ständig von ihnen, und ich weiß, dass sie weit weg wohnen, also …«
»Tja, das hättest du nicht tun sollen.«
Aha. Enttäuschung macht sich in mir breit und verwandelt sich allmählich in Wut. Vielleicht hätte ich vorher fragen sollen, das ist richtig, aber es war gut gemeint. Ich habe es für ihn getan!
»Okay. Du musst ja nicht mitkommen«, erwidere ich und schiebe seine Hand weg. »Entschuldige bitte, dass ich versucht habe, dir eine Freude zu machen, und dass ich mir Zeit genommen habe – Zeit, die ich eigentlich nicht habe –, um dir einen schönen Geburtstag zu organisieren.«
Ich wende mich wütend ab, doch er hält mich am Handgelenk fest.
»Warte.«
Ungeduldig bleibe ich stehen. Es gefällt mir nicht, für jedermann sichtbar hier draußen zu sein. Thomas’ Gesicht ist nur wenige Zentimeter entfernt. Ich bin weder verkleidet noch besonders unauffällig.
Thomas neigt den Kopf, studiert meinen Gesichtsausdruck und seufzt dann frustriert.
»Es ist nur … ich wollte eigentlich nicht, dass du mit Levi und den anderen in Kontakt kommst.«
»Warum? Schämst du dich für mich, diese Kleine, die für ChannelD singt?«
»Was redest du da?«, empört er sich genervt. »Habe ich mich auch nur ein einziges Mal deinetwegen geschämt? Du verstehst gar nichts.«
»Dann erklär es mir!«
»Levi und Rose sind ein Teil meines Lebens, den ich nicht in deine Nähe lassen will, okay?«, stößt er hervor wie ein schmerzhaftes Geständnis. »Weil sie eine düstere, hässliche und deprimierende Seite von mir widerspiegeln. Du, Daisy, bist perfekt. Du bist das Perfekteste, was ich je in meinem Leben hatte, und schon das ist ein verdammtes Wunder. Ich will nicht auf dich abfärben. Ich liebe Levi und Rose, aber ihre Leben sind genauso verdreht wie meins. Bitte werde nie so verdreht wie wir.«
Ich muss zugeben, dass ich kein einziges Wort mehr gehört habe, nachdem er sagte: »Du bist das Perfekteste, was ich je in meinem Leben hatte.« Vor Freude geht mir das Herz auf. Ich muss den Drang bekämpfen, ihn zu küssen, um ihm zu zeigen, was ich empfinde.
Es ist ihm einfach so herausgerutscht, und ich bin mir nicht einmal sicher, ob er es überhaupt bemerkt hat. Ich sehe ihn daher mit einem schmalen Lächeln an und nicke.
»Okay.«
Meine Fügsamkeit scheint Thomas zu verblüffen. Ich beuge mich näher zu ihm und flüstere schelmisch:
»Mich ganz nackt heben wir uns für später im Whirlpool auf.«
Die Party ist in vollem Gange. Wir sitzen alle auf Sesseln um einen niedrigen Tisch herum, und der Seewind zerzaust unser Haar.
Wir trinken, essen und lachen, während im Hintergrund eine Playlist von Hayley läuft. Der Culture Clash zwischen der Italienerin Rose, dem Russen Levi, dem Schweden Thomas und meinen amerikanischen Freunden ist beeindruckend.
»Stimmt es, dass du die Poker-Weltmeisterschaft gewonnen hast?«, erkundigt sich Micah mit misstrauischer Stimme.
Levi nickt. Er lehnt sich tiefer in seinen Sessel und hat einen Arm um Roses Schultern gelegt. Sie nippt an ihrem Whiskyglas und wirkt ziemlich stolz.
»Thomas ist auch weit gekommen.«
Mit offenem Mund schaue ich ihn an.
»Ich wusste gar nicht, dass du pokerst!«
Wie konnte mir das entgehen, obwohl ich ihn schon zehn Jahre kenne? Das ist ungerecht. Thomas macht mir ein Zeichen, dass es für ihn nicht wichtig ist, aber ich bin trotzdem enttäuscht.
»Ich bin mir aber sicher, dass du viele andere pikante Dinge weißt«, antwortet Levi mit einem beunruhigenden Lächeln. »Erzähl uns alles, kleines Gänseblümchen.«
Thomas wirft mir einen warnenden Blick zu, doch ich gebe nach und erzähle ein paar Anekdoten aus unserer Jugend. Seine Freunde scheinen das zu genießen, vor allem Rose, die verspricht, ihn jedes Jahr daran zu erinnern.
Ich vertilge fast das ganze Büfett allein. Es ist peinlich, aber ich bin am Verhungern. Ich weiß nicht mal mehr, wann ich das letzte Mal gegessen habe … Vermutlich ein paar Mandeln gestern vor dem Schlafengehen.
»Schmeckt es, kleines Eichhörnchen?«, flüstert Thomas neben mir.
Mit vollem Mund drehe ich mich zu ihm um. Er beobachtet mich kopfschüttelnd und belustigt, lacht schließlich leise und legt seine Hand auf meine vollgestopfte Wange.
»Glaubst du, du hast genug Vorrat für das ganze Jahr?«
Ich werfe ihm einen bösen Blick zu, doch er lächelt nur.
»Nicht die Stirn runzeln, Gollum. Ich freue mich doch, dass du endlich mal etwas isst.«
Mit diesen Worten greift er nach meinem Kinn und drückt mir einen Kuss auf die dicke Wange. Das ist so süß und so ungewöhnlich, dass ich erröte.
Schließlich tanzen wir. Alle außer Levi und Thomas, die sich ruhig auf dem Sofa unterhalten. Hayley weicht Rose nicht von der Seite. Ich glaube, sie sprechen über Klamotten und Reisen.
Die Jungs bleiben in meiner Nähe, aber ich werde einfach nicht locker. Ständig muss ich an Thomas, Hakeem und Brianna denken – und an meine Fans. Ich weiß nicht mehr genau, wo ich jetzt stehe oder was ich tun soll. Ich weiß nur, dass ich mich leer fühle. Ohne jegliche Energie.
Thomas ahnt nichts davon, doch ich schlafe jeden Abend weinend ein. Mitten in der Nacht bekomme ich plötzlich Panikattacken, schrecke auf und habe das Gefühl, zu ersticken. In meinem eigenen Haus fühle ich mich nicht mehr sicher. Es ist so schlimm, dass ich so oft wie möglich weggehe. Jede freie Minute verbringe ich in den sozialen Medien und durchforste alle Kommentare über mich.
Aber vor allem denke ich … an Frank. Daran, dass er jeden Moment über mich herfallen könnte.
Ich habe ununterbrochen Angst.
Plötzlich spüre ich Hände auf meinen Hüften. Ich erstarre, ehe mir klar wird, dass Thomas hinter mir steht. Die beiden Freunde haben sich zu uns auf die Tanzfläche gesellt. Levi küsst Rose, und Hayley tanzt gleichzeitig mit Javier und Micah.
Niemand beachtet uns, und selbst wenn. Hier sind nur meine Freunde. Ausnahmsweise müssen Thomas und ich uns nicht verstecken oder verstellen. Um uns herum gibt es nur das Meer und die Unendlichkeit, und das tut mir gut.
»Woran denkst du?«, raunt Thomas an meinem Hals.
Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter und schließe die Augen. Seine Hände führen meine Hüften in eine langsame, erotische Bewegung. Ich tanze an ihn geschmiegt und genieße die Wirkung seines Mundes unter meinem Ohr.
Mein Körper entflammt. Ich habe keine Ahnung, wer uns beobachtet, aber es ist mir egal.
»An nichts Wichtiges.«
Zärtlich knabbert er an meinem Ohrläppchen, während er mich an seine Hüften drückt.
»Du hast vorhin von einem Whirlpool gesprochen … Wäre es nicht allmählich Zeit, dass ich mein Geschenk auspacke?«, haucht er und schiebt einen Träger an meiner Schulter hinunter.
»Ich bin mir nicht sicher, ob du brav genug warst.«
Ich höre ihn an meinem Hals lachen, dann dreht er mich zu sich um und legt seine Hände auf meinen Rücken. Sein Mund presst sich fiebrig auf meinen.
»Was auch immer ich verbrochen habe, ich mache es wieder gut.«
Was er mir später an diesem Abend gerne beweist.