Die ersten Monate verbrachte ich vor allem in der Wohnung, ich kannte die Stadt nicht mehr, ich fühlte mich fremd, außerdem war später Winter. Grauer Nebel trieb über den teilweise vereisten Fjord, die Hügelkämme am Horizont ähnelten schlafenden Dalmatinern, die Bürgersteige waren von Eisbuckeln bedeckt. Wenn ich ein seltenes Mal nach draußen ging, kam es vor, dass mir Mutters Anwesenheit fast fünf Kilometer weiter bewusst war. Im Gegensatz zu den dreißig vergangenen Jahren bestand jetzt die konkrete Möglichkeit, ihr über den Weg zu laufen. Aber sie war sicher nicht viel unterwegs bei diesem Wetter, bei dieser Kälte, bei diesen Eisbuckeln, sie wollte sich doch nicht den Oberschenkelhals brechen. Ältere Frauen haben Angst, sich den Oberschenkelhals zu brechen. Sie musste jetzt weit in ihren Achtzigern sein. Ich stand eines Nachmittags vor dem Fahrkartenautomaten an der Haltestelle, als eine ältere Frau fragte, ob ich ihr behilflich sein könne. Ich hatte gerade gelernt, die richtigen Tickets zu finden, sie stand neben mir mit einem Vertrauen, das mich berührte, mit offener Handtasche und offenem Portemonnaie. Als sie ihre Fahrkarte bekommen hatte, fragte sie, ob ich ihr die Treppe hoch helfen könne, ich konnte nicht nein sagen. Sie fasste meinen Arm mit der einen Hand, das Geländer mit der anderen, ihre Einkaufstasche hing ihr um den Hals und baumelte bei jedem Schritt hin und her, sie ging so langsam, dass ich Angst hatte, meine Bahn zu verpassen, aber ich konnte sie nicht loslassen. Ich zählte die Treppenstufen, um mich zu beruhigen, es waren zweiundzwanzig. Auf dem Bahnsteig bedankte sie sich überschwänglich, ich sagte, keine Ursache, sie wolle ihre Tochter besuchen, sagte sie, und ich wurde verlegen.