Ich stand gerade im Atelier und presste Smaragdgrün aus einer Tube, als mein Schulweg zu mir zurückkehrte, der von damals, wie Mutter und ich ihn einmal zusammen gingen. Es war ein sonniger Tag im April, der Himmel war hoch, und die großen Knospen der Birken leuchteten blassgrün in der kühlen Luft, ich hatte einen neuen Strickpullover an, er war grün. Ich wäre glücklich gewesen, wenn Mutters Angst nicht gewesen wäre. Wir waren auf dem Weg zum Elterngespräch, und Mutter hatte vor meiner strengen Lehrerin Frau Bye ebenso große Angst wie vor Frau Benzen, Mutter hatte Angst, Frau Bye würde über mich ebenso verzweifeln wie Frau Benzen, also auch über Mutter, sie hatte Angst, meine Lehrerin Frau Bye würde meinen, sie versage in ihrer wichtigsten Lebensaufgabe, der Aufgabe der Mutter. Es half nichts, dass Vater in einer Anwaltskanzlei arbeitete; wenn er nicht zugegen war, war Mutter wehrlos. Ich witterte das und zitterte vor Angst um Mutter und um mich selbst, ihre Schritte wurden langsamer, je näher wir dem Schulgebäude kamen, aber zu spät zu kommen wäre auch nicht gut. Beim Schultor blieb sie stehen, drehte sich zu mir um und fragte: Du hast doch nichts angestellt? Ich glaubte es nicht, konnte aber nicht sicher sein. Es kam vor, dass ich gemeine Gedanken über Frau Bye dachte, aber das konnte doch niemand wissen? Ich schüttelte vorsichtig den Kopf, und wir gingen hinein, fanden die richtige Tür, und Mutter hob den Arm, der in einem Twinset-Oberteil steckte, um anzuklopfen. Frau Bye rief uns hinein, und Mutter öffnete die Tür, Frau Bye saß am Pult, davor standen zwei Stühle, auf die wir uns setzten, und Mutter sank in sich zusammen. Frau Bye schaute in ihren Papieren nach, Mutter sah ihre Hände an, Frau Bye sagte, Frau Hauk, und Mutter hob ihr Gesicht, blanke Augen, sie war damals wohl Ende zwanzig. Frau Bye sagte, ich könnte in Mathematik besser werden, Mutter nickte und senkte den Kopf. Aber ich sei gut im Lesen und Schreiben, sagte Frau Bye, und vor allem gut in Schönschrift, Mutter schaute noch immer nach unten. Frau Bye griff zu meinem Schreibheft, blätterte zum ӕ vor und hielt es hoch, Mutter hob den Blick. Und schauen Sie hier, sagte Frau Bye und schlug die Seite auf, wo ich Kanten gezeichnet hatte, Mutter sah das Heft an und danach kurz mich. Johanna hat Talent, sie zeichnet gut, sagte Frau Bye, und der Rektor möchte, dass sie die Einladung der Schule zum siebzehnten Mai zeichnet, hast du Lust? Frau Bye sah mich an, mit etwas, das aufrichtigem Stolz ähnelte. Ich nickte andächtig. Darüber wird der Rektor sich freuen, sagte Frau Bye, stand auf und streckte die Hand aus, Mutter nahm sie, machte einen Knicks, alles war vorbei und nicht mehr gefährlich. Draußen auf dem Gang atmete Mutter auf, bückte sich, drückte mich an sich und flüsterte: Ich hab’s ja gesagt.
Was hatte sie gesagt und zu wem. Zu mir hatte sie nie etwas über Schönschreiben oder Kanten oder den siebzehnten Mai gesagt, aber das war nicht von Bedeutung, der Heimweg war leicht. Am Dahlsplass gingen wir in die Konditorei und aßen Cremeschnittchen, Mutter wiederholte zweimal das mit dem Talent und der Einladung zum siebzehnten Mai, ich war so glücklich! Ich hab’s ja gesagt. Ich freute mich darauf, dass Mutter es Vater erzählen würde, aber Vater kam an diesem Tag nicht nach Hause, Vater war in London. Abends, als ich schlafen sollte, begriff ich es. Mutter hatte zu Vater gesagt, dass ich Talent fürs Zeichnen hätte, aber Vater sah das nicht so. Mein Herz schwoll an bei dem Gedanken, dass Mutter schöne Dinge über mich zu Vater sagte, die Vater nicht glaubte, die aber der Wahrheit entsprachen.
Wann hatte das aufgehört, wann hatte Mutter nur noch Vater gehört?