Vor kurzem saß ich beim Friseur neben einer älteren Frau, die laut mit der Friseurin redete, während diese ihr die Haare eindrehte. Ich erinnerte mich an Mutter, wenn sie vom Friseur kam, den Trasoppvei herunter, die langen kupferroten Haare hochgesteckt, es war Samstag, und sie wollten auf ein Fest, Vaters Geschäftspartner und deren Gattinnen, Mutter war außergewöhnlich schön und unnahbar und blass mit winzigen Sommersprossen auf der Nase, wie Zimt auf einem Cappuccino. Die ältere Frau neben mir war vielleicht einmal blass gewesen, jetzt war ihre Haut grob und von Altersflecken bedeckt, ihre Haare waren dünn, fast zu dünn, um zu Locken gewickelt zu werden, ich hoffte, dass Mutters Haut, ihre Haare nicht so waren wie die der Frau. Die Frau beschwerte sich über die Blätter, die von den Bäumen fielen, weil der Bürgersteig davon glitschig wurde, sie hatte Angst, auszurutschen und sich den Oberschenkelhals zu brechen. Wenn man sich den Oberschenkelhals bricht, hat man schlechte Karten, sagte sie, so viele Todesfälle beginnen mit einem Oberschenkelhalsbruch. Die meisten Menschen wollen so lange leben wie möglich. Hatte Mutter sich den Oberschenkelhals gebrochen? Sie sei in Fredrikstad geboren, sagte die Frau. Ihr Vater sei Schmied in der Werft Fredrikstad Mekaniske gewesen, damals, als der Rauch der Fabriken an kalten Wintertagen manchmal so tief hing, dass sie das Nachbarhaus nicht sehen konnten. Das schlichte Mobiltelefon vor ihr auf dem Tisch klingelte, und sie sah ängstlich auf das Display, dann hob sie das Telefon hoch, ging ran und klang, als wäre jemand mit Autorität am anderen Ende. Ja, sagte sie, sie habe daran gedacht. Ich habe daran gedacht, sagte sie noch drei Mal, jetzt jedoch langsamer, während ihr Gesicht aussah, als ob sie nun bezweifelte, wirklich daran gedacht zu haben. Sie legte das Telefon mit besorgter Miene weg und sagte, das sei ihre Tochter gewesen. Was haben Sie für ein Glück, dass Sie eine Tochter haben, die sich kümmert, sagte die Friseurin. Vielleicht, sagte die alte Dame, und beide schwiegen. In Fredrikstad, sagte sie dann, und die Friseurin hörte zu, das lernen sie auf der Friseurschule. In Fredrikstad, als ich klein war, ging morgens die Fabrikpfeife, und die Arbeiter eilten zum Tor, und die Mütter mussten für Mann und Kinder Pausenbrote schmieren, sie waren sieben gewesen. Sieben Kinder, für die die Mutter sorgte, dafür, dass sie saubere Kleider und ordentliche Pausenbrote hatten, auch wenn der Vater als Schmied bei der Mekaniske nicht genug verdiente. Die Mutter machte so gute Brote, oft gab es darauf Überraschungen, sagte die Frau glücklich, weil sie es jemandem erzählen konnte, die es noch nicht gehört hatte, die sich vielleicht für ihre Kindheit in Fredrikstad interessierte, was, den Eindruck hatte ich, die Tochter nicht mehr tat, sie hatte zu oft von den Pausenbroten gehört, es kam vor, dass sich darin ein Zuckerstück versteckte, damals wussten sie noch nicht, dass das nicht gut für die Zähne ist. Die Mutter sei ein ungewöhnlicher Mensch gewesen, sagte die Frau. Ich fragte mich, ob Mutter auch auf diese Weise redete, die typisch für ältere Menschen war, Sätze, die vor langer Zeit geformt worden waren und seither nur noch wiederholt wurden. Das wäre dann eine große Veränderung im Vergleich dazu, wie Mutter in meiner Erinnerung redete. Mutter hatte immer ein wenig hektisch und fieberhaft gesprochen, als wäre sie nervös, als wäre sie gequält. An der Oberfläche leichten Herzens, aber in ihrem tiefen Inneren eigentlich gequält? Aber vielleicht redet Mutter jetzt so, wie viele ältere Menschen es tun, stotternd und langsam und beschämt und wie um für ihre Langsamkeit um Entschuldigung zu bitten, es tut weh, alte Menschen tun mir leid.

 

Geht Mutter zum Friseur? Ja. Mutter war es immer wichtig, gepflegt auszusehen, das hat sich nicht geändert, es wäre traurig, wenn Mutter schmuddelig und ungepflegt geworden ist, aber meine Schwester sorgt dafür, dass das nicht passiert. Wenn Mutter sich nicht selbst um ihre Friseurtermine kümmert, dann übernimmt das Ruth. Ich kann mir Mutter nicht so träge in ihren Bewegungen und ihrer Rede wie die ältere Frau neben mir vorstellen, aber selbst mit den rüstigsten Menschen passiert etwas, wenn sie auf die fünfundachtzig zugehen, hat Mina erzählt, sie arbeitet mit älteren Menschen. Ich glaube, Mutter wird in diesen Tagen fünfundachtzig, vielleicht heute? Mutter geht vermutlich immer zur selben Friseurin, macht immer dort ihren Termin, alte Menschen mögen keine Veränderungen, auch ich gehe immer zur selben Friseurin, aber weil ich neu in der Stadt bin, ist es eine neue Bekanntschaft. Ich habe ihr nicht erzählt, dass ich meine Mutter seit dreißig Jahren nicht mehr gesehen habe, obwohl sie in derselben Stadt wohnt. So etwas sagt man nicht. So etwas kann man nicht kurz erklären. Worüber redet Mutter mit ihrer Friseurin? Über ihre Kindheit in Hamar? Über mich redet sie nicht. Es ist, als ob es mich nicht gäbe. Was sagt Mutter, wenn sie nach Kindern und Enkelkindern gefragt wird, wie Friseurinnen ältere Kundinnen immer fragen, das lernen sie auf der Friseurschule. Aber vermutlich lernen sie auch, dass Familie ein schwieriges Thema ist, dass es viel Trauriges gibt, Kompliziertes und Unbehagliches, besser, man ist vorsichtig. Zum Friseur zu gehen soll ein schönes Erlebnis sein, die Kundin bezahlt auch für die Fürsorge, die Friseurin kommt in engen Kontakt zu ihrer Kundschaft, und ihre Berührung kann nicht mit der durch einen Arzt verglichen werden, denn beim Arzt fühlt man sich oft ängstlich oder nervös. Die Friseurin legt der älteren Kundin die Hände auf die Schultern und erwidert im Spiegel ihren Blick: Jetzt haben Sie die Haare schön.

Wenn die Friseurin Mutter auf vorsichtige Weise nach ihrer Familie fragt, sagt Mutter, dass sie eine Tochter und vier Enkelkinder hat. Ruths vier Kinder sind erwachsen und haben interessante Ausbildungen und Beziehungen, von denen Mutter erzählen kann. Niemand hat den Verdacht, dass jemand ausgelassen wird, es ist normal geworden. Mutter spürt keinen Stich mehr im Herzen wie in den ersten Jahren, als ihre ältere Tochter nicht erwähnt werden durfte.

 

Vielleicht hat Mutter angefangen, von ihrer früh verstorbenen Mutter zu sprechen, die ich niemals kennengelernt habe, von der sie nie erzählt hat, vermutlich eine außergewöhnliche Frau.

 

Wenn ich mir nun einen Termin in Mutters Friseursalon geben ließe, theoretisch wäre das möglich. Dann würde ich so sitzen wie neulich, die Augen in einer Zeitschrift, während ich eigentlich zuhörte, was Mutter ihrer Friseurin über ihre Enkelkinder erzählt, deren Namen ich nicht kenne. Und wenn sie dann davon erzählte, dass sie keinen Kontakt zu ihrer älteren Tochter hat, weil der Friseursalon genau der richtige Ort für solche Geständnisse sein kann? Mutter kann mit Ruth nicht über mich sprechen. Schon seit vielen Jahren hat Ruth es satt, über mich zu sprechen, Mutter hat damals aufgehört, mich Ruth gegenüber zu erwähnen, die vermutlich gesagt hat: Es tut dir nicht gut, an sie zu denken. Mutter spricht auch nicht mit ihrem älteren Bruder über mich, der der Onlineauskunft zufolge noch lebt und mit seiner Frau in Tranbygd wohnt, denn wenn Mutter ihm erzählte, dass ich angerufen habe und sie nicht ans Telefon gegangen ist, würde er vielleicht andeuten, dass sie es hätte tun sollen. Das würde die Friseurin niemals tun, denn es ist die Aufgabe der Friseurin, höflich und verständnisvoll zu sein, egal, was die Kundschaft sagt, vielleicht ist der Friseursalon der einzige Ort, wo Mutter unbesorgt über mich reden kann. Was sagt Mutter über mich zu ihrer Friseurin? Soll ich herausfinden, wohin sie geht, und dort einen Termin vereinbaren?