Ich weiß nicht, was Ruth beruflich macht, ich habe sie gegoogelt, konnte es aber nicht herausfinden. Als ich weggegangen bin, studierte sie BWL , viele Unternehmen und Institutionen brauchen Menschen mit wirtschaftlicher Kompetenz. Ich bilde mir ein, dass sie ein regelmäßiges Leben lebt, dass sie beruflich nicht viel reist, wegen der vier Kinder und wegen Mutter. Vor einigen Jahren ist mir in Heathrow eine Jugendfreundin von ihr über den Weg gelaufen, ich saß mit einem Kaffee da, als eine Frau stehen blieb und fragte, ob ich Johanna sei, die Schwester von Ruth, ich wurde rot. Als sie ihren Namen nannte, Regina Madsen, ahnte ich das Kindergesicht hinter dem jetzt in die Jahre gekommenen, sie hatte uns gegenüber gewohnt, auch eine von denen, die sich vor Frau Benzen gefürchtet haben. Ich konnte nicht einfach weggehen, wie ich es mir sofort wünschte, ich hatte es hier mit einem Menschen zu tun, der Antworten auf viele meiner Fragen nach meiner Familie hatte, auf Fragen, die ich nicht stellen konnte. Es kam mir unanständig vor, jetzt Interesse an Dingen zu zeigen, für die ich mich so viele Jahre lang scheinbar nicht interessiert hatte. Sie schien zu begreifen, dass ich nichts über Ruths Leben wusste und dass es mir unangenehm wäre zu fragen. Sie sagte deshalb, ohne dass ich fragte, dass es Ruth und Reidar und den Kindern gutgehe, alle vier seien von zu Hause ausgezogen. Zufällig hatte sie gerade mit Ruth gesprochen, denn Ruths Tochter Randi lebte in London, und Regina Madsen hatte mit ihr zu Mittag gegessen, gerade heute! Solche Dinge sagte sie, mehr aber nicht, sie wog ihre Worte ab, zu viel zu sagen hätte einen Verrat an Ruth bedeutet. Sie stellte mir ein paar wenige Fragen, auf dieselbe zurückhaltende Weise, wie alt mein Sohn sei, sie wusste, dass ich einen Sohn habe. Als ich ihr erzählte, er sei Bratschist, war sie überrascht, sagte etwas über Apfel und Stamm, und dann wurde sie still, aber ich spürte, dass sie gerne noch mehr gefragt hätte; wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie viele weitere Fragen gestellt, aber Neugier zu zeigen wäre ein Eingeständnis stellvertretend für Ruth gewesen, als ob es Ruth interessierte.