Ruth hat eine geheime Nummer. Damit ich nicht anrufe. Sie ist wütend auf mich, weil sie, nachdem ich gegangen war, keine Arbeit annehmen konnte, für die sie wegziehen oder viel reisen müsste. Vielleicht war ihr eine spannende Stelle in London angeboten worden, aber sie lehnte ab, wegen Mutter und Vater. Ruths Leben war durch meine Entscheidungen eingeschränkt worden, und nach Vaters Tod war Mutter von ihr abhängig geworden. Mutter fuhr nicht Auto, als ich sie kannte, sie war immer ein ausgesprochen unpraktischer Mensch, brauchte bei den meisten Dingen Hilfe und war niemand, der es unangenehm war, um Hilfe zu bitten, im Gegenteil, sie hielt es für ihr gutes Recht, weil sie Ruth in deren Kindheit so viel getragen und alles Mögliche bezahlt hatte; was machte Ruth gerne in ihrer Freizeit, ich weiß es nicht. Aber Mutters älterer Bruder, Tor, lebt der Auskunft zufolge noch, und er wohnt mit einer Toril Gran zusammen, kann er Mutter helfen? Nein, sie wohnen in Tranbygd, zweihundert Kilometer entfernt, und haben mit sich selbst genug zu tun. Mutter weigert sich, Tor zu fragen, sie sind einander niemals nahe gewesen, vor allem ihren Kindern gegenüber zeigt Mutter sich als grenzenlos bedürftig, das bedeutet, Ruth gegenüber. Aber Mutter telefoniert mit Tor und hat auf diese Weise Freude an ihm, ältere Menschen telefonieren viel mit den noch Lebenden. Aber vielleicht haben sie sich auch zerstritten, unter Geschwistern kommt das vor. Doch die Cousine aus Hamar, mit der sie aufgewachsen ist, Grethe, die schon vor so langer Zeit Witwe wurde, dass Mutter mich damals noch anrief, um mir davon zu erzählen, die sieht sie sicher. Ich saß auf einer Bank am Fluss, das Telefon klingelte, ich sah, dass es eine norwegische Nummer war, erkannte sie, und mein Puls beschleunigte sich, ich nahm den Anruf an, dachte, dass Mutter illegal anrief, ohne dass Vater und Ruth davon wussten. Sie wählte eine traurige Stimmlage und sagte, Halvor sei tot. Ich konnte mich nicht erinnern, wer Halvor war, der Mann meiner Cousine Grethe, sagte Mutter, und ich erinnerte mich an ihn und fragte, wie, ein plötzlicher Schlaganfall. Dann wurde es still, dann sagte sie, Ruth sei schwanger. Wie schön, sagte ich. Ruth war im siebten Monat, es war ein Junge, der Rolf heißen sollte, nach Vater, alle Namen der Kinder sollten mit R anfangen. Ruth und Reidar hatten nicht weit von Mutter und Vater ein Haus gekauft, sie sahen einander mehrmals pro Woche. Alles war weit weg und leer. Sie fragte nicht nach John.