Ich sitze warm angezogen im Auto, Viertel nach elf am Mittwochvormittag. Die Tür der Arne Bruns gate 22 geht auf, Mutter kommt heraus. Kein Zweifel, es ist Mutter. Die Haustür schließt sich hinter ihr, und sie geht die sieben Meter bis zum Bürgersteig, sie biegt nach rechts ab und kommt in meine Richtung, leicht vornübergebeugt wie Ruth, aber entschiedener, ihr Gesicht sieht nicht traurig aus, ihre Schritte energisch und schnell, sie hat ein Ziel. Dunkle Hose, die dunkle Allwetterjacke, ein grüner Schal um den Hals, eine grüne Mütze, die zu roten Haaren passt, ihre Haare kann ich noch immer nicht sehen. Über der Schulter eine dunkelbraune Ledertasche, sie schaut auf die Armbanduhr und verschwindet hinter der Ecke. Ich lasse den Motor an, fahre los und wende in der nächsten Auffahrt, fahre die Straße hinunter und biege um die Ecke, dort geht Mutter. Ich folge ihr in ihrem Tempo, hinter mir fährt kein Auto. Sie biegt um die nächste Ecke, ich folge ihr, Mutter kann gehen, wohin sie will, sie biegt rechts ab, das kann ich nicht, es ist eine Einbahnstraße. Ich fahre so weit, wie ich darf, so dicht am Bürgersteig, wie ich kann, ich halte an, steige aus, folge dem Holzzaun bis zur Ecke und wage einen Blick, Mutter geht zur Straßenbahnhaltestelle, dreht sich in meine Richtung um, hält Ausschau nach der Straßenbahn, nicht nach mir, sie sieht mich nicht, die Straßenbahn kommt, wo will Mutter hin? Mutter steigt ein, und die ohnmächtige Verzweif-lung meiner Kindheit überwältigt mich, dieser Gegensatz zwischen ihrem offenkundigen Leiden und ihrem Verhalten, als wäre alles in Ordnung, dieser ganze Unsinn, der immer aus ihrem Mund kam.