Am nächsten Tag wache ich spät auf und packe für den Wald, ich will den üblichen Weg nehmen, überlege es mir aber anders, biege rechts ab und fahre zur Arne Bruns gate. Ich parke dort, wo ich immer parke, Montag um halb eins. Die Arbeit der Nacht zittert noch in meinen Händen, auch wenn sie in meinem Schoß liegen, zittern meine Hände. Die Straße liegt still da, warum stehen die Bäume Wache? Ich steige aus dem Auto aus, überquere die Straße und höre nur meinen eigenen hektischen Atem, keine Autos in der Ferne, keine Straßenbahn, ich umrunde das Haus mit wachsamen Augen und Ohren, schleiche mich an der Mauer entlang unter den ersten Balkon und weiter unter den zweiten, meine Schritte sind nicht zu hören, Gras und Boden sind weich, ich gehe um die Ecke, und dort öffnet sich eine Gartenfläche mit Möbeln, Schaukel, Fahrrädern an der Wand und drei riesigen Mülltonnen für Papier, Essensabfälle, nicht näher definierte Reste, dahinter eine grüne Tür. Sie ist nicht abgeschlossen, ich öffne sie und betrete das Treppenhaus, ziehe die Tür hinter mir zu und horche, alles liegt still wie im Grab, auch wenn ich nicht weiß, wie sich das anhört. Ich schleiche mich zu den Briefkästen und finde Mutters zwischen den anderen, ich kann der Anordnung aber nicht entnehmen, in welchem Stock Mutter wohnt. Es gibt einen Fahrstuhl, den benutzt Mutter, ich nehme die Treppe. Ich schleiche, mache kein Geräusch, wenn mir jemand begegnet, werde ich ganz normal nicken, niemand wird fragen, was ich hier will, hier müssen über zwanzig Menschen wohnen, vermutlich sogar mehr, die meisten wohnen ja mit jemandem zusammen, nicht Mutter, nicht ich. Ich finde ihren Namen im dritten Stock, an der Tür rechts, also kann ich vom Auto aus den Balkon sehen, wenn ich zwanzig Meter links von der Haustür stehe, wenn sie die Tür öffnet, drehe ich mich um und laufe nach unten, dann wird sie mich nicht sehen können, bevor ich verschwunden bin. Ich gehe vorbei an ihrer Tür, ich erreiche den vierten Stock und dann den Dachboden, setze mich dort auf die Treppe, worauf warte ich? Ein Knarren von Mutters Tür? Und dann? Kein Knarren, ich gehe wieder nach unten in den dritten Stock und sehe Mutters Tür an. Dahinter ist sie. Ruth hat sie auf dem Weg zur Arbeit hier abgesetzt, jetzt schaut sie sich Naturfilme aus Afrika an oder telefoniert mit Rigmor, ich halte das Ohr an die Tür und lausche, höre aber nichts, ich klingele und laufe wieder hoch zum Dachboden, lege mich auf den Boden und schaue hinunter ins Treppenhaus, Mutters Tür öffnet sich, ich sehe sie nicht, ich höre sie, Mutter sagt ein fragendes Hallo, aber sie bekommt keine Antwort. Sie geht zum Treppenabsatz, greift an das Geländer, ich sehe ihre Hände um das alte Holz, alt und runzlig sind sie, aber ihr Nagellack ist noch derselbe, und da ist der Ring mit dem roten Stein, sie schaut nach unten, ich sehe die Haare, rot, aber am Ansatz grau, ich ziehe mich zurück, für den Fall, dass sie nach oben schaut, atme nicht, höre die Tür zugehen, aber kann nicht sicher sein, vielleicht will sie mich überlisten, so tun als ob, obwohl sie auf der Fußmatte steht und wartet. Ich stehe nicht auf, das war klug, denn nach einigen Sekunden höre ich, wie sich die Tür wieder öffnet, denn es hatte geklingelt, oder nicht, sie hat Angst, sie habe sich dieses Klingeln eingebildet, werde jetzt verwirrt im Kopf, wie es älteren Menschen passiert. Entschuldigung, murmele ich, als sie die Tür abermals geschlossen hat, aber ich bleibe doch noch eine Weile liegen, ehe ich aufstehe, nur um auf der sicheren Seite zu sein, welche Seite ist das? Erst nach zehn, vielleicht zwanzig Minuten schleiche ich mich nach unten, vorbei an ihrer Tür und weiter durch die grüne Hintertür, fast lautlos. Der Garten hinter dem Haus ist leer, ich weiß, welcher Balkon Mutters ist, ich gehe auf der anderen Seite des Hauses zur Straße. Der Wagen steht so da, dass Mutter ihn sehen kann, wenn sie sich über den Balkonrand beugt, aber warum sollte sie das tun? Weil es gerade an ihrer Tür geklingelt hat, ohne dass jemand draußen stand. Mutter weiß, dass ich in der Stadt bin, es war ein Schock. Ich gehe nicht zu meinem Auto, sondern in die Gegenrichtung, einmal um den Block, erreiche die Arne Bruns gate von oben, wickele mir den Schal fest um den Kopf, gehe geduckt am Zaun entlang und an den Autos vorbei, bis ich meins erreiche, ich steige ein, und ich fahre weg.