Ich darf nicht von unten aus klingeln, dann fragt sie über die Gegensprechanlage, wer dort ist, und wenn sie hört, dass ich es bin, macht sie nicht auf, sie darf es nicht. Ich muss an der Tür im dritten Stock klingeln, morgen, um halb elf, nachdem Ruth angerufen und gefragt hat, wie sie geschlafen hat und ob sie ihre Medikamente genommen hat, wenn sie gefrühstückt hat und mit der Zeitung am Küchentisch sitzt. Dezember ist der Monat der dunklen Morgen, aber auch der Monat für Einkaufsrunden mit Rigmor, man braucht so viele Weihnachtsgeschenke, aber halb elf ist noch zu früh zum Einkaufen, halb elf ist der richtige Zeitpunkt.

 

Ich fahre los, finde eine Parklücke, bezahle die Gebühr für drei Stunden, sicherheitshalber. Ich darf nicht zögern, ich darf nicht denken, ich muss einfach durchführen, was ich beschlossen habe. Ich gehe denselben Weg zur grünen Tür wie beim letzten Mal, sie ist abgeschlossen. Das hatte ich nicht erwartet, ich hatte mich emotional gerade perfekt vorbereitet. Ich schaue mich um, da ist niemand, krieche in den Thujabusch am Zaun zum Nachbarhaus, in dem ich schon einmal gewesen bin, ich gebe der Sache eine halbe Stunde, ich darf aber nicht wie beim letzten Mal in einen Dämmerschlaf sinken, ich muss hellwach sein. Zehn Minuten vergehen, alles liegt still, die Spatzen fliegen um ein Vogelbrett im zweiten Stock herum, wenn Mutter auf dem Balkon ein Vogelbrett hat, sitzt sie sicher davor und studiert die Spatzen, ich sitze geborgen in einem Busch und höre keinen Vogelgesang, keine Autos, nur meinen eigenen entschiedenen Atem. Die grüne Tür öffnet sich, und heraus kommt der junge Mann, der vor kurzem, vor einer Ewigkeit, herausgekommen war und sein Fahrrad abgeschlossen hatte, er kommt heraus, ohne die Tür hinter sich zuzuziehen, nimmt sein Fahrrad, das Winterreifen hat, schiebt es weg, ich gehe zur Tür, öffne sie und gehe hinein, ich würde gern abschließen, aber ich habe keinen Schlüssel. Ich nehme nicht den Fahrstuhl, ich gehe die Treppe in den dritten Stock, ich stehe vor Mutters Tür und sehe das Namensschild an. An den anderen Türen steht auch nur ein einzelner Name. Die Tür unten wird geöffnet, ich gehe leise nach oben bis zum Dachboden, zwei Männer kommen redend herein und gehen die Treppe zum ersten Stock hoch, so hört es sich an, dort schließen sie eine Tür auf, ich gehe wieder nach unten zu Mutters Tür, das ist nicht verboten, ich kann es einfach tun, ich klingele. Ich höre drinnen das Geräusch der Klingel, aber keine Schritte. Irgendwie erleichtert denke ich, dass sie doch nicht zu Hause ist, ich klingele trotzdem noch einmal, warte, glaube, Schritte zu hören, höre ein Klirren, die Tür wird vorsichtig geöffnet, sie hat die Sicherheitskette vorgelegt, dahinter sehe ich ihr Gesicht heftig zurückzucken, als sie mich sieht, sie verzieht das Gesicht erschrocken, sie weicht zurück, als wäre ich ein Monster, blankes Entsetzen jagt durch die weit aufgerissenen Augen, sie knallt die Tür zu, Mutter, rufe ich, ich klopfe an die Tür, ich will nur reden, rufe ich, sonst nichts, sage ich, ruhiger, ich klopfe an die Tür, aber vergebens, sie hat schon Ruth oder den Hausmeister angerufen, ich bin gescheitert.

 

Ich gehe die Treppen hinunter und nach draußen, ruhig, wie man es macht, wenn Grenzen überschritten und Tabus gebrochen worden sind. Ich bin nicht mehr so ängstlich, ich habe nichts Verbotenes getan, ich gehe zum Auto, setze mich hinein, ziehe mein Telefon hervor, schreibe eine SMS : Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich wollte nur reden.

Ich merke, dass meine Hände zittern.

Es kommt keine Antwort. Ich sitze eine Weile da und warte auf eine, aber nein.

Ich merke, dass mein Herz heftig pocht, aber es ist nicht wie vorher, ich bin jetzt wütend.