Cabrillo begab sich schnurstracks ins OP -Zentrum.
Auf seiner Kampfprothese humpelnd betrat er den Raum, bekleidet mit einer Turnhose und einem Caltech-T-Shirt, das an seinem sehnigen Oberkörper klebte, während das Haar von der Dusche noch triefnass war.
»Chairman hat das Kommando«, rief Linda Ross. Sie wusste, dass sie als seine Nummer drei sein uneingeschränktes Vertrauen besaß, aber in Kampfsituationen übernahm regelmäßig er das Kommando.
Immer.
Mit einem Kopfnicken trat sie beiseite, während Juan sich in den »Kirk Chair« fallen ließ. Die stufenartig voneinander abgesetzten, in Halbkreisen angeordneten Touchscreen-Workstations, die glatten, modernen Oberflächen der Arbeitsmöbel und die technische Ausrüstung sowie die kühle blaue LED -Beleuchtung verliehen dem Raum Ausstrahlung und die Ästhetik der Kommandobrücke des berühmten TV -Weltraumkreuzers Enterprise . Und dank Otis – so lautete der Name, auf den die Crew das automatische Kontrollsystem des Schiffes getauft hatte – konnte jeder das Schiff mit einer Hand lenken. Vom Maschinenraum bis zu den Waffenstationen, wenn er im Kirk Chair saß.
Juan blickte finster auf die Nahaufnahme der Fregatte, die auf dem riesigen Dreihundertsechzig-Grad-High-Definition-Rundumdisplay auf sie zugerauscht kam. Die wandhohen Monitore erzeugten die Illusion, als stünden sie alle auf der Kommandobrückenimitation der Oregon hoch oben über den Schiffsdecks.
Linda Ross deutete mit dem Kopf auf die Fregatte. »Bis vor zwei Minuten befand sie sich noch mit uns auf parallelem Kurs. Sobald sie ihn geändert hat und in unsere Richtung geschwenkt ist, habe ich den Alarm ausgelöst, der alle auf ihre Kampfstationen rief.«
»Gut gemacht.«
Cabrillo warf einen Blick auf das automatisierte Statusfenster, das auf dem großen Monitor rot blinkte. Der Computer identifizierte das Schiff automatisch anhand seiner umfangreichen Datenbank, die auch Informationen über die Bewaffnung und die technischen Fähigkeiten enthielt.
Das türkische Kriegsschiff Kizil war noch gut drei Meilen entfernt, näherte sich aber schnell. Sein messerscharfer Bug durchschnitt die Wellen mit einer Höchstgeschwindigkeit von achtundzwanzig Knoten. Die Fregatte besaß eine hässliche automatische 76-mm-Deckkanone, acht Harpoon-Antischiffsraketen und ein ganzes Bündel Torpedos. Obgleich nur halb so groß wie die Oregon , war die Kizil fähig, Juans Schiff auf den Meeresgrund zu schicken – und genau das schien nach allem, was man erkennen konnte, ihre Absicht zu sein.
In diesem Augenblick betrat Dr. Huxley das Operationszentrum, mit Meliha im Schlepptau. Tiefe Sorge lag auf den Gesichtern beider Frauen.
»Nicht gerade der richtige Zeitpunkt für eine Besichtigungstour«, sagte Juan.
»Sie wollte wissen, was los ist«, erwiderte Julia Huxley, »und ich übrigens auch.«
Melihas Augen wurden groß wie Untertassen, als sie sich auf dem riesigen Wandmonitor festsaugten. Juan konnte nicht sagen, ob sie von dem Hightech-Operationszentrum überwältigt war oder von dem Bild des türkischen Kanonenboots, von dem sie nun wie von einer zähnefletschenden Hyäne gejagt wurden.
Hali Kasim, der an der Funkstation saß, gab Juan mit der Hand ein Zeichen. »Nachricht von der Kizil , Sir.«
»Legen Sie die Verbindung auf den Lautsprecher.«
»Handelsschiff Vesturá , hier spricht Captain Köybaşi der TCG Kizil . Sie haben den Befehl, beizudrehen und eine Bordinspektion zuzulassen.«
Cabrillo konnte die Dreistigkeit des Mannes nicht fassen. Er hatte eine Seite aus Juans eigenem Regiebuch gestohlen. Das Ganze entwickelte sich gerade wie dieses Fischtrawler-Fiasko vor der Küste von Surinam.
»Captain Köybaşi, hier spricht der Kapitän der Vesturá . Wir befinden uns in internationalen Gewässern – unser Schiff fährt unter iranischer Flagge. Sie haben keinerlei Befehlsgewalt über mein Schiff und nicht das Recht, auf einer Schiffsinspektion zu bestehen.«
»Sie werden sofort beidrehen und geentert, oder wir eröffnen das Feuer.«
»Das wäre ein großer Fehler, Captain Köybaşi. Aus welchem Grund wollen Sie eine Inspektion bei uns durchführen?«
»Sie halten eine türkische Bürgerin, Meliha Öztürk, als Geisel gegen ihren Willen auf Ihrem Schiff fest.«
Meliha und Juan wechselten einen schnellen Blick. Keiner der beiden sagte ein Wort oder sah sich auch nur dazu genötigt. Die Entschlossenheit auf Juans Miene sagte alles.
Das wird niemals geschehen.
»Ms Öztürk wird nicht als Geisel festgehalten. Ihr wurde eine sichere und freie Passage zu einem Bestimmungsort ihrer Wahl angeboten.«
»Dann gestatten Sie, zu Ihnen an Bord zu kommen und uns von ihrer Sicherheit und ihrer Verfassung zu überzeugen.«
»Ich werde nicht gegen meinen Willen festgehalten!«, rief Meliha.
»Dann sagen Sie dem Kapitän, er soll uns erlauben, an Bord zu kommen und Ihre Sicherheit zu überprüfen.«
»Das ist nicht möglich, Captain Köybaşi«, erwiderte Juan, »nicht einmal wenn Sie bitte, bitte sagen.«
Köybaşi ignorierte die Beleidigung. »Sie werden uns sofort gestatten, Ihr Schiff zu betreten und Ms Öztürk zu ihrer Familie in die Türkei zurückzubringen, oder Sie müssen die Folgen tragen.«
Ein Warnlicht begann auf Murphs Konsole zu blinken.
»Chairman. Eine seiner Harpoons hat uns soeben per Radar erfasst.«
Linda Ross schickte Juan einen warnenden Blick. Nur eine einzige dieser in den USA hergestellten Antischiffsraketen konnte die Oregon und ihre gesamte Mannschaft versenken.
»Automatische Abwehr aktivieren«, befahl Juan.
»Aye.«
Moderne Oberflächenkriegsführung spielte sich bei Überschallgeschwindigkeiten ab, die zu schnell für das menschliche Reaktionsvermögen waren. Da das Zielsuchsystem der Kashtan-Kanonen von Computern gesteuert wurde, konnten seine Abwehrraketen und Rotationsgeschütze verzögerungsfrei auf die Bedrohung durch die Harpoon-Raketen antworten.
Eine Frage blinkte wie ein Warnlicht in Juans Bewusstsein auf: War der russische Zielsuchcomputer klüger als die Elektronik und die Software der amerikanischen Harpoons?
Sie würden es schon bald herausfinden.
Juans Augen verengten sich, als er rechnete. Die Kizil war mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs – achtundzwanzig Knoten. Sein Schiff schaffte mehr als das Doppelte.
Eric Stone, der die Ruderstation besetzte, las seine Gedanken. Er wandte sich um.
»Wir sind auf jeden Fall schneller als die. Sie würden uns niemals einholen.«
»Das brauchten sie auch gar nicht. Diese Harpoons erreichen fünfhundert Meilen pro Stunde. Bei dieser Entfernung würden sie uns innerhalb von sechsunddreißig Sekunden auslöschen.«
»Harpoon gestartet«, rief Murph, während der Abschuss-Warnalarm auf einem der Wandmonitore zu blinken begann.
Meliha wagte kaum zu atmen.
Rote, gelbe und grüne Fadenkreuze erschienen auf dem großen Bildschirm, wobei jede Farbe ein anderes Verteidigungssystem repräsentierte. Jedes der Systeme erfasste die Rakete, die dicht über dem Meeresgrund ihre Bahn zog, sobald sie ihr Startgehäuse verlassen hatte.
Eric Stone wartete auf Cabrillos Kommando. Ganz sicher will er versuchen, so viel Abstand wie möglich zwischen den näher kommenden Gefechtskopf und die Oregon zu legen, dachte Stone. Seine Hand schwebte über dem ferngesteuerten Antriebshebel.
»Ruder, direkten Kurs auf die Kizil nehmen.«
»Sir?«
»Genau auf sie zu. Frontal auf die Schnauze.«