Sokratis Katrakis kniete dicht neben der jungen armenischen Kämpferin und berührte ihr Gesicht. Ihr tiefgefrorenes Fleisch war kalt, fühlte sich für seine Fingerspitzen jedoch angenehm an.
»Was für eine Verschwendung«, sagte Alexandros Katrakis, der in der Nähe stand. »Sie war ein schönes Mädchen.«
»Keine Verschwendung.« Der alte Grieche erhob sich. »Dieser Tod gibt ihrem bedeutungslosen Leben doch Sinn.«
Der Leichnam der Armenierin und mehrerer anderer toter Kämpferinnen und Kämpfer, die in verschiedenen Räumen und Abteilen des Schiffes abgelegt worden waren, gehörten zu einem raffinierten Plan, um die Katrakis-Familie zu schützen. Nach der Zerstörung des Tankers würde armenisches DNS -Material im Wasser und an Land geborgen werden. Außerdem würde man gefälschte Videos, Fotografien, eine Kriegserklärung und andere, eigens für diesen Zweck hergestellte Beweise seinen vertrauenswürdigen Medienkontakten zuspielen. Offshore-Finanzierung und Strohfirmen mit engen Verbindungen zu Hakobyan würden als Geldgeber und Unterstützer dieser Operation entlarvt werden. Wie es bereits im Fall der Mountain Star geschehen war.
All diese Pseudobeweise würden dazu beitragen, die Lüge zu verbreiten, dass Hakobyan eine Bande armenischer Terroristen dafür bezahlt hatte, sein Schiff zu entführen und für eine Selbstmordmission zu benutzen, um Smyrna zu vernichten. Außerdem würden sie belegen, dass Katrakis Maritime in keiner Weise an dieser Verschwörung beteiligt war.
Ja, Smyrna, wiederholte Sokratis in Gedanken.
Lieber würde er sterben, als den türkischen Namen – Izmir – für die von seiner Mutter so heiß geliebte Stadt in den Mund nehmen.
»Ist alles bereit?«, fragte er.
»Alles so, wie es geplant wurde.«
»Nicht alles. Aber genug.«
Der alte Seemann hatte in seiner Jugend als Kapitän auf hoher See viele gefährliche Stürme überstanden. Schiffe versenkt, Frachten verloren, Tote beklagen müssen. Aber nichts davon war von Bedeutung, solange er nur am Leben blieb.
Das Versagen des Kanyon war inzwischen offensichtlich. Längst hätten Meldungen von der vollständigen Vernichtung Istanbuls um die Welt gehen müssen. Irgendetwas musste schiefgelaufen sein. Hatte ihn jemand innerhalb der Organisation hintergangen? Nicht sehr wahrscheinlich. Nur wenige außerhalb seiner Familie wussten von seinen Plänen, und Blutsverwandtschaft war ein sicheres Band. Die anderen standen mit ihrer unersättlichen Habgier und der panischen Angst vor ihm ohnehin unverrückbar auf seiner Seite.
Hakobyan musste versagt oder ihn betrogen haben. Die Mexikaner hatten entweder den Ball fallen lassen und seine Ermordung vermasselt oder ihn betrogen, indem sie mit den Armeniern gemeinsame Sache machten. Diese Narren! Er hätte ihnen viel mehr versprechen können, als Katrakis ihnen angeboten hatte.
Egal. Smyrna stand noch immer auf der Liste, und nun würde er seine Pläne eigenhändig in die Tat umsetzen – erfolgreich.