Kapitel 24
ROME
Es ist nicht das erste Mal, dass mich Savannah nackt sieht, aber das erste Mal seit der Pubertät.
Könnten Harleys Blicke töten, würde ich jetzt ganz tief unter der Erde liegen.
»Es tut mir so leid, Savannah«, sagt sie, steht auf und hinterlässt eine Spur aus griechischem Joghurt, während sie so schnell in ihre Hose schlüpft, dass sie fast das Gleichgewicht verliert und sich den Kopf an der Küchentheke aufschlägt.
Ich bleibe sitzen und halte die Hände vor mein bestes Stück, denn ich bin nicht bereit, die Erleichterung aufzugeben, die mir die Milch verschafft.
Savannah schließt die Augen und bedeckt sie vorsichtshalber zusätzlich mit der Hand. Harley rennt aus dem Raum. Fast fällt ihr das Babyfon aus der Hand.
»Rome, zieh dir gefälligst eine Hose an!«, schreit Savannah, als wäre ich ein Fünfjähriger, der aus Spaß nackt herumläuft. Sie kennt mich eben zu gut. Schon als Kind hatte ich kein Problem mit Nacktheit. Auch jetzt ist es mir ziemlich egal.
Ich stehe auf. Savannah späht durch ihre Finger und kneift die Augen direkt wieder zu. »Rome!«, faucht sie in ihrer Mutterstimme, die
sie seit dem Tod unserer Eltern perfektioniert hat.
Ich trockne meine Eier mit einem Küchentuch ab, bevor ich meine Hose wieder anziehe. Dann hebe ich die Schüssel auf, denn ich bin schließlich nett. »Okay. Kannst die Augen wieder aufmachen.«
Sofort durchbohrt sie mich mit ihrem Todesblick – wie Harley eben. »Was treibt ihr denn hier?«, presst sie hervor. »Mein Haus ist doch kein Ort für perverse Spielchen.«
»Du meinst rotes Zimmer?« Ich hebe eine Augenbraue.
Nachdem Sedona bei Savannah Fifty Shades of Grey
entdeckt hat, haben wir sie ein ganzes Jahr lang damit aufgezogen. Als der erste Film herauskam, haben wir wieder ewig Witze auf ihre Kosten gemacht. Das waren Zeiten.
Sie zeigt mir den Mittelfinger. Typisch Savannah.
»Du solltest dir etwas Originelleres einfallen lassen. Wie wäre es hiermit?« Ich halte die Hände vor meinen Schritt, schlage mir dann auf die Oberschenkel und werfe sie in die Luft.
Wieder der Stinkefinger.
Ich schütte die Milch ins Waschbecken. Als ich die Schüssel und den Joghurtlöffel spülen will, geht Savannah dazwischen. »Wirf sie weg.«
Ich öffne den Mülleimer. »Sicher? Die sind schön.«
Sie erwidert nichts, funkelt mich nur böse an. Gott stehe dem Mann bei, der sich irgendwann mal in sie verliebt. Sie wird ihn ein Leben lang an den Eiern packen.
Ich lasse die Schüssel und den Löffel fallen. Scheppernd landen sie in der leeren Mülltonne.
»Ich dachte, du würdest erst morgen früh zurückkommen?«, frage ich und wasche mir die Hände, denn ich werde mir jetzt ein Omelett machen. Wenn ich schon nicht mit Harley schlafen darf, dann will ich wenigstens was zu essen.
»Ich habe schon früher alles unter Dach und Fach gebracht und wollte nicht noch eine Nacht länger in diesem von Insekten
verseuchten Hotel verbringen.«
»Du hattest Insekten im Zimmer?« Ich trockne meine Hände ab, stelle mich ans Schneidebrett und wünsche mir, meine Hände würden auf Harleys Hüften liegen statt auf der Jalapeño, die mir vermutlich den Schreck meines Lebens eingejagt hat.
»Hotelzimmer sind immer voller Insekten, Rome.« Sie öffnet den Kühlschrank, nimmt eine Flasche Weißwein heraus und ein Glas aus dem Schrank und schenkt sich ein.
»Das stimmt nicht.« Sie ist eine verrückte Hygienefanatikerin.
»Wir sprechen uns noch mal, wenn du mit einem seltsamen Biss aufwachst.« Dann sieht sie mich an. »Und? Was geht hier ab? Spielt ihr Familie?«
Ich zeige ihr den Mittelfinger, und sie verzieht angewidert das Gesicht.
»Wir sind … zusammen«, erwidere ich und brate das Gemüse in der Pfanne an, während ich die Eier verquirle.
»Wirklich?« Sie blickt entsetzt drein, reißt Augen und Mund auf, ohne zu blinzeln.
»Was denn?«
Dann schüttelt sie den Kopf. »Nichts. Warum machst du deiner lieben großen Schwester nicht auch ein Omelett, nachdem du sie in Angst und Schrecken versetzt hast?«
Ich gehe zum Kühlschrank und nehme mehr Eier heraus.
»Denkst du etwa, ich mache Witze?«, frage ich.
Von Denver hätte ich diese Reaktion erwartet. Von Liam vielleicht auch. Aber nicht von Savannah. Sie hat immer an mich geglaubt. Scheiße, sie ist mit der Grund, warum ich Koch geworden bin. Sie hat mich darin unterstützt, meinen Traum zu verfolgen, während Austin immer auf College und Baseball gepocht hat.
»Nein. Ich merke, dass du es ernst meinst. Ich will nur nicht, dass du verletzt wirst«, erwidert sie leise, wahrscheinlich, damit Harley sie
nicht hört.
»Warum sollte ich verletzt werden?« Ich füge zuerst die Eier hinzu, dann Salz und Pfeffer.
»Was, wenn sie geht? Für manche Menschen ist diese Stadt zu viel. Diese Familie
ist für manche Menschen zu viel.« Sie nippt an ihrem Wein und starrt mich an.
»Sie will, dass Calista einen Dad hat. Ich bin ihr Dad. Wir geben dem Ganzen eine Chance.«
»Und was macht sie so anders?« Sie mustert mich über den Rand ihres Glases.
»Sie lässt mir nichts durchgehen.«
Sie nickt. »Deshalb stellst du sie auf ein Podest?«
»Ja.« Okay, Savannah versteht schon. Wir müssen hier nicht um den heißen Brei reden.
»Kannst du denn von deinem absteigen?«
Boah. Ruft sofort die Feuerwehr. Meine große Schwester, die bisher immer zu mir gestanden hat, hat mich gerade mit einem brennenden Streichholz beworfen. Was zum Teufel?
»Was soll das denn heißen?«
Kurz presst sie die Lippen aufeinander. »Du magst dein Leben, wie es ist. Du stellst dich immer an erste Stelle. Jetzt hast du eine Tochter, die ganz oben stehen muss, und eine Freundin, die an zweiter Stelle stehen sollte.«
Die Bedeutung ihrer Worte brennt sich in mein Gehirn. Obwohl ich bisher nicht darüber nachgedacht habe, wird mir jetzt klar, dass Harley und Calista oberste Priorität haben. Nein, ich bin nicht egoistisch. Ich habe acht Geschwister. Keiner kann egoistisch sein, wenn er eine Großfamilie hat.
»Ja, sie haben oberste Priorität.«
Sie nickt. »Okay. Denn falls nicht, werden sie Lake Starlight verlassen, Rome.« Sie drückt meine Schulter, bevor sie sich an den
Tisch setzt und darauf wartet, dass ich ihr das Essen serviere. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Doch das behalte ich für mich.
Ich gieße Savs Omelett in die Pfanne und bereite dann eines für mich vor.
»Armes Mädchen«, sagt Savannah.
Ich werfe einen Blick über die Schulter. Harley trägt Calista herein. Sie sieht aus wie letzte Nacht – verschwitztes Haar, rotes Gesicht, die Augen halb geschlossen, an ihrem Schnuller nuckelnd.
»Es tut mir so leid, Savannah.« Harley setzt sich an den Tisch und platziert Calista auf ihrem Schoß. Ihre Wangen sind gerötet. Sie wirkt peinlich berührt und traut sich nicht, meiner Schwester in die Augen zu sehen.
»Schon okay. Ich kenne es von Rome nicht anders.«
Savannah reagiert viel zu gelassen. Das ist sonst überhaupt nicht ihre Art. Vielleicht wurde sie flachgelegt, als sie weg war. Ja, genau. Als würde sie es zulassen, dass ihre Genitalien das Hotelbett berühren.
»Schnapp dir ein Weinglas.« Savannah deutet mit dem Kopf auf den Schrank mit den Gläsern.
Als Harley aufsteht, wird Calista ein wenig wach. »Dada«, sagt meine Tochter, als sie mich entdeckt.
»Hey, meine Kleine. Hunger?«
»Jamm jamm?«
»Sie sollte jetzt nichts essen«, sagt Harley und nimmt sich ein Weinglas.
»Sie ist die Tochter eines Kochs. Köche essen zu komischen Uhrzeiten …« Ich werfe einen Blick auf die Uhr. »Wie zum Beispiel zehn Uhr abends.«
Harley bringt sie zu mir. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor sie sich wieder an ihre Mom schmiegt. Ich glaube nicht, dass sie wach bleiben wird, um etwas zu essen.
Savannah schenkt Harley Wein ein. Harley setzt Calista in ihren Hochstuhl und legt ihr ein paar von diesen Puffreisdingern aufs Tablett. Sie haut rein, als hätte sie den ganzen Tag nichts zu essen bekommen.
»Euch ist klar, dass ich die Geschichte nicht für mich behalten kann, oder?«, fragt Savannah. »Wollt ihr mir vielleicht erklären, was genau ihr da gemacht habt?« Sie lacht.
Harley funkelt mich böse an. Das ist doch nicht meine Schuld. Oder etwa doch? Na gut. Ja, es ist meine Schuld.
»Lange Geschichte.« Ich lege Savannahs Omelett auf einen Teller und halte ihn ihr hin. »Versuch wenigstens, es für dich zu behalten, okay?«
Sie streckt die Hand aus, doch ich ziehe den Teller weg. Sie atmet genervt aus. »Na schön. Ich versuche es.«
Dann reiche ich ihr den Teller. Diese Geschichte ist das reinste Gold für meine Familie. Fifty Shades
ist gar nichts im Vergleich zu einer mit Joghurt beschmierten Harley und meinen Eiern, die in einer Schüssel mit Milch hängen.
Ich habe meine Niederlage bereits akzeptiert. Wären die Rollen vertauscht, könnte ich auch nicht den Mund halten.
»Aber es wird mir schwerfallen, es nicht jedem zu erzählen. Wäre ich doch bloß wie Phoenix und Sedona, die den ganzen Tag am Handy hängen. Dann hätte ich ein Foto gemacht.« Lachend schneidet sie ihr Omelett klein.
»Jamm jamm!«, ruft Calista in ihrem Hochstuhl und fängt an zu zappeln.
Harley steht auf und füllt Milch in ihre Schnabeltasse.
»Wie läuft’s bei der Arbeit?«, will Harley von Savannah wissen und setzt sich wieder.
Savannah zuckt mit den Schultern. »Okay. Viel zu tun. Grandma Dori treibt mich in den Wahnsinn. Ihr müsst sie dazu verdonnern, auf Calista aufzupassen, oder irgendwas. Sie kommt jeden Tag in die Firma.
Letztes Mal war dieser Kerl aus dem Sägewerk da. Er ist der Sohn des Besitzers. Wir hatten einen Termin, um zu besprechen, ob wir sie weiter oben im Norden gebrauchen können.«
Sie nimmt einen Bissen von ihrem Omelett und kaut eine gefühlte Minute darauf herum.
»Jedenfalls«, fährt sie fort. »Während ich versucht habe, über Zahlen zu sprechen, hat sie ihn die ganze Zeit ausgequetscht und wollte wissen, warum er nicht verheiratet ist. Sie hat ihm erzählt, ich sei Single und dass wir miteinander ausgehen sollten. Dass ich einen wie ihn in meinem Leben gebrauchen könne.«
»Sah er denn gut aus?«, fragt Harley.
Ich wende mein Omelett in der Pfanne. Mein Magen knurrt.
»Ja.«
»Wo liegt dann das Problem?«
Ich bin überrascht, wie locker Harley inzwischen mit Savannah umgeht. Ich hätte gedacht, sie würden sich eher aus dem Weg gehen.
»Sogar ich weiß, dass ich nicht mit einem Workaholic zusammen sein sollte. Dieser Kerl ist die männliche Version von mir. Wir würden unsere Sonntage mit unseren Laptops auf dem Schoß und Excel-Tabellen verbringen.« Sie nimmt noch einen Bissen von ihrem Omelett. »Das ist großartig, Rome. Du überraschst mich immer wieder.«
Lächelnd lege ich mein eigenes Omelett auf den Teller und schalte den Herd aus.
»Suchst du denn jemanden? Hättest du gern eine Beziehung?«, fragt Harley nun zögernd. Ich kann es ihr nicht verübeln, denn Savannahs Liebesleben ist ein Tabuthema. Ich habe keine Ahnung, wann sie das letzte Mal flachgelegt wurde. Und ich will es auch gar nicht wissen.
Savannah zuckt mit den Schultern. Ich setze mich Calista gegenüber, schneide das Omelett in kleine Stücke und warte, bis sie abgekühlt sind.
»Dada!«, ruft Calista freudig. Ich glaube, davon werde ich nie genug bekommen.
»Ja, aber ich habe zu viel zu tun. Ich befürchte, ein Mann wie er ist der Einzige, der es mit mir aushält, denn ich denke immer nur an die Arbeit.«
Harley zieht die Mundwinkel nach unten und sieht mich an. »Es muss schwer für dich sein, dass so viel Druck auf deinen Schultern lastet.«
Wieder zuckt Savannah mit den Schultern und vergräbt den Kopf in ihrem Teller.
Harley reißt die Augen auf, doch ich verstehe nicht, was sie mir damit sagen will. Savannah ist gern die Chefin von Bailey Timber. Sie mag es, ihre Stifte nach Farben zu sortieren. Sogar ihre Schubladen mit dem Krimskrams sind nach Kategorien geordnet. So ist sie nun mal. Deshalb habe ich keine Ahnung, warum mir Harley vermitteln will, dass Savannah ihr leidtut.
»Hier, meine Kleine.« Ich lege das Ei auf Calistas Tablett, und sie beginnt, mit den Beinen zu strampeln. Sofort schiebt sie sich ein Stück in den Mund.
Dann spieße ich ein Stück Omelett auf und halte es Harley vor den Mund. Als sich ihre Lippen um die Gabel legen, zuckt mein Schwanz in meiner Hose. Und dann stöhnt sie auch noch, weil es so gut schmeckt. Japp, jetzt habe ich einen Ständer. Wir müssen so schnell wie möglich aufessen und Calista ins Bett bringen, denn ich verzehre mich nach Harley.
»Ich sollte besser gehen.« Savannah steht auf.
»Was?«, frage ich.
»Ihr fickt euch ja förmlich mit den Augen.«
»Fik«, sagt Calista.
Seufzend verdreht Harley die Augen.
»Tun wir gar nicht«, widerspreche ich lachend.
»Ihr habt es euch bildlich vorgestellt. Hört zu.« Sie wäscht ihren Teller ab und stellt ihn in die Spülmaschine. »Ich will nichts hören.
Also seid wenigstens leise.« Dann stellt sie sich neben den Hochstuhl und streichelt Calistas Kopf. »Bald wirst du ein Geschwisterchen bekommen, wenn Mommy und Daddy nicht die Finger voneinander lassen können.«
Mir bleibt das Omelett im Hals stecken.
Savannah sieht Harley mit gehobenen Augenbrauen an. Sie fangen an zu lachen, während ich fast an meinem Omelett ersticke.
Großartig. Meine Schwestern haben noch jemanden gefunden, mit dem sie mich gemeinsam quälen können.