Epilog
ROME
Neun Monate später …
»Gute Nacht, Daddy«, sagt Calista, als ich ihre Stirn küsse.
»Gute Nacht, meine Kleine«, erwidere ich.
»Ich bin nicht klein.«
Ich fahre ihr durchs Haar. »Sorry, meine Große.«
Sie schnappt sich ihre Decke und macht es sich in ihrem Bett bequem. Ich schalte die Nachtlampe ein, schließe die Tür und gehe den Flur hinab.
Wir wohnen immer noch überm Terra & Mare, denn am Anfang wird das Baby nicht viel Platz brauchen. Aber bald müssen wir uns etwas einfallen lassen.
Harley sitzt auf dem Sofa, die Beine auf den Tisch gelegt mit einem Kissen darunter. Sie leidet sehr unter den Schwellungen.
»Ich bin ein bisschen traurig, dass sie mich nicht mehr Dada nennt«, gebe ich zu und plumpse neben Harley aufs Sofa. Meine Hand landet auf ihrem Bauch.
»Als hätte man einen Schalter umgelegt«, sagt sie, während sie irgendwas strickt.
Ich nehme ihr die langen Nadeln aus der Hand und lege sie in ihre Kiste mit den Stricksachen. Inzwischen ist Stricken ihr Hobby
geworden. Alle stricken jetzt. All meine Schwestern. Nur die Zwillinge nicht.
»Was machst du da?« Argwöhnisch mustert sie mich.
»Der Arzt meinte, wir könnten versuchen, die Geburt einzuleiten. Ärztliche Anweisung.« Meine Hand wandert zwischen ihre Schenkel.
»Ich fühle mich wie ein Elefant in einem VW-Käfer.« Sie rutscht von mir weg, doch ich setze mich auf den Boden zwischen ihre Beine. »Rome.« Sie seufzt.
Als sie merkt, dass ich nicht versuche, ihr die Hose auszuziehen, richtet sie sich gerader auf. »Was hast du vor?« Sie bemerkt den Ring in meiner Hand und schüttelt den Kopf. »Jetzt? Ausgerechnet jetzt?«, fragt sie jammernd, und ich muss lachen.
»Ich weiß, dass du gesagt hast, ich solle warten, bis das Baby da ist, aber ich kann nicht. Ich wollte dich überraschen.«
»Und du musst dir unbedingt einen Abend aussuchen, an dem ich so groß bin wie ein Haus, Yogahose und T-Shirt trage und kein bisschen geschminkt bin?«
»Du bist immer wunderschön.«
Sie errötet. Jetzt weiß ich, dass ich sie habe. Ich habe lange und intensiv darüber nachgedacht. Ich will nicht, dass unser Baby auf die Welt kommt und wir immer noch nur Freund und Freundin sind.
»Mir hat mal eine weise Frau gesagt, ich solle keiner Frau einen Heiratsantrag machen, es sei denn, ich liebe sie. Denn Liebe sei der Kleber, der eine Ehe zusammenhält.«
Sie schüttelt den Kopf und tut verärgert, doch ich weiß genau, dass sie sich freut, dass ich mir ihre Worte gemerkt habe.
»Klingt nach einer ziemlich intelligenten Frau«, erwidert sie.
»Die klügste Frau, die ich je kennengelernt habe. Abgesehen von ihrer Entscheidung, mich zum Vater ihrer Kinder zu machen.«
Sie streckt die Hand aus und streichelt meine Wange. »Ich wette, du bist ein toller Vater.«
Ich zwinkere.
»Ich liebe dich. Und wenn das der Kleber ist, den wir brauchen, dann machen wir dieses Eheding mit links.«
»Wirklich?«, fragt sie und beginnt zu grinsen.
»Japp. Denn ich liebe dich so verdammt sehr, dass der Kleber schon überquillt.«
Sie lacht. »Zum Glück liebe ich dich genauso sehr.«
»Dann haben wir Kleber im Überfluss.«
Ein weiteres Lachen kommt über ihre Lippen. »Scheint so.«
»Und? Was sagst du? Willst du mich heiraten? Ich könnte dir den Mond, die Sonne und die Sterne versprechen. Aber ich will dir nur versprechen, dass ich dir jeden Tag beweisen werde, dass du die Liebe meines Lebens bist. Ja, wir werden zum zweiten Mal Eltern. Aber wir schaffen das.« Ich zwinkere erneut.
»Wie könnte eine Frau so einen Antrag ablehnen?« Sie nickt. »Ja, ich will.«
Freude durchströmt meinen Körper. Ich nehme den Ring, den ich an eine Halskette gehängt habe. Ich habe vermutet, dass er ihr aufgrund der Schwellungen im Moment nicht passen wird.
Nachdem ich die Kette um ihren Hals gelegt habe, begutachtet sie ihn. »Er ist wunderschön, Rome. Aber …«
Ich weiß, was jetzt kommt. Der Preis. Wir sollten das Geld besser für ein eigenes Haus sparen, aber sie muss begreifen, dass sie in dieser Familie die Nummer eins ist. Es wird noch lange dauern, bis sie es endlich glaubt. Deshalb werde ich noch mehr Tinktur auf die Wunden tupfen, die das Pflegesystem bei ihr hinterlassen hat. Früher oder später werden sie vollständig verheilt sein.
Sie hat sich auf den ewigen Single eingelassen und ihn zum Vater gemacht. So etwas bringt nur eine Frau zustande, die so unglaublich ist wie sie.
Ich will sie gerade küssen, als sie sich an den Bauch fasst.
»Ähm«, sagt sie und blickt nach unten.
»Was?«, frage ich.
Das Sofa unter ihr ist ganz nass.
»Nicht ausrasten. Es ist so weit.«
Ich stehe auf und eile ins Schlafzimmer, um den Koffer zu holen, den wir gestern Abend gepackt haben. In meiner Hosentasche vibriert das Handy. Ich ziehe es heraus, während ich zurück ins Wohnzimmer gehe.
Harley hat eine Nachricht in die Familiengruppe geschrieben.
HARLEY:
Meine Fruchtblase ist gerade geplatzt. Juno, kannst du herkommen und auf Calista aufpassen? Sie schläft. An alle anderen: Wir melden uns, sobald es Neuigkeiten gibt
.
»Du spielst mit dem Feuer«, sage ich, stelle den Koffer neben die Tür und helfe ihr auf.
»Wir haben ihnen versprochen, dass wir Bescheid geben. Wenn wir nur Juno schreiben, sind die anderen sauer. So ist es einfacher.«
Ich schließe sie in die Arme. »Wie kommt’s, dass du meine Familie besser kennst als ich?«
Sie zuckt mit den Schultern und geht die nächsten zehn Minuten im Zimmer auf und ab, bis Juno auftaucht.
»Das wird aber auch Zeit. Was zur Hölle?«, frage ich.
»Sorry, ich bin gerannt, so schnell ich konnte.« Sie atmet schwer. Zum Glück wohnt sie ganz in der Nähe, was der Grund ist, warum sie als Babysitterin für Calista auserwählt wurde. »Da habt ihr euch aber eine Nacht ausgesucht für die Geburt.«
Ich bin schon halb zur Tür hinaus, doch Harley bleibt stehen. »Warum? Was ist passiert?«
»Savannahs Haus ist überflutet.« Sie krümmt sich. »Irgendein Rohr ist geplatzt, während sie weg war. Und da keiner da war …«
»Oh nein. Und was passiert jetzt?«, fragt Harley.
»Das finden wir heraus, nachdem
wir dich ins Krankenhaus gebracht haben. Du weißt schon. Mit Ärzten, die unser Baby zur Welt bringen können.« Ich zerre an ihrem Arm, doch sie bewegt sich nicht von der Stelle.
»Ich weiß nicht. Wahrscheinlich wird sie eine Weile bei Holly und Austin wohnen müssen.«
»Okay. Großartig«, erwidere ich und zupfe an Hollys Jackenärmel.
Sie zieht die Mundwinkel herunter. »Das tut mir schrecklich leid.«
»Ja, nicht wahr?« Juno setzt sich auf die Sessellehne.
»Okay. Lass uns jetzt gehen.« Diesmal lege ich den Arm um ihre Schultern und schiebe sie aus dem Apartment.
»Tschüss. Und viel Glück!«, sagt Juno.
Ich ziehe die Tür hinter uns zu.
»Du kannst dich jetzt entspannen. Calistas Geburt hat ewig gedauert.«
Ich bin immer noch traurig, dass ich ihre Geburt verpasst habe, aber es lässt sich nun mal nicht ändern. Irgendwann werde ich bestimmt darüber hinwegkommen.
»Warte.« Ich öffne wieder die Wohnungstür. »Schließ die verdammte Tür ab. Meine Tochter schläft am Ende des Flurs. Und sei eine brave kleine Schwester und mach den Fleck weg.«
Als ihr Blick auf das Sofa fällt, weicht sie zurück. »Auf keinen Fall.« Dann knallt sie mir die Tür vor der Nase zu, und ich höre, wie sie abschließt.
Wenigstens eine der Aufgaben hat sie erledigt.
Ich führe Harley die Treppe hinab und zu meinem Truck. Dann heize ich zum Krankenhaus. Wie vor ein paar Monaten, als wir den Anruf wegen Calista bekommen haben.
Zwölf Stunden später erblickt Baby Bailey das Licht der Welt. Calista sitzt im Warteraum und wird die Erste sein, die ihren kleinen Bruder kennenlernen darf.
Als ich das Wartezimmer betrete, rennt mir Calista mit zwei Heliumballons entgegen. Auf einem steht Es ist ein Junge
, auf dem anderen Herzlichen Glückwunsch
. Sie trägt ihr Heute wurde ich große Schwester
-Shirt.
Ich fange sie auf und drücke sie an mich.
»Baby«, sagt sie.
»Ja, du hast jetzt einen kleinen Bruder.«
Sie lächelt freudig. »Ich will ihn sehen!«
Die ganze Familie steht auf, doch ich hebe die Hand. »Ich bin gleich wieder da. Aber wir würden den Moment gern mit Calista teilen, falls es euch nichts ausmacht.«
Lächelnd schütteln meine Geschwister und Liam die Köpfe und setzen sich wieder.
Hand in Hand gehen wir den Flur hinab. In jedes offene Zimmer wirft Calista einen Blick hinein. »Mommy?«, fragt sie jedes Mal.
»Noch nicht.«
Als wir das Zimmer erreichen, ist Harley gerade dabei, Dion zu stillen.
Wir haben beschlossen, bei der griechischen Mythologie zu bleiben. Nachdem wir uns mit Selene beratschlagt haben, haben wir uns für Dion entschieden. Nach Dionysos, Gott des Weines, der Feste und Partys. Da er mein Kind ist, passt es.
Harley blickt auf und lächelt. »Hey, Süße. Willst du deinen Bruder sehen?«
»Was macht er?« Calista starrt sie angewidert an.
»Er isst gerade.«
»Deine Titti?«
Ich hebe sie hoch und trage sie näher ans Bett. Das ist nicht der
filmreife Moment, den wir uns mit ihr vorgestellt haben. Ich setze sie aufs Bett, und sie krabbelt ans Bettende.
»Er bekommt Milch von mir.«
»Wie Kühe?«
»Ja, wie Kühe«, erwidert Harley und sieht mich an, als wollte sie fragen: Was zur Hölle?
»Wie bekommt er die Milch?« Calista kniet sich hin und starrt ihn an, bleibt jedoch weiter auf Distanz.
»Mein Körper macht sie«, erklärt Harley.
»Und warum bekomme ich Milch aus dem Kühlschrank?«, will Calista wissen.
Harley lacht und sieht mich an. Japp, Moment vorbei.
»Weil du schon ein großes Mädchen bist.« Ich streiche durch ihr Haar. »Willst du dem Baby nicht Hallo sagen?«, frage ich, um das Thema zu wechseln.
»Er ist klein«, sagt sie ohne Enthusiasmus. »Kann ich mit Onkel Denver spielen?«
Harley zieht die Mundwinkel herunter, und ich schüttle den Kopf. »Ich hole mal die Familie«, sage ich seufzend.
»Ja, ich glaube, er ist fertig.« Harley reicht mir das Baby und bedeckt sich. Er ist so klein. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, das Gewicht der ganzen Welt in Händen zu halten.
»Schau ihn dir an.« Ich halte ihn Calista entgegen.
Sie nickt und sieht weg. Dann rutscht sie vom Bett und rennt aus dem Zimmer.
»Warte, Süße.«
Ich lege Dion in die Wiege. Drei Minuten später stapft der ganze Familienzirkus den Korridor hinab. Sie sind laut und stürmisch und machen eine Szene, wohin sie auch gehen.
Alle strömen ins Zimmer und füllen jeden Quadratzentimeter aus. Während sie sich beim Baby abwechseln, setze ich mich zu Harley aufs
Bett und beobachte, wie meine nervige Familie unseren Sohn mit Liebe überschüttet. Harley drückt meine Hand und beobachtet, wie Denver Calista beibringt, wie man Daumenkrieg spielt.
»Wir haben die Neuigkeiten gehört, Sav. Es tut uns so leid«, sagt Harley.
Savannah setzt sich auf den Stuhl neben dem Bett. »Es wird Monate dauern, bis das Haus wieder in Ordnung ist.«
»Was wirst du jetzt tun?«, frage ich. »Ziehst du so lange zu Austin und Holly?«
Mir entgeht nicht, wie die beiden hinter ihr einen Blick wechseln. Sie würden es tun, denn sie ist Familie. Aber ich weiß auch, dass sie jetzt, da die Hochzeit näher rückt, ein wenig Privatsphäre wollen.
»Nein. Ich würde niemals einfach bei ihnen eindringen.«
»Sie zieht zu Liam.« G’Ma D tritt aus dem Familienkreis heraus. »Das macht dir doch nichts aus, oder, Liam?«
Er sieht Savannah mit zu Schlitzen verengten Augen an und schiebt die Hände in die Hosentaschen. »Nein.« Wie es scheint, macht es ihm sehr wohl etwas aus.
»Ich werde nicht
zu Liam ziehen«, sagt Savannah an uns gerichtet, ohne die anderen anzusehen.
»Warum nicht? Denver wohnt auch dort. Dann seid ihr wie Herzbube mit zwei Damen
«, sagt Kingston.
»Nur umgekehrt«, erwidert Denver. »Komm schon, Sav. Das wird lustig. In dieser Stadt gibt es nichts Anständiges, was man mieten kann. Was sind deine Optionen?«
Ich sehe Liam an, der immer mehr errötet, je länger die Diskussion dauert. Sein Blick wandert ständig zu Savannah, die die Frage immer noch nicht beantwortet hat.
Sie sieht über die Schulter, und ihre Blicke treffen sich. Harley drückt meine Hand, für den Fall, dass es mir entgeht. Aber mir entgeht nichts. Irgendwas geht hier vor.
»Wäre es denn ein Problem?«, fragt sie ihn.
»Nein«, krächzt er.
»Perfekt. Ich weiß nicht, warum ihr nicht selbst darauf gekommen seid.« Dann streckt G’Ma D die Arme aus. »Und jetzt gebt mir das Baby.«
Ich küsse Harleys Schläfe und frage mich, wie ich es geschafft habe, die erste Frau, die es fertiggebracht hat, mich an einem Ort zu halten, dazu zu bringen, mich zu lieben.
Sie blickt zu mir auf. Wir müssen nichts sagen, denn unsere Augen sagen alles. Der Kleber zwischen uns wird jeden Tag mehr.