Die Hochzeitsparty war in vollem Gange, als Daisy durch die Doppeltüren trat. Draußen war es dunkel geworden, aber hier im Ballsaal funkelten die Kronleuchter, flackerten die Kerzen auf den Tischen, und der Tanz hatte begonnen.
Hector befand sich bereits vor Ort, was keine Überraschung war. Er wirbelte die strahlende Braut über den Tanzboden und brachte sie mit seinen üblichen überschwänglichen Komplimenten zum Lachen. Daisy beobachtete, wie Annabels Gesicht aufleuchtete und ihr kunstvolles Kleid um ihre Knöchel wehte. Sie sagte sich, dass Tara das Richtige getan hatte. Wenn jede Frau ihre Hochzeit einfach absagen würde, nur weil der Bräutigam ein unzuverlässiger Scheißkerl war, tja, dann gäbe es nicht sehr viele Ehepaare.
Die Band spielte ›In the Mood‹. Annabel wurde von einem älteren Verwandten mit Walrossschnauzer mit Beschlag belegt, und prompt zog Hector Annabels Mutter auf die Tanzfläche. In ihrem gewaltigen lila Kleid ähnelte sie einem Heißluftballon, wenn auch einem entzückten und höchst geschmeichelten Heißluftballon. Innerhalb weniger Sekunden kicherte sie wie ein übererregtes Schulmädchen angesichts Hectors koketter Bemerkungen. Ihre lila Schuhe verschwammen zu einem lila Nebel, während sie fröhlich umherwirbelte.
»Wenn Sie möchten, könnten wir ein Tänzchen wagen«, sagte eine Stimme in Daisys Ohr, »dabei können Sie sich dann unterwürfig bei mir entschuldigen.«
Es war Dev Tyzack. Der Ausdruck in seinen Augen war leicht spöttisch, sein Tonfall plaudernd. Die Jeans und das Polohemd hatte er zugunsten eines maßgeschneiderten dunklen Anzugs abgelegt. Seine Krawatte war gelockert, und den Kragen seines weißen Hemdes zierte ein schwacher, pfirsichfarbener Lippenstiftabdruck.
Na schön, bring es hinter dich, dachte Daisy. Höflich zu Menschen sein zu müssen, die es nicht verdienten, gehörte zu den Freuden des Hotelmanagements. Nach dem heutigen Tag würde sie ihn wenigstens nie wiedersehen müssen.
»Es tut mir Leid. Wie konnte ich nur je an Ihnen zweifeln? Ihr Freund Dominic hat sich völlig korrekt verhalten und mein Zimmermädchen trägt die alleinige Schuld an den Geschehnissen von vorhin. Bitte nehmen Sie meine aufrichtige Entschuldigung an«, log Daisy und lächelte ihn völlig ausdruckslos an.
»Ach, Teuerste.« Er fing an zu lachen. »Das war nicht sehr überzeugend. Ich bin sicher, das können Sie noch besser.«
Ich kann, dachte Daisy, aber ich will nicht.
Sie schenkte Dev Tyzack ein weiteres, eklatant unaufrichtiges Lächeln und sagte: »Ich habe jedes Wort ernst gemeint.«
»Und ich finde, Sie könnten jetzt einen Drink vertragen.« Mühelos zog er die Aufmerksamkeit einer Kellnerin auf sich und reichte Daisy eine Champagnerflöte. Es war eine spöttische Geste, die sie aufforderte, endlich locker zu werden.
Pustekuchen.
»Danke, nein.« Daisy schüttelte den Kopf. »Ich bin im Dienst.«
»Natürlich, Sie sind ja im Dienst. Wir könnten aber trotzdem tanzen.«
Wie sehr er es genoss, die Oberhand zu haben.
»Besser nicht.« Daisy zeigte auf seinen Hals. »Sie haben übrigens Lippenstift am Kragen.«
Dev hob eine Augenbraue. »Da habe ich aber Glück, dass Sie nicht meine Frau sind.«
»Großes Glück.« Wenn hier einer Glück hat, dann ich, dachte Daisy.
»Sind Sie verheiratet?« Er blickte amüsiert auf ihre unberingte linke Hand.
»Nein.«
»Unglaublich. Wer hätte das gedacht? Wissen Sie, wenn Sie etwas entspannter wären, würden Sie sicher bald einen Ehemann finden«, riet Dev.
Glücklicherweise befand sich das Hochzeitstortenmesser mittlerweile wieder in der Küche.
»Einen Ehemann?« Daisy machte große Augen. »Einen ganz allein für mich, meinen Sie? Oder den einer anderen?«
Er lachte erneut. »Keine Sorge, ich hab’s schon kapiert. Junge Frau führt das Hotel ihres Vaters und will ihm verzweifelt beweisen, dass sie der Aufgabe gewachsen ist. Zugeben zu müssen, dass Sie einen kapitalen Bock geschossen haben, kann nicht leicht für Sie sein.«
Nicht kontern, nicht kontern …
»Es ist nicht leicht, da haben Sie absolut Recht, Mr. Tyzack.« Aus den Augenwinkeln sah Daisy, wie sowohl die Mutter als auch die Schwester der Braut sie beobachteten. »Wie ich schon sagte, ich kann mich nur entschuldigen. Aber immerhin gibt es ein Happy End. Alle scheinen sich zu amüsieren. Ich bin überzeugt, die Braut und der Bräutigam werden sehr glücklich miteinander.«
»Sie sind überhaupt nicht überzeugt«, meinte Dev Tyzack fröhlich. »Sie glauben, dass Dominic Annabel nur wegen ihres Geldes geheiratet hat.«
Daisy blickte unschuldig. »Hat sie denn welches?«
»Ihr Vater war im Unterwäschegeschäft tätig, im ganz großen Stil. Als er letztes Jahr starb, hat er seiner Familie vierzig Millionen Pfund hinterlassen, die sich seine Frau, Jeannie und Annabel teilen konnten.«
Vierzig Millionen. Das erklärte so manches. Meine Güte, vierzig Millionen.
»Wenn das so ist, muss es wahre Liebe sein«, erklärte Daisy und fuhr zuckersüß fort: »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, warum Sie Ihre Zeit mit mir verschwenden. Sie sollten lieber mit Annabels Schwester tanzen.«
»Komm rein. Ach herrje, du bist ja klatschnass.« Maggie führte Daisy aus dem eiskalten Regen in die Wärme des Wohnzimmers. »Schieb deinen dicken Hintern beiseite, Tara, und lass das arme Mädchen am Feuer sitzen.« Entschuldigend fügte sie hinzu: »Du musst Nachsicht mit ihr üben, Daisy. Sie ist ein wenig weinerlich.«
»Ich bin nicht weinerlich«, verteidigte sich Tara. »Nur wütend. Ich habe die Schnauze voll von Männern im Allgemeinen und von kompletten Arschlöchern wie Dominic im Besonderen. Ich habe beschlossen, mein Leben als alte Jungfer zu beschließen, so wie Maggie. Als metaphorische alte Jungfer«, fügte sie hinzu, als Maggie den Mund öffnete und widersprechen wollte. »Na gut, du warst mal verheiratet, aber das zählt nicht. Ich spreche von jetzt und vom nächsten Jahr und von den nächsten zwanzig Jahren. Von heute an werde ich mein Leben nach deinem ausrichten.«
»Meine Güte, wie viel Wein hat sie schon intus?« Daisy hielt die Flasche Montepulciano gegen das Licht. »Ich glaube, ich trinke den Rest.«
»Sieh mich nicht so an, ich bin nicht stockbesoffen«, murmelte Tara. »Nicht weltschmerzbesoffen. Nur … nur … regionalschmerzbetrunken.« Mein Gott, warum ließen sich manche Wörter bloß so schwer aussprechen?
»Du hast auch allen Grund dazu.« Daisy drückte Taras Arm freundschaftlich. »Aber wenn du weiterhin in diesem Cottage wohnen willst, dann würde ich an deiner Stelle aufhören, deine brillante und großzügige Tante als traurige, einsame, alte Jungfer zu bezeichnen.«
Tara schüttelte nachdrücklich den Kopf.
»Nein, nein. Das habe ich doch als Kompliment gemeint! Maggie führt das beste Leben von allen Leuten, die ich kenne, und von heute an will ich so sein wie sie. Ich werde Marmelade einkochen und nähen und mir The Archers im Radio anhören und Kuchen backen.«
»Phantastisch.« Daisys Gesichtszüge entglitten nicht.
»Ich gebe die Discos auf.« Tara erwärmte sich langsam für ihr Thema. »Und belege stattdessen einen Makrameekurs.«
»Allmächtiger, jetzt brauche ich auch einen Drink«, rief Maggie, verschwand in der Küche und kehrte mit einer Flasche Frascati und zwei Gläsern zurück. »So viel Aufregung nur wegen eines dummen Exfreundes, an dem dir gar nichts mehr liegt. Daisy, rot oder weiß?«
»Aber darum geht es ja gerade«, argumentierte Tara. »Wenn jemand, an dem einem gar nichts mehr liegt, schon so viele Probleme verursachen kann, was geschieht dann erst bei jemandem, den man von ganzem Herzen liebt? Ich sage euch, ohne Männer bin ich besser dran. Und jetzt probiere ich auch noch den Weißen, wo du ihn schon geöffnet hast.«
»Wenn du eine professionelle alte Jungfer werden willst, musst du dir das Trinken abgewöhnen«, erklärte Daisy.
»Wie ist die Hochzeit nun gelaufen?« Maggie saß mit überkreuzten Beinen auf dem Teppich vor dem Kamin.
Daisy schnitt eine Grimasse. »Tja, sie sind jetzt verheiratet.«
»Ich weiß nicht, warum er sich die Mühe macht«, schnaubte Tara. »Er wird sie ja doch bloß betrügen.«
»Da wage ich eine Vermutung«, meinte Daisy trocken. »Wahrscheinlich macht er sich die Mühe, weil sie vor kurzem ein paar Millionen geerbt hat. Offenbar war ihr Vater ein Schlüpfer-Magnat.«
»Dann ist sie also stinkreich. Kein Wunder, dass er sie heiraten wollte.« Tara seufzte und zog ihr schwarzes Sweatshirt über die angezogenen Beine. »Vermutlich muss ich dankbar sein. Wenigstens wird mich nie einer wegen meines Geldes heiraten wollen.«
»Wo wir gerade von Vätern sprechen«, warf Maggie, die Tara ablenken wollte, an Daisy gewandt ein. »Wie geht es deinem Dad? Als ich ihm gestern über den Weg gelaufen bin, meinte er, er habe sich etwas am Knie getan.«
»Seinem Knie geht es wieder gut.« Daisy rollte mit den Augen. »Als ich die Party verließ, fegte er mit allen anwesenden Damen über das Parkett. Sie haben tatsächlich darum gestritten, wer als Nächstes mit ihm tanzen darf. Und die Mutter der Braut schob im Foxtrott mit ihm durch den Raum und sah ungeheuer selbstgefällig aus. Ehrlich, sie ähnelte einem Wal, der in einen lila Duschvorhang eingewickelt ist.« Daisy stöhnte angesichts der Erinnerung auf. »Sie ist eine stinkreiche Witwe und hält wahrscheinlich Ausschau nach Ehemann Nummer zwei. Armer Dad, welche Chance hat er gegen sie? Bis ich zurückkomme, hat sie ihn wahrscheinlich schon nach Gretna Green gekarrt.«
Maggie lachte und füllte die Gläser auf. »Ich bin sicher, dein Vater weiß sich zu wehren.«
»Es lag ein furchtbar entschlossenes Funkeln in ihren Augen. Und sie hat ellenlange, lila lackierte Fingernägel.«
»Übrigens, warum kam mir der Trauzeuge so bekannt vor?« Tara hob den Kopf. »Ich weiß, ich kenne ihn nicht, aber ich bin sicher, ich habe ihn schon mal gesehen.«
»Dev Tyzack«, klärte Daisy Maggie auf. »Spielte früher Rugby für Bath und für die Nationalmannschaft. Letztes Jahr hat er sich vom aktiven Sport zurückgezogen.«
»Dev Tyzack.« Maggie war sichtlich beeindruckt. »Er ist umwerfend.«
Tara schürzte die Lippen. »Schade, dass sein Charakter nicht seinem Aussehen entspricht.« Sie sah Daisy an. »Musstest du dich bei ihm entschuldigen?«
»Ja. Aber ich habe durchblicken lassen, dass ich keine Silbe davon ernst gemeint habe.«
»Und wie hat er es aufgenommen?« Tara hob ihre Augenbrauen. »Ich meine, war er nett?«
Daisy dachte kurz nach. »Wie soll ich es formulieren?«, sagte sie schließlich. »Äh … nein.«
Eine Stunde später kehrte Daisy zum Hotel zurück. Die Hochzeitsparty klang allmählich aus. Zwei Taxis waren bereits auf der High Street an ihr vorbeigefahren. Der Regen hatte nachgelassen, aber die Straße war noch nass und die Temperatur sank rasch. Die glücklichen Flitterwöchner waren bereits auf dem Weg zu einem dreiwöchigen Aufenthalt auf der paradiesischen Insel St Lucia. Wenn man dafür allerdings Dominic Cross-Calvert ehelichen musste, dachte Daisy, dann zog sie es vor, sich den Hintern in Gloucestershire abzufrieren.
Andererseits … ging sie womöglich allzu hart mit Dominic zu Gericht? Was hatte er denn getan, außer dass er überraschend einer Exfreundin gegenüberstand und sich von der Hitze des Augenblicks hatte mitreißen lassen?
»Igitt«, sprudelte es aus Daisy heraus, als ein drittes Taxi vorbeiraste und aus einer gewaltigen Pfütze eine Woge schlammiges, eiskaltes Wasser über sie spritzte. Na toll, genau das hatte ihr noch gefehlt. Der cremefarbene Wollmantel, den Hector ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, war jetzt nichts weiter als ein schmutziger, nasser, wollener Überwurf mit braunen Flecken. Außerdem waren sogar ihr Gesicht und ihre Haare schlammbedeckt. Was für ein glänzendes Ende für einen wahrhaft glänzenden Tag.
Dummerweise war es noch gar nicht das Ende. Als sie sich gerade mit ebenfalls schlammnassen Händen Augen und Gesicht abwischte, fand sich Daisy plötzlich im Scheinwerferlicht eines Wagens wieder. An der Hotelpforte blieb das Auto stehen. Das Fenster auf der Fahrerseite des sportlichen schwarzen Mercedes glitt herunter, und Dev Tyzack grinste zu ihr hoch. Neben ihm auf dem Beifahrersitz saß Jeannie und sah aus, als ob all ihre Geburtstage auf einen Tag gefallen wären.
»Was ist?«, meinte Daisy kurz angebunden. Sie merkte voller Entsetzen, wie ihr die schlammige Brühe über die Wangen lief.
»Wissen Sie, als ich klein war, wollte ich immer der furchtlose Schokoladenmann von Cadbury sein.« Dev tat, als hätten sie ihre Unterhaltung erst vor wenigen Sekunden unterbrochen. »Ich hatte diese Phantasievorstellung, wie ich mich von Hochhäusern abseilte, durch krokodilverseuchte Gewässer schwamm und mich an Lianen über Schluchten hinweghangelte, nur um einer Dame das zu geben, was sie sich mehr als alles andere wünschte.«
Nur weiter, war Daisy versucht zu erwidern, wir wissen ja alle, was die Dame auf deinem Beifahrersitz sich in diesem Augenblick mehr als alles andere wünscht.
Laut sagte sie: »Ach ja? Wie faszinierend!«
»Die schlechte Nachricht ist, dass mir die Schokolade ausgegangen ist«, meinte Dev Tyzack.
»Gott, wie schrecklich.«
»Dev.« Neben ihm gurrte Jeannie verzückt. »Komm schon, mach das Fenster wieder zu. Mir ist kaaaalt.«
»Hier bitte. Sagen Sie nicht, ich würde Ihnen nie etwas geben.« Immer noch grinsend reichte Dev ihr eine Schachtel Kleenex durch das offene Wagenfenster.
Dann winkte er ihr zu und brauste davon.