17. Kapitel

»Ziemlich klein. Ich hatte Sie gewarnt«, sagte Daisy an der Tür. Zweifellos ein Bonmot, das ein Bischof – vor einer Schauspielerin stehend – geprägt hatte.

Barney drehte sich um und schenkte ihr ein bezauberndes Lächeln. Das Zimmer war einfach, aber nett. Die Wände waren weiß gestrichen, und ein kobaltblauer Teppich bedeckte den Fußboden. Es gab ein Einzelbett, eine niedrige Kommode, einen Tisch, zwei Stühle und einen schmalen Schrank.

»Es ist perfekt«, sagte er zu Daisy. »Ich kann nicht glauben, dass ich wirklich hier bin.«

Er hatte sie am Freitag angerufen, nachdem er die ganze Woche an nichts anderes hatte denken können. Als er ihr sagte, dass er seine Meinung nicht geändert habe, meinte Daisy: »Das habe ich auch nicht angenommen.« Mit einem Lächeln in der Stimme hatte sie hinzugefügt: »Und wann können Sie anfangen?«

Und jetzt, drei Tage später, war er hier. Dank des Jahresurlaubs, der ihm zustand, hatte er seine Kündigung einreichen und noch am selben Nachmittag gehen können. Die Hälfte der Leute in seinem Büro hielt ihn für verrückt, die andere Hälfte war zutiefst neidisch. Der Behörde zu entfliehen war etwas, wovon sie nur träumten, wozu sie sich aber nie durchringen konnten.

Daisy sah auf ihre Armbanduhr. »Ich lasse Sie jetzt allein, damit Sie auspacken und sich eingewöhnen können. Im Laufe des Nachmittags stelle ich Sie dann allen vor.«

»Danke für alles«, sagte er. »Sie werden es nicht bereuen. Ich werde der beste Page sein, den Sie je hatten.«

Barney wanderte zum Fenster und genoss die Aussicht. Von seinem Zimmer aus sah er auf den hinteren Teil der Hotelanlage, darum war der Blick nicht ganz so spektakulär, aber das war ihm egal. Und er war hier, in Colworth, wo man in der Ferne die Kettensägen beim Baumfällen hören konnte und zwitschernde Vögel und gelegentlich Gelächter, das aus der Küche unter ihm hochdrang.

Was konnte man mehr verlangen?

Na ja, vielleicht noch ein paar Fruchtgummis von Rowntree.

 

Die Sonne tauchte hinter einer Wolke auf, als Barney die Auffahrt hinunterging. Sogar das Wetter schlug sich auf seine Seite. Das Hollybush Inn hatte soeben seine Pforten geöffnet, und der Duft von frisch gebrühtem Kaffee strömte heraus. Barney musste daran denken, dass er vor einer Woche um diese Zeit zum ersten Mal seinen Fuß in das Dorf gesetzt hatte und völlig überwältigt gewesen war. Und jetzt lebte er hier.

Konnte es noch besser kommen?

Noch besser wäre es natürlich, wenn sich jetzt die Tür des Tante-Emma-Ladens öffnen würde und er der hübschen, jungen Frau in die Arme liefe, die Probleme mit dem Kinderwagen ihres Sohnes gehabt hatte …

Aber das geschah nicht. Barney kam sich lächerlich vor, weil er sich das gewünscht hatte. Er stieß die Tür auf und stellte fest, dass der Laden völlig leer war. Was hatte er denn geglaubt? Dass er sich in Brigadoon befand?

Die gute Nachricht war, dass er hier Fruchtgummi kaufen konnte. Und Batterien für seinen Walkman.

»Hallo«, rief er fröhlich, legte seine Einkäufe auf die Theke und strahlte den Mann dahinter an. »Ich bin gerade eben nach Colworth gezogen – eigentlich ins Hotel. Ich werde dort arbeiten. Mein Name ist Barney. Barney Usher.«

Christopher, der an diesem Morgen einen heftigen Streit mit seinem Freund Colin gehabt hatte und nicht in der

»Echt?« Der Junge wirkte entzückt.

Christopher starrte ihn ungläubig an. »Nein!«

Als Barney mit seiner Tüte aus dem Laden trat, fragte er sich, ob er im Hollybush Inn eine Cola trinken sollte. Vielleicht war das Personal dort etwas freundlicher. Er blieb auf dem schmalen Bürgersteig stehen, sah nach rechts und nach links …

Und dann sah er sie.

Barney glaubte, er habe vergessen, wie man atmet. Es war eindeutig dieselbe junge Frau, die mit ihrem kleinen Jungen auf der Hüfte die Brücke überquerte. Barney sah, wie sie stehenblieb, sich über das Geländer lehnte und ihrem Sohn etwas zeigte. Freddie lugte auf etwas im Wasser, lachte und klatschte in die Hände.

Barney ging auf sie zu und dachte, womöglich sei er doch in Brigadoon gelandet.

Freddie entdeckte ihn zuerst und stieß einen hohen Verzückungsschrei aus, als er den Mann wiedererkannte, den er vor einer Woche mit Ribena getränkt hatte.

»Du solltest deine Handschuhe tragen«, schimpfte Barney scherzhaft. Er hielt die rot-weißen Strickfäustlinge hoch, die aus den Jackenärmeln des Jungen baumelten, dann drehte er sich um und lächelte dessen Mutter an. »Hallo. Lustig, dass wir uns wiedertreffen.« Er hoffte, dass er nicht rot anlief; es war nicht gerade der genialste Spruch zur Anknüpfung eines Gesprächs.

»Hallo.« Sie schien erfreut, ihn zu sehen. »Wie ist es letzte Woche gelaufen?«

Barney wurde klar, dass sie glaubte, er habe sich um eine Stelle im Hotel beworben. Sein Lächeln wurde breiter.

»Wunderbar. Heute Morgen bin ich eingezogen. Morgen fange ich mit der Arbeit an. Nichts Tolles, nur Page, aber ich freue mich schon. Die Leute dort scheinen wirklich nett

Er erzählte ihr nicht die Geschichte, warum er ursprünglich in das Dorf gekommen war. Barneys Erfahrung nach war die Schilderung seiner Nierentransplantation als Gesprächsanknüpfung eine echte Spaßbremse.

»Schrecklich gern, aber nur ein rotes. Wir haben die Enten beobachtet.« Die junge Frau zeigte auf den Fluss.

»Ich kenne nicht einmal Ihren Namen«, sagte Barney.

»Melanie. Mel.«

»Ich bin Barney.«

»Ich weiß, dass Sie Barney heißen.« Ihre Augen tanzten. »Das haben Sie mir schon letzte Woche erzählt.«

»Oh.« Dieses Mal errötete er wirklich. »Ich dachte, das hätten Sie vielleicht vergessen.«

»Habe ich nicht.«

»Wo wohnen Sie?« Barney wedelte mit dem Arm in Richtung der kleinen Cottages, die etwas abseits der Straße lagen. »In einem der Häuser dort?«

Mel schüttelte den Kopf. »O nein, ich wohne nicht im Dorf. Ich … besuche hier nur jemanden. Das dort drüben ist mein Auto. Das grüne.« Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und wies auf einen kleinen Fiat. »Nichts Besonderes, aber er bringt uns von A nach B. Eigentlich sollten wir uns jetzt wieder auf den Weg machen.«

Ihre Augen waren grau, aber es war ein warmes Grau, beschloss Barney. Und voller Humor. Einfach wunderschöne Augen.

»Und wo wohnen Sie?«, wiederholte er.

»In Bristol. In einem Viertel namens Kingswood, aber das werden Sie nicht kennen.« Mel schob Freddie auf die andere Hüfte und ging auf den kleinen Fiat zu.

Sie wollte fort! Pure Panik ließ die nächste Frage aus Barneys Mund sprudeln. »Müssen Sie zu Ihrem Ehemann?«

»Nein«, sagte Mel. »Ich habe keinen Ehemann.« Sie

»Zu Ihrem Freund?«

»Ich habe auch keinen Freund. Es gibt nur Freddie und mich.« Einen Augenblick lang zögerte sie, dann sagte sie mit monotoner Stimme: »Freddies Vater hat uns verlassen, bevor er geboren wurde.«

Himmel!

»Hören Sie, Sie können ablehnen, wenn Sie nicht wollen«, platzte Barney heraus, »aber ich würde Sie wirklich gern wiedersehen. Können wir uns nicht irgendwann auf einen Drink treffen? Oder zum Essen? Oder zum Kino? Was immer Sie mögen. Sie dürfen entscheiden!«

Mittlerweile hatten sie die Straße überquert. Mel wühlte in ihrer Jackentasche nach den Wagenschlüsseln. »Warum nicht. Klingt gut. Nur … «

Warum zögerte sie? Barneys Hoffnungen fielen in sich zusammen. Freddie nieste einen schleimsprühenden Babynieser.

»Gesundheit«, sagte Barney geistesabwesend. »Nur was?«

»Der Babysitter könnte ein Problem sein.« Mel schien verlegen. »Ich meine, finanziell ist meine Lage ein wenig … «

»Aber das ist doch kein Problem! Wir bleiben zu Hause. Ich bringe ein Video mit und wir lassen etwas zu Essen kommen … das würde mir genauso gut gefallen.« Ach, diese Woge der Erleichterung.

»Ganz sicher?«

»Absolut sicher!« Barney nickte heftig. »Das gefällt mir sogar noch besser.«

Mels Gesicht wurde weich. Sie schloss die Beifahrertür auf und sagte: »Und was ist mit Ihnen? Sind Sie verheiratet?«

Barney lachte. »Sehe ich etwa verheiratet aus?«

»Das weiß man nie.«

»Nein, ich bin nicht verheiratet. Ehrenwort. Und jetzt geben Sie mir bitte Ihre Telefonnummer.« Glücklicherweise hatte er einen Füllfederhalter dabei. Er schraubte ihn schwungvoll

»Dann hoffe ich, von Ihnen zu hören.« Sie lächelte vom Fahrersitz zu ihm auf.

»Sie hören ganz bestimmt von mir«, versprach Barney. Er winkte Freddie zu, der neben ihr wie ein Astronaut festgeschnallt war. »Tja dann … Bye.«

Die Tür auf der Fahrerseite stand noch offen. Mel hob die Augenbrauen und meinte neckisch: »Haben Sie nicht etwas vergessen?«

Barney zögerte. Was hatte er nicht getan, obwohl er es hätte tun sollen? Herrje, sie würde doch wohl keinen Kuss von ihm erwarten?

Er riskierte, wie der Dorftrottel zu klingen, und fragte: »Was?«

»Ich warte immer noch auf das Fruchtgummi.«