Daisy hatte Josh Butler zehn Jahre zuvor auf der Universität kennen gelernt. Hin und wieder schaute er in einer Vorlesung vorbei, aber 95 Prozent seiner Zeit verbrachte er mit Rudern, Rugby, Trinken, Cricket, Partyfeiern, Klettern und Golf.
Sein Terminkalender war randvoll und anspruchsvoll, da blieb nicht viel Zeit für das Studium. Niemand staunte mehr als Josh, als er schließlich seinen Abschluss mit der Note gut machte.
Daisy erinnerte sich überdeutlich an den Moment, als ihr Blick zum allerersten Mal auf Josh gefallen war. Sie saß mit Freunden im Serpent’s Arm, an einem Samstag zur Mittagszeit, als er in das Pub platzte. Josh trug nichts weiter als einen funkelnden Ohrclip und eine Tina-Turner-Perücke. Man musste ihn einfach in Augenschein nehmen.
»Ist was?« Josh schaute unverfroren zu ihr herab. »Noch nie einen erwachsenen Mann nackt gesehen?«
»Komm her.« Daisy winkte ihn zu sich. »Bei dir baumelt da was und das hat sich vollkommen verheddert – ich entwirre es für dich.«
Bis sie endlich sein glitzerndes Kronleuchterohrgehänge aus dem Vogelnest aus Nylonhaar, das sich als Perücke tarnte, gepuhlt hatte, hatte Josh längst beschlossen, dass sie die Richtige für ihn war. »Ich bin Josh Butler. Willst du morgen Abend mit mir ausgehen?«
Er besaß die Statur eines Sportlers und eindrucksvolle Muskeln. Sein unordentliches, rötlichbraunes Haar lugte unter der Perücke hervor. Seine hellbraunen Augen funkelten, und er hatte Tausende Sommersprossen. Glücklicherweise besaß er, dank der vielen Zeit, die er im Freien verbrachte, eine leichte Bräune. Daisy war sich ziemlich sicher, dass sie niemals mit einem Rothaarigen ausgehen konnte, dessen Teint einem Kabeljau glich.
»Ich dachte schon, du würdest niemals fragen.« Sie lächelte zu ihm auf. »Warum hast du so lange gebraucht?«
Josh Butler zwinkerte ihr zu. »Bin krankhaft schüchtern.«
Wie sich herausstellte, war Josh für einen guten Zweck zum ›Flitzer‹ geworden. Sein Lauf brachte 230 Pfund ein. Und am nächsten Abend hatte sein Verhältnis mit Daisy begonnen.
In den nächsten sechs oder sieben Monaten waren sie ein Paar gewesen. Dann hatten sie sich getrennt. Aus einer Reihe von dummen, studentischen Gründen, aber hauptsächlich deshalb, weil Daisy gemerkt hatte, dass sie mehr brauchte. Sie hatten keine schlechte Beziehung geführt, hatten sich gut verstanden und viel Spaß miteinander gehabt, aber irgendwie war das nicht genug.
Die Entscheidung war an einem heißen Sonntagnachmittag gefallen. Während Josh auf dem Fluss ruderte, nahm Daisy mit der Freundin eines der anderen Ruderer am Ufer ein Sonnenbad. Sie hatte einen Stapel Zeitungen mitgebracht und blätterte sie müßig durch.
»Seufz. Martin Kemp, neun von zehn Punkten«, schwärmte Megan, die neben ihr auf dem Gras lag. »Bäh, Frank Skinner, zweieinhalb Punkte.«
»Aber er ist lustig«, widersprach Daisy.
»Na schön, dann eben dreieinhalb Punkte. Aber ganz ehrlich, ein Sexgott wird der nie. Anders als dieser süße Bursche hier.« Sie streichelte ein Foto von Jon Bon Jovi. »Der ist genau mein Typ. Eindeutig eine neuneinhalb.« Sie fächelte sich mit der zusammengerollten Farbbeilage Luft zu.
»Cary Grant«, meinte Daisy verträumt. »Er ist eine Zehn.«
»Schmerz lass nach. Dein Bewertungssystem liegt ja völlig darnieder. Los, die nächste Zeitschrift. Du vergibst die Punkte und ich sage dir, wo du falsch liegst. Hugh Grant.«
»Eine Acht«, erwiderte Daisy prompt.
»Julio Iglesias.«
»Minus Acht.«
»Robbie Williams.«
»Siebeneinhalb.«
»Adam Ant.«
»Neun.« Daisy hatte immer noch eine Schwäche für Adam Ant.
»Josh Butler.«
»Sieben.« Die Zahl rutschte ihr heraus, bevor sie sich stoppen konnte. In diesem Augenblick kam Josh an ihnen vorbeigerudert.
»Autsch«, rief Megan. »Das darf man über seinen Freund nicht sagen.«
Daisy sah, wie Josh über den Fluss glitt, und ihr wurde klar, dass sie es sagen durfte, weil es nämlich der Wahrheit entsprach. Er war eine Sieben.
»Du machst da was falsch«, erklärte Megan ernsthaft. »Man muss immer mit einer Zehn ausgehen. Er muss einfach eine Zehn sein, wozu soll man sich sonst überhaupt mit ihm abgeben?«
Und damit traf sie den Nagel auf den Kopf. Ein Freund, der nur eine Sieben war, war einfach nicht gut genug. Daisy fragte sich, wieso sie sich mit weniger als einer Zehn zufrieden geben wollte.
An diesem Abend hatte sie mit Josh Schluss gemacht, und er hatte es alles in allem gut weggesteckt. Falls es ihn verletzte, war es ihm gelungen, das vor ihr zu verbergen. Sie waren übereingekommen, Freunde zu bleiben, und sie hatte gehofft, es würde nicht bedeuten, dass er sich für alle Zeiten betrinken und sie weinerlich anflehen würde, ihm bitte, bitte, bitte nur noch eine weitere Chance zu geben …
Wie sie drei Tage später herausgefunden hatte, war er in seinem Schmerz noch am selben Abend auf eine Party gegangen, auf der er sich mit einer exotischen Schönheit namens Mira zusammentat, die ihren Doktor in Physik machen wollte. Sie hatten offenbar fabelhaften Sex gehabt und trafen sich auch am nächsten Abend und am Abend darauf. Daisy hatte das erfahren, weil Mira prompt all ihren Freunden erzählt hatte, wie phantastisch Josh im Bett war. Daisy hatte sich in Erinnerung rufen müssen, dass Eifersucht sinnlos war, weil sie bereits wusste, wie großartig Josh war. Nur war das nicht genug gewesen.
Es war ihr nicht leicht gefallen, aber sie hatte sich an ihre Entscheidung gehalten. Und sie und Josh waren wirklich enge Freunde geblieben. Die Sache mit Mira hatte sich nach zwei Monaten von selbst erledigt, und ein Strom an Freundinnen war gekommen und gegangen. Daisy war nicht länger eifersüchtig gewesen und hatte ihn mit seinem hormongesteuerten Verhalten aufgezogen. Josh wiederum hatte sich gnadenlos über ihre Entschlossenheit lustig gemacht, Ausschau nach Mister Perfect zu halten.
»Du hättest mich haben können«, pflegte er ihr mit einem Schütteln seines ungekämmten Hauptes mitzuteilen. »Du hattest deine Chance, aber du hast es vermasselt. In fünfzig Jahren wirst du eine dieser verrückten alten Jungfern in Hausschuhen und Bommelmütze sein, die immer noch darauf wartet, dass Pierce Brosnan vorbeireitet und dich mit auf sein Schloss nimmt.«
»Aber wenn er tatsächlich kommt, wirst du dich maßlos ärgern«, hatte Daisy fröhlich erwidert. »Und du wirst nur in der Zeitung davon lesen, denn zur Hochzeit werde ich dich nicht einladen.«
Als sie Steven geheiratet hatte, konnte sie Josh gar nicht einladen. Er war nach Amerika verschwunden, und sie hatten den Kontakt verloren.
Daisy überließ Vince, dem stellvertretenden Geschäftsführer, die Verantwortung und ging mit Josh zu ihrer Wohnung im ersten Stock des Westflügels. Wie gewöhnlich verschwendete er keine Zeit, sondern griff sich die Keksdose und plünderte sie aus. Josh hatte immer schon mehr gegessen als jeder andere, den sie kannte.
Sie hatten viel aufzuholen. Fünf ganze Jahre.
»Woher wusstest du, dass ich hier bin?« Daisy kickte sich die Pumps von den Füßen und setzte Wasser auf.
»Reiner Zufall. Als ich vor zwei Wochen aus den Staaten zurückkam, bin ich bei Tom Pride untergekommen. Erinnerst du dich an Tom? Ruderte im Einer, spielte die Witwe Twankey im Weihnachtsspiel in unserem letzten Trimester. Er ist jetzt Banker und betreut Überseegeschäfte.« Josh untersuchte den Inhalt von Daisys Kühlschrank. »Tom hat mit ein Paar Jungs vom College Kontakt gehalten und wir trafen uns eines Nachts auf einen Drink. Wir redeten über alte Zeiten und ich fragte, was du dieser Tage so machst, worauf Marcus Cartwright sagte, er habe in der Sonntagsbeilage gelesen, dass dein Dad irgendein Landhotel gekauft habe und du es leiten würdest. Er konnte sich nicht an den Namen erinnern, wusste nur noch, dass es in den Cotswolds lag. Hier kommt das Wunder des Internets ins Spiel. Auf der anderen Straßenseite gab es ein Internetcafé, und zwei Minuten später hatten wir die Homepage dieses Ladens auf dem Bildschirm und sahen das Foto von dir mit deinem Personal auf der Eingangstreppe.« Josh zuckte mit den Schultern. »Tja, die Gelegenheit schien zu gut, um sie verstreichen zu lassen. Ich musste dich einfach wiedersehen. Süße, hebst du die Eier für was Besonderes auf?«
Wenn es auf dieser Welt gerecht zugehen würde, dann müsste Josh so fett wie eine Tonne sein. Daisy grinste über den herzzerreißenden Ausdruck in seinem Gesicht und reichte ihm die Pfanne.
»Bediene dich. Was hast du in den Staaten gemacht?«
»Ich war Golfprofi. Die letzten achtzehn Monate habe ich dann in einem Club in Texas gearbeitet. Ein knochenharter Job.« Josh zwinkerte und schlug ein Ei in die Pfanne. »Den ganzen Tag auf dem Golfplatz. Ein paar Runden spielen, tolpatschigen Texanern beibringen, wie man einen Golfschläger hält … und natürlich der gesellschaftliche Verkehr. All diese reichen, jungen Frauen, die unbedingt Golfspielen lernen wollen, weil es eine gute Möglichkeit ist, reiche, junge Männer kennen zu lernen … «
»Klingt furchtbar«, scherzte Daisy. »Du Ärmster. Dann machst du also nur einen Kurzbesuch in der Heimat?«
»Nein. Vor ein paar Wochen hat mich ein Headhunter abgeworben. Ich habe jetzt einen neuen Job in Miami. Die Anlage ist allerdings noch nicht fertig. Besserer Golfplatz, doppelt so viel Geld. Ich werde fortan den tolpatschigen Bewohnern von Florida beibringen, wie man einen Golfschläger hält.« Josh schlug immer noch Eier in die Pfanne. »Aber ich fange erst Anfang Juni an, also gönnte ich mir eine Pause, um ein paar Monate in England zu verbringen. Ich wollte eigentlich bei meiner Mutter wohnen, aber sie hat sich einen neuen Mann angelacht. Die beiden kleben die ganze Zeit wie liebestolle Teenager aneinander.« Er schnitt eine Grimasse. »Ein Wochenende hat mir gereicht. Es war klar, dass ich im Weg war. Und ehrlich gesagt, hat es mich auch abgestoßen.«
»Das verstehe ich.« Daisy sah zu, wie er die Pfanne geschickt drehte und wendete. »Im Kühlschrank gibt es auch noch Schinken und Tomaten, wenn du möchtest.«
»Kaum zu glauben, dass du jetzt ein Hotel führst. Wer war der Kerl, mit dem du geflirtet hast? Einer der Gäste?«
Schnell, welche Optionen stehen zur Verfügung? Ist Dev Tyzack ein Gast?
Daisy zuckte mit den Schultern. »Eine Art Gast.«
»Aber du kannst das wieder geraderücken?« Josh suchte verspätet Absolution. »Du wirst ihm erklären, dass ich nicht dein Mann bin. Sag ihm, es war nur ein Witz.«
»Keine Sorge, ich werd’s ihm sagen«, wiederholte Daisy feierlich. Von wegen.
»Ist es was Ernstes?« Josh warf ihr einen Blick zu. »Magst du den Typen wirklich?«
Daisys Magen machte einen Hüpfer. Natürlich mochte sie Dev. Sie mochte ihn sogar so sehr, dass es ihr entsetzliche Angst einjagte. Innerlich voller Panik sagte sie: »Natürlich nicht.«
»Puh, Gott sei Dank. Es wäre mir arg, wenn ich dein Liebesleben durcheinander gebracht hätte.« Josh grinste breit. »Aber die Sache mit dem toten Ehemann war echt gut. Ich schwöre, einen Moment lang glaubte ich fest, es sei dir ernst damit.«
Es war wirklich herrlich, Josh wiederzusehen und zu entdecken, dass er immer noch in der Lage war, seine übergroßen Füße in jeden Fettnapf zu zwängen. Voller Ehrfurcht angesichts seines Appetits setzte sich Daisy zu ihm an den Küchentisch und wartete, bis er den üppigen Pfanneninhalt leer geputzt hatte. Dann sagte sie: »Es war mein voller Ernst.«
Josh erstarrte, Messer und Gabel hingen reglos mitten in der Luft. In Zeitlupe schüttelte er den Kopf. »Ehrlich?«
»Ehrlich.«
»Und er ist wirklich tot?«
»Wirklich tot.«
»Verdammt.«
»Ist schon gut«, sagte Daisy. »Ich wollte mich von ihm scheiden lassen. Zwischen uns war alles aus. Ich hätte es bei der Wahl meines Gatten gar nicht schlechter treffen können.«
Vorsichtig legte Josh Messer und Gabel ab. »Was ist passiert?«
»Ein Autounfall. Seine Geliebte war bei ihm, wurde aber nicht verletzt. Er hat mich angelogen und betrogen.« Daisy seufzte. »Was nur zeigt, wie exzellent mein Geschmack in Sachen Männern ist.«
Josh lächelte schief. »Das stimmt nicht. Du hattest mal einen sehr guten Geschmack.«
»Wohingegen du dich eher an Quantität als an Qualität gehalten hast.« Daisy konnte nicht anders, als ihn ein wenig zu foppen. »Aber denk nicht mehr daran. Wie lange bleibst du hier?«
Josh fuhr sich durch die Haare. »Ich habe keine Pläne. Ursprünglich wollte ich ja meine einsame, alte Mum aufheitern, aber das hat sie nicht mehr nötig. Toms Wohnung in London ist kaum groß genug für einen Erwachsenen, geschweige denn für zwei. Marcus meinte, ich könne zu ihm ziehen, aber er hat zweijährige Zwillinge und einen sechs Wochen alten Heuler als Baby. Ich könnte mich natürlich immer noch irgendwo in einem Pappkarton häuslich niederlassen.«
Daisy lauschte mit unbewegtem Gesicht. Ein Jahr, nachdem Josh und sie sich getrennt hatten, waren sie und ihre Mitbewohner unsanft – und völlig unfair – vom Vermieter auf die Straße gesetzt worden, weil sie eine lärmige Party zu viel gefeiert hatten. Josh hatte sie sofort bei sich aufgenommen und ihr großzügig erlaubt, mietfrei auf seinem Sofa zu nächtigen, bis sie genug Geld zusammengekratzt hatte, um die Kaution für ihre nächste Wohnung zu hinterlegen.
»Dann holst du jetzt besser deine Koffer.«
Josh mühte sich redlich, erstaunt aus der Wäsche zu blicken. »Meine Koffer?«
»Diese großen Dinger, in die du deine Besitztümer gepackt hast«, erläuterte Daisy hilfreich. »Rechteckig und mit Griffen. Ich glaube, du findest sie im Kofferraum deines Wagens.«