36. Kapitel

»Pst!«, zischelte Tara. Sie polierte auf Knien die Beine eines Pflanzenständers, als Josh am nächsten Morgen im Empfangsbereich auftauchte. Draußen waren die Temperaturen in arktische Tiefen gefallen, und der Boden war mit einer Raureifschicht überzogen. Josh hatte sich für seine morgendliche Laufrunde in drei Sweatshirts, eine graue Wollmütze und schwarze Jogginghosen geworfen. Überrascht fuhr er herum.

»Oh, hallo. Schöne Nacht gehabt?«

»Haben Sie Daisy etwas gesagt?«

Josh hob die Augenbrauen bis zum Rand seiner Wollmütze. »Worüber?«

»Mit wem ich zusammen war.«

»Ich weiß nicht, mit wem Sie zusammen waren.« Er führte seine Aufwärmübungen durch, drehte sich aus der Taille von einer Seite auf die andere. »Sie haben uns einander nicht vorgestellt.«

Tara atmete befreit aus. Natürlich hatte sie das nicht getan, aber es war trotzdem eine Erleichterung, sich endlich in Sicherheit zu wissen. Letzte Nacht hatte sie geträumt, dass überall im Cottage versteckte Kameras angebracht waren. Wie bei Big Brother. Und jeder ihrer glücklosen Schritte wurde landesweit im Fernsehen übertragen.

»Passen Sie auf sich auf.« Tara nickte in Richtung der überfrorenen Landschaft. »Die High Street ist die reinste Eisbahn. Nicht, dass Sie sich ein Bein brechen.«

 

Sie brauchte nicht sehr lange, um ihre Meinung zu ändern.

»Also? Du und Dominic Cross-Calvert. Läuft da was?«, fragte Daisy mit trügerischer Unschuld, während sie den Kaffee eingoss.

Taras Magen flatterte. Als Daisy sie zu sich in die Wohnung eingeladen hatte, hatte sie nur ein paar Hänseleien wegen des geheimnisvollen Besuchers erwartet. Aber nicht das. Und Daisy mutmaßte auch nicht, sie wusste Bescheid.

Feigling, der Tara nun mal war, suchte sie nach Ausflüchten. »Was soll da laufen?«

»Das frage ich dich. Er war gestern bei dir im Cottage.«

Tara entgegnete lahm: »Dominic? Wer sagt das?«

»Josh.«

Verdammter Mistkerl. Tara hoffte, er rutschte gerade auf der vereisten Straße aus und brach sich beide Beine und beide Arme. Vorzugsweise Trümmerbrüche.

»Josh kennt Dominic ja gar nicht.« Tara klammerte sich an einem mikroskopisch kleinen Strohhalm fest und hatte die Geisteshaltung einer Dreijährigen angenommen, die sich trotzköpfig weigert zuzugeben, dass sie etwas Teures zerbrochen hat. Möglicherweise bluffte Daisy nur.

»Er hat mir deinen Besucher beschrieben. Hellbraune

»Das beschreibt eine Million Männer.« Insgeheim war Tara grob beleidigt – Dominic sah sehr gut aus. Jedenfalls sah er um Längen besser aus als dieser Blödmann Josh.

Daisy goss Milch in die Kaffeetassen und schob Taras Tasse über den Tisch. »Ach ja, er trug eine riesige Rolex am rechten Handgelenk.«

Ausgespielt.

»Also schön.« Tara hob resignierend die Hände. »Es war Dominic.«

»Ich weiß, dass es Dominic war! Wie lange triffst du dich schon mit ihm?«

»Seit drei Wochen. Bitte sei nicht böse. Und brüll mich nicht an«, flehte Tara inständig.

»Du Dummkopf, natürlich werde ich dich nicht anbrüllen.« Daisy schüttelte nur den Kopf und gab Zucker in ihren Kaffee, aber sie sah aus, als ob sie sich wünschte, verärgert sein zu dürfen. »Du musst mir alles erzählen. Ich will wissen, warum.«

Keine Androhung einer fristlosen Kündigung. Trotz allem war Tara froh, dass Daisy es endlich erfahren hatte. Es war schrecklich gewesen, Dominic vor ihrer besten Freundin verbergen zu müssen.

»Er hat Kontakt zu mir aufgenommen, wollte mich unbedingt wiedersehen.« Die Worte schwallten in einem längst überfälligen Rausch heraus. »Er sagte, er habe in seinen Flitterwochen ununterbrochen an mich denken müssen. Dass er mich immer noch liebt und seine Ehe eine Katastrophe ist … und er kommt mich sogar besuchen«, betonte Tara erneut. Sie wollte unbedingt, dass Daisy verstand, wie viel ihr das bedeutete. »Er fährt den ganzen Weg von Berkshire hierher und es macht ihm nichts aus, dass es hin und zurück 120 Meilen sind, weil ich es ihm wert bin!«

Daisy lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Sie verstand nur zu gut. Schmeicheleien waren die halbe Miete, und Tara hatte an der Männerfront in letzter Zeit ziemlich viel einstecken

»Warum ist seine Ehe eine Katastrophe?«

»Annabel will nicht mit ihm schlafen«, erklärte Tara. »Sie ist frigide. Er ist mit jemandem verheiratet, der sich weigert, Sex mit ihm zu haben. Kannst du dir vorstellen, wie er sich dabei fühlt?«

Wahrscheinlich wie ein riesengroßer Lügner, dachte Daisy. Wetten, dass Dominic Tara erzählt hatte, seine Frau würde ihn nicht verstehen? »Dann hat er also stattdessen Sex mit dir.«

»Nein!« Tara schüttelte heftig den Kopf. »Wir treffen uns nur, das ist alles. Wir reden. Kein Sex, großes Ehrenwort.«

»Obwohl er es gern hätte.«

»Na ja … schon. Aber ich werde das nicht zulassen.«

»Warum nicht?«

»Weil er verheiratet ist!«

»Wieso bleibt er bei Annabel?«, beharrte Daisy schonungslos. »Wenn er doch weiß, dass die Ehe ein Desaster ist und es niemals zwischen den beiden funktionieren wird, warum verlässt er sie dann nicht einfach?«

Tara rieb sich die Stirn, als ob sie schmerzte. Sie sollte jetzt schmerzen.

»Er denkt, dass er seiner Ehe eine Chance geben muss. Er darf nicht einfach so aufgeben. Aber im Grunde weiß er, dass es hoffnungslos ist. Früher oder später wird er sie verlassen. Es geht in erster Linie darum, Annabels Gefühle zu schonen. Sie ist unglaublich neurotisch. Dominic sorgt sich, wie sich das auf sie auswirken könnte … sie sind ja erst ein paar Wochen verheiratet. Sie würde sich gedemütigt fühlen … ach, Sie sind es.«

Die Tür wurde aufgerissen und Josh stürmte in die Wohnung. Beide Beine enttäuschend ungebrochen. Außer Atem von seinem Lauf, rieb er die Hände aneinander, grinste und meinte: »Hoppla, störe ich?«

»Ja«, sagte Daisy, »aber das geht schon in Ordnung.«

»Hallo, Judas.« Tara versuchte sich an einem finsteren Blick, aber es gelang ihr nicht ganz.

»Nicht verbittert sein. Solche Dinge spricht man besser offen aus. Verdammt, ist das kalt draußen.« Ausgelassen tänzelte er zu Tara und presste ihr die eiskalten Hände in den Nacken, was sie zum Schreien brachte. »Und wenn Sie schon eine Affäre mit einem verheirateten Mann haben, dann brauchen Sie Ihre Freunde, die Ihnen wieder etwas Vernunft eintrommeln.«

»Ich habe keine Affäre«, jammerte Tara, schlängelte sich vom Stuhl und außer Reichweite. »Er besucht mich nur, das ist alles. Wir unterhalten uns. Ich schwöre bei Gott, ich schlafe nicht mit Dominic.«

»Meine Güte, der arme Kerl.« Josh wirkte amüsiert. »Was hat er dann davon?«

»Er liebt mich!« Tara konnte nicht anders, sie wurde von Stolz durchflutet. Bedingungslos geliebt zu werden war eine Erfahrung, die einem zu Kopf stieg. Noch dazu eine völlig neue Erfahrung für sie.

Daisy sank der Mut. Sie sah auf ihre Uhr. »Ich habe einen Termin. Wir reden später. Du darfst nicht mit Dominic schlafen – das weißt du doch, oder? Versprich mir, dass du das nicht tun wirst.«

»Mein Gott, wie langweilig. Okay, ich verspreche es«, sagte Josh und grinste breit.

»Das ist nicht lustig.« Daisy ignoriere ihn und starrte Tara an. »Er ist verheiratet. Vergiss das nie.«

Tara verkniff es sich, Daisy verärgert darauf hinzuweisen, dass ihr das sehr wohl klar war. Hatte sie nicht eben erst erläutert, dass sie nur deshalb nicht mit Dominic schlief, weil er verheiratet war?

»Ich vergesse es schon nicht«, versprach Tara.

»Gut, dann wieder an die Arbeit.« Daisy langte über den Küchentisch und drückte ihr aufmunternd die Hand. »Ich kann dich nicht davon abhalten, dich mit Dominic zu treffen, aber ich sage dir, du hast etwas Besseres verdient.«

Tara lächelte. Was für ein absolut lächerlicher Kommentar. Sie hatte Gott weiß wie viele Jahre damit zugebracht,

Josh warf auf dem Weg zur Dusche eine Kleiderschicht nach der anderen von sich. »Steht unser Fünfuhrtermin noch? Oder bin ich jetzt der Staatsfeind Nummer eins?« Er blinzelte Tara von der Badezimmertür zu.

Sie konnte ihm einfach nicht böse sein. Für Daisy war alles paletti, dachte Tara, sie hatte ja Josh. Die beiden waren glücklich. Daisy hatte darüber vergessen, wie einsam und schrecklich es sich anfühlte, ohne Mann zu sein. Außerdem würde sie in ein paar Monaten zu Josh nach Florida ziehen. Aber eine kostenlose Fahrstunde war eine kostenlose Fahrstunde.

Tara bedeutete Josh mit einem Blick, dass sie ihm verzieh, aber nur gerade so. Damit er das auch ja verstand, seufzte sie tief auf. »Ich sehe Sie dann um fünf.«

 

Sie sah Josh um fünf, aber nicht zur Fahrstunde. Mittags waren die ersten fetten Schneeflocken aus dem schiefergrauen Himmel gepurzelt. Gegen drei Uhr nachmittags bedeckte eine weiße Schicht die Rasenflächen. Bis fünf lag der Schnee mehrere Zentimeter hoch. Riesige Schneeflocken wirbelten am Fenster vorbei. Die Straßen waren zwar noch befahrbar, aber rutschig genug, um Tara eine Heidenangst einzujagen.

»Wenn es Sie tröstet, ich kann auch nicht Golf spielen«, sagte Josh und spendierte ihr als Trostpflaster einen Drink an der Bar.

»Hm.« Sollte sie das jetzt aufheitern? Wenn es in diesem Tempo weiterschneite, würde sie Dominic tagelang nicht sehen können.

»Hören Sie, das mit heute Morgen tut mir Leid«, fuhr Josh fort und klang gar nicht bußfertig. »Ich wusste nicht, dass ich die Katze aus dem Sack ließ. Mir fiel nur die Uhr auf und an welcher Hand er sie trug. Als Golfprofi kann man nicht anders.«

»Lassen Sie es gut sein.« Tara rollte mit den Augen. »Daisy weiß ja jetzt Bescheid.«

»Sie macht sich Sorgen um Sie. Sie will nicht, dass Sie sich zum Deppen machen und am Ende Selbstmord begehen.«

Josh war eindeutig der Mann, zu dem man kommen konnte, wenn man Mitgefühl und Verständnis brauchte.

»Eigentlich hatte ich weder das eine noch das andere vor«, sagte Tara.

»Ach kommen Sie, es ist ziemlich übel. Geben Sie es zu«, spottete Josh, »er wird seine Frau nie und nimmer für Sie verlassen.«

»Vielen Dank auch.«

»Werden Sie nicht gleich sauer. Ich sage ja nicht, dass Sie zu hässlich für ihn wären. Wir wissen beide, dass Sie das nicht sind. Aber mal ehrlich, finanziell können Sie ihr nicht das Wasser reichen. Er hat eine Frau mit einem Haufen Knete geheiratet.«

»Auf das Geld kommt es Dominic nicht an. Es bedeutet ihm nichts.« Taras Wangen waren flammend rot, aber sie sprach leise, damit Rocky hinter der Bar sie nicht hören konnte.

»Süße, das will er Ihnen weismachen.«

»Sind Sie deswegen mit Daisy zusammen? Sie ist auch ziemlich gut betucht. Steven hat sie nur wegen ihres Geldes geheiratet«, schoss Tara zurück. »Womöglich haben Sie dasselbe vor.« Weit unter der Gürtellinie. Aber er hatte damit angefangen.

»Touché.« Josh nickte angesichts der höhnischen Bemerkung anerkennend mit dem Kopf. »Nein, deswegen bin ich nicht hier, aber beweisen kann ich das nicht. Sie müssen sich dazu Ihre eigenen Gedanken machen. Oder vielmehr Daisy.«

Tara glaubte keine Sekunde, dass er hinter Daisys Geld her war, aber eher würde sie sich die Zunge abbeißen, als ihm das zu sagen.

»Ich kenne Sie nicht gut genug, um das zu beurteilen. Und Sie kennen Dominic nicht. Auch Daisy kennt ihn nicht. Also haben Sie beide auch nicht das Recht, ihn zu verurteilen.«

»Wir wollen nur nicht, dass Sie verletzt werden«, sagte Josh.

Tara leerte ihren Bacardi in einem Zug. »Sie wiederholen sich. Aber ich kenne Dominic und ich weiß, er würde

»Auf einer Skala von 1 bis 10, wie sehr hassen Sie die Männer?«

»38

Josh grinste. »Sie verdienen Besseres. Verheiratete Männer machen nur Kummer.«

Tara versuchte, ihn zu verabscheuen, aber sie brachte es nicht zuwege. Also sagte sie nur: »Singlemänner auch.«