37. Kapitel

Am nächsten Morgen baute Josh einen Schneemann auf dem Rasen vor dem Hotel. Daisy schmuggelte Hectors zweitbesten Kilt aus seinem Kleiderschrank, und gemeinsam befestigten sie ihn um die ausladenden Hüften des Schneemannes. Eine leere Champagnerflasche wurde dem eisigen Gesellen liebevoll an die Brust gedrückt, und unter seinen anderen Arm kam ein Dudelsackimitat aus einem Schottenkarokissen und der Holzspindel eines kaputten Stuhlbeins.

»Wer ist nur dieser stattliche Kerl? Was für ein gut aussehender Mann«, rief Hector, als er aus dem Hotel trat. Er lachte laut und winkte Paula zu sich. »Was für eine Erleichterung, dass wir das Hotel in kompetenten Händen lassen!«

Paula, die einen bodenlangen, elfenbeinfarbenen Webpelzmantel trug, rückte ihre dunkle Sonnenbrille zurecht und überprüfte, ob der Wagen, der auf sie wartete, auch wirklich umfassend entfrostet worden war.

»Ich möchte nur wissen, was er unter diesem Kilt trägt«, sagte Hector.

»Hmm.« Paula steckte die Hände in ihre Manteltaschen. Erst wenn der Motor des Wagens zehn Minuten lang gelaufen war, hielt sie es im Innern für warm genug.

»Ich hoffe, dass niemand eine Karotte darunter

»Wen soll das darstellen?«, fragte Paula.

»Ha! Wem sieht er denn ähnlich?«

»Einem Schneemann.« Sie spürte, dass ihr etwas entging. »In einem Kilt.«

»Das bin ich, Frau! Das bin ich im MacLean-Kilt! Natürlich kannst du das nicht wissen«, nahm er sie gleich darauf in Schutz. »Du hast mich noch nie mit meinem Dudelsack erlebt.«

Paula zitterte bühnenreif. Ihre Füße waren bereits eiskalt. Laut dem Wetterbericht hatte es minus zwanzig Grad, der kälteste Kälteeinbruch seit Jahren.

»Hector, die Cardews erwarten uns zu Mittag.«

Josiah Cardew und seine Frau wohnten in Cheltenham. Josiah, ein Theaterdirektor, gab ihnen zu Ehren ein Mittagessen, und sie blieben über Nacht in der georgianischen Villa der Cardews.

»Ja. Wir müssen los«, sagte Hector, als Daisy sich auf der Treppe zu ihnen gesellte. »Kommst du zurecht?« Er küsste Daisy auf die Wange.

»Ja klar, ich schaffe das schon. Der Boss behält uns im Auge.« Daisy nickte in Richtung des flotten Schneemanns im Kilt. »Hauptsache, er schmilzt nicht.«

 

Maggie stieß im Dorfladen auf Barney. Gerötet vom Erfolgsrausch erzählte er ihr von den Fortschritten des Cottage.

Barney wollte im Laden Holzbeize und antibakterielle Feuchttücher kaufen. Maggie beneidete ihn um seine Geschäftigkeit. Ihr eigener leerer Tag streckte sich so endlos vor ihr aus, wie es nur Sonntagen möglich war.

Sie verließen gemeinsam den Laden und gingen die verschneite Straße entlang. Direkt vor ihrer Haustür rutschte Maggie auf einer vereisten Stelle aus. Sie spürte, wie ihr die Beine unter dem Körper weggerissen wurden. Gleich darauf landete sie unsanft auf dem Gehweg.

Glücklicherweise war ihr Hinterteil dank des dick

»Scheiße!«, jammerte Maggie.

Barney beugte sich zu ihr hinunter. »Sind Sie verletzt?«

»Die verdammte Flasche ist zerbrochen.« Sie schaute wütend auf ihre Tüte, aus der sich blutroter Valpolicella in den Schnee ergoss. Hinter ihr hörte sie das leise Geräusch eines Autos, das die Straße entlangrollte.

»Kommen Sie«, sagte Barney, »hoch mit Ihnen.« Aber der vergossene Wein machte den Schnee noch rutschiger, und sein erster Versuch, Maggie auf die Beine zu helfen, erwies sich als erfolglos. Als sie es erneut probierte, dieses Mal in dem ultraeleganten Ansatz, sich erst auf alle viere zu erheben, näherte sich ihnen ein auf Hochglanz polierter Land Rover Discovery. Durch die grünliche Windschutzscheibe sah Maggie Hector hinter dem Steuer und Paula Penhaligon auf dem Beifahrersitz.

Hector bremste und ließ die Scheibe aufgleiten. »Sind Sie verletzt?«

»Nein, alles in Ordnung.« Maggie umklammerte Barneys ausgestreckten Arm mit beiden Händen und hievte sich hoch.

»Ist das Blut?« Hector wirkte geschockt.

»Rotwein. Es geht mir gut.« Sie wischte sich den blutroten Schnee vom Anorak. Maggie fiel auf, dass Paula einen weißen Pelzmantel und einen passenden Hut trug und aussah, als sei sie Doktor Schiwago entsprungen. Ihre teuer wirkende Sonnenbrille hatte allerdings gar nichts von Doktor Schiwago.

»Schatz, wir wollen doch nicht zu spät kommen«, mahnte Paula.

»Es geht mir gut. Bin nur im Schnee ausgerutscht.« Mit aller Macht versuchte Maggie, Hector mental zur Weiterfahrt zu bewegen.

Bevor die Scheibe auf der Fahrerseite endgültig geschlossen war, hörte sie noch deutlich Paulas Stimme. »Meine Güte, ist die Frau betrunken

Barney half Maggie ins Cottage, dann eilte er wieder hinaus, um ihre Tüte zu holen.

»Das hätten Sie nicht tun müssen«, protestierte Maggie, als er mit der Tüte zurückkehrte. »Ich bin keine Invalide.«

Aber die Geste rührte sie. Barney war wirklich ein lieber Junge. Sie sah, wie er die Schokolade herausfischte, und dachte bei sich, wie schade es doch war, dass er schon eine Freundin hatte. Er wäre perfekt für Tara.

»Ich weiß, dass Sie keine Invalide sind. Aber es ist nicht schön, wenn man auf der Straße hinfällt.« Vorsichtig rollte er die Tüte mit der klatschnassen Zeitung und den Flaschenscherben ein und warf sie in Maggies Mülleimer in der Küche. »Es war sehr nett, dass Hector stehen geblieben ist, nicht wahr?«

»Mm.« Maggie wäre es lieber gewesen, wenn er einfach weitergefahren wäre. Als sie sich aus dem schweren Anorak schälte, sah sie, dass der Wein die Stelle über ihrem Po eingefärbt hatte. Fabelhaft, noch etwas Unhandliches, das sie jetzt von Hand waschen und dann mühsam trocken kriegen konnte.

»Er ist großartig«, fuhr Barney begeistert fort. »Ihm gehört zwar das Hotel, aber er besteht darauf, dass ich ihn Hector nenne. Es ist einfach toll, an so einem Ort zu arbeiten!«

Maggie gesellte sich zu ihm in die Küche, wickelte die Schokolade aus ihrem nassen Papier und hielt sie unter den Wasserhahn. Dann bot sie Barney ein Stück an.

»Danke. Ich mag Trauben-Nuss. Und sie ist auch bezaubernd«, fügte Barney hinzu. »Paula Penhaligon. Sie hat mir gestern ein Foto mit Widmung für meine Mum gegeben. Das war richtig nett von ihr. Die beiden sind ein großartiges Paar, nicht?«

Wahrscheinlich meinte er jetzt nicht Paula und seine Mum. Maggie versuchte ihr Bestes, den schmerzhaften Stich in ihrer Brust zu ignorieren. Na gut, kein Schmerz. Eifersucht. »O ja, ein großartiges Paar.«

»Man sieht sofort, dass er ganz verrückt nach ihr ist. Sie sind beide verrückt nacheinander. Stellen Sie sich vor, sie würden sogar heiraten, wäre das nicht phantastisch

Mittlerweile kämpfte Maggie gegen den Drang an, Barney mit der übergroßen Schokoladentafel eins über den Schädel zu ziehen. Sie lächelte ausdruckslos. »Ja, sicher.«

Schließlich zog Barney los, um seine Fußleisten zu streichen, und Maggie machte sich daran, die Füllung für Madge vorzubereiten. Gerupft hatte Madge vier Pfund gewogen, was bedeutete, dass sie – auf dem Rücken liegend, mit den Beinen in der Luft und von Gemüse umgeben – nach einer Stunde vierzig Minuten zur Vollkommenheit gegart sein würde.

Maggie nahm sie gegen Mittag aus dem Ofen und merkte, dass ihr der Appetit vergangen war. Madge sah köstlich aus – sie glänzte golden und war verlockend fleischig –, aber Maggie brachte es nicht über sich, sie zu essen. Tara würde die Ehre haben, sobald sie dienstfrei hatte.

So edel es auch wäre, so zu tun, als ob sie Madge nur deshalb nicht essen konnte, weil sie sie kannte – gekannt hatte –, so war es in Wahrheit doch so, dass sie ständig an diesen demütigenden Augenblick denken musste, als Hector vorbeigefahren war, während sie gerade auf allen vieren über den Gehweg krabbelte.

Mit der verdammten Paula Penhaligon auf dem Beifahrersitz.

»Es muss Ihnen nicht peinlich sein, dass Sie gestürzt sind«, hatte Barney zum Abschied noch freundlich angemerkt. »Draußen ist es glatt. Ich bin bei dem Garagenverkauf heute Morgen auch hingefallen.«

Schön, aber nicht vor dem Menschen, der dich bezahlt, damit er Sex mit dir haben kann, hätte Maggie am liebsten gekontert. Beziehungsweise dem Menschen, der dich früher einmal bezahlt hatte, um Sex mit dir zu haben, bis er jemanden traf, der es umsonst machte. Jemand, der darin auch noch unendlich viel besser war. Auch wenn, laut Tara, Paula Penhaligon ein Facelifting hinter sich hatte.

Madge stand auf dem Tisch und wurde kalt. Egal. Tara würde dessen ungeachtet eine Brust und ein Bein verzehren, wenn sie nach Hause kam.

Es klingelte an der Tür, als Maggie gerade den Anorak auswusch. Sie wischte sich die Hände an den Jeans und ging zur Tür. Ein rosawangiges, vergnügt wirkendes Paar stand auf ihrer Schwelle und trampelte sich die kalten Füße warm.

»O hallo, wir wohnen im Hotel und haben einige Ihrer herrlichen Kissen im Souvenirladen gesehen.« Die junge Frau strahlte Maggie an. »Ich weiß, heute ist Sonntag, aber die Verkäuferin im Laden hat uns Ihre Visitenkarte gegeben und meinte, es würde Ihnen sicher nichts ausmachen, wenn wir kurz vorbeischauen. Wissen Sie, wir fänden es einfach toll, wenn Sie uns ein Kissen machen könnten.«

»Kein Problem.« Ihre funkelnden Eheringe und die Art, wie sie einander an den Händen hielten, sagten Maggie alles, was sie wissen musste. »Kommen Sie doch herein.«

Sie hießen Valerie und Alan, und ja, sie waren in den Flitterwochen. Gemeinsam entschieden sie sich für einen Entwurf. Val und Al auf ewig – in geschwungenen Lettern, mit einem rosa Herzen auf lila Grund, umrandet von Schmetterlingen und kleinen Herzen, wie eine viktorianische Valentinskarte.

»Auf ewig«, hauchte Valerie, und ihre Augen funkelten vor Freude, während sie die dickliche Hand ihres Ehemannes drückte. »So lange wird unser Glück dauern, nicht wahr, Liebling?«

Oder bis zu eurer Scheidung, dachte Maggie.

Alan nickte eifrig und meinte: »Wir werden dieses Kissen eines Tages unseren Enkeln zeigen.«

»Was für eine reizende Idee.« Maggie zwang sich zu einem herzlichen Lächeln. Vielleicht würden sie tatsächlich glücklich. Manche Ehen hielten, oder etwa nicht? In ihren dicken Mänteln, mit den Pullis im Partnerlook und den unromantischen Winterstiefeln schienen sie ausreichend vernarrt ineinander, um die Sache durchzuziehen.

»Wir sind nur noch ein paar Tage hier«, erklärte Valerie. »Ich gebe Ihnen unsere Adresse, dann können Sie uns das Kissen per Post zuschicken.«

»Keine Sorge, ich mache mich gleich an die Arbeit.« Maggie hatte einen leeren Abend vor sich. »Wenn Sie morgen wieder vorbeischauen, habe ich es fertig.«

»Ehrlich? Das ist ja so nett von Ihnen!« Valerie strahlte auf. »Wir können es gleich unseren Familien zeigen, wenn wir

Kaum waren sie gegangen, machte sich Maggie an die Arbeit. Sie fühlte sich schuldig, weil sie innerlich über die Einfältigkeit der beiden gespottet hatte. Nur weil ihr eigenes Leben jämmerlich war, musste sie nicht automatisch davon ausgehen, dass alle Beziehungen zum Scheitern verurteilt waren. Es war nicht die Schuld von Val und Al, dass sie sich in einen Mann verliebt hatte, der weit außerhalb ihrer Reichweite lag.

In Wahrheit war sie nur eifersüchtig auf Val und Al und ihre unglaublich rosigen Zukunftsaussichten.

Eine Träne kullerte über Maggies Wange, während sie auf dem Teppich kniete und rosafarbene Seidenherzen ausschnitt.

Armselig. Wütend wischte sie die Träne weg.