Aua, Kopfschmerz. Am nächsten Morgen wühlte Daisy so lange in ihrer Schreibtischschublade, bis sie die halb leere Packung Paracetamol gefunden hatte. Sie spülte zwei Tabletten mit Wasser hinunter und massierte sich die Schläfen. Den Schmerz hatte sie sich selbst zu verdanken und sie würde ihn einfach ignorieren müssen. Vince war in Urlaub, und sie hatte ein Hotel zu führen.
Ganz zu schweigen davon, dass sie die peinliche Auseinandersetzung der letzten Nacht irgendwie verdrängen musste. Mein Gott, wie entsetzlich. Sie konnte nicht glauben, dass sie sich in einen solches Schlamassel laviert hatte. Und wenn sie Dev Tyzack nicht gerade in seinem Bett meuchelte – oder vorzugsweise einen freundlichen Killer engagierte, der das für sie erledigte –, dann hatte sie keine Ahnung, wie sie sich da wieder herausmanövrieren sollte. Na ja, es hätte schlimmer sein können. Wenigstens hatte sie sich nicht von ihm küssen lassen.
Zehn Minuten später klopfte es an die Tür.
»Wer ist da?« Daisy schaltete rasch den Computer ein, um geschäftig zu wirken, und betete, dass es nicht Dev war.
Die Tür glitt ein paar Zentimeter auf. Daisy starrte sie an. Sie hörte ein knarziges Geräusch, gefolgt von entschlossenem Kratzen. Vor ihren Augen glitt eine kleine, haarige Pfote durch die Öffnung und stieß die Tür noch ein paar Zentimeter weiter auf. Noch mehr Knarzer auf Bodenhöhe, dann tauchte Clarissas Schnauze auf. Ein begeistertes Ganzkörperwackeln, und schon schaffte sie es durch die Tür, einen Strauß in Zellophan gehüllte, altrosa Rosen zwischen ihren Zähnen.
Nach halber Strecke fiel der Strauß auf den Teppich. Clarissa ließ die Blumen Blumen sein und sprang auf Daisys Schoß. Daisy nahm den Hund in den Arm und bückte sich nach den Blumen. Mit der freien Hand riss sie den Umschlag auf, der ans Zellophan geheftet war.
Darauf stand: Meinem Herrchen tut es sehr, sehr Leid. Er wartet vor der Tür und möchte mit Ihnen sprechen. Wenn Sie ihn nicht sehen wollen, verlässt er umgehend das Hotel. Ich weiß, er ist ein Idiot, aber ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich mit ihm unterhalten. Mir gefällt es hier nämlich. Herzlich, Clarissa.
Daisy sah Clarissa beeindruckt an. »Du hast eine wunderschöne Handschrift.«
»Wuff.« Clarissa leckte ihr zustimmend das Ohr.
»Du musst wissen, dass ich das nur für dich tue.«
Clarissa wedelte dankbar mit ihrem Stummelschwanz.
»Kommen Sie schon herein«, sagte Daisy so laut, dass man es vor der Tür hören konnte. Sie hasste peinliche Situationen. Aber wenigstens konnten sie es jetzt hinter sich bringen. Sie waren schließlich beide erwachsen. Und er hatte sich zuerst entschuldigt. Mein Gott, hoffentlich ist sein Gesicht nicht von einem leuchtend roten Handumriss gebrandmarkt.
Dev spazierte ins Büro, und bei seinem Anblick vollführte Daisys Magen prompt eine La-Ola-Welle. Er trug einen hellgrauen Kaschmirpulli, ausgewaschene Jeans und schneeverkrustete Timberlands. Sein dunkles Haar fiel ihm über die Stirn, und sein Gesicht war … war sein Gesicht. Er sah eindeutig viel zu gut aus. Daisy fand, dass es niemand erlaubt sein sollte, so attraktiv zu sein. Und es dürfte auch niemand so dumm sein, sich mit jemand derart Attraktivem einzulassen.
»Es tut mir wirklich Leid.« Dev kam gleich zur Sache. »Was ich gestern Abend sagte, hätte ich niemals sagen dürfen.«
»Und ich hätte Sie vermutlich nicht schlagen dürfen.« Zu Daisys Erleichterung waren auf seinem Gesicht keine Handumrisse auszumachen.
»Es war gerechtfertigt.« Dev schüttelte den Kopf. Er trug sich offenbar mit der Absicht, die ganze Schuld auf sich zu nehmen – was ihr nur recht war. »Meine Worte waren völlig unangebracht.«
»Wo haben Sie denn die Blumen her?« Daisy war fasziniert. Es war erst 9 Uhr 30 und einen solchen Strauß bekam man nicht für einen Fünfer an der nächstbesten Tankstelle.
»Er wurde heute Morgen für Paula Penhaligon abgegeben. Ich habe den Boten abgefangen. Sie haben ihn mehr verdient als Paula.«
»O mein Gott! Das haben Sie nicht getan!«
»Natürlich nicht.« Dev lächelte angesichts ihres Entsetzens. »Wenn Sie es unbedingt wissen müssen, ich bin um acht Uhr früh nach Bath gefahren.«
Daisy freute sich über diese Geste – die ganze Strecke bis nach Bath nur für Blumen! Aber dann wurde ihr klar, dass er wahrscheinlich ohnehin nach seinem Haus sehen musste.
»Übrigens möchte ich etwas klarstellen.« Sie fühlte sich gezwungen, es auszusprechen. »Tara war nicht mit Dominic im Bett. Sie hat nicht mit ihm geschlafen und das wird sie auch nicht tun.« Da hieß es Daumendrücken.
»Gut. Wie auch immer. Ich will mich nicht mehr streiten.« Dev hielt die Hände hoch. »Besonders nicht über Tara und Dominic. « Er wechselte das Thema. »Was Ihren Pagen betrifft, denjenigen, der Ihnen gestern Abend zu Hilfe geeilt ist – es ist schön, wenn jemand wie er für einen arbeitet.«
»Er heißt Barney.«
Dev nickte. »Er war sehr tapfer. Einen Augenblick lang glaubte ich, er würde mich schlagen.«
Daisy entspannte sich allmählich. Sie setzte Clarissa auf den Boden. »Barney ist großartig. Alle Gäste lieben ihn.«
»Er hat mir von Ihrem Ehemann erzählt«, sagte Dev.
Oh. Es war zwar kein Geheimnis, aber Daisy wurde dennoch nervös. »Und?«, sagte sie und spürte, wie die Hitze in ihre Wangen stieg.
»Es tut mir Leid, ich hatte ja keine Ahnung.« Dev schüttelte den Kopf.
»Woher sollten Sie das auch wissen?« Daisy hasste das. Diese Mitleidskiste. Sie fühlte sich dann wie eine Betrügerin.
»Sie hätten es ruhig erwähnen können.«
»Warum denn?« Sie hob die Augenbrauen. »Wären Sie dann netter zu mir gewesen?«
»Wahrscheinlich.« Er lächelte bei diesem Eingeständnis.
»Machen Sie sich keine Sorgen.« Daisy seufzte schwer. »Wir waren nur noch auf dem Papier verheiratet. Ich hatte Steven bereits um die Scheidung gebeten, als er umkam. Ich bin also nicht die trauernde, tragische Witwe, falls Sie das gedacht haben sollten. Aber Barney weiß das nicht. Ich wollte seine Illusionen nicht zerstören.« Sie schnitt eine Grimasse. »Es schien nicht richtig, ihm zu sagen, dass der Mann, dessen Niere er bekommen hat, in Wirklichkeit ein verlogener, fieser Taugenichts war.«
Dev fragte sehr ernst: »Wie war er?«
»Steven? Sehr selbstsicher, total von sich überzeugt, extrem gut aussehend. Und auf alles scharf, was er kriegen konnte«, fuhr Daisy fort und fragte sich, ob bei Dev da irgendwelche Glocken klingelten. »Charmant. Hintertrieben. Ach ja, untreu war er auch noch.«
»Warum … «
»Weil er ein Mistkerl war!«
»Ich wollte eigentlich fragen, warum Sie ihn dann geheiratet haben?«
»Ach, das ist einfach. Ich bin auf ihn hereingefallen. Der Charme, das Aussehen, das ganze Paket. Er konnte ziemlich überzeugend sein.« Daisy verhakte die Finger ineinander. »Ich glaubte ihm sogar, als er mir erzählte, er habe Krebs und könne nur in Amerika behandelt werden. Er sagte, er brauche 20 000 Pfund für die Behandlung, und selbst das habe ich ihm abgenommen. Aber so ist es eben, wenn man mit einem gewieften Betrüger verheiratet ist.« Sie spreizte angewidert die Finger. »Mir kam nie der Gedanke, dass er die 20 000 Pfund in Wirklichkeit brauchte, damit er mit seiner Geliebten ein paar schöne Ferientage in Amerika verbringen konnte.«
Daisy verstummte. Was für ein Ausbruch. Warum hatte sie Dev nicht einfach glauben lassen, sie sei glücklich verheiratet gewesen? Aber das konnte sie nicht. Aus irgendeinem Grund wollte sie, dass er die Wahrheit erfuhr. Auch wenn sie dadurch dumm dastand.
»Tja, es tut mir Leid. Sie haben jedenfalls viel durchgemacht. Und das mit gestern Abend tut mir auch Leid.« Dev wartete und sagte dann: »Hören Sie, ich möchte das gern wieder gutmachen. Man hat mir zwei Tickets geschickt … « Er zog sie aus seiner Jeanstasche und reichte sie ihr.
»Samstag. In Twickenham. Der Sechs-Nationen-Cup«, las Daisy laut vor. »VIP-Plätze.«
»England will den Grand Slam gewinnen«, erklärte Dev. »Und anschließend gibt es ein großes Abendessen, zu dem ich ebenfalls eingeladen bin. Das wird bestimmt lustig. Was denken Sie? Könnten Sie sich den Tag frei nehmen?« Er lächelte und wirkte selbstzufrieden.
Daisy wusste genau, was sie dachte. Rugby. Wird im Freien gespielt, in der Eiseskälte. Jede Menge schlammbedeckter Männer, die grunzen und sich aufeinander werfen und einen Ball jagen, der nicht einmal in gerader Linie abspringen kann. Dazu eiskalte Füße, rief sie sich in Erinnerung. Man saß auf harten Plastikstühlen, umgeben von brüllenden Fans, die lauthals sangen und unsynchron schunkelten. Nein, danke! War Dev Tyzack verrückt? Lieber würde sie sich ihre eigenen Weisheitszähne mit einer Black & Decker herausbohren.
»Danke.« Daisy lächelte, um seine Gefühle zu schonen. »Aber ich denke nicht. Josh könnte womöglich … «
»Es ist nur eine freundliche Geste, mehr nicht. Josh muss sich über meine Motive keine Gedanken machen. Ich dachte einfach, es könnte Ihnen gefallen.«
Na klar. Da könnte man sie auch gleich zwingen, Hammelaugen zu essen.
»Ich muss arbeiten«, log Daisy. »Nehmen Sie lieber jemand anderen mit. Aber danke für die Blumen.«
Clarissa spürte, dass es an der Zeit war, zu gehen. Sie bellte zweimal und trottete zu Dev.
Er nickte. »Und Clarissa bedankt sich für die Streicheleinheiten.«
Daisy sollte in einem Punkt Recht behalten. Als Josh anrief und sie ihm von Devs Einladung erzählte, war er nicht glücklich. Sie hatte ihn, genauer gesagt, noch nie so wütend erlebt.
»Er hat dich wozu eingeladen?«, bellte Josh aus Kitzbühel. »Verdammt und zugenäht, das glaube ich einfach nicht! Zum Sechs-Nationen-Cup und zum offiziellen Abendessen? Und was hast du zu ihm gesagt?«
»Ich habe abgelehnt.« Sehr zufrieden mit sich dachte Daisy, wie herrlich es doch war, ein reines Gewissen zu haben. Selbstgefällig fügte sie hinzu: »Ich sagte noch, dass du nicht sehr glücklich darüber sein würdest.«
»Verdammt richtig, ich bin nicht sehr glücklich«, brüllte Josh. »Guter Gott, hast du den Verstand verloren? Diese VIP-Tickets sind wie Goldstaub, du verpasst die Chance deines Lebens. Ich kann nicht glauben, dass du so dumm warst, ihm abzusagen. Geh sofort zu Dev Tyzack«, befahl er, »und sag ihm, dass du deine Meinung geändert hast.«
»Das werde ich nicht«, meinte Daisy verärgert. »Mich interessiert so ein langweiliges Rugbyspiel nicht. Außerdem habe ich ihm bereits gesagt, dass er jemand anderen einladen soll.«
»Am Samstag? Bis dahin bin ich zurück.« Josh war schlagartig besserer Laune. »Wenn ich eine Perücke trage, einen kurzen Rock anziehe und verspreche, Sex mit ihm zu haben, meinst du, er nimmt mich dann mit?«