47. Kapitel

Wann immer jemand den Speisesaal betrat, versteifte sich Tara ein wenig – was unter den Umständen ja nur natürlich war, wie sie meinte. Aber Dominic hielt Wort. Es gab einen hervorragenden Wein, der reichlich floss, es gab etwas zu essen,

»Hast du morgen frei bekommen?«

Tara nickte lächelnd. Sie hatte eine ihrer Kolleginnen überredet, die Schicht mit ihr zu tauschen. Darum mussten sie das Hotel nicht zu unchristlich früher Stunde verlassen.

»Du bist so ruhig«, beobachtete Dominic.

»Es geht mir gut.« Sie drückte seine Hand. »Es ist nur … «

»Sag es nicht. Dein Gewissen. Süße, du weißt doch, was ich für dich empfinde.« Dominic sprach leise, obwohl die Tische im Restaurant weit auseinander standen. »Ich habe die falsche Frau geheiratet. Das war ein Fehler. Aber wir klären das irgendwann, ich verspreche es.«

Tara hatte ihm eigentlich nur sagen wollen, dass sie unmöglich noch mehr Wein trinken konnte, aber egal. Es war richtig, dass sie über seine Ehe sprachen.

»Wie ist es mit Annabel in der letzten Woche gelaufen?«

Dominic schüttelte ernst den Kopf. »Keine Veränderung. Als ob ich mit einer Fremden zusammenlebe. Ich tue ja mein Bestes, aber sie will sich einfach nicht … helfen lassen.«

»Und ihr habt immer noch keinen …?«

»Sex? Du machst wohl Witze.« Er zuckte mit den Schultern. »Annabel ist daran nicht interessiert.«

So konnte ein Mann doch nicht leben. Tara verspürte unendliches Bedauern für Dominic, aber sie war auch voller Mitgefühl für Annabel. »Was ist mit einer Therapie? Es gibt doch diese Sextherapeuten. Könntest du sie nicht überreden, so jemanden mal aufzusuchen?« Ach herrje, jetzt diskutierte sie schon die Sexualprobleme der Ehefrau ihres Liebhabers. Sie war eindeutig eine großherzige, fürsorgliche Person.

»Annabel? Das käme für sie nicht infrage.« Schon allein bei dem Gedanken schnitt Dominic eine Grimasse. »Sie würde sich strikt weigern.«

Insgeheim war Tara erleichtert. Es war ja gut und schön, hilfreiche, erwachsene Lösungsvorschläge zu unterbreiten, aber was wäre sie doch angesäuert, sollte Dominic in einer Woche anrufen und beglückt verkünden: ›Es hat funktioniert! Seit sie von diesem Sextherapeuten zurück ist, kann sie ihre Hände nicht von mir lassen. Süße, ich sage dir, die Frau geht ab wie eine Rakete!‹

»Ach Dominic, was wirst du jetzt tun?« Die Situation war hoffnungslos. Tara drückte erneut seine Hand.

»Ich werde das noch ein paar Monate aussitzen.« Dominic blickte resigniert. »Um den Schein zu wahren. Wenn es nur nach mir ginge, würde ich sie schon morgen verlassen, aber Annabel gegenüber wäre das nicht fair. Diese Demütigung würde sie nicht verwinden.«

Er hatte ja so ein gutes Herz. Genau das liebte sie an ihm. Wie viele Männer verhielten sich derart rücksichtsvoll?

»Es tut mir Leid.« Tara lächelte die Kellnerin an, die ihre Teller abräumte. »Das Essen ist großartig – ich habe nur keinen Hunger.«

»Wie wäre es mit Nachtisch?« Um sie in Versuchung zu führen, nickte Dominic zum Nebentisch hinüber. »Es gibt hier Mousse au chocolat.«

Mousse au chocolat war Taras große Schwäche, aber ihr Magen war immer noch durcheinander. Ihre Nerven machten ihr einen Strich durch die Rechnung. Bedauernd schüttelte sie den Kopf. »Ich glaube, es geht nicht.«

Dominic schob seinen Stuhl zurück, stand auf und nahm Taras Hand. Auf dem Weg durch den Speisesaal flüsterte er ihr ins Ohr: »Wir können uns jetzt auf etwas viel Schöneres als Mousse au chocolat freuen.«

Tara lehnte sich gegen ihn. Eine heiße Welle durchfuhr sie, die sich fast anfühlte wie …

 

Brechreiz. Ja, es war Brechreiz, und gleichgültig, wie sehr Tara es auch versuchte, sie konnte ihn einfach nicht verdrängen. Auf ihrem Zimmer fing Dominic an, sie zu küssen, und sie versuchte ihr Bestes, ihn ebenso begeistert zurückzuküssen, aber der Geruch seines Aftershave, den sie normalerweise liebte, verursachte ihr von Sekunde zu Sekunde größere Übelkeit. Ihr war auch heiß. Sie geriet auf eine Weise ins Schwitzen, die gar nicht angenehm war.

»Mein Gott, wie schön du bist«, murmelte Dominic, öffnete den Reißverschluss ihres Kleides und ließ die Träger heruntergleiten. Sofort fühlte sich Tara kalt und klamm an und sie war gezwungen, tief zu atmen, um ihren Magen zu beruhigen. Dominic hielt das schwere Atmen für ein Zeichen von Verzückung und bugsierte sie zum Bett.

Er trat einen Schritt zurück und starrte Tara in ihrem türkisfarbenen BH und dem (natürlich dazu passenden) Slip bewundernd an. Instinktiv zog sie den Bauch ein und krümmte sich, als ein scharfer Schmerz wie ein Messer durch ihre Eingeweide fuhr. Sofort wusste Tara, was gleich geschehen würde. O nein, o bitte nicht, o Gott …

»Wunderschön und sexy«, flüsterte Dominic und ließ seine Finger über den spitzenbesetzten Ausschnitt ihres Büstenhalters gleiten. »Ich habe so lange darauf gewartet.«

Der verrückt spielende Magen und die Unfähigkeit, etwas zu essen, waren nicht auf ihre Nervosität zurückzuführen. Der Brechreiz wurde nicht von Schuldgefühlen verursacht. Tara schloss die Augen, und das Zimmer begann sich zu drehen, wirbelte wie verrückt wie auf einer sadistischen Achterbahnfahrt.

»Hmpf«, stotterte sie, als Dominics Mund sich auf ihre Lippen presste, während seine Hände gleichzeitig den Verschluss ihres Büstenhalters suchten. Der Brechreiz schwappte wie ein wirbelnder Derwisch hoch. Sie riss sich los, presste die Hand auf den Mund und rannte an dem erstaunten Dominic vorbei ins Badezimmer.

Die nächsten fünf Minuten waren die

O ja, blendend, Liebling, habe mich nie besser gefühlt.

Das sprach Tara natürlich nicht laut aus, sie war zu sehr damit beschäftigt, peinlich berührt im Badezimmerboden zu versinken. Wenn es etwas geben sollte, das noch weniger sexy und betörend war als das Geräusch einer Frau, die sich übergab, dann wusste sie nicht, was das sein könnte.

Innerhalb von dreißig Sekunden fand sie das jedoch heraus. Die rasiermesserscharfen Schmerzen in ihrem Bauch wurden stärker, ihre Gedärme verflüssigten sich und sie schaffte es gerade noch rechtzeitig auf das Klo.

Nach Gott weiß wie langer Zeit – wahrscheinlich zwanzig Minuten – erlangte Tara genügend Kontrolle über ihre Körperfunktionen zurück, um zum Waschbecken zu stolpern und in den Spiegel zu schauen. Kein schöner Anblick. Sie trug BH und Slip. Ihre Augen waren geschwollen, ihr Gesicht fleckig und ihr Haar schweißverklebt. Lächerlicherweise trug sie immer noch ihr hochhackigen roten Pumps.

Mit zitternden Knien putzte Tara sich die Zähne, wusch sich das Gesicht und wickelte sich ein Badetuch um die Schultern, weil sie einfach nicht aufhören konnte zu zittern. Die unheilvollen Krämpfe in ihrem Bauch ließen nicht nach. Das Klo musste sich ebenso erschöpft wie sie fühlen, so oft wie sie die Spülung betätigt hatte. O Gott, wie sollte sie Dominic nur jemals wieder ins Gesicht schauen?

Na schön, sie konnte wohl kaum die Nacht im Badezimmer verbringen. Tara holte tief Luft, öffnete die Tür und trat heraus.

Dominic lag angezogen auf dem Bett und sah fern. Er drehte ihr den Kopf zu. »Geht es dir besser?«

Tara nickte jämmerlich. Ihr Magen war immer noch wund. Ihre Augenlider waren derart angeschwollen, dass sie kaum sehen konnte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich

Ihr grüner Satinmorgenmantel lag in ihrer Reisetasche. Tara zog ihn heraus, kickte sich die farblich nicht dazu passenden Pumps von den Füßen und zog den Morgenmantel an. Da sie nicht wusste, was sie als Nächstes tun sollte, näherte sie sich zögernd dem Bett.

Vielleicht konnte man eine solche Situation spielerisch überbrücken, wenn man hundert Jahre mit jemandem verheiratet war. Womöglich konnte man dann einen Scherz darüber machen, es einfach lachend abtun oder sich sogar tröstend in den Arm nehmen und sagen, dass man verstand und einen trotzdem liebte.

Dominic richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Fernsehgerät, nahm die Fernbedienung zur Hand und wechselte den Sender.

»Es tut mir Leid.« Tara ließ sich auf den Rand des Bettes sinken. Sie hätte schwören können, dass er von ihr abrückte. So fühlte es sich also an, wenn man Lepra hatte.

Nach langem Schweigen meinte Dominic: »Wodurch wurde das denn hervorgerufen?«

Leider hatte Tara sich das auch schon gefragt. »Ich habe heute Mittag ein Thunfischsandwich gegessen. Ich dachte mir gleich, dass es irgendwie merkwürdig schmeckt, aber ich hatte sonst nichts dabei und ich hatte Hunger, also habe ich es gegessen. Ich habe es mir gestern Abend zu Hause gemacht«, räumte sie kläglich ein, »und vergessen, es in den Kühlschrank zu legen.«

»Großer Gott«, äußerte Dominic in einem Tonfall, der deutlich machte, für wie bescheuert er sie hielt.

Er klang ernsthaft verärgert, und Tara konnte ihm keinen Vorwurf machen. »Was sollen wir jetzt tun?«, fuhr er gereizt fort. »Ich bin nämlich echt nicht in Stimmung für … «

»Ich auch nicht«, warf Tara hastig ein, bevor er ihr sagen konnte, wie sehr er sich von ihrem verräterischen Körper abgestoßen fühlte.

»Sollen wir einfach nach Hause fahren?«

Tara wünschte sich das mehr als alles andere, aber zu ihrem Entsetzen rumpelte es in ihrem Bauch erneut unheilvoll. Sogar zu dieser nächtlichen Stunde würde die Fahrt nach Colworth eine Stunde dauern und die Aussicht eines Missgeschicks im Auto war zu schrecklich, um es sich auszumalen. »Ich fühle mich immer noch nicht … ich weiß nicht, ob ich … tja, die Fahrt durchstehen würde.«

Dominic nickte und nahm das Telefon neben dem Bett zur Hand. Er sprach mit der Empfangsdame und bat um ein zweites Zimmer.

»Das Hotel ist ausgebucht«, verkündete er kurz darauf und hängte ein. »Jedes einzelne Zimmer ist belegt.«

Das war ein Albtraum.

»Du kannst doch nach Hause fahren«, flüsterte Tara, denn ganz offensichtlich wünschte sich Dominic nichts anderes. »Ich bleibe hier.«

»Das wäre vielleicht am besten.« Dominic wirkte leicht aufgebracht, als ihre Schultern zu zittern anfingen. »Mein Gott, fang jetzt nicht an zu heulen. Was ist denn jetzt wieder?«

Was jetzt wieder ist?

Heiß strömten die Tränen über Taras Gesicht und tropften von ihrem Kinn. »Ich hab’s ver-vermasselt! Es tut mir Leid, aber ich hab’s ja nicht mit Absicht getan … und es geht mir miserabel.« Sie wischte sich die Augen mit dem Ärmel ihres Morgenmantels. »Mir ist wirklich nicht gut und ich möchte nicht al-allein bleiben!«

Jämmerlich, absolut jämmerlich, aber wahr. Zu Hause würde sich längst Maggie um sie kümmern, sie ins Bett bringen, ihre Stirn kühlen und einfach wunderbar und fürsorglich sein.

Dominic hielt sich auf Abstand und tätschelte ihr von fern die Schulter. »Na gut«, seufzte er, »ich bleibe.«

Tara wagte es nicht, ihn zu umarmen. Sie schniefte laut. »Dadanke.«

 

Um acht Uhr am nächsten Morgen checkten sie aus. Tara hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so leer gefühlt. Ihr

Aber wenigstens fühlte sie sich gut genug, um die Heimfahrt anzutreten. Dominic schien auch erleichtert. Sie hätte nie geglaubt, dass zwei Menschen in einem Doppelbett so weit auseinander liegen konnten. Diese Nacht würde keiner von ihnen jemals vergessen.

Schweigend fuhren sie nach Colworth zurück. Als Dominic sie am Ende der High Street absetzte, gab er ihr keinen Kuss. Tara war überzeugt, immer noch nach Erbrochenem zu riechen, obwohl sie sich die Zähne mehrmals geputzt hatte.

»Ich rufe dich an.« Er sah auf seine Uhr, um anzudeuten, dass er in Eile war.

»Ist gut.« Tara fragte sich, ob es ihm ernst damit war. Hatte sie ihn für alle Zeit vergrault oder würde die Grässlichkeit der letzten Nacht eines Tages verblassen wie die Schmerzen bei der Geburt? Zum ungefähr einhundertsten Mal flüsterte sie: »Es tut mir Leid.«

Dominic nickte und brachte das erste Lächeln des Tages zustande. Nur der Hauch eines Lächelns. »Mir auch.«