»Schon gut, es ist alles in Ordnung.« Daisy eilte zu Mel und betete, dass sie sich nicht den Rücken gebrochen hatte. Sie kauerte neben ihr und fragte besorgt: »Ist alles in Ordnung?«
»Ich denke schon.« Mel biss die Zähne zusammen und hievte sich auf die Beine, die zwar wackelig, aber nicht gebrochen waren. Dann nahm sie Freddie in den Arm und brach in Tränen aus.
»Heiliges Kanonenrohr«, schnaufte Bert Connelly, der mit einem seiner Söhne am Ort des Geschehens auftauchte. »Wir hörten Schreie. Allmächtiger Gott, Kleines, geht es Ihnen gut? Ist mit dem Baby alles in Ordnung?«
Gewaltige, schwarze Rauchwolken drangen aus dem oberen Fenster, als Dev sprang. Diesmal konnte Daisy wirklich nicht hinsehen.
»Nette Landung«, meinte Bert anerkennend. »Der Junge hält sich fit. Ich habe übrigens die Feuerwehr verständigt, als mir klar wurde, was hier vor sich geht.«
»Das haben wir auch.« Daisy fühlte sich ganz schwach vor Erleichterung, dass alle es in Sicherheit geschafft hatten. Sie begann zu zittern.
»Und im Hotel haben wir auch angerufen. Wir haben Barney herbestellt. Pronto.«
Mein Gott, der arme Barney. Sein geliebtes Cottage. Zerstört.
In diesem Augenblick hielt Hectors Land Rover mit quietschenden Bremsen an der Straße. Barney sprang mit weißem Gesicht heraus, bevor der Wagen vollends stand.
»Allen geht es gut«, rief Dev, während Barney auf Mel und Freddie zurannte und sie in den Arm schloss. Hector stieg im Smoking aus dem Wagen und sagte: »Paula und ich kamen gerade zurück, als Barney aus dem Hotel stürzte. Ich habe den Notruf verständigt. Gott, was für eine furchtbare Sache … Kleines, schau dir nur dein Gesicht an.«
Daisys Augen tränten aufgrund des Rauches. Sie wischte mit der Hand darüber und merkte, dass ihr Gesicht schwarz war. Dev war noch schwärzer; er sah aus wie ein Angehöriger einer Kommandoeinheit.
»Ich habe Freddie aus dem Fenster geworfen und Daisy hat ihn aufgefangen«, teilte Dev Hector mit.
Trotz der entsetzlichen Situation musste Hector kichern. »Das hat Daisy geschafft? Meine Güte, ich habe sie einmal in der Schule beim Ballspielen erlebt. Schrecklich. Gut gemacht, Liebling. Das kommt einem Wunder gleich.«
»Hector«, quengelte Paula, die in einem hellgelben Kleid und schwindelerregend hohen Absätzen aus dem Wagen stieg. »Gib mir dein Jackett, Liebling. Mir ist kalt.«
Wenige Minuten später trafen zwei Löschzüge der Feuerwehr ein, dicht gefolgt von einem Krankenwagen und diversen Dorfbewohnern.
»Ich weiß nicht, wie das passieren konnte«, wiederholte Mel wie erstarrt. Die Sanitäter führten sie zum Krankenwagen. »O Barney, sieh dir nur das Cottage an. Wir haben alles verloren.«
»Sei doch nicht albern, ich habe immer noch dich und Freddie.« Barney zitterte auch. Die beiden hätten da drin sterben können. Er durfte gar nicht daran denken. Als er aus dem Krankenwagen sah, entdeckte er Paula Penhaligon, die mit verschränkten Armen und mit Hectors Smokingjacke um die Schultern gegen den Land Rover lehnte. Während er zu ihr hinübersah, tänzelte Clarissa zu ihr heran und schnüffelte an ihren eleganten Knöcheln. Mit ärgerlichem Blick versetzte Paula ihr einen Tritt, der so heftig war, dass Clarissa hastig nach hinten wich. Barney, der zu jedem anderen Zeitpunkt entsetzt reagiert hätte, wurde von einem schrillen Schrei an seinem linken Ohr abgelenkt. Freddie erhob Einwände dagegen, mit einem eiskalten Stethoskop abgehört zu werden.
»Wir müssen nicht ins Krankenhaus«, protestierte Mel. »Es geht uns gut.«
»Tja, seine Lungen klingen jedenfalls prächtig.« Der Sanitäter zuckte unter Freddies Protestgeschrei, dessen Lautstärke sich abrupt verdoppelte, zusammen und riss sich das Stethoskop aus den Ohren. »Aber wir lassen Sie besser richtig untersuchen, um auf Nummer Sicher zu gehen.«
Barney stieg aus dem Krankenwagen und suchte Dev.
»Danke. Für alles.« Die Worte waren erbärmlich unangemessen, aber was sollte er sonst sagen. »Ich fahre mit dem Krankenwagen mit, aber die Sanitäter sind sich sicher, dass die beiden nicht dort behalten werden.«
»Und was dann?« Während sich Dev die rußgeschwärzte Stirn wischte, wurde Barney mit einem Ruck klar, was er meinte. Sie hatten kein Zuhause mehr.
»Die Sanitäter warten auf Sie, Barney.« Daisy trat zu ihnen, dicht gefolgt von Hector. Sie wunderte sich, warum er so vor den Kopf gestoßen wirkte. »Was ist los?«
Barney schüttelte hastig den Kopf. »Nichts.«
»Er fragt sich, wohin er gehen soll, sobald die Ärzte Mel und Freddie einen Unbedenklichkeitsstempel aufgedrückt haben.«
Daisy sah ihn an. Ihr Herz strömte über.
»Hol’s der Teufel, so etwas Lächerliches habe ich mein ganzes Leben noch nicht gehört.« Hector strahlte und schlug Barney kräftig auf die Schulter. »Du gehörst doch praktisch zur Familie. Natürlich wohnst du bei uns.«
Barney zögerte. Er sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.
»Was ist mit …?« Sein Kopf wandte sich zum Krankenwagen.
»Ich meine doch euch alle drei«, erklärte Hector. »Kein Problem! Gottverdammt, Junge, was hast du denn geglaubt? Dass wir dir ein Zelt leihen?«
Barney sah nun Daisy an, die sich zu einem Lächeln zwang. Selbstverständlich hatte Hector nicht die leiseste Ahnung, dass es mehr familiäre Bande zwischen ihnen gab, als er dachte.
»Daisy? Ist das auch für Sie okay?«
Was hätte sie zu Barney schon sagen können? Nur über meine Leiche? »Natürlich ist es okay.«
Der Krankenwagen fuhr los. Die Feuerwehrmänner hatten den Brand unter Kontrolle. Es war Mitternacht, und immer mehr Dorfbewohner tauchten auf.
Tara traf in Maggies Anorak und Gummistiefeln über ihrem Pyjama ein, als Hector und Paula gerade abfuhren. Noch bevor sie Daisy entdeckte, hörte sie die ganze Geschichte von Bert Connelly.
»Komm schon, lass uns hier verschwinden.« Daisy nahm Tara am Arm und zog sie zur Straße, bevor sie die Feuerwehrmänner anschmachten konnte. »Warte, bis du hörst, wessen Baby ich da gefangen habe.«
»Das glaube ich einfach nicht! Was für ein Miststück! Die Nerven, die diese Frau hat«, empörte sich Tara und tigerte erregt durch ihr Wohnzimmer. »Du hättest sie verprügeln sollen. Das hätte ich zumindest getan.«
»Wofür? Dass sie eine Affäre mit einem verheirateten Mann hatte?« Es war ja schön, dass Tara sich so empörte, aber da fielen einem doch spontan die Worte ›heuchlerisch‹ und ›Flittchen‹ ein. Daisy streckte ihr Glas vor sich: »Das kann doch passieren, oder?«
»Das ist etwas anderes. Ich habe nicht mit Dominic geschlafen und ich habe mich nicht von ihm schwängern lassen, und wenn ich es hätte – hoppla. Tut mir Leid.« Tara hatte zu viel Wein eingegossen. »Jedenfalls wäre ich bestimmt nicht in das Dorf gezogen, in dem seine Frau wohnt, und hätte ihr mein Baby unter die Nase gehalten.«
»Das weißt du doch gar nicht«, entgegnete Daisy. »Das kommt auf die Umstände an.« Eigentlich klang es ganz wie etwas, das Tara tun würde.
»Aber nun ist es ja vorbei. Ich werde Dominic nie wiedersehen.«
»Genau.« Daisy rollte mit den Augen.
»Ernsthaft. Ich will nie wieder mit ihm reden.« Tara wirkte immens selbstzufrieden. »Er ist die reine Zeitverschwendung und ich habe Besseres verdient.«
»Meine Güte? Was hat diesen Wandel hervorgerufen?« Hatte Tara sich mit einer dieser Lebenshilfetanten im Fernsehen unterhalten?
»Tja, seine Frau hat mich besucht.«
»Wie bitte?«
»Du erinnerst dich doch an Annabel. Sie hat ihn von einem Privatdetektiv verfolgen lassen. Eigentlich ist sie ganz okay. Wir haben wirklich nett geplaudert.«
Daisy kippte ihren Wein. Wenn man ein oder zwei Tage nicht mit seiner besten Freundin zusammensaß, hatte man am Ende furchtbar viel aufzuholen.
Beim Rest des Weines brachten sie sich gegenseitig auf den neuesten Stand.
Als die Flasche schließlich leer war, sagte Daisy: »Ich gehe jetzt besser. Sie werden bald aus dem Krankenhaus kommen. Ich muss mir überlegen, in welchem Zimmer ich sie unterbringe.«
»Ich weiß nicht, wie du ihren Anblick ertragen kannst.« Tara schauderte. »Oder mit ihr sprechen kannst.«
»Ich habe keine andere Wahl. Daran werde ich mich eben gewöhnen müssen. Wenn sie sich im Dorf niederlassen, wohnen sie womöglich jahrelang hier. Was ist?«, sagte Daisy, weil Tara ihr einen seltsamen Blick zuwarf.
»Sie könnten jahrelang hier wohnen, aber du nicht. Also ist es doch egal, oder?«
Daisy zog den Reißverschluss ihrer rauchgeschwängerten Jacke hoch. Mittendrin hielt sie inne. »Warum soll ich nicht hier sein? Wo bin ich denn dann?«
»Äh … na ja, in Miami.«
»Äh … na ja, warum?«, imitierte sie Daisy verblüfft.
Tara betete, dass sie jetzt nicht in einen Fettnapf trat. »Josh meinte, du würdest ihn begleiten wollen. Wenn er seinen neuen Job antritt, dann nimmt er dich mit. Ich war ja selbst ein wenig geschockt«, fügte sie hastig hinzu, »aber so wie er es sagte, ergab es Sinn. Schließlich seid ihr ein Paar und da ist es definitiv hilfreich, wenn man sich auf demselben Kontinent befindet.«
»Er will, dass ich das Hotel aufgebe und mit ihm nach Florida ziehe?« Daisy war wie vor den Kopf geschlagen.
»Hör mal, es tut mir Leid. Ich dachte, er hätte es dir gegenüber schon erwähnt. Also, so weit ist es ja gar nicht.«
»Es ist Tausende von Meilen entfernt!«
»Ich spreche doch von Joshs Aufbruch. Er ist nur noch ein paar Wochen hier.« Tara runzelte die Stirn. »Ich kann nicht glauben, dass ihr noch nicht darüber gesprochen habt.«
Ich auch nicht, dachte Daisy.
Josh kam am frühen Samstagmorgen im Hotel an. Auf imaginären Skiern bretterte er an den Empfang. Zu seinem dümmlichen Grinsen trug er einen dümmlichen Dreispitz.
Tara, die gerade versuchte, die oberen Bereiche der eichengetäfelten Wände mit ihrem Staubwedel zu erreichen, sagte: »Mit diesem Hut sehen Sie besonders volltrottelig aus.«
»Sie haben ebenfalls Ähnlichkeit mit einem Volltrottel, wie Sie da staubwedeln, während sich Ihr Rock in Ihrem Schlüpfer verhakt hat. Ha, reingefallen«, rief Josh triumphierend, als sie einen spitzen Schrei ausstieß und mit den Händen ihren Po bedeckte.
Tara erholte sich rasch. »Netten Urlaub gehabt?«
»Vom Feinsten. Sie scheinen auch sehr zufrieden.« Er setzte den Hut ab und warf ihn mit Schwung zum Endpfosten des Treppengeländers, den er jedoch verfehlte.
»Der Termin für meine Fahrprüfung wurde heute Morgen durchgegeben.« Voller Stolz zog Tara den Umschlag aus seinem Versteck – ihrem flamingorosa Büstenhalter. Seit sie zur Arbeit gekommen war, hatte sie ihn – den Umschlag, nicht den Büstenhalter – jedem gezeigt, der ihr vor die Augen gekommen war.
Josh schien ehrlich entzückt. »Süße, das ist phantastisch. Wann?«
»In zwei Wochen.« Sie zeigte ihm das kostbare Blatt Papier mit dem Datum und wackelte in vorgespielter Panik mit den Augenbrauen.
»Gut, kein Problem. Intensivunterricht. Wann haben Sie heute Schluss?«
»Um drei.«
Josh rieb kräftig die Hände aneinander. »Wir verdoppeln die Stundenzahl. Ist Ihnen von drei bis fünf recht?«
Er war wirklich brillant. Daisy konnte von Glück sagen, ihn als Freund zu haben. Schuldbewusst fragte sich Tara, ob sie ihn wegen ihres Fettnapfmalheurs hinsichtlich Miami warnen sollte. Aber sie wollte nicht, dass Josh böse auf sie wurde und die Fahrstunden absagte.
»Besser zehn nach drei.« Tara lächelte ihn dankbar an. »Ich muss vorher noch schnell nach Hause und mich umziehen.«