52. Kapitel

Tara amüsierte sich prächtig. Sie hatte nicht vergessen, wie man fährt (hurra!), Josh hatte ihr ›Rückwärts-um-eine-Ecke‹-Manöver für makellos erklärt, und sie dachte sogar noch daran, beim Drehen des Lenkrads ihre Arme nicht zu kreuzen – schreckliches Vergehen. Außerdem strahlte die Sonne immer noch vom Himmel, und aus seiner Jackentasche hatte Josh eine Tüte Erdbeerbrausepulver hervorgezogen.

»Hat Daisy Ihnen das verraten?« Tara war von seiner Aufmerksamkeit gerührt.

»Mir was verraten?«

»Dass Erdbeerbrausepulver meine absolute Lieblingsnascherei ist.«

»Nein.« Josh schüttelte den Kopf. »Ich habe es gekauft, weil es meine absolute Lieblingsnascherei ist.«

»Ehrlich?« Tara war entzückt.

»Na ja, unter anderem. Ich bin auch verrückt nach diesen Lakritzschnecken«, gab Josh zu.

»Und Gummibärchen. Als ich klein war, habe ich die roten angefeuchtet und als Lippenstift verwendet«, erinnerte sich Tara verklärt. »Ich fand, ich sah dann einfach toll aus. Mein Gott, schon mit sieben war ich ein Flittchen.«

»Machen Sie sich nicht selbst nieder. Und schauen Sie in den Spiegel, bevor Sie den Blinker setzen«, fügte Josh hinzu, als sie an eine Kreuzung kamen.

»Was wurde aus Ihrem Freund, der sich das Bein gebrochen hat?« Tara wollte unbedingt den Rest der Geschichte hören – mit Josh in Urlaub zu fahren war offenbar ein gefährliches Unterfangen.

»Aus Baz? Er hat die Skier an den Nagel gehängt und sich dem Rodeln verschrieben. Drei Tage später gingen wir alle zusammen in diesen Nachtclub, und jetzt raten Sie mal, was dort passiert ist?«

»Er hat sich auch das andere Bein gebrochen?«

»Falsch. Viel zu vorhersehbar«, spottete Josh. »Er stieß auf dem Weg zum Klo buchstäblich mit dieser Frau zusammen. Sie hatte auch ein Bein gebrochen und ihre Krücken verhakten sich hoffnungslos. Natürlich hat Baz sie daraufhin auf einen Drink eingeladen – typisch Baz. Sie verglichen eine Stunde lang ihre Brüche miteinander und prahlten damit, wie sie sich die Verletzungen zugezogen hatten. Kurz darauf verschwanden sie zusammen.«

»Wohin?«

»Sind in ihr Chalet gehinkt. Gott weiß, wie sie es bewerkstelligt haben, aber den Rest der Woche haben wir Baz kaum zu Gesicht bekommen. Er spricht jetzt vom besten Urlaub, den er je hatte.«

Tara kicherte. »Das ist ja so süß. Ach, wo wir gerade von Süßem sprechen … « Sie öffnete weit den Mund.

»Das ist fast so, als ob man ein Vogelküken füttert.« Er schüttete ihr neues Brausepulver in den Mund. »Die nächste links und dann üben wir das Zurücksetzen mit Richtungswechsel.«

Rückspiegel, blinken, Wendemanöver. Tara fuhr nach links in eine Sackgasse und hielt – tadellos – am Straßenrand. »Übrigens hoffe ich, dass Sie dort drüben keine Mädels aufgegabelt haben.« Sie sah ihn streng an.

Josh grinste. »Natürlich nicht.«

Die übliche Männerantwort.

»Aber vielleicht behaupten Sie das ja auch nur«, hielt Tara dagegen. »Wie können wir da sicher sein?«

»Es ist die Wahrheit. Aus diesem Grund fahre ich nicht in Urlaub. Ich habe kein Interesse daran, mit anderen Frauen Unsinn anzustellen.«

Tara ließ sich erweichen. Josh hatte es einfach an sich, dass man ihm glaubte. Er war kein betrügerischer Nichtsnutz wie manch anderer Mann, der ihr spontan einfiel.

Wie die meisten Männer, genauer gesagt.

»Tja, ich bin froh, das zu hören.« Sie holte mehrmals tief Luft und schlenkerte mit den Händen, wie ein Sportler bei den olympischen Spielen, der scharf auf Gold ist. »Wir kommen jetzt zu der Disziplin ›Zurücksetzen und Wenden‹. Bitte Ruhe, meine Damen und Herren. Tara Donovan aus Großbritannien versucht heldenhaft das beinahe Unmögliche in einer extrem schmalen Sackgasse.«

»Daisy hat es Ihnen noch nicht erzählt«, sagte Josh. Mehr eine Aussage denn eine Frage.

»Mir was erzählt? Ich habe Daisy heute noch nicht gesehen.« Tara wünschte, er würde sie nicht ablenken, wenn sie so kurz vor etwas derart Bedeutsamem stand. Sah er denn nicht, dass sie sich konzentrierte?

»Wir haben es gut sein lassen.«

Es gut sein lassen? Sie rätselte über diesen Ausdruck. Er meinte doch sicher, sie hatten es sich gut gehen lassen?

»Wie bitte?«

»Es ist vorbei«, wiederholte Josh geduldig. »Es hat nicht funktioniert. Wir sind nicht mehr zusammen.«

Taras linker Fuß zuckte und glitt von der Gangschaltung. Da bereits der Gang eingelegt war, machte das Auto einen Känguruhsatz nach vorn und blieb dann abrupt stehen.

»Handbremse«, entfuhr es Josh automatisch.

»Wollen Sie damit sagen, Sie haben mit Daisy Schluss gemacht?« Taras Mund glitt auf.

»Technisch gesehen hat Daisy mit mir Schluss gemacht. Aber im Grunde war es eine beiderseitige Entscheidung. Wir wussten, es konnte so nicht weitergehen. Sie haben immer noch einen Gang eingelegt. Gehen Sie in den Leerlauf.«

»Aber ich dachte, Sie seien glücklich miteinander«, jammerte Tara. »Sie haben sich doch so gut verstanden.«

»Und wir verstehen uns immer noch gut. Wahrscheinlich bis wir achtzig sind.«

»Das glaube ich nicht. Sind Sie gar nicht durcheinander?«

Josh lachte sie an. »Eher erleichtert. Na ja, erleichtert, dass Daisy es zuerst gesagt hat. Auf diese Weise muss ich mich nicht schuldig fühlen.«

Taras Herz begann zu klopfen. »Wollen Sie damit sagen, dass es eine andere gibt?«

Er zuckte mit den Schultern. »Gewissermaßen.«

»Wen?« Sie hob die Stimme.

Josh schüttelte den Kopf. Schließlich seufzte er und sagte: »Verdammt, Tara, was glaubst du denn, wer?«

Und dann küsste er sie.

Sein Mund schmeckte nach warmen Erdbeeren. Tara war fassungslos. Aber jetzt ergab plötzlich alles einen Sinn. Der Geheimcode war geknackt. Ihr war nie zuvor der Gedanke gekommen, Josh in Betracht zu ziehen, weil er der Freund ihrer besten Freundin war. Über so etwas dachte man nicht einmal im Traum nach.

Doch all die Zeit über hatte sie tief in ihrem Innern unbewusst geahnt, dass sie Josh wirklich für sehr attraktiv halten würde, wenn er nur nicht zu Daisy gehörte.

Und nun durfte sie ihn endlich attraktiv finden, und genau das tat sie auch. Sie gab sich dem Kuss hin und beschloss, dass sein Mund eigentlich noch besser als Erdbeeren schmeckte. Und was sein Haar betraf, sein verrücktes, verwuscheltes, rotgoldenes Haar – sie konnte einfach nicht aufhören, mit den Händen hindurchzufahren. Und sein Gesicht mit den Augenringen, der gebrochenen Nase und den schwachen, goldenen Sommersprossen über den Wangenknochen – warum hatte sie noch nie zuvor bemerkt, wie perfekt es war?

Schließlich löste sich Josh zögernd. Nur einen Zentimeter.

»Das ist der Moment, in dem wir es herausfinden«, flüsterte er.

Tara blinzelte verwirrt. »Was herausfinden?«

»Ob du mich jetzt ohrfeigen wirst.«

Puh. Sie brachte ein zittriges Lächeln zustande. »Nein.«

Josh zwinkerte erleichtert. »Gut, dass ich kein richtiger Fahrlehrer bin. Wegen so einer Sache würde ich bestimmt gefeuert werden.«

Verwundert murmelte Tara: »Ich hatte ja keine Ahnung!«

»Das war mir klar.« Er lächelte bedauernd. »Darum hatte ich ja auch Angst, das hier zu tun.«

»Ich dachte, wir verstehen uns nur gut.« Tara schüttelte staunend den Kopf.

»Ich auch. Anfangs wenigstens. Und dann dämmerte es mir.«

»Wann?« Sie zitterte am ganzen Körper vor Entzücken.

»Vor zwei Wochen. Wir übten in Tetbury das Anfahren am Berg. Du hast mir vom Vorsprechen aus deiner Schauspielerzeit erzählt.«

Tara krümmte sich innerlich. Sie hatte Josh nur deshalb ihr Seelenleben offenbart, weil er so völlig tabu war. Solche Sachen erzählte man nie und nimmer einem potenziellen Liebhaber.

»Die schleimigen? Bei denen die Castingchefs mehr als nur ein Vorsprechen wollten?«

»Und du hast ihnen stets gesagt, sie sollten einen Abgang machen«, sagte Josh.

»Ach ja.« Sie wandte sich schuldbewusst ab. Manchmal hatte sie die Abgangsaufforderung ziemlich hinausgezögert.

»Als du mir das erzählt hast«, fuhr er fort, »da hätte ich diese Kerle am liebsten verprügelt.«

»Ehrlich?« Tara war absurderweise gerührt.

»Ich hätte sie ohne mit der Wimper zu zucken platt gemacht«, erklärte Josh. Ungeschickt küsste er ihre Nasenspitze. »Da wurde mir klar, was mit mir geschah.«

»Aber du hast keinerlei Andeutungen fallen lassen«, staunte Tara. »Wirklich absolut keine.« Und ehrlich gesagt war sie eine weltweite Koryphäe, was das Aufschnappen von Andeutungen anging.

»Ich war mit Daisy zusammen.« Er zuckte mit den Schultern.

Daisy. Sofort schwappte eine Welle aus Schuldgefühlen über Tara hinweg. »Ich fühle mich schrecklich.« So schrecklich, dass sie kaum daran denken mochte. »Was wird Daisy nur sagen?« Außerdem würde Tara von diesem Tag an den Geschmack von Erdbeeren immer mit Josh in Verbindung bringen.

»Mach dir um Daisy keine Sorgen. Sie hat damit keine Probleme.«

Tara drehte ihm mit offenem Mund das Gesicht zu. »Meinst du … sie weiß es bereits?«

»Ich habe es ihr gesagt, bevor sie zum Einkaufen fuhr. Tja, ich habe ihr erzählt, was ich für dich empfinde. Ich wusste natürlich nicht, ob du dasselbe empfindest. Vielleicht hättest du mich ja auch aufgefordert, einen Abgang zu machen. Aber es schien mir fairer, Daisy das wissen zu lassen.« Er grinste breit. »Sie war begeistert.«

»Ehrlich?« Tara suchte verzweifelt nach einer Bestätigung, nach jeder Menge Bestätigung. »Gar nicht wütend? Bist du sicher, dass es ihr nichts ausmacht?«

»Es macht ihr wirklich nichts aus. Ich sagte dir doch, wir waren gar kein richtiges Paar. Wir haben so getan, als ob alles toll wäre, aber wir wussten beide, dass dem nicht so war. Als ich nach Österreich fuhr, da habe ich dich vermisst. Und als ich

Ach, diese Erleichterung!

»Versprochen.« Tara nickte heftig. »Da besteht absolut keine Gefahr. Zwischen mir und Dominic ist alles aus. Ich will ihn nie wiedersehen.«

»Das hast du Daisy erzählt.«

»Und es ist die Wahrheit!«

»Vielleicht änderst du ja deine Meinung«, meinte Josh.

»Ach, lass gut sein.« Tara schlang die Arme um seinen Hals. Mit zitternder Stimme flüsterte sie: »Was sollte ich noch von ihm wollen, wo du hier bist?«