58. Kapitel

Hector hatte eine Zeit lang am anderen Ende der High Street herumgelungert. In dem Moment, als das Taxi auftauchte, wusste er, dass Maggie darin saß, und er straffte unwillkürlich die Schultern.

Das war er jetzt. Der Augenblick der Wahrheit. Entweder machte er sich gleich zum größten Trottel aller Zeiten oder …

Nicht daran denken. Sie war wieder da und er musste sie einfach sehen. Das Taxi hielt vor dem Cottage. Maggie stieg aus, und Hectors Herz machte einen Sprung. Wenn er ehrlich war, dann war er in den letzten zwei Jahren ein Trottel gewesen – er hatte nur bis zu diesem Tag gebraucht, um das herauszufinden.

»Maggie«, rief er, als sie in ihrer Tasche nach dem Haustürschlüssel suchte.

Das Taxi fuhr davon, und sie sah zu ihm auf. Die Sonnenbrille auf ihrem Scheitel hielt das verwuschelte Blondhaar aus ihrem Gesicht.

»Hector.« Maggie verhielt sich zurückhaltend. Sie fragte sich, warum er auf sie zugerannt kam, sich ihr am helllichten Tage näherte.

»Ich habe auf dich gewartet.« Hector blieb eineinhalb Meter vor ihr stehen. »Wir müssen reden.«

»Worüber?«

Hector konnte sich nicht bremsen. Es platzte aus ihm heraus. »Hast du mit ihm geschlafen?«

Stille. Maggie starrte erst ihn an, dann die schnatternde Schar von Fotoapparate schwingenden Touristen, die auf der anderen Straßenseite an ihnen vorbeiflanierte.

»Was geht dich das an?«, brachte sie schließlich heraus.

»Es geht mich sehr viel an! Es ist wichtig

»Pst. Würdest du bitte etwas leiser sein?«

»Werde ich nicht!«, donnerte Hector förmlich. »Es ist mir egal, ob das ganze Dorf mich hört.«

Maggie drehte sich ärgerlich um und schob den Schlüssel ins Schloss. Hector mochte es egal sein, ihr aber nicht. Und

»Du kommst besser herein.« Anzüglich fügte sie hinzu: »Wo ist Paula?«

»Keine Ahnung. Lässt sich die Nägel machen … ist mir auch egal.« Hector winkte abweisend in Richtung Hotel.

»Wo gehst du hin?«, verlangte Hector zu wissen. »Ich sagte, wir müssen reden.«

»Ich sehe nur nach der Waschmaschine.« Maggie marschierte in die Küche. Er sah zu, wie sie die Tür der Maschine öffnete, einen weißen Lambswool-Pulli herauszog und mit der Hand liebevoll über die makellose Weichheit strich. »Sieh dir das an«, staunte sie.

»Leg das weg.« Hector war kurz davor, die Geduld zu verlieren. »All das wäre nie passiert, wenn du mir erlaubt hättest, dir eine neue Maschine zu kaufen.«

Maggie drapierte den Pulli vorsichtig über eine Stuhllehne. »Warum bist du nur so komisch?«

»Weil ich dich liebe«, bellte Hector verzweifelt. »Ich liebe dich und ich halte den Gedanken nicht aus, dass du mit diesem Mann zusammen warst!«

Maggie starrte ihn an. »Soll das ein Scherz sein?«

»Sehe ich so aus, als würde ich scherzen? Maggie, ich muss die Wahrheit wissen. Eine Zeit lang war unser Arrangement … mein Gott, wie ich es gehasst habe. Nicht den Sex«, warf er hastig ein. »Natürlich habe ich den Sex nicht gehasst. Aber dafür zu zahlen … also, dabei fühlte ich mich … «

»Hector … «

»Nein, lass mich ausreden. Ich wollte mehr«, sagte er drängend. »Mir war klar, dass ich etwas für dich empfand, aber ich wusste auch, dass du es nur des Geldes wegen machtest. Wenn ich dich nicht bezahlte, würdest du nicht mehr mit mir schlafen. Und ich konnte dich nicht aufgeben. Das konnte ich einfach nicht.« Hector schüttelte den Kopf. »Ich freute mich mehr auf unsere Begegnungen, als du dir je vorstellen kannst. Ich zählte die Stunden … «

»Bis Paula des Weges kam«, meinte Maggie, leicht aus dem Gleichgewicht gebracht. Hatte er wirklich die Stunden gezählt?

»Ich wollte eine richtige Beziehung, offen und ehrlich. Ist das zu viel verlangt?« In Hectors Blick lag Verzweiflung. »Es funktioniert aber nicht, das ist mir jetzt klar. Paula ist nicht die Richtige für mich.« Er wartete und ergänzte dann ausdruckslos: »Du schon.«

»Geschieht das wirklich?« Maggie war wie benommen.

»Es geschieht wirklich. Ich sage dir, was ich fühle«, erwiderte Hector. »Natürlich liegt es nun an dir. Ich habe alles auf eine Karte gesetzt. Ich weiß nur, dass du mich genug magst, um für Geld mit mir zu schlafen. Aber ich will nicht länger dein … Freier sein. Ich möchte dich richtig treffen. Glaubst du, dass du damit zurechtkommst oder mache ich gerade einen Idioten aus mir?« Er schauderte und zerrte an seinem Hemdkragen. »Wenn ja, dann sag es mir. Ich komme schon damit klar.«

»Ach!« Zum ersten Mal seit langer Zeit war Maggie sprachlos. Sie wusste, sie hätte ihn längst unterbrechen, ihn von seiner Qual erlösen sollen, aber sie brachte es nicht über sich. Was, wenn sie ihn missverstanden hatte? Was, wenn ihr Gehirn sie nur heimtückisch zu dem Glauben verleitete, er habe das gesagt, was sie ihn zu sagen gehört zu haben glaubte?

»Na schön«, verkündete Hector, unter den Umständen recht gebieterisch. »Ich habe gesagt, was ich auf dem Herzen hatte. Jetzt bist du an der Reihe.«

»Ich … ich … «

Mein Gott, ich bin ein hoffnungsloser Fall.

»Ja? Oder nein?« Er klang angespannt.

Voller Panik kreischte Maggie »Ja!«, bevor er sie einfach stehen ließ.

Sie nahm ihre Sonnenbrille ab und stammelte: »W-wozu habe ich gerade ja gesagt?«

»Zu dir und mir.« Hector riskierte ein schiefes Lächeln. »Dass wir es miteinander versuchen. Ohne dass Geld im Spiel ist. Bist du sicher, dass dir das recht ist?«

Maggie schluckte. »Ja.« Diesmal kam es weniger hektisch heraus.

Ermutigt trat Hector auf sie zu. »Ehrlich?«

»Ja.«

»Und ich mache noch heute Abend mit Paula Schluss. Ist dir das auch recht?«

Was für eine Frage.

»Ja«, flüsterte Maggie.

»Ich habe dir schon gesagt, dass ich dich liebe. Aber diese Sache mit Wie-heißt-er-doch-gleich, dieser Techniker. Wirst du mir versprechen, ihn nie wiederzusehen?«

»Da gibt es keine Sache. Es hat nie eine Sache gegeben.« Unglaublich gerührt von der Tatsache, dass er eifersüchtig war, musste Maggie sich an dieser Stelle räuspern. »Es ist nichts geschehen. Er hat auf dem Sofa geschlafen.«

Die Erleichterung brannte sich so deutlich in Hectors Züge ein, als ob sie mit Filzstift aufgemalt würde.

»Ehrlich?«

»Ehrlich.«

»Ich wette, er wollte.«

Maggie betrachtete ihn amüsiert. »Nun, das versteht sich ja von selbst. Natürlich wollte er.« Angesichts der Umstände war eine Spur Selbstgefälligkeit sicher erlaubt.

»Aber ich habe ihn abgewiesen«, sagte sie.

»Warum?«

»Weil er nicht du war.«

Hector schlang seine Arme um Maggie. Sein Kuss war wie ein Heimkommen. Schließlich entzog sie sich ihm millimeterweise.

»Ich wollte dein Geld nie.« Sie blinzelte Freudentränen weg. »Ich habe es nur genommen, damit du mich weiterhin besuchst.«

Hector küsste sie erneut, innig. Barsch sagte er: »Wir waren vielleicht zwei Dummköpfe.«

»Sieh es positiv.« Maggie lächelte. »Wir müssen viel aufholen.«

»Hervorragender Gedanke. Am besten fangen wir gleich damit an«, murmelte Hector.

»Was ist mit Tara? Sie kann jeden Moment zurückkommen.«

Hector schüttelte den Kopf und grinste sie an. »Wen kümmert’s?«

 

»Scheiße«, zischelte Tara, zwischen Entsetzen und Entzücken hin- und hergerissen. »Sie kommen hoch!«

»Das ist phantastisch«, flüsterte Josh hinter ihr in der Schlafzimmertür. »Es ist wie im Fernsehen.«

Er schüttelte sich stumm vor Lachen. Typisch Mann.

Tara drehte sich um und gab ihm einen Knuff. Im Gegenzug schob er sie auf den Flur hinaus.

»Meine Güte«, hörte sie Maggie auf der Treppe sagen. »Was war das?«

Augen zu und durch …

»Keine Angst«, rief Tara hastig, »bin nur ich. Na ja«, fügte sie noch hinzu, packte Josh am Arm und zog ihn auf den Flur neben sich. »Es sind nur wir.«

Im nächsten Augenblick kam Maggie in Sicht, dicht gefolgt von Hector.

»Das glaube ich einfach nicht.« Maggies Hand presste sich entsetzt auf ihren Mund. »Seid ihr beide die ganze Zeit hier gewesen?«

Angstvoll fragte sie: »Habt ihr … äh … uns belauscht?«

»Ich nicht«, sagte Josh. »Ich hatte meine Finger in den Ohren. Aber Tara schon«, ergänzte er hilfreich und jaulte auf, als sie ihn erneut knuffte.

»Wir haben versucht wegzuhören«, protestierte Tara. »Aber das war unmöglich. Ihr habt nicht gerade leise gesprochen.«

»Dann habt ihr also alles gehört«, sagte Maggie leise.

»Ziemlich alles.« Tara konnte immer noch nicht glauben, was sie da gehört hatte. Sie war verblüfft. Man stelle sich vor, Maggie und Hector …

Maggie sah hilflos aus. »Es tut mir Leid.«

»Gottverdammt, was soll das?«, explodierte Hector. »Es tut dir nicht Leid, verstanden? Keinem von uns tut es Leid. Wir sind vielmehr sehr, sehr glücklich und das wird auch so bleiben, egal was die anderen sagen.«

Tara staunte. Ehrlich, das zeigte wieder einmal, dass man niemandem trauen konnte, nicht einmal einer altjüngferlichen, kissennähenden Tante mittleren Alters.

»Wie lange läuft das schon zwischen euch?« Tara musste es unbedingt erfahren.

Stolz legte Hector einen Arm um Maggie. »Zwei Jahre. Über zwei Jahre.«

Maggie hatte endlich wieder einen normalen Hautton angenommen, sogar am Hals. Hectors Selbstvertrauen war ansteckend. »Zwei Jahre und vier Monate«, sagte sie zu Tara.

»Und was hattet ihr beide hier oben vor?«, startete Hector einen Gegenangriff.

»Tara will ihr Zimmer neu streichen.« Mit unschuldigem Blick wies Josh auf seinen limonengrünen Pulli. »Sie wollte sehen, wie diese Farbe an den Wänden wirkt.«

Tara biss sich auf die Lippen und versuchte, ihre Gesichtszüge nicht entgleisen zu lassen. »Zwei Jahre und vier Monate – und die ganze Zeit hat er dich bezahlt?«

»Und ich darf versichern, dass sie jeden Penny wert war.« Liebevoll drückte Hector Maggies Arm.

»Ich hoffe, du willst mir jetzt keine Strafpredigt halten«, sagte Maggie tapfer.

»Von wegen Strafpredigt. Ich halte das für eine wunderbare Idee!« Tara stieß Josh an. »Vielleicht sollte ich es damit auch einmal probieren.«

 

»Dad, ich muss mit dir reden.« Daisy stürmte aus ihrem Büro und fing Hector auf dem Weg zu seiner Wohnung ab.

Hector drehte sich bereitwillig um. »Das habe ich mir schon gedacht.«

Daisy wünschte, sein Blick wäre nicht so verschmitzt. Sie freute sich wirklich nicht auf diese Aussprache. Was, wenn

Aber das würde sie nie tun. Mehr als alles andere auf der Welt wollte sie Hector glücklich sehen.

»Tara hat dich also angerufen«, sagte er, als sie die Bürotür hinter ihm schloss.

»Tara? Warum sollte Tara mich anrufen?« Hör doch auf, so fröhlich auszusehen!

»Ist schon gut«, meinte Hector. »Also, worum geht es?«

Los geht’s, dachte Daisy. Sie fühlte sich schrecklich, als sie ihm von der Nacht des Feuers erzählte und von Clarissas Zusammenstoß mit Paula.

Hector hörte geduldig zu. Als sie fertig war, sagte er: »Du konntest sie nie leiden, nicht?«

Daisy wand sich. »Nein, eigentlich nicht. Aber aus diesem Grund habe ich dir das nicht erzählt.«

»Ich weiß.« Er nickte und wirkte einen Moment gedankenverloren. »Magst du Maggie?«

»Wen?», fragte Daisy völlig perplex, weil es so unerwartet kam. »Sprichst du von Taras Maggie?«

»Genau die.«

Worum um Himmels willen ging es hier? Was sollte diese Frage.

Indigniert erklärte Daisy: »Natürlich mag ich Maggie!«

Hector erhob sich und wandte sich zum Gehen. Mit einem zufriedenen Lächeln meinte er: »Gut.«