»Entschuldige bitte, was hast du gerade gesagt?«
Paula starrte Hector ungläubig an. Eben hatte sie noch sorglos mit ihrem Agenten am Telefon geplaudert und dabei ihre frisch manikürten, aprikotfarbenen Fingernägel bewundert. Dann, weniger als dreißig Sekunden später, war Hector in ihre Suite geplatzt und hatte verkündet, dass ihre Beziehung hiermit beendet sei.
Einen Moment lang wartete sie tatsächlich darauf, dass er ihr die Pointe servierte und anfing zu lachen, so überzeugt war sie davon, dass es sich um einen Scherz handeln müsse. Aber Hector zeigte keinerlei Anzeichen von Amüsement, und weit und breit war keine Pointe in Sicht.
»Nicht böse sein«, sagte Hector ruhig. »Es war schön, solange es währte.« Obwohl das nicht ganz stimmte, wenn er genau darüber nachdachte. Mit Paula war es nie besonders schön gewesen. Aber es klang gut.
»Du machst mit mir Schluss?« Paulas Mund wurde zu einem schmalen Strich. Das war ihr noch nie zuvor passiert.
»Ich glaube, es hat sich totgelaufen, findest du nicht auch?«
»Das ist doch die Höhe!«, explodierte Paula. »Du musst den Verstand verloren haben!«
»Du hast Clarissa getreten.«
»Was?«
»Dev Tyzacks Hund. In der Nacht des Feuers.«
Jetzt war ihr klar, dass er vollends den Verstand verloren hatte. »Willst du damit sagen, zwischen uns ist es aus, weil ich einen Hund getreten habe?«
»Ist das nicht Grund genug?« Hector zögerte. Je früher das vorbei war, desto besser für alle Beteiligten. »Na gut, es ist nicht der Hauptgrund. Es gibt eine andere. Ich kenne sie schon lange. Eine entzückende Frau. Sie wohnt hier im Dorf.«
»Das glaube ich einfach nicht.« Er machte wegen irgendeiner anderen mit ihr Schluss! Der Mann hatte vielleicht Nerven! Mit stählernem Blick zischelte Paula: »Wer ist sie?«
Ruhe bewahren. Keine Geheimnisse mehr. Alles offen und ehrlich.
»Sie heißt Maggie. Sie ist Taras Tante.«
O nein, nein, das war zu viel. Keine halbe Stunde zuvor hatte Paula die Zeitung durchgeblättert und den Artikel über den Techniker gelesen, der als Geisel festgehalten wurde. Sie hatte auch das dazugehörige Foto der Geiselnehmerin betrachtet. Es handelte sich, wie sie feststellen musste, um dieselbe Frau, die sie zuletzt angetrunken und auf allen vieren im Schnee vor einer zerschmetterten Flasche Wein hatte kauern sehen.
»Sie trägt einen Anorak!«
»Ich auch«, sagte Hector.
Wütend nahm Paula einen gläsernen Aschenbecher zur Hand und schleuderte ihn nach Hector. Sie wurde noch wütender, als der Ascher Hector verfehlte und an der Wand abprallte.
»Du Mistkerl!«, kreischte sie. »Mach bloß, dass du weg kommst!«
Beinahe geschafft! Daisy fühlte sich wie ein Privatdetektiv, als sie sich vergewisserte, dass es sich wirklich um das richtige Straßenschild handelte. Sie holte tief Luft.
Gestern hatte sie die Adresse mit Hilfe des Computers in ihrem Büro gefunden.
Es war wie bei einem Song aus dem Radio, den man einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Daisy konnte an nichts anderes mehr denken als an die Bemerkungen von Pam und Brenda. Wenn Dev nur so tat, als ob sein Haus verwüstet worden war, um ins Hotel zu ziehen, wäre es dann wirklich möglich, dass er das tat, weil er eine Schwäche für sie hatte, wie Brenda es formuliert hatte?
Es klang völlig abwegig, aber Daisy würde erst wieder Ruhe finden, wenn sie das herausgefunden hatte.
Aus diesem Grund war sie jetzt hier und bog in die Garrick Avenue. Es war eine einfache Mission, darum bestand auch absolut kein Grund, nervös zu sein.
Dev wohnte in der Hausnummer 15, etwas weiter zur Linken. Sie musste nur an dem Haus vorbeifahren und nachsehen, ob irgendwelche Maler davor geparkt hatten. Maler und Innenausstatter fuhren stets Lieferwagen mit ihrem Firmenlogo. Ein einziger kleiner Lieferwagen reichte, um Brendas lächerlich abstruse Theorie für immer aus ihrem Kopf zu verbannen.
Langsam fuhr Daisy die gesamte Länge der breiten Allee ab. Dann drehte sie um und fuhr wieder zurück.
Abgesehen von einem kleinen, grünweißen Lieferwagen, der Lebensmittel aus einem Feinkostladen für Nummer 38 anlieferte, gab es keine Firmenfahrzeuge.
Scheiße.
Daisys Mund wurde trocken. Sie hatte natürlich vermutet, dass Dev sie attraktiv fand – er hatte sich nie bemüht, das zu verheimlichen. Aber dass ein scheinbar normaler Mann so eine dicke Lüge fabrizierte und in ein Hotel zog, das, offen gesagt, alles andere als billig war, nur um der Frau nahe zu sein, die er mochte – tja, war das nicht ein klitzekleines bisschen unheimlich? Dev machte nicht den Eindruck eines zwanghaften Stalkers, aber vielleicht wusste er das einfach nur brillant zu verbergen?
Beunruhigt durch diesen gruseligen Gedanken hielt Daisy an. Es war erst 16 Uhr, die Maler sollten also immer noch hier sein.
Na gut, jetzt mal ganz vernünftig. Vielleicht hatte Dev einen Maler angeheuert, der aus irgendeinem Grund keinen Lieferwagen besaß. Sie war so weit gefahren, da konnte sie ruhig auch noch einen Blick von Nahem riskieren. Wenn sie lässig am Haus vorbeischlenderte, konnte sie möglicherweise durch eines der Fenster einen Blick auf einen fremden Mann in farbverkleckstem Overall erhaschen. Da sie Dev im Hotel zurückgelassen hatte, wäre es sogar sicher, an seiner Tür zu klingeln und zu sehen, ob ein Malertyp öffnete.
Und dann? Na, das lag doch auf der Hand: so tun, als gehöre sie zu den Zeugen Jehovas, und beten, dass er ihr die Tür vor der Nase zuschlug.
Aber als sie klingelte, öffnete niemand. Weder ein Maler noch sonstwer. Daisy versuchte es erneut.
Immer noch nichts.
Sie ging zu einem der vorderen Fenster. Die Sonne spiegelte sich in der Scheibe, darum konnte man nicht richtig hineinsehen, aber es waren keine Trittleitern oder Farbtöpfe in dem Zimmer zu erkennen. Sie schützte die Augen mit ihren Händen und presste die Nase gegen die Fensterscheibe. Auf diese Weise gelang es ihr, einen georgianischen Esstisch und dazugehörige Stühle in der Mitte des Raumes auszumachen, einen ziemlich großen Kamin, mehrere hübsch gerahmte Gemälde an den Wänden, und die Tapete war …
»Daisy?«
Sie war derart mit Spionieren beschäftigt, dass sie nicht einmal gehört hatte, wie der Wagen vorgefahren war. Daisy schlug mit der Nase schmerzhaft gegen die Scheibe und wirbelte herum.
Flaschengrün, das war die Farbe von Devs Tapeten.
Daisy fühlte sich selbst ziemlich weiß, mit einem Hauch von Grün. Sie winkte schwach in Richtung des Fahrersitzes von Devs Auto. Das war ganz offiziell ›Der Peinliche Moment‹.
»Äh … hallo.«
Er hob die Augenbrauen. »Was machen Sie hier?«
Daisy hatte so gehofft, er würde diese Frage nicht stellen. Hamstergleich wühlte ihr Gehirn nach irgendeiner Antwort, aber das misslang gründlich. Außer sie könnte Dev davon überzeugen, dass sie in ihrer Freizeit tatsächlich für Jehovas Zeugen von Tür zu Tür ging.
Während sie noch zögerte, parkte Dev rückwärts ein. Ärgerlicherweise gelang ihm das in zwei Sekunden, ohne auch nur gegen den Rinnstein oder eines der angrenzenden Autos zu stoßen.
»Nun?«, sagte er, als er auf Daisy zukam.
Na gut, Mr. Profi-Rückwärts-Einparker, wollen doch mal sehen, wie du dich da herauswindest.
»Ich habe mich gefragt, wie weit Ihre Renovierungsarbeiten gediehen sind.«
»Das haben Sie mich schon neulich gefragt.« Dev wartete. »Und ich antwortete Ihnen, so gut wie fertig.«
Trotz der Tatsache, dass er ihr offenbar nicht glaubte, blieb Daisy hartnäckig. »Kann ich mir das Haus einmal ansehen?«
»Warum?«
Verdammt, sie konnte auch gleich mit der ganzen Geschichte herausrücken. »Vor kurzem sagte mir jemand, Sie würden Ihr Haus gar nicht neu streichen lassen. Dieser Jemand meinte sogar, es hätte nie geplatzte Rohre und einen Wasserschaden bei Ihnen gegeben.«
»Ach nein?« Seine Mundwinkel zuckten kurz. »Darf ich fragen, wie dieser Jemand zu einer solchen Schlussfolgerung gelangte?«
Daisy wollte Pam und Brenda da nicht mit hineinziehen. Sie zeigte auf die geparkten Autos in der Straße. »Wo sind Ihre Maler?«
»Sie haben heute früher Schluss gemacht«, sagte Dev. »Sie wollten zu irgendeinem Junggesellenabschied in Cheltenham.«
War das eine Lüge?
»Kann ich mir ihre Arbeit einmal anschauen?«
Er zögerte.
Er log also doch!
»Na gut«, meinte Dev schließlich. »Wenn es Sie glücklich macht.«
Daisy sah zu, wie er den Schlüssel ins Schloss steckte. Ihr Herz pochte etwas schneller. Und als die Haustür aufglitt, traf er sie unvermittelt …