Jedes Nervenende in Taras Körper machte zonggg. Sie wäre am liebsten zwei Meter in die Luft gesprungen, aber Dominic lag ja auf ihr. Sein Gewicht drückte sie auf die schmale Lattenholzbank. Er bewegte keinen Muskel, wie ein Zweijähriger, der glaubt, wenn er die Augen schließt, sich tot stellt und sich nur richtig Mühe gibt, nicht da zu sein, dann würde er auch nicht entdeckt.
Es funktionierte nicht. Augenblicke später wurde Dominic nicht allzu liebevoll an den Schultern gepackt und von der Bank gerissen. Tara, krebsrot und gedemütigt, schoss in eine sitzende Position und zog ihren Uniformrock über die Oberschenkel.
Mein Gott, wie furchtbar.
»Du widerliches, ekliges Flittchen!«, bellte eine zornesrote Frau in einem Brautjungfernkleid aus pfirsichfarbenem Satin. »Was zur Hölle machst du mit dem Verlobten meiner Schwester? Wie kannst du es wagen!«
Völlig entsetzt stammelte Tara: »E-es ist nicht so, wie Sie vielleicht d-denken … so war es überhaupt nicht … « Sie starrte verzweifelt zu Dominic, erwartete, dass er zu ihrer Verteidigung eilen würde.
Aber Dominic schüttelte nur traurig den Kopf, bleich und mit zusammengepressten Lippen. »Jeannie, flipp nicht gleich aus. Sie hat sich einfach hinreißen lassen. Ich habe noch versucht, sie aufzuhalten … Die Sache ist die, wir haben uns vor Jahren mal gekannt. Sie war einfach zu überwältigt, als sie mich wiedersah.«
Angesichts dieser dreisten, unterkieferaushängenden Lüge jaulte Tara auf. »Entschuldige bitte, was soll das denn bitte schön heißen? Du hast mich geküsst!«
»Du Flittchen hast ihn hergebracht«, posaunte Jeannie. »Ich habe aus dem Badezimmerfenster geschaut und gesehen, wie du vorausgegangen bist. Das kam mir seltsam vor, also wartete ich ein paar Minuten, und als ihr nicht zurückgekommen seid, bin ich euch gefolgt. Erst wusste ich nicht, wo ich landen würde, doch dann bog ich um die Ecke und sah dieses Gartenhaus mit den angelaufenen Scheiben. Überraschung, Überraschung: Hier seid ihr also.« Sie gestikulierte angewidert in Richtung Tara, als ob diese mit brandigen Wundmalen übersät wäre. »Mein Gott, du bist wirklich unvorstellbar. Versuchst einen Mann zu verführen, der in eineinhalb Stunden heiraten soll. Hast du auch nur die leiseste Ahnung, wie sich meine Schwester dabei fühlen wird?«
»Jeannie, Jeannie, das kannst du doch nicht tun«, warf Dominic eilig ein. »Du darfst Annabel nichts davon erzählen!«
Zutiefst schockiert jammerte Tara: »Ich habe nicht versucht, ihn zu verführen! Ich schwöre, ich wollte nicht einmal, dass er mich küsst!«
»Hör schon auf, Tara.« Dominic klang mitleidig. »Du machst es nur noch schlimmer.«
»Aber so etwas würde ich nie tun!«, protestierte sie an Jeannie gewandt. »So ein Mensch bin ich nicht.«
Jeannies Oberlippe kräuselte sich verächtlich und ihr Blick wanderte von Taras gequältem Gesicht zu ihrem Dekolleté. Plötzlich wurde Tara klar, dass sie nicht nur verwuschelte Haare und einen lippenstiftverschmierten Mund hatte, sondern dass auch der oberste Knopf ihrer marineblauen Uniform aufgesprungen war. Schon wieder.
Mein Gott, dieser Knopf suchte sich wirklich immer die unpassendsten Momente aus.
Jeannies Stimme troff vor Sarkasmus: »Aber nein, so ein Mensch bist du nicht. In Wirklichkeit bist du eine Nonne.«
»Bitte, du musst mir glauben. Ich schwöre bei Gott, dass ich nichts Unrechtes getan habe. Er ist schuld, nicht ich!«
Daisy lehnte gegen ihren Schreibtisch und war so wütend, dass sie kaum sprechen konnte. Tara tigerte erregt durch das Büro, die Augen waren rot unterlaufen. Daisy kannte Tara zwar erst seit drei Jahren, aber in dieser Zeit waren sie enge Freundinnen geworden, und obwohl man Tara vieles nachsagen konnte, unaufrichtig war sie nicht. Daisy wusste alles über die moralisch zweifelhaften Aspekte von Taras Vergangenheit. Wenn überhaupt, dann war Tara zu naiv und vertrauensselig. Eine Lügnerin war sie ganz sicher nicht.
»Setz dich. Natürlich glaube ich dir.« Taras hektisches Aufund Abwandern verursachte Daisy allmählich Schwindelgefühle. »Aber wir müssen uns eine Lösung überlegen. Annabel weigert sich, ihr Zimmer zu verlassen. Sie besteht darauf, die Hochzeit abzusagen. Verdammt nocheins, warum konnte ihre geistesgestörte Schwester nicht einfach ihre große Klappe halten? Wenn sie davon überzeugt ist, dass du an allem die Schuld trägst, warum musste sie Annabel ihre Beobachtungen brühwarm erzählen? Wenn Dominic unschuldig ist, warum will Annabel die Hochzeit absagen? Mein Gott, wer ist das jetzt schon wieder?« Daisy seufzte, als es erneut an der Tür klopfte.
Bitte lass es nicht die Mutter der Braut sein, dachte Tara voll Sorge. Oder eine Horde zorniger Verwandter, die wie eine Meute Rottweiler scharf auf ihr Blut waren.
Daisy öffnete die Tür, und Tara wären vor Erleichterung beinahe die Sinne geschwunden. Es war der Daunenfedermann, auf den sie vor der Herrentoilette geprallt war und der noch vor kurzem so wunderbar mit ihr geflirtet hatte. Anscheinend hatte er etwas mit der Hochzeit zu tun, was eine gute Nachricht war. Er musste einfach auf ihrer Seite stehen!
Daisy, die sich mit Rugby besser auskannte als Tara, erkannte ihn sofort.
»Ich bin Dev Tyzack.« Er schüttelte Daisys Hand, bevor er Tara mit einem unterkühlten Blick bedachte. »Ich sollte der Trauzeuge auf der Hochzeit sein. Aber jetzt haben wir es mit einem Fiasko zu tun, für das wir eine Lösung finden sollten. Ich nehme an, Sie haben diese Mata Hari hier schon entlassen?«
»Würde es helfen, wenn ich Ihnen das bestätigen würde?«, fragte Daisy.
Seine dunklen Augen musterten sie. »Es wäre zumindest ein Anfang.«
»Ehrlich? Nun, ich habe sie nicht entlassen. Tara hat mir erzählt, was sich wirklich abgespielt hat, und ich glaube ihr. Ihr Freund Dominic scheint mir der Schuldige zu sein.«
»Ach, kommen Sie schon, das können Sie unmöglich ernst meinen. Ich habe sie doch selbst in Aktion erlebt«, schoss Dev Tyzack zurück. »Bei mir hat sie es auch versucht, buchstäblich Sekunden, bevor ihr Blick auf Dominic fiel. Diese Kleine ist weiß Gott kein scheues Reh. Sie wusste, dass Dominic heute hier heiraten wollte. Ich habe mit Dominic gesprochen und er hat mir alles erzählt. Sie hat ihn in dieses Gartenhaus gezerrt und … «
»Das habe ich nicht!«, kreischte Tara. »Ich habe ihn nirgendwohin gezerrt. Er wollte unbedingt mit mir reden und ich dachte, das Gartenhaus wäre am geeignetsten, weil uns dort keiner zusammen sehen und auf die falsche Idee kommen könnte!«
Dev Tyzack meinte gedehnt: »Und das hat ja auch wunderbar funktioniert.«
»Würden Sie bitte mit einem Mitglied meines Personals nicht in diesem Tonfall sprechen?« Daisy hatte Mühe, sich zu beherrschen.
»Wäre es Ihnen lieber, ich würde so sprechen, wie mir wirklich zumute ist?«, brauste er auf.
»Das ist nicht fair!« Taras Stimme schoss eine weitere Oktave nach oben. »Ich habe nichts Unrechtes getan! Es war Dominics Schuld, nicht meine. Er hat mir gesagt, wie sehr er mich liebt und dass ich perfekt sei, und dann hat er sich auf dieser Bank einfach auf mich geworfen. Ich hatte keine Ahnung, dass er mich küssen wollte … ich wollte nicht, dass er mich küsst … «
»Aber immerhin haben Sie es fertiggebracht, ihm Ihren BH zu zeigen.« Dev Tyzack täuschte Überraschung vor. »Denselben, den Sie keine zehn Minuten zuvor mir präsentiert haben. Diesen BH müssen mehr Menschen gesehen haben als die Oscar-Verleihung.«
»Der Knopf an meiner Uniform ist locker«, rief Tara. »Er springt ständig auf.«
»Es tut mir Leid.« Mit eisiger Stimme wandte sich Daisy an Dev Tyzack. »Sie verhalten sich nicht gerade hilfreich. Ehrlich gesagt, ist Ihr Verhalten absolut abscheulich. Wenn wir eine Lösung finden wollen, müssen wir ruhig bleiben und aufhören, meine Belegschaft zu beschuldigen. Soweit es mich betrifft, trägt Ihr Freund Dominic die Schuld. Ist Ihnen je in den Sinn gekommen, sein Verhalten infrage zu stellen?«
O Gott, dachte Tara entsetzt. Daisy platzt gleich der Kragen. Ihre Augen funkelten vor Zorn, sie hatte die Fäuste geballt und sah aus, als wolle sie ihm gleich eine kleben.
Dieser Gedanke war offensichtlich auch Dev Tyzack gekommen. Ein höhnisches Lächeln verzog seine Mundwinkel. Und eben diesen Mund hatte Tara noch vor kurzem so attraktiv gefunden. Tja, jetzt nicht mehr.
»Keine besonders professionelle Aussage für die Geschäftsführerin eines Hotels, oder?«
»Mag sein«, konterte Daisy, »aber ich bin eben ehrlich. Wenn Sie schon abscheulich sein wollen, dann möchte ich Ihnen auch sagen, dass Sie abscheulich sind.«
»Machen Sie sich gar keine Sorgen, dass Sie sich möglicherweise einen neuen Job suchen müssen?« Dev Tyzack hob spöttisch die Augenbrauen.
»Ich kann Ihnen versichern, dass ich wegen dieser Sache nicht gefeuert werde. Ich habe die volle Rückendeckung des Eigentümers.«
»Wirklich? Was für ein Glück. Darf ich fragen, wer der Eigentümer ist?« Er ließ seinen Blick zu einem gerahmten Foto auf dem Schreibtisch wandern und heuchelte Überraschung. Das Foto zeigte Daisy als Teenager, lachend zwischen ihren Eltern. Die drei hatten Silvester auf den Cayman-Inseln verbracht, sonnengebräunt und vor Gesundheit strotzend. Es war Daisys Lieblingsfoto. »Ach, ich sehe schon, der Besitzer des Hotels ist Hector MacLean und zufällig ist er Ihr Vater«, spottete Dev Tyzack. »Jetzt ist mir auch klar, wie Sie an diesen Job gekommen sind.«
Tara ertrug es nicht länger. Ihr Magen drehte sich wie ein Wäschetrockner. Sie war unschuldig, aber sie fühlte sich schuldig.
Daisy sah dagegen von Sekunde zu Sekunde mordlüsterner aus. Auf ihrem Schreibtisch lag ein riesiger Brieföffner aus Messing, ganz zu schweigen von dem mörderischen Hefter, der wie eine Kalaschnikow Heftklammern ausspucken konnte.
Tara betete, dass Daisy nicht zu dieser tödlichen Waffe greifen würde. Sie presste eine Hand auf den Mund und murmelte: »’tschuldigung, ich glaube, ich muss mich übergeben.« Dann hastete sie zur Tür.
Auf dem Weg aus dem Büro entdeckte sie Dominic in der Bar. Er stand vor dem Kamin, einen Drink in der Hand.
Tara marschierte mit feuchten Handflächen auf ihn zu. Der einzige andere Mensch in der Bar war Rocky, der hinter der Theke Gläser polierte und ein ›Besser dich als mich‹-Gesicht schnitt, als ihm klar wurde, dass sie Dominic zur Rede stellen wollte.
»Mein Gott, was willst du denn?« Dominic sah bei ihrem Anblick keineswegs erfreut aus. Das zärtliche Gesäusel von vor zwanzig Minuten war nur noch eine blasse Erinnerung.
Tara hatte nichts dagegen.
»Du hast gelogen.« Sie kam gleich zur Sache. »Du hast behauptet, ich hätte mich dir an den Hals geworfen.«
Auf seiner Oberlippe glänzte ein Schweißfilm. Er umklammerte den Scotch in seiner Hand so fest, dass es einem Wunder gleichkam, warum das Glas noch nicht zersprungen war.
»Natürlich habe ich gelogen. Was hättest du in meiner Lage getan?« Er sprach leise.
Na gut, dachte Tara, der Einwand hat etwas für sich.
»Du hast also nichts von dem, was du sagtest, so gemeint?«
»Ich wollte jedenfalls nicht, dass es so endet! Mein Gott, ich kann es nicht glauben … das ist mein gottverdammter Hochzeitstag!«
Tara holte tief Luft. »Willst du Annabel etwa immer noch heiraten?«
Er drehte sich um und sah sie an, als wäre sie eine ansteckende Krankheit. »Hast du einen Sprung in der Schüssel? Selbstverständlich will ich sie noch heiraten! Aber sie ist oben, hat einen Anfall und weigert sich, mich zum Mann zu nehmen … Herr im Himmel, womit hab ich das verdient? Es ist so gottverdammt ungerecht.«