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24. April, 19:45 CAT
Belka-Insel, Demokratische Republik Kongo

Tucker schwamm das letzte Wegstück durch den dunklen Fluss. Die Mondsichel und die dunstverhangenen Sterne spendeten nur wenig Licht. Doch es reichte aus, um sich zu orientieren, zumal mit der DARPA -Brille im Nachtsichtmodus. Sie verstärkte die Wärmestrahlung und durchdrang Staub und Rauch.

Er musste davon ausgehen, dass der Gegner den Fluss mit ähnlicher Ausrüstung beobachtete. Deshalb verbarg er den Kopf hinter einem Stück Holz, das er in den Fluss gewälzt hatte, und ließ sich stromabwärts auf die Insel zutreiben. Das Holzstück sorgte auch für Kanes Deckung, dessen schwimmfähige Weste ihm Auftrieb gab, sodass er lediglich mit den Beinen paddeln musste. Kane hatte damit Erfahrung und vermied selbst den kleinsten Wasserspritzer.

Tucker schwamm langsam neben seinem Partner her und passte sein Tempo der Strömung an. Er behielt die Insel und gleichzeitig das spiegelglatte Wasser im Auge. Er wusste nicht, ob es hier Krokodile oder Flusspferde gab. Letztere waren die wahren Haie dieser Gewässer, ebenso gefährlich wie schnell. Dies war der Grund, weshalb er so langsam schwamm, denn er wollte sie nicht auf sich aufmerksam machen.

Als er das schlammige, algenbewachsene Ufer unter den bloßen Füßen spürte, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus. Der Wald ragte trotz der lichtverstärkenden Brille vor ihm auf wie eine schwarze Wand. Er ließ das Holzstück los und stieß es weg. Es entfernte sich und trieb in der Strömung davon.

Tucker duckte sich und lauschte eine Weile, dann kletterte er ins dichte Gebüsch. Kane folgte ihm. Die Stelle hatte er vor Sonnenuntergang ausgewählt, weil der Wald auf der dem Pier abgewandten Seite der Insel besonders dicht war. Vermutlich waren hier auch weniger Männer postiert als am Pier.

Tucker bewegte sich vorsichtig und achtete darauf, wohin er trat und woran er streifte, denn abgesehen von der Brille und dem Matsch, den er sich zur Tarnung aufs Gesicht geschmiert hatte, trug er lediglich triefnasse Boxershorts am Leib. Nach einer Minute stieß er auf einen Windbruch, der ihm Deckung gab. Er nahm den wasserdichten Rucksack ab. Während Kane Wache hielt, zog er Stiefel und trockene Klamotten an – wenngleich trocken in Anbetracht seines Schweißausstoßes ein relativer Begriff war.

Außerdem schob er die Desert Eagle ins Gürtelholster. Bewaffnet und frisch bekleidet, kam er sich gleich erheblich weniger verletzlich vor. Außerdem überprüfte er die drei Schaumstoffbehälter im Rucksack. Darin verpackt war die zusätzliche Bewaffnung, die Sigmas Direktor ihm mitgegeben hatte: Blend-, Rauch- und normale Handgranaten.

Anschließend wandte Tucker sich seinem Partner zu. Kane fixierte den Wald, bei jedem Rascheln oder Knacken verdrehte er die Ohren. Tucker klappte die Kamera aus dem Reißverschlussfach der Weste hoch und justierte sie. Außerdem befestigte er einen von ihm selbst entworfenen Gurt an der Weste. Er überprüfte die Antenne und vergewisserte sich, dass der Akku vollständig geladen war.

Dann setzte er sich auf die Hacken und lächelte, doch seine Anerkennung galt nicht der Ausrüstung, sondern dem Hund, der sie trug.

Wer ist mein hübscher Junge?

Als hätte er seine Gedanken gelesen – was er vielleicht tatsächlich getan hatte –, wedelte Kane mit dem Schwanz und stupste Tucker mit der Nase gegen die Brust.

»Du kannst es gar nicht erwarten, hab ich recht?«, flüsterte er.

Das Schwanzwedeln wurde heftiger.

»Dann wollen wir mal beim Nachbarn anklopfen.«

20:02

Charlotte blickte Frank im Labortrakt der Krankenbaracke über die Schulter. Der Assistent des Virologen hatte soeben den Aufbau der Geräte abgeschlossen, welche die Entführer aus dem Labor mitgebracht hatten. Frank saß derweil vor einem Laptop, auf dem bioinformatische Software lief. Seine Stirn war faltenzerfurcht.

Charlotte hatte die Arme verschränkt und kam sich nutzlos vor. Jameson saß im Hintergrund vor einer Patientenakte, doch sein gesenkter Kopf, der hin und wieder hochruckte, deutete darauf hin, dass er am Einnicken war. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Auch sie war erschöpft. Selbst Disanka und ihr Säugling schliefen. Trotzdem blieb Charlotte wach, denn sie wollte so viel wie möglich in Erfahrung bringen, solange der bâtard Ngoy sich kooperativ zeigte.

Auch Frank war anscheinend entschlossen mitzuspielen. Sie brauchten Lösungen, die ganze Welt wartete darauf. Vermutlich dachte auch er an die große Raubkatze im Vivarium, ein Wesen, das vom Virus möglicherweise im Uterus verändert worden war. Er hatte um die Genomkartierung gebeten, und Ngoy hatte sie auf Franks Laptop überspielt.

Seit einer halben Stunde analysierte Frank die Säulen und Balken, welche die DNA des Tieres darstellten, und verglich die Abfolge der Nukleotidbasen A, C, G und T mit dem genetischen Code eines normalen Gepards. Das Forschungsteam hatte den kleinen Prozentsatz der Fremdgene markiert.

Frank führte den Zeigefinger an die Lippen und betrachtete die einzelnen Abweichungen.

Charlotte hatte noch immer Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass einige wenige Abweichungen so dramatische Veränderungen bewirkt haben sollten. Sie staunte darüber, dass winzige genetische Modifikationen perfekte phänotypische Merkmale hervorgebracht hatten: längere Eckzähne, muskulöseren Körperbau und Gift produzierende Zellen anstelle der Drüsen, die normalerweise Duftstoffe absonderten.

Diesem Mysterium ging Frank gerade nach.

»Die Antwort muss da drin zu finden sein«, murmelte er vor sich hin. »Ich verstehe nicht, wieso das Virus so tiefe Taschen hat.«

Charlotte rückte näher. Als Ärztin wusste sie eine Menge über Viren, war auf dem Gebiet aber weniger beschlagen als der Virologe. Trotzdem wollte sie ihm helfen, und sei es auch nur als Sparringspartner für seine Ideen.

»Was meinen Sie mit ›tiefe Taschen‹?«, fragte sie.

Frank deutete auf die markierten DNA -Abschnitte. »Der veränderte genetische Code des Gepards wurde präzise in die DNA eingefügt. Die Fragmente sind so perfekt verbunden, als wären sie dorthin dirigiert worden. Vielleicht ist dieses alte Virus schon seit Jahrtausenden als Taschendieb aktiv, sammelt Gene von zahllosen Spezies und bildet die Evolution des Lebens auf diesem Planeten nach, indem es einen Teil des weiterentwickelten Codes in seiner eigenen DNA speichert. Trotzdem ergibt das keinen Sinn.«

Charlotte erinnerte sich an eine ähnliche Bemerkung, die Frank im Vivarium gemacht hatte. »Warum nicht?«

»Das Omnivirus ist zwar groß, verfügt aber trotzdem über lediglich zweitausend Gene.«

Frank hatte dem Virus inzwischen einen Namen gegeben. Omnivirus . In Anbetracht der Tatsache, dass es alle Lebensformen infizieren konnte, war die Bezeichnung passend.

»Statistisch betrachtet«, fuhr er fort, »ist es äußerst unwahrscheinlich, dass dieses Ding diese speziellen Gene rein zufällig in das Genom des Gepards eingebaut hat. Und das ist lediglich eine Spezies. Was ist mit den Veränderungen bei den Treiberameisen? Oder den Pavianen? De Coster zufolge haben seine Jäger in den vergangenen Wochen noch andere genetisch veränderte Tiere gefangen. Wie konnte das Omnivirus all diese perfekt adaptierten Gene zur Verfügung stellen?«

Charlotte begriff allmählich, worauf er hinauswollte. »Sie haben recht. Das ist unmöglich.«

Frank seufzte genervt.

Charlotte blickte zu Ngoy hinüber, der sich mit den anderen Ärzten über die Geräte beugte. Sie senkte die Stimme. »Diesem Mistkerl zufolge hat sein Forschungsteam die zweitausend Gene des Omnivirus bereits kartiert. Wenn das Virus seine eigenen Gene in die DNA des Gepards transferiert hat, sollte man sie dort wiederfinden. Richtig?«

Frank nickte. »Das stimmt. Dr. Ngoy hat mir das Ergebnis der Genomanalyse bereits zur Verfügung gestellt. Mal sehen, was meine Software rausbekommt.«

Seine Finger flogen über die Tasten und Trackpads. Fenster öffneten und schlossen sich. Auf der einen Hälfte des Displays scrollten Nukleinbasen, die teilweise rot oder blau markiert waren. Schweigend arbeitete er zehn Minuten lang – dann lehnte er sich kopfschüttelnd zurück.

»Das ergibt noch weniger Sinn«, murmelte er.

Inzwischen hatte sich Monk, sein stämmiger Assistent, zu ihnen gesellt. »Frank, wieso sehen Sie so aus, als wäre Ihnen eine Laus über die Leber gelaufen?«

»Die neuen Gene des Gepards.« Frank sah sich um. »Sie kommen nicht im Virus vor.«

Charlotte runzelte die Stirn. »Wie kann das sein?«

»Ich habe Teilstücke des genetischen Codes gefunden, aber die sind über das gesamte Virengenom verteilt. Sie sind nicht intakt. Man könnte meinen, das Omnivirus verfüge über sämtliche Zutaten – Mehl, Zucker, Hefe – und habe aus disparaten Teilen die speziell für den Gepard passenden Gene gebacken.«

»Sind Viren dazu imstande?«, fragte Monk.

»Vielleicht. Ich weiß es nicht, aber vor ein paar Jahren haben französische Forscher herausgefunden, dass das Mimivirus, ein anderes Riesenvirus, eine eigene CRISPR -ähnliche Technik entwickelt hat, um sich zu verteidigen.«

»CRISPR ?« Charlotte hatte von dem Werkzeug schon gehört. Genetiker benutzten es zum Editieren des Genoms. Es war so präzise, dass man damit eine einzelne Nukleinbase aus dem DNA -Code heraustrennen und durch eine andere ersetzen konnte. »Das ist möglich? Viren können ihr Genom selbst editieren?«

»Das Mimivirus kann es jedenfalls. Übrigens wurde die CRISPR -Technik bei Bakterien entdeckt. Erst dann wurde die Methode fürs Labor angepasst. Man hat sie vom Bakterium übernommen.«

Monk war blass geworden. »Dann glauben Sie also, das Omnivirus betreibe seine eigene Editier-Werkstatt?«

»Wie gesagt, wenn es ums Überleben geht, würde ich bei einem Virus nichts ausschließen.« Frank rieb sich mit den Fingerknöcheln zwischen den Brauen, als habe er Kopfschmerzen. »Besonders bei Riesenviren. Wir wissen so wenig über sie. Nehmen wir zum Beispiel das Yaravirus. Dieser Riese wurde 2003 entdeckt. Bislang wurde noch kein einziges Gen dieser Spezies identifiziert. Es ist anders als alles, was bislang bekannt ist.«

»Was wohl auch weitgehend auf die DNA des Omnivirus zutrifft«, bemerkte Monk.

Charlotte dachte an Franks Beschreibung des Virus. »Vielleicht sind das nicht einmal Gene «, sagte sie.

Frank runzelte die Stirn, bedeutete ihr aber mit einem Nicken, sie solle fortfahren. »Worauf wollen Sie hinaus?«

»Vielleicht ist das ganze Genom des Omnivirus – oder jedenfalls ein großer Teil davon – eine Art Vorratskammer für die Zutaten, ein Lager für genetisches Rohmaterial, das auf seinen Einsatz wartet.«

»Aber zu welchem Zweck?«, fragte Monk. »Welche Absicht steht dahinter?«

»Ich verstehe das Virus nur ansatzweise, aber ich kann die Frage beantworten.« Frank wandte sich zu ihnen um. »Es will überleben und Bedrohungen ausschalten. Auf jeden Fall scheint es in der Lage zu sein, die Natur in einen wilderen, gefährlicheren Ort zu verwandeln.«

»Während es uns schwächt, indem es uns benommen macht und einschläfert.« Charlotte ließ den Blick durch die Krankenstation schweifen.

»Vielleicht tut es das absichtlich«, sagte Frank. »Es gibt andere Beispiele für Krankheitserreger, die eine merkwürdige Dynamik zwischen Raubtier und Beute erzeugen. Zum Beispiel der Protozoenparasit Toxoplasma. Er infiziert Katzen, aber wenn er auf deren Beute, also vornehmlich Nagetiere, übergeht, übt er eine seltsame neurologische Wirkung aus. Ratten und Mäuse werden fügsamer, haben weniger Angst vor Raubtieren und werden leichter zur Beute.«

»Sie glauben, hier könnte es sich ähnlich verhalten«, sagte Monk.

»Vielleicht wurden die Prionenstacheln, die das Virus abstößt, absichtlich so designt, dass sie Tiere mit höherer Intelligenz und größeren Gehirnen ausschalten, da diese das größte Risiko für das Überleben des Virus darstellen. Während sie alle anderen Tiere gefährlicher machen.«

Monk nickte. »Das perfekte Instrument, um die Spezies auszulöschen, von der die größte Bedrohung ausgeht.«

»Womit wir gemeint sind«, setzte Charlotte hinzu.

Dunkelheit senkte sich herab, und aus dem nächtlichen Dschungel schallten Geheul und laute Rufe.

Es ist, als wollte sich die Natur gegen uns wenden.

Frank hatte anscheinend die gleiche Sorge. »Ich verstehe nicht mal ansatzweise, wie diese Dynamik zustande gekommen ist«, sagte er. »Aber wenn es zu Störungen kommt, strebt Mutter Natur immer danach, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Häufig geschieht dies durch ökologischen oder evolutionären Wandel, aber auch durch Populationskontrolle.«

Er blickte vielsagend in die Runde.

»Das wäre nicht das erste Mal«, sagte er. »Unser Eindringen in stabile Umweltmilieus – Straßenbau im Dschungel, Waldrodung – hat die schlimmsten Seuchen ausgelöst. Malaria, Gelbfieber, Ebola. Auch HIV stammt aus dem kongolesischen Dschungel, tauchte vermutlich zwischen 1902 und 1921 erstmals auf und verbreitete sich entlang der Handelsrouten.«

»In anderen Worten«, sagte Monk, »man sollte sich mit Mutter Natur nicht anlegen.«

Frank nickte. »Sonst beißt sie einen in den Hintern.«

Charlotte blickte zur Krankenstation. Sie konnte nicht ausschließen, dass Frank hinsichtlich des Ursprungs des Virus recht hatte, doch sie spürte, dass ihnen ein wichtiges Puzzleteil bislang entgangen war. Vermutlich würden sie hier auch nicht weiterkommen. Wenn es eine Antwort gab, war sie im Dschungel zu finden.

»Im Moment«, sagte sie, »sollten wir uns vielleicht besser darauf konzentrieren, den Menschen hier auf der Station und im gesamten Kongo zu helfen. Als Erstes müssen wir ein Heilmittel oder wenigstens eine Behandlungsmethode finden.«

Monk rückte näher und flüsterte: »Nein. Zuallererst müssen wir von der Insel wegkommen.«

Charlotte wusste, dass er recht hatte. Sie hatte wenig Vertrauen zu Ngoy und seinem Team und noch weniger zu Nolan De Coster. Sie blickte Franks Assistent an und bemerkte das Funkeln in seinen Augen. Seine unterwürfige Fassade hatte sich verflüchtigt und unnachgiebiger Entschlossenheit Platz gemacht. Auf einmal hatte sie das Gefühl, neben einem eingesperrten Löwen zu stehen.

Sie ahnte, dass er kein gewöhnlicher Assistent war.

Wer zum Teufel ist der Mann?

20:28

Tucker lag im Farn am Rand eines kleinen Außenpostens aus der Kolonialzeit. Er betrachtete die verfallenen Gebäude mit den verrosteten Blechdächern und von Schlingpflanzen überwucherten Wänden. In ihrer Mitte stand eine weiß getünchte Kirche. Aus der Luft hätte man sich leicht täuschen können. Es gab bestimmt viele solche alten Siedlungen, längst aufgegeben und vom Dschungel verschluckt.

Dieser Außenposten war jedoch kürzlich renoviert worden – zumindest galt das für einige Außengebäude wie zum Beispiel das zweistöckige Gästehaus neben der Kirche. Dann war da noch der neue Pier, der an der gegenüberliegenden Seite in den Flusslauf ragte.

Er und Kane hatten die Siedlung bereits umrundet. Sie waren langsam vorgerückt, Patrouillen ausgewichen und hatten auf das Sirren und Trappeln der Q-UGV s gelauscht. Die Patrouillen bestanden entweder aus zwei Männern oder einem Mann und einem Roboterhund. Der Gegner machte sich nicht die Mühe, sich zu verstecken. Die Wachleute unterhielten sich, scherzten und lachten. Ihr Verhalten ließ darauf schließen, dass sie mit keinem Überraschungsangriff rechneten. Vermutlich schützten sie die Siedlung vor einem noch geräuschvolleren Gegner, möglicherweise vor einem Überfall durch Milizen oder Guerillakämpfer.

Für Tucker war das von Vorteil. Er hatte den Außenposten komplett umrundet, ohne bemerkt zu werden. Bevor er etwas unternahm, wollte er sich ein Bild von den örtlichen Gegebenheiten machen. Am Pier lagen fünf schlanke Boote sowie mehrere Jetskis, sogar eine Sechzig-Fuß-Jacht, die aussah wie ein Kanonenboot. Die kleine Flotte wurde von einem mit Sandsäcken geschützten Unterstand am Waldrand aus bewacht. Ein schweres russisches Maschinengewehr vom Typ Kord, Kaliber 12,7 Millimeter, war auf die Anlegestelle gerichtet.

Ein einzelner Wächter lungerte dort herum und rauchte eine Zigarette. Da er den Fluss im Blick hatte, bekam er nicht mit, dass Tucker und Kane hinter ihm vorbeischlichen. Wie Tucker vermutet hatte, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Wachleute und der Patrouillen auf die Inselseite mit dem Pier. Als das klar war, befahl er Kane, im Wald zu warten, dann kehrte er in weitem Bogen zu der dunkleren, weniger gut bewachten Seite des Außenpostens zurück.

Zwei Fragen warteten noch auf eine Antwort.

Bin ich hier richtig? Sind die Entführten tatsächlich hier?

Bei seinem Erkundungsgang hatte er ständig die Siedlung im Auge behalten. Sie wurde von ein paar Natriumdampflampen und einem Lagerfeuer in der Mitte des zentralen Platzes spärlich erhellt. Die Nachtsichtbrille hellte den Schatten jedoch auf. Monk oder Frank hatte er bislang nicht gesehen. Vielleicht hatte man sie für die Dauer der Nacht auch in einer Zelle eingesperrt.

Tucker konzentrierte sich vor allem auf zwei der Gebäude. Bei einer Wellblechbaracke gingen Männer in weißen Laborkitteln ein und aus. Von Painter wusste er, dass die Entführer Franks Laborausrüstung mitgenommen hatten. Das deutete darauf hin, dass sie es auf die Expertise des Virologen abgesehen hatten, und wenn in der Baracke ein Labor untergebracht war, hielt Frank sich vielleicht darin auf.

Das andere Gebäude war das alte Gästehaus. Dem ständigen Kommen und Gehen nach zu schließen, war dies das Hauptquartier des Außenpostens. Leider konnte er nicht beide Gebäude gleichzeitig im Auge behalten. Deshalb hatte er so nahe wie möglich beim Gästehaus Stellung bezogen. Kane hatte er befohlen, an der anderen Seite des Geländes zu warten. Seine Kamera war auf die Laborbaracke gerichtet. Wegen des Störsenders flackerte das Bild jedoch immer wieder oder fiel ganz aus. Vermutlich benutzte der Gegner für die Kommunikation mit den Roboterhunden eine verschlüsselte Frequenz.

Im Moment war die Übertragungsqualität einigermaßen stabil.

Jetzt brauchen wir nur noch zu warten …

Es missfiel ihm, dass sein Partner nicht bei ihm war, doch er fühlte sich ihm trotzdem nah. Er hatte Kanes Atem im Ohr und hörte das Rascheln des Laubs, wenn sein Partner die Haltung verlagerte. Durch die Kamera sah er sozusagen mit Kanes Augen. Dank der engen Verbindung konnte Kane ihn vorwarnen.

Er knurrte, es war ein leises Grollen.

Tucker konzentrierte sich auf die Videoübertragung, die in die Nachtsichtbrille eingeblendet wurde. Mehrere Personen traten aus dem Eingang der Wellblechbaracke. Alle trugen blaue Kittel und wurden von einem hochgewachsenen kongolesischen Soldaten mit Gewehr bewacht. Trotz der Entfernung erkannte Tucker seinen Freund Frank. Kane knurrte erneut. Auch er hatte den Tierarzt erkannt, der ihn während seiner Dienstzeit bei der Army betreut hatte.

Die Gruppe gelangte rasch außer Sicht. Tucker hielt den Atem an. Dann tauchte sie auf dem Platz wieder auf, beleuchtet vom Lagerfeuer. Da sie ihm jetzt näher war, machte Tucker Monk aus, dessen rasierter Schädel im Feuerschein glänzte. Außerdem waren da noch eine junge Frau, das dunkle Haar zum Pferdeschwanz gebunden, und ein älterer grauhaariger Mann mit Kinnbart. Painter hatte Tucker Fotos der beiden vermissten UN -Ärzte gezeigt.

Das müssen sie sein.

Der Kongolese geleitete die Gruppe zum zweistöckigen Gästehaus, womit er Tuckers Verdacht bestätigte, dass darin das Hauptquartier des Außenpostens untergebracht war.

Dort werden sie wohl die Nacht über eingesperrt.

Er wartete, bis alle im Haus verschwunden waren, dann zählte er volle drei Minuten ab. Er wollte, dass die Gruppe beisammen war. Sein Plan basierte auf perfektem Timing.

Schließlich übermittelte er Kane leise seine Befehle. »Bravo-Muster. ACHTUNG . « Vorsichtshalber zählte er weitere zwanzig Sekunden ab. »LOS