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24. April, 20:32 CAT
Belka-Insel, Demokratische Republik Kongo

Als die Zellentür hinter ihnen klirrend zufiel, unterdrückte Monk ein Gähnen. Er musterte die kahlen Wände aus Betonblocksteinen, registrierte die vergitterten Fenster und die Pritschen an der einen Wand. Gemütlich.

Die beiden UN -Ärzte gingen zu den ungemachten Schlafplätzen. Offenbar hatten sie hier bereits eine Nacht verbracht. Frank machte ein finsteres Gesicht.

Monk blickte sich zu dem zernarbten kongolesischen Soldaten um, einem ehemaligen Leutnant namens Ekon. »Wie wär’s mit Abendessen?«, rief er durch die Gitterstäbe der Tür. »Es war ein langer Tag.«

Der Mann grinste höhnisch und sperrte die Tür ab.

Monk näherte sich ihm, als wollte er sich beschweren, doch eigentlich wollte er lediglich einen Blick in den Gang werfen. Er registrierte die beiden an der Wand montierten Kameras. Die eine war zur Tür ausgerichtet, die andere wies in den Flur. Mikrofone sah er keine, doch vermutlich übertrugen die Kameras auch den Ton. Sie mussten die Stimme senken, wenn sie sich unterhielten.

Als Monk sich abwandte, knallte es draußen, gar nicht weit vom Gebäude. Dann knallte es wieder. Und noch einmal. Alle erstarrten. Es klang nach Feuerwerkskörpern, doch der angespannten Haltung ihres Bewachers nach zu schließen, feierte der Kongo seinen Unabhängigkeitstag jedenfalls nicht heute.

Im nächsten Moment hörten sie aufgeregte Rufe.

Die Siedlung wird angegriffen.

Monk überlegte rasch. Es konnte sich um einen Guerillaangriff handeln, doch der Zeitpunkt machte ihm Hoffnung. Er fasste einen Entschluss, obwohl ihm klar war, dass er ihr aller Leben in Gefahr brachte.

Er trat vor die Tür und packte die Gitterstäbe. »Was ist da los?«, rief er und tat verängstigt, als es abermals knallte.

Ekon war vor der Tür in die Hocke gegangen, hatte das Gewehr angelegt und zielte in den Gang hinein. »Zurück in die Zelle!«, erwiderte er zornig.

Monk gehorchte und wich von der Tür zurück. Zuvor hatte er die Prothese gelöst und an den Gitterstäben zurückgelassen – unmittelbar über dem Schloss.

Er wandte sich an seine Begleiter. »Tun Sie, was er sagt! An die Wand!«

Er versetzte Jameson einen Stoß. Frank hatte mitbekommen, wie dringlich es war, und zerrte Charlotte mit sich. Die französische Ärztin starrte so entsetzt auf Monks abgetrennte Hand, als hätte sie nicht bemerkt, dass es sich um eine Prothese handelte.

Und das ist noch nicht alles .

Monk gab einen Code in die Magnetverbindung ein, die normalerweise die Prothese fixierte. Dann drückte er auf den letzten Kontaktpunkt und zeigte auf den Boden. »Hinlegen! Sofort!«

Das in der Handfläche der Prothese versteckte C4 detonierte mit einem ohrenbetäubenden Knall. Der Blitz blendete sie. Die Druckwelle warf alle zu Boden.

Mit Ausnahme von Monk.

Er hatte sich gewappnet und sich breitbeinig hingestellt. Durch die heiße Qualmwolke hindurch näherte er sich der Tür. Der Sprengstoff hatte das Schloss zerstört und die Tür aus den Angeln gerissen.

Ekon lag am Boden, möglicherweise hatte ihn die Tür getroffen. Doch er war ein zäher Bursche und rappelte sich bereits wieder hoch.

Monk rammte ihm den Stiefelabsatz gegen die Nase. Der Knochen knackte zufriedenstellend. Der Mann ging wieder zu Boden – diesmal bewusstlos.

»Beeilung!«, rief Monk den anderen zu.

Die Ärzte wirkten benommen, doch Frank trieb sie zur Eile an.

Monk nahm dem Soldaten das Schnellfeuergewehr ab und warf es Frank zu. Für diese Waffe brauchte man zwei Hände. Er erleichterte Ekon um seine Pistole, eine schwarze, teilverchromte Browning HP . Prüfend wog er sie in der Hand.

Die dürfte es tun.

Frank checkte das Gewehr, dann nickte er Monk zu.

Monk wandte sich an die beiden Ärzte. »Bleiben Sie in unserer Nähe. Heften Sie sich an unsere Fersen. Verstanden?«

Jameson glotzte bloß. In dem Durcheinander hatte er seine Brille verloren. Charlotte war leichenblass, nickte aber.

Sie traten auf den Flur.

Mal sehen, wer uns da besuchen kommt.

20:37

Im Schutz des dunklen Waldes schleuderte Tucker zwei Nebelgranaten in den Außenposten. Fünf Sekunden später detonierten sie mit einem dumpfen Knall. Weißer Nebel stieg zum Blätterdach hoch. Der stromabwärts wehende Wind drückte ihn in die Siedlung.

Tucker rückte im Schutz der Wolke vor.

Nachdem es im Gästehaus geknallt hatte, wollte er nicht länger warten.

Was ist da los?

Als er den Wald hinter sich ließ, behielt er Kanes Position im Auge. Auf seinen Befehl hin lief sein Partner im Zickzack durch den Dschungel an der anderen Seite der Siedlung. Kane sollte für Ablenkung sorgen, während Tucker sich dem Gästehaus näherte. Zu diesem Zweck hatte Tucker ein paar Blend- und Handgranaten an Kanes Patronengurt angebracht. An der Kevlarweste ließen sich ein Dutzend Granaten befestigen, die Tucker über Funk lösen konnte. Sie fielen auf den Boden, während Kane weiterlief. Da die Verzögerung fünfzehn Sekunden betrug, hatte Kane ausreichend Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, bevor sie detonierten.

Kane lief unermüdlich umher und verbreitete Chaos. Das Schwanken der Kamera war verwirrend, doch Tucker vertraute darauf, dass Kane auf seine Deckung achten würde. Der Hund verstand es, sich unsichtbar zu machen. Und die Patrouillen würden eher nach Guerillakämpfern oder anderen Bewaffneten suchen – nicht nach einem flüchtigen Gespenst.

Im Schutz der Nebelwolke lief Tucker an einer Reihe kleiner Außengebäude entlang. Mit der Desert Eagle zielte er beidhändig nach vorn. Als er das Gästehaus erreichte, hatte sich der Nebel bereits ein wenig gelichtet. Geduckt rannte er die Treppe zur Veranda des Gebäudes hoch.

Ein Ruf und das Knallen von Schüssen ließen ihn innehalten.

Vor ihm flog die Tür auf. Ein Soldat in Kakiuniform stürzte rückwärts auf die Veranda, getroffen von mehreren Gewehrkugeln. Er taumelte die Treppe herunter und brach vor Tuckers Füßen tot zusammen.

Tucker wich zurück, als zwei Männer in blauen Kitteln aus der Tür traten.

»Frank und Monk«, knurrte Tucker, der sie um ein Haar für Gegner gehalten hätte.

Monk stapfte die Treppe herunter und schaute sich um, offenbar in der Hoffnung, weitere Befreier zu entdecken. Dann schickte er sich in die Lage. »Tucker, wie sieht der Plan aus?«

»Unsere Ärsche hier rausschaffen.«

»Geht in Ordnung.«

Tucker wandte sich um und zeigte zur Kirche. »Da lang.«

20:39

Charlotte kämpfte gegen Herzklopfen und eine drohende Lähmung an, die nichts mit einer Vireninfektion zu tun hatten. Sie wusste, sie musste in Bewegung bleiben.

Am Fuß der Treppe hielt sie kurz inne und hob die Pistole des toten Soldaten auf. Den Umgang mit Waffen hatte sie in ihrer Jugend gelernt, als sie mit ihrer Familie in der angrenzenden Republik Kongo lebte. Niemand ging dort unbewaffnet in den Dschungel.

Monk quittierte das Einsammeln der Waffe mit einem anerkennenden Nicken.

Im Gänsemarsch setzten sie sich in Bewegung. Tucker – der Mann, der sie gerettet hatte – übernahm die Führung. Den Detonationen und Rufen im Wald nach zu schließen, war er nicht allein. Hoffentlich war das Rettungsteam zahlreich genug, um sie in Sicherheit zu bringen.

Sie umgingen die Kirche und hielten sich im Schatten. Tucker schleuderte vorsichtshalber mehrere Nebelgranaten. Ihr dumpfer Knall blieb unbemerkt. Der Nebel verdichtete die Dunkelheit und gab ihnen Deckung. Trotzdem kam Charlotte sich vor wie ein Blatt im Wirbelsturm. Jedes Mal, wenn es im Wald knallte, schreckte sie zusammen.

Sie erreichten wohlbehalten die Forschungsbaracken. Niemand war zu sehen. Die Wissenschaftler hielten sich vermutlich versteckt.

Tucker hob den Arm und ließ die Gruppe anhalten. »Bleiben Sie hier«, zischte er, dann rückte er allein vor.

Sie hockte sich zu den anderen, blickte zur Krankenstation und dachte an Disanka, deren Kind und das Versprechen, das sie ihr gegeben hatte.

Sie stupste Monk an. »Die Patienten. Wir dürfen sie nicht zurücklassen.«

»Keine Zeit«, entgegnete er mit gequälter Miene. »Die meisten können nicht mal mehr aus eigener Kraft laufen.«

Sie wusste, dass er recht hatte. Inzwischen waren die meisten Patienten bettlägerig und befanden sich im Zustand der Somnolenz. Aber nicht alle …

»Hier werden sie wenigstens medizinisch versorgt«, fuhr Monk fort. »Letztlich sind ihre Aussichten dann am besten, wenn wir so schnell wie möglich Hilfe holen.«

Charlotte konnte sich seinen Argumenten nicht verschließen. Allerdings quälten sie Schuldgefühle. Es ging ihr gegen den Strich, Disanka und deren Kind im Stich zu lassen.

Tucker kehrte zurück. Trotz der Brille, die den Großteil seines Gesichts bedeckte, war ihm die Besorgnis anzusehen. Er wies mit dem Kinn in Richtung Wald, zu der Stelle, von der die Rufe und Schüsse herüberschallten.

»Irgendetwas stimmt da nicht«, sagte er. »Kane hätte die Patrouillen inzwischen nach Süden locken und den Weg für uns frei machen sollen.«

Frank blickte in die entgegengesetzte Richtung. »Außerdem bekommen wir Besuch.«

Barsche Befehle schallten über den zentralen Platz. Stiefel polterten über die beplankten Wege.

Tucker fluchte, blickte aber in eine andere Richtung. Er hielt seine Fernsteuerung hoch. »Komm schon, Kane.«

Charlotte sah stirnrunzelnd zum Dschungel.

Wer ist da draußen?

20:41

Kane duckt sich, als die Gefahr sich aus drei Richtungen gleichzeitig nähert.

Zu beiden Seiten und von vorn.

Der Rückzug wird ihm durch laute Stimmen und einen Schwall von Schweißgeruch und Gestank abgeschnitten. Die Männer sind ihm gefolgt. Hinter seinen Augen flammt der Befehl, sie noch weiter wegzulocken.

Doch er wurde von anderen Jägern bemerkt, die ihn daran hindern, dem Befehl nachzukommen. Er verkneift sich ein zorniges, herausforderndes Knurren.

Er kann nur warten.

Die Ohren hat er aufgerichtet, er vernimmt ein pneumatisches Surren und das Klirren von Metall. Zweige brechen, die Geräusche kommen näher. Seine Hinterläufe zittern sprungbereit.

Er weiß, dass sein Rudelkumpel von der Bedrohung nichts mitbekommt. Der Mensch hat weder seinen empfindlichen Geruchssinn noch sein scharfes Gehör. Er muss die Gefahr sehen, bevor er sie identifizieren kann. Aber Kane vertraut seinem Partner voll und ganz.

Deshalb wartet er.

Schließlich gelangt der erste der drei in Sicht. Er riecht nach Öl und Blitz. Er summt. Ein Gewehrlauf sucht nach einem Ziel. Die Sinne des Dings sind beschränkt im Vergleich mit seinen eigenen. Doch er weiß, dass es gefährlich und schnell ist.

Zwei Mal haben diese Jäger bereits auf ihn geschossen.

Dann taucht rechts ein weiterer Jäger auf, gleich darauf ein dritter an der linken Seite.

Er rührt sich nicht. Er weiß aus Erfahrung, dass er sie auf sich aufmerksam macht, wenn er sich bewegt. Bald werden sie seine Körperwärme spüren und seinen Umriss erkennen. Bei den bisherigen Begegnungen ist er entkommen, doch drei sind zu viele, als dass er vor ihnen fortlaufen könnte.

Deshalb wartet er voller Vertrauen.

Dann verspürt er einen Druck am Brustbein. Ein silbriger Gegenstand fällt auf den Boden. Sein Rudelkumpel hat die Bedrohung endlich erkannt und versucht, ihm zu helfen.

Kane versteht das. Er hat das Manöver häufig geübt. Außerdem weiß er, dass er fortlaufen sollte.

Ein Befehl unterstreicht das.

LOS . Sofort!

Er reagiert nicht. Aus Erfahrung weiß er, wie oft sein Herz schlägt, bevor das Ding mit einem Blitz, einem Knall oder glühend heiße Metallsplitter verschleudernd detoniert. Er wartet im Vertrauen auf sich und den anderen.

Die drei Jäger ziehen die Schlinge um ihn zu. Erst schwenkt ein Gewehrlauf in seine Richtung, dann auch die beiden anderen.

Da man ihn entdeckt hat, springt er zurück.

Kugeln schlagen ein, doch er ist längst weg. Er drückt sich mit den Hinterbeinen ab und rennt los. Die drei Jäger nähern sich seiner vorigen Position – dann knallt es, und es wird hell im Wald. Kane ist noch zu nah. Die Druckwelle treibt ihn noch tiefer in den Wald.

Ein deformiertes Ding kracht durchs Unterholz.

Kane läuft immer weiter in den dunklen Wald, wo das Laub Deckung bietet. Der Gefahr entledigt, hat er endlich die Möglichkeit, seine Mission abzuschließen und weitere Jäger wegzulocken. Worte dringen an sein Ohr. Er hört den Stolz des Sprechers heraus und weiß, dass sie ernst gemeint sind.

BRAVER JUNGE , KANE . BRAVER JUNGE .

20:43

Tucker stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.

Das war knapp.

Er wandte sich zu seinen Begleitern um. »Kane ist wieder unterwegs. Aber es wird eine Weile dauern, bis er die Patrouillen weggelockt hat. Anschließend sollten wir es bis zur Anlegestelle schaffen.«

»Ich glaube nicht, dass wir so lange warten können«, meinte Frank und feuerte ein paar Schüsse auf den Platz ab, um seiner Warnung Nachdruck zu verleihen.

Es wurde laut gerufen. Schatten tanzten und verschwanden. Die Atempause würde nur von kurzer Dauer sein.

Das war auch Frank bewusst. »Der Gegner ist uns zahlenmäßig und an Bewaffnung weit überlegen. Wir sollten uns im Wald in Sicherheit bringen.«

»Einen Moment«, sagte Monk und trat näher. »Tucker, haben Sie noch Granaten?«

Tucker klopfte auf seinen Gürtel. »Zwei Splitter- und zwei Blendgranaten.«

Monk schob die Pistole hinter den Hosenbund und streckte die Hand aus. »Gut. Ich möchte ein Loch sprengen.«

Tucker löste eine der kleinen Granaten vom Gürtel und reichte sie Monk, der sie skeptisch beäugte.

»Die sollen den Gegner ablenken«, erläuterte Tucker. »Aber im Notfall kann man damit auch einigen Schaden anrichten.«

Frank feuerte sein Gewehr ab.

»Der Notfall ist gegeben«, sagte Monk. »Wie viele Sekunden Verzögerung?«

»Fünfzehn. Aber …«

»Das reicht.« Monk ächzte, als er sich abwandte. »Wir müssen trotzdem machen, dass wir von hier verschwinden.«

Er lief zu einem Steingebäude und trat die Tür ein. Lautes Geheul, Gebrüll und Schreie drangen heraus. Monk verschwand kurz, dann kam er winkend zurück.

»Lauft!«, rief er. »In den Wald!«

Die anderen nahmen die Beine in die Hand, als ahnten sie, was Monk getan hatte. Tucker blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen. Frank behielt seine Gruppe im Auge und feuerte immer wieder hinter sich. Als sie den Wald erreichten, hatte er das Magazin leer geschossen. Frank blickte es finster an.

Eine Detonation ließ das Betonsteingebäude erzittern.

»Weiter!«, drängte Monk.

Sie zogen sich tiefer in den Wald zurück.

Tucker rückte zu Monk auf. »Was haben Sie da drinnen gemacht?«

Monk zuckte mit den Schultern. »Hab einen Verbündeten rekrutiert. Der Feind unseres Feindes ist unser Freund, wie es so schön heißt.«

Tucker runzelte die Stirn – dann ließ lautes Gebrüll sein Blut gefrieren. Es war wild, voller Wut und ließ ihn an einen Löwen denken. Er blickte sich um.

Was zum Teufel …

Männer schrien vor Angst und vor Schmerz. Schüsse fielen, es entwickelte sich ein panisches Feuergefecht. Das Tier, das Monk befreit hatte, setzte dem Gegner anscheinend mächtig zu.

»Ich schätze, dadurch gewinnen wir Zeit«, sagte Frank.

Monk zeigte nach vorn. »Tucker, führen Sie uns zur Anlegestelle, bevor unser neuer Verbündeter unsere Witterung aufnimmt.«

Tucker übernahm die Führung. Trotz der drohenden Gefahr ging er langsam, damit Kane ausreichend Zeit hatte, die Patrouillen abzulenken. Erst als er sicher war, dass der Weg frei war, schlug er ein höheres Tempo an.

»Vom Gegner lösen. Leise zurück zu Punkt Alpha.«

Sie erreichten den Fluss ohne Zwischenfälle. Vor ihnen lag der erhellte Pier. Tucker bat seine Begleiter zu warten und kundschaftete die Lage aus. Er gelangte zu dem Unterstand, von dem aus die Anlegestelle bewacht wurde. Ein Toter lag in einer Blutlache, Beleg dafür, dass die kleinen Granaten durchaus schlagkräftig waren. Kane hatte das erste Ei hinter dem Mann platziert, war dann weggelaufen und hatte die Patrouillen fortgelockt.

Tucker vergewisserte sich, dass sonst niemand in der Nähe war, dann schlich er zum Unterstand zurück und näherte sich einem Stahlkasten mit Glasabdeckung, in dem die Bootsschlüssel hingen. Mit einem Dolch brach er das Schloss auf und steckte alle Schlüssel ein.

Mit leisem Pfeifen tat er der Gruppe kund, dass die Luft rein war.

Die anderen kamen aus dem Wald hervor.

Als Frank ihn erreichte, musterte Tucker gerade anerkennend das Kord-MG . Er warf sein leer geschossenes Gewehr weg und nahm die schwere Waffe mitsamt dem Patronengürtel vom Ständer. »Das bringt es schon eher.«

Monk grinste. »Ich kenne einen großen Burschen, der jetzt grün vor Neid werden würde.«

»Was jetzt?«, fragte Charlotte, deren Augen im Schein der Natriumdampflampe glasig wirkten.

»Wir warten noch ein Weilchen«, murmelte Tucker.

Wie aufs Stichwort brach etwas aus dem Wald hervor und huschte an seine Seite. »Wurde allmählich auch Zeit, Kane.«

Der Hund sah ihn hechelnd an.

Charlotte wirkte überrascht. »Das ist Kane? Ich dachte, Sie hätten eine Kampftruppe dabei.«

Tucker tätschelte seinem Partner die Flanke. »So ist es.«

Jameson schluckte und zeigte zum Pier. »Welches Boot nehmen wir?«

Tucker hatte bereits eins ausgewählt. »Kommen Sie.«

Er geleitete die Gruppe zur anderen Seite des Piers, wo ein schlankes schwarz-rotes Schnellboot festgemacht hatte. Im dunklen Wasser glich der Rumpf aus Karbonfaser einem schwimmenden Dolch. Tucker war daran gelegen, den Bereich des Störsenders so schnell wie möglich hinter sich zu lassen.

Das Ding dürfte seinen Zweck erfüllen.

Er half den beiden Ärzten an Bord und folgte ihnen. Während Monk und Frank die Leinen losmachten, setzte er sich ans Steuer und suchte den passenden Schlüssel heraus, schwarz-rot wie das Boot. Er schaltete die Zündung ein, worauf der Motor mit ohrenbetäubendem Grollen ansprang.

Der herausfordernde Lärm wurde leider vom Wald aus beantwortet.

Wutgebrüll lenkte alle Blicke zum Ufer. Ein großes Tier stürmte aus dem Wald hervor. Die Raubkatze war riesig, nichts als Muskeln und gesträubtes Fell. Sie heulte sie an und entblößte dabei ihre gekrümmten Reißzähne.

Du meine Güte …

Monk und Frank sprangen an Bord. Frank richtete das MG auf das Tier.

Kane verharrte auf dem Pier und blickte der Raubkatze entgegen. Der Schäferhund duckte sich und sträubte das Nackenfell.

»Hierher «, befahl Tucker.

Geleitet von seinem Instinkt, hörte Kane nicht auf ihn, sondern ließ die Raubkatze nicht aus den Augen.

»SOFORT !«, rief Tucker.

Kane blieb wie festgewurzelt stehen und fixierte das Tier.

Diesen Kampf kannst du nicht gewinnen.

Kane rührte sich nicht vom Fleck.

»Fahren Sie los«, sagte Jameson.

Tucker weigerte sich. Er wollte Kane unter keinen Umständen zurücklassen.

Zum Glück endete das Patt auf explosive Weise. Eine Panzerfaustgranate schoss aus dem Wald hervor und traf den Unterstand. Sandsäcke wurden inmitten eines Schwalls von Rauch und Flammen in die Luft geschleudert.

Die Raubkatze machte einen Hechtsprung ins Wasser und schwamm hektisch paddelnd zum anderen Ufer.

Kane, dem der Gegner abhandengekommen war, machte mit gerecktem Schwanz kehrt und sprang ins Boot.

Jetzt, da sie komplett waren, schob Tucker den Gashebel vor. Der schwarz-rote Dolch löste sich vom Pier, Tucker wurde in den Sitz gedrückt.

Verdammt, ist das Ding schnell.

Monk setzte sich zu ihm und übertönte den Motorenlärm. »Wie geht’s weiter?«

Tucker stellte sich vor, wie Ndaye sich an den Helikopter lehnte. »Wir rufen die Kavallerie.«

Monk spähte stirnrunzelnd über das Heck des Bootes.

»Was ist?«, fragte Tucker.

»Ich glaube, ganz so einfach wird das nicht.« Monk sah Tucker an. »Ich denke, das wird der Scheißkerl, der die Truppe führt, zu verhindern wissen.«

20:50

Im ersten Stock des Gästehauses tigerte Nolan De Coster in seinem Büro hin und her und schlug sich an den Oberschenkel. Vom Zähneknirschen schmerzten ihn die Kiefermuskeln.

Als die ersten Salven fielen, war sein Privatraum zur Sicherheit abgeriegelt worden. Auf dem Balkon hatten sich stählerne Rollladen abgesenkt. Dicke Bolzen sicherten die Bürotür aus fünf Zentimeter dickem Stahl.

Er war zwar eingesperrt, doch über die hinter einem Bedienfeld angebrachten Monitore hatte er freie Sicht auf jeden Winkel der Anlage. Den Angriff hatte er mitverfolgt. Trotz der vielen Überwachungskameras war es ihm jedoch nicht gelungen herauszubekommen, wer hinter der Aktion steckte und wie viele Personen daran beteiligt waren.

Einen Beteiligten allerdings kannte er.

Die Detonation im Erdgeschoss hatte das ganze Gästehaus erbeben lassen. Anschließend hatte er sich die Aufzeichnungen aus der Gefängniszelle angeschaut. Er hatte gesehen, wie Dr. Whitakers kahlköpfiger Assistent seine Handprothese an der Zellentür befestigt hatte – dann waren die Kameras ausgefallen. Später hatte Nolan beobachtet, wie derselbe Mann den genetisch veränderten Geparden befreit und auf seine Soldaten losgelassen hatte. Offenbar war er alles andere als ein gewöhnlicher Assistent.

Vielleicht ein Militär oder sogar ein Geheimdienstmitarbeiter.

Nolan schüttelte den Kopf, als ihm bewusst wurde, wie sehr er sich in dem Mann getäuscht hatte. Der Kerl hatte direkt vor ihm gesessen und so getan, als sei er unterwürfig und nervös. Nolan hielt sich viel zugute auf seine Menschenkenntnis.

Trotzdem hat er mich hinters Licht geführt.

Das erzürnte ihn mehr als alles andere.

Er kehrte zu den Monitoren zurück und betrachtete den Rauch, das Durcheinander und die am Boden liegenden Toten. Zumindest war der Forschungstrakt weitgehend intakt. Allerdings würde er Vorkehrungen treffen müssen.

Ein Tonsignal lenkte seine Aufmerksamkeit auf das Bild der Sicherheitskamera vor der Bürotür. Dort stand ein Mann. Ein zernarbtes Gesicht blickte zur Kamera auf. Seine Nase war geschwollen und blutete.

»Das wurde auch Zeit«, brummte Nolan und entsperrte die Tür.

Leutnant Ekon trat in den Raum. In seinem Blick mischten sich Zorn und ein Anflug von Beschämung. Er hatte die Gefangenen entkommen lassen. Das wollte er wiedergutmachen.

Er neigte den Kopf. »Commandant.«

Nolan schwieg und ließ Ekon seine Enttäuschung spüren. Er drückte einen weiteren Knopf, worauf die Rollladen vor der Flügeltür hochfuhren. Wortlos wandte er sich um und trat auf den Balkon.

Ekon folgte ihm.

Nolan stellte sich ans Geländer und blickte zum Blätterdach am Fluss. Dessen schwarzer Spiegel reflektierte das Sternenlicht. In der Ferne ballten sich Gewitterwolken. Gedämpftes Donnergrollen war zu hören.

»Offenbar sind sie flussabwärts geflüchtet«, sagte Nolan.

»Oui. Mit unserem Tiranna.«

Nolan sah das Rennboot im Geiste vor sich. Es war eines seiner Lieblingsboote. »Holen Sie Draper ans Funkgerät. Sofort.«

Er konzentrierte sich auf das ferne Wasserfunkeln, das ihn an die Stadt Katwa erinnerte, eine von mehreren im Besitz seiner Firma. Draper war kurz vor Sonnenuntergang mit dem Helikopter dorthin geflogen, um sich um die unter den einheimischen Bergbauarbeitern aufkommende Panik zu kümmern. Nolan vertraute darauf, dass er der Probleme Herr werden würde, bevor sie außer Kontrolle gerieten.

Nolan musste jetzt zusätzliche Aufgaben übernehmen.

»Sagen Sie Draper, er soll die Lastkähne bemannen, sie mit Artillerie und Flutlicht ausstatten und den Flusslauf blockieren.«

»Oui, Commandant.«

Nolan blickte Ekon an. »Und schalten Sie sämtliche Störsender ein. Jeden einzelnen. Machen Sie die ganze Region dicht.«

Nach dem Bau der Forschungsstation hatte er entlang des Flusses und an dessen Nebenflüssen Funkmasten aufgestellt, die dafür sorgen sollten, dass es in seinem Privatreich keine unliebsamen Überraschungen gab.

Sie werden dem ausgeworfenen Netz nicht entgehen.

Er blickte ins Büro, zu der goldenen Krone, die in der Vitrine funkelte.

Nicht, solange ich der Herr des Dschungels bin.