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25. April, 9:15 CAT
Belka-Insel, Demokratische Republik Kongo

In seinem Büro verschanzt, beobachtete Nolan die Überwachungsmonitore. Er hatte sich auf die Fäuste gestützt, sein Gesicht glühte, als habe er Sonnenbrand. Nur einige wenige Kameras funktionierten noch und boten ein bruchstückhaftes Bild.

Die Kamera an der Kirchturmspitze zeigte die beiden rauchenden Helikopterwracks, mit denen er die Insel verlassen wollte. Vereinzelt fielen Schüsse, die meisten rund um den Platz, doch ihm dröhnte noch der Schädel von den vorausgegangenen Granatexplosionen, die das Gästehaus hatten erbeben lassen.

Draper war nicht mehr zu erreichen.

»Was sollen wir jetzt machen?«, fragte hinter ihm ein Mann mit nasaler Stimme.

Nolan blickte sich zu Ngoy um. Der Forscher lief vor den Stahlrollladen hin und her, die vor den Balkonfenstern niedergegangen waren. Panik lag in seinem Blick, die Arme hatte er vor dem Bauch verschränkt.

»Wir verschwinden von hier«, sagte Nolan.

»Und wie?«

Nolan wandte sich einem Monitor zu, der den Fluss, einen langen Anlegesteg und seine gepanzerte Privatjacht zeigte. Der Rumpf der Sechzig-Fuß-Jacht war mit Stahlplatten verstärkt, die Fensterscheiben waren kugelsicher. Er hatte schon wichtige Persönlichkeiten an Bord empfangen, sogar einen US -Präsidenten. In einer dermaßen unsicheren Region waren die Sicherheitsvorkehrungen eine Notwendigkeit. Einmal hatte er den Raketenangriff von Aufständischen überlebt, als er selbst am Steuer saß.

Und jetzt wird sie mich wieder schützen.

Er drückte einen Knopf. Hinter dem Schreibtisch glitt eine stahlverstärkte Platte aus Zebraholz beiseite, dahinter kam eine Geheimtreppe zum Vorschein. Sie führte zu einer getarnten Garage an der Rückseite des Gebäudes, in der ein elektrischer Geländewagen stand. Damit würden sie zur Anlegestelle fahren und den Kämpfen auf dem Platz ausweichen.

Ngoy machte große Augen und eilte hoffnungsvoll herbei.

Nur wenige Personen wussten von dem Geheimgang. Wie die Panzerung der Jacht war auch er eine kluge Vorsichtsmaßnahme.

Nolan wollte überleben und sein krängendes Schiff wieder aufrichten. Er konnte die Seuche noch immer zu seinem Vorteil nutzen. Er war nicht deshalb CEO geworden, weil er zur Panik neigte. Er hielt sich an das Motto von Baron Rothschild: Man muss kaufen, wenn das Blut auf den Straßen fließt.

Er betrachtete den verwüsteten Platz, die herumliegenden Toten. Die Gleichung war komplizierter geworden, doch er gedachte, sie zu lösen.

Er straffte sich, bereit zum Aufbruch.

In diesem Moment meldete der Rechner einen eingehenden Anruf. Überrascht und neugierig ging er zum Schreibtisch und nahm den Videoanruf entgegen. Das Gesicht des belgischen Militäringenieurs Corporal Willem wurde angezeigt. Der junge Mann kauerte mit schweißüberströmtem Gesicht am Boden, hatte seinen Posten aber nicht verlassen. Andererseits war die Funkbaracke aus Betonblöcken erbaut und praktisch so stabil wie eine Festung.

»Was gibt es, Corporal?«

»Sir«, sagte Willem, »ich sollte Sie informieren, sobald ich ein weiteres ungewöhnliches Signal empfange.«

Nolan brauchte einen Moment, bis er im Bilde war. »Sie sprechen von der Satellitenkommunikation im Dschungel.«

»Das Signal konnte erneut angemessen werden. Diesmal weiter östlich. Ich habe das Entschlüsselungsprogramm laufen lassen, das uns die chinesischen Hacker verkauft haben.«

»Und?«

»Es hat versagt.«

Nolan wunderte das nicht. Den Chinesen ist nicht zu trauen .

»Aber die Verschlüsselung wurde so weit aufgebrochen, dass ich ein einzelnes Wort identifizieren konnte.«

»Und wie lautete das?«

»Heilmittel.«

Nolan spannte sich an und ballte eine Hand zur Faust. Er hatte bereits vermutet, dass die gegnerischen Kräfte Söldnern weit überlegen waren. Außerdem nahm er an, dass das Signal aus dem tiefen Dschungel mit dem aktuellen Angriff in Verbindung stand. Diese unbekannte Variable musste eliminiert werden.

Zumal in dieser Situation.

Er durfte nicht zulassen, dass eine andere Partei die Oberhand gewann. Er wusste nicht, ob das eine Wort – Heilmittel – so wichtig war, wie es schien, doch er ging kein unnötiges Risiko ein und sicherte sich gern nach allen Seiten ab.

»Sir, was soll ich tun?«, fragte Willem.

»Schicken Sie mir die Koordinaten des Signals.«

»Wird erledigt.«

Im nächsten Moment wurden Längen- und Breitengrad auf Nolans Bildschirm angezeigt.

»Danke, Willem. Halten Sie die Stellung, ich hole weitere Informationen ein.«

»Verstanden.«

Mit grimmiger Genugtuung begann Nolan zu tippen. Nach Willems Alarmmeldung hatte er einen Notfallplan aufgestellt. Auf einer getarnten Landepiste stand eine große Drohne bereit – eine russische S-70 Okhotnik. Vor zwei Jahren hatte er die Bewaffnung entfernt und durch eine einzelne Bombe ersetzt.

Nolan hatte sich sieben MOABS verschafft, doch vergraben hatte er nur sechs davon. Die siebte hatte er in der Drohne untergebracht, denn er legte Wert auf die Option, sie im Notfall dort einsetzen zu können, wo sie am dringendsten gebraucht wurde.

Zum Beispiel jetzt.

Er übermittelte die Koordinaten an den Drohnenoperator vor Ort. Dann begann er zu warten und trommelte mit den Fingern ungeduldig auf die Tischplatte.

Willem hatte Nolans Kommunikation mit der Wachmannschaft überwacht. Er hatte sogar dabei geholfen, den Notfall zu managen. Jetzt biss er die Zähne zusammen und setzte eine gleichmütige Miene auf. Doch er war jung und nicht so hartgesotten wie Nolan. Mit der Zeit würde sich das ändern. Willem würde der Firma in Zukunft von großem Nutzen sein.

Schließlich wurden auf einem anderen Monitor die Bestätigung der Landepiste sowie die voraussichtliche Start- und Flugzeit angezeigt. In der Bildschirmecke startete ein Countdown.

Zufrieden wandte Nolan sich wieder dem ersten Monitor zu. »Danke, Willem. Bringen Sie sich jetzt in Sicherheit. Begeben Sie sich zu meiner Jacht.«

»Ja, Sir. Danke, Sir.«

Nolan wandte sich dem Timer zu.

Noch zweiundzwanzig Minuten.

Dann würde die unbekannte Variable aus der Gleichung eliminiert werden.

9:22

Tucker kauerte rechts neben der Stahltür der Kommunikationsbaracke. Dichter Rauch gab ihm Deckung. In der Nähe waren noch ein paar Soldaten, doch das Schießen hatte vorübergehend aufgehört.

Tucker lehnte mit der Schulter an der Wand und versuchte, den gebrochenen Knöchel zu entlasten. Mit dem Klebeband aus seinem Rucksack hatte Frank ihm einen steifen Verband angelegt.

Frank kauerte mit seinem Gewehr an der anderen Seite der verschlossenen Tür.

Durch ein schmales Fenster konnten sie nach drinnen sehen. Ein Techniker – ein junger Mann mit Funkhelm – saß vor den Geräten. Sie kamen zwar nicht an ihn heran, bekamen aber Bruchstücke der Unterhaltung mit. Es ging um ein verschlüsseltes Signal aus dem Dschungel und ein mögliches Heilmittel.

»Damit sind bestimmt Gray und dessen Begleiter gemeint«, flüsterte Tucker Frank zu.

De Coster wollte offenbar gegen sie vorgehen.

Durchs Fenster beobachtete Tucker, wie der Techniker zur Tür eilte. Er hielt einen Matchbeutel in der Hand und hatte sich ein Schnellfeuergewehr von der Konsole geschnappt.

Frank und Tucker drückten sich an die Wand. Ein Riegel schleifte, die Tür ging auf. Der Techniker streckte den Kopf heraus. Tucker rammte ihm den Gewehrkolben ins Gesicht und beförderte ihn zurück in die Baracke. Frank setzte ihm nach und drückte ihm die Desert Eeagle auf die Brust. Der Mann ließ Matchbeutel und Waffe fallen und hob die Arme.

»Niet schieten« , flehte er.

Tucker schob den Mann humpelnd vor sich her, während Frank die Tür verschloss.

»Sprechen Sie Englisch?«, fragte Tucker.

Der Mann nickte heftig. »Ja …«

»Wie heißen Sie?«

»Willem … Jan Willem.«

Tucker zeigte auf die leuchtenden Monitore. In der Eile hatte der Techniker alle Geräte laufen lassen, vielleicht, um die Verschlüsselung aufrechtzuerhalten. Auf einem Monitor wurden eine Landkarte sowie ein Fadenkreuz und eine blinkende Markierung in Gestalt eines Flugzeugs angezeigt.

»Was haben Sie mit De Coster besprochen?«, wollte Tucker wissen.

Als Willem zögerte, verlieh Frank Tuckers Frage mit der Pistolenmündung Nachdruck. »Reden Sie«, sagte er.

Willem schluckte und nickte. Er berichtete, was in den vergangenen Stunden geschehen war, und endete mit De Costers Plan. »Die Drohne wird die Koordinaten in …« Der Techniker warf einen Blick auf den Timer. »… in achtzehn Minuten erreichen.«

Das Flugzeugsymbol auf dem Bildschirm hatte sich in Bewegung gesetzt.

Frank sah auf die Uhr. »Also gegen Viertel vor zehn.«

Tucker dachte an den rauchenden Krater in der Bergbausiedlung. Er schob Willem zu seinem Arbeitsplatz. »Schalten Sie sämtliche Störsender in der Gegend aus.«

»Von hier aus geht das nicht.«

Tucker zog finster die Brauen zusammen. »Dann deaktivieren Sie wenigstens den auf der Insel.«

Vielleicht reicht das ja.

Willem wandte sich zur Konsole um und drückte einen Schalter. »Erledigt.«

Tucker packte das Satellitentelefon aus. Gray musste gewarnt werden. Er hielt das Telefon hoch und wartete auf ein Signal. Er hielt die Stummelantenne mal in die eine, mal in die andere Richtung, bekam jedoch keinen Satellitenkontakt.

Er fluchte laut.

»Moment mal.« Frank beugte sich zum Monitor vor und zeigte auf das rote Flugzeugsymbol, das langsam über die Landkarte wanderte. »Das ist eine Echtzeitanzeige, oder? Genau wie der Countdown.«

Willem nickte.

Frank richtete die Pistole auf den Kopf des Technikers. »Das heißt, es gibt eine Verbindung nach draußen. Sie können das Störsignal umgehen.«

Willem zeigte sich überrascht. »Natuurlijk . Ich bin der Cheftechniker.«

Frank blickte Tucker an. »Das bedeutet, wir können nach draußen funken.«

Tucker erstarrte – jedoch nicht wegen Franks Bemerkung. Mit dem Telefon rückte er seine Brille zurecht. Als der Störsender abgeschaltet worden war, hatte sich die Übertragung von Kanes Kamera verstetigt. Das Bild war scharf und klar. Der Anblick versetzte ihm einen Stich.

Oh Gott …

»Tucker?« Frank kam näher. »Was …«

Tucker drückte die Kurzwahltaste für die Sigma-Zentrale und reichte das Satellitentelefon Frank. »Berichte Direktor Crowe, was hier vorgeht.« Er wandte sich zur Tür. »Er soll das FARDC -Militär alarmieren und Gray warnen.«

»Tucker!«, rief Frank ihm hinterher.

Tucker hatte keine Zeit für Erklärungen.

Er ließ das Gewehr fallen und schnappte sich die Waffe des Technikers – ein halbautomatisches Mossberg 930. Das Magazin fasste acht Patronen Kaliber 12.

Das muss reichen.

Seine Panik betäubte den Schmerz. Humpelnd eilte er nach draußen – und landete mitten in einem Feuergefecht.

Er duckte sich, um dem Sperrfeuer zu entgehen. Drei Soldaten, vermutlich das letzte Aufgebot, schossen in den Wald. Der Beschuss wurde erwidert. Ein Soldat brach zusammen, im Gesicht getroffen. Die anderen machten kehrt und liefen davon.

Zwei Männer traten zwischen den Bäumen hervor.

Monk und Ndaye …

Tucker humpelte ihnen entgegen. »Da drüben!« Er eilte an ihnen vorbei und zeigte zur Funkbaracke. »Beschützen Sie Frank!«

»Was haben Sie vor?«, rief Monk ihm hinterher.

Keine Zeit …

9:25

Kane läuft durch den Wald. Er wagt es nicht anzuhalten. Die Verfolger schießen auf ihn, ihre Kugeln zerfetzen Laub und Baumrinde. Ein Befehl hat sich ihm eingebrannt und bestimmt sein Verhalten.

Beschützen.

Das ist sein Auftrag.

Die geschwächten, eng beisammenkauernden Menschen sind jetzt weit hinter ihm. Zuvor hat er das typische Sirren und Scheppern gehört, und es hat nach Waffenöl und Blitzeinschlag gerochen. Er hat die Gefahr erkannt. Deshalb ist er in den Wald gerannt.

Mit seiner Körperwärme und seinem Knurren lockt er die Jäger hinter sich her. Sie sind überall. Und sie sind viele. Er läuft im Zickzack, vor und zurück, sammelt sie hinter sich und lockt sie immer weiter fort.

Jetzt hat er sich in der eigenen Falle gefangen.

Sie nehmen ihn in die Zange, kommen von allen Seiten.

Schließlich lässt er das Gewehrfeuer hinter sich, rennt dorthin, wo es noch dunkler ist, rutscht auf den Pfoten aus. Er sucht, spannt alle Sinne an. Es riecht nach Pilzsporen und nassem Boden, nach feuchtem Laub und vermodertem Holz. Aber auch nach brennendem Öl. Der Geruch ist überall. Und ständig sirrt es.

Er ist ein erfahrener Soldat.

Er kennt die Wahrheit.

Weiterlaufen bedeutet den Tod.

Er ist erschöpft und hechelt. Aus einem Streifschuss sickert warmes Blut über seine Flanke. Er setzt sich auf die Hinterbeine. Er muss die Stellung halten, die Gefahr an sich binden, um die Menschen zu schützen.

Das Netz der Jäger zieht sich um ihn zusammen, und sie bringen Blitz und Feuerkraft.

Ihm sträubt sich das Nackenfell.

Doch er hält stand.

9:27

Benommen vor Schmerz lief Tucker durch den Wald, das Gewehr mit beiden Händen haltend. Das verletzte Bein zog er nach, mit dem unversehrten beförderte er sich weiter. Bei jedem Schritt flammte der Schmerz auf wie ein zweiter sengender Herzschlag.

Er brach durchs Gebüsch und setzte über umgestürzte Bäume hinweg. Dabei behielt er die Anzeige von Kanes Funkfeuer im Auge. Kurz zuvor hatte Kane angehalten, nachdem er unter heftigem Beschuss durch den Wald gerannt war. Im Wärmebildmodus zeigte seine Kamera mehrere überhitzte Hundebots, die ihn verfolgten. Ihre genaue Zahl ließ sich schwer schätzen. Sie näherten sich Kane von allen Seiten.

So viele …

Die Soldaten hatten offenbar sämtliche Roboterhunde zusammengezogen, um sie zu verladen. Als das Feuergefecht begann, hatten sie das ganze Rudel anscheinend in den Wald geschickt, um sich Entlastung zu verschaffen.

Tucker beobachtete, wie sich die orangefarbenen Markierungen um Kane zusammenzogen.

Ich werde ihn nicht rechtzeitig erreichen.

Trotzdem musste er ihm irgendwie helfen. Er holte den Transceiver hervor und tastete nach der Steuerung von Kanes Munitionsgurt. Als er den gesuchten Knopf gefunden hatte, drückte er ihn und gab eine Splittergranate frei. Er konnte nur hoffen, dass Kane es schaffen würde, der sich zuziehenden Schlinge zu entkommen.

So wie letztes Mal.

Kane bemerkt den Ruck an seinem Brustbein. Er hört, wie die Granate sich löst. Das silbrige Ding streift die Innenseite seines Beins und landet im nassen Laub.

Kane weiß jetzt, dass sein Partner bei ihm ist. Das beruhigt ihn und erinnert ihn an ihr gemeinsames Leben. Er schmeckt das Fleischstück, das sein Partner ihm zuwirft. Spürt seine Wärme an der Flanke. Sieht den roten Ball im hellen Sonnenschein, den er apportieren soll. Riecht den Schweiß, dessen Geruch ihm ebenso vertraut ist wie sein eigener.

Unbewusst registriert er jeden verstreichenden Herzschlag, der die Zeit zwischen Auskoppelung und Detonation bemisst.

Er weiß, was er zu tun hat.

Das Kommando ist ihm gegenwärtig.

Beschützen.

Kein einziger Jäger darf davonkommen, sonst könnte er zurückkehren und die Menschen bedrohen. Er muss die Stellung halten. Deshalb legt er sich auf das silbrige Ei.

Er ist einverstanden mit dem, was kommt. In der Ferne fällt ein Schuss. Trotzdem rührt er sich nicht von der Stelle.

Er ist ein guter Soldat.

Und vor allem …

Er ist ein braver Junge.

Durch die Infrarotbrille bemerkte Tucker einen kastenförmigen orangefarbenen Fleck an seiner rechten Seite. Er zielte mit dem Mossberg darauf und drückte ab. Der Roboterhund detonierte. Tucker wurde nicht langsamer. In seinem Kopf lief ein Countdown ab.

Noch zehn Sekunden …

Weitere Roboterhunde leuchteten im Wald. Sie waren überall. Bestimmt ein Dutzend. Und er hatte nur noch sechs Patronen.

Neun Sekunden …

Tucker funkte Kane über das im Backenzahn implantierte Mikro an. »Beweg dich, Kane! Jetzt!«

Doch wie zuvor rührt sich der Hund nicht von der Stelle, verweigert den Gehorsam, weil er sich an ein anderes Kommando gebunden fühlt. Kane hat gelernt zu priorisieren, seinem Instinkt zu vertrauen, anstatt blindlings zu gehorchen.

Manchmal schaltete der Hund einfach auf stur.

Acht …

Tucker humpelte und hüpfte, weigerte sich, Kane aufzugeben. Schüsse fielen. Seine Schutzweste wurde getroffen. Er fuhr herum und zielte auf einen Roboterhund.

Tucker drückte ab. Die Kugel riss dem Bot ein Bein ab und schleuderte ihn auf die Seite. Sein Gewehr feuerte blindlings in die Baumkronen.

Sieben …

Tucker drückte erneut ab, beförderte einen Roboter ins Gebüsch und machte den Weg den frei.

Fünf …

»Kane, Kumpel, beweg dich. Bitte.«

In der Düsternis zeichnete sich ein neues orangefarbenes Leuchten mit weicheren Umrissen ab. Er wusste, wer das war. Das Leuchten bedeutete Zuhause, wie eine Lampe in der Nacht.

Drei …

Weitere leuchtende Flecken tauchten rechts und links auf. Sie feuerten auf ihn, ihre Waffentürme tackerten. Er duckte sich noch mehr und verzichtete auf Gegenfeuer. Dafür hatte er keine Zeit.

Zwei …

Er schob dichte Farnwedel beiseite. Dahinter lag Kane, halb im Gebüsch verborgen. Mit funkelnden Augen blickte er ihm entgegen und wedelte zur letzten Begrüßung mit dem Schwanz.

Eins …

Tucker warf sich nach vorn. Der Zeitablauf kam zum Stillstand. Er wünschte, dieser Moment würde ewig währen. Doch er war bereit.

Zusammen – bis zuletzt.

Tucker prallte gegen Kane, als die Granate detonierte.

9:29

Als es im Wald knallte, zuckte Frank in der Funkbaracke zusammen.

Was zum Teufel geht da vor?

Er und Monk hatten soeben das hektische Gespräch mit Sigma beendet. Sie hatten sich kurzgefasst, damit Direktor Crowe Gray umgehend vor der neuen Gefahr warnen konnte. Der Direktor hatte versprochen, die FARDC zu benachrichtigen und sie zu bitten, Helikopter zur Insel zu schicken.

Frank ging zu Ndaye hinüber, der den Eingang bewachte. Monk hielt die Waffe auf Willem gerichtet. Sie alle hatten die Gewehrschüsse gehört. Frank deutete auf die Rauchwolke im Südosten.

Dort musste sich auch Tucker aufhalten.

»Ist das in der Nähe von der Stelle, wo Sie Charlotte und die anderen zurückgelassen haben?«, fragte er Ndaye.

War Tucker ihnen zu Hilfe geeilt?

»Nein.« Der Ökowächter zeigte nach Süden. »Wir haben sie dort zurückgelassen.«

Frank runzelte die Stirn.

Was hatte die Detonation dann zu bedeuten?

9:27

Tucker wälzte sich von Kane herunter, hielt seinen Kumpel aber fest. Sein Sichtfeld war auf einen Punkt zusammengezogen. Ihm dröhnte der Schädel. In den Ohren hatte er einen Dauerton. Blut strömte ihm übers Gesicht und rann ihm die Kehle hinunter. Er schmeckte und roch es.

Er fasste sich ans Gesicht, ertastete einen Splitter. Der Finger verschwand in einem Loch in der Wange.

Aber trotzdem …

Ich lebe .

Er fuhr mit der Hand über Kanes Schutzweste.

Bitte …

Er berührte ein weiches Ohr, die mit Tasthaaren besetzte Schnauze. Dann leckte Kane ihm das Blut von den Fingern.

Gott sei Dank …

Er setzte sich keuchend auf und zog den hechelnden Hund an sich. Leises Winseln durchbrach den Sturm in seinem Schädel.

Ich weiß … aber wir haben es geschafft .

Doch sie waren noch nicht außer Gefahr. Er schaute sich um. Das Laub der Bäume und Büsche war zerfetzt; Äste waren abgeknickt. Im letzten Moment war es ihm gelungen, sich von der Granate herunterzuwälzen. Seine Schutzweste hatte ihnen beiden das Leben gerettet.

Die vier Roboterhunde, die sich ihnen genähert hatten, waren von der Detonation erfasst worden. Sie lagen qualmend und Funken sprühend am Boden. Einer war in das Geäst einer Zeder geschleudert worden.

Tucker hielt Ausschau nach neuen Gegnern, denn er hatte keine Ahnung, ob noch welche einsatzfähig waren oder ob bei der Detonation die Sensoren beschädigt worden waren.

Sicher war nur eines …

»Wir müssen von hier verschwinden.«

Tucker, dessen Gehör sich allmählich wiederherstellte, hörte Kanes Winseln diesmal deutlicher. Er machte Anstalten, seinem Kumpel aufzuhelfen, denn jeden Moment konnten weitere Roboterhunde auftauchen.

Er kniete sich hin, doch Kane blieb hechelnd auf der Seite liegen, die Zunge hing ihm aus dem Maul. Seine Augen waren trüb vom Schmerz und blickten ins Leere.

»Kane …«

Tucker krampfte sich das Herz zusammen.

Oh Gott, nein …

Kanes Vorderbein blutete stark. Es war zerschmettert, der Knochen war zu sehen, die Pfote wurde nur noch von Haut und Sehnen festgehalten.

Tucker drückte Kane die Ader ab, versuchte, ihn mit schierer Willenskraft am Leben zu erhalten. Er aktivierte ungeahnte Kräfte und hob seinen Partner mit dem anderen Arm hoch. Dann stolperte er fort von der Explosionszone. Er hatte zwar die Brille verloren, doch er wusste, in welche Richtung er zu gehen hatte.

Er schwankte und stolperte, hätte Kane beinahe fallen gelassen. Blut spritzte, dann drückte er den Finger wieder auf die Ader. Er ärgerte sich, dass er die Wunde nicht ordentlich abgebunden hatte, wagte aber nicht anzuhalten.

Er taumelte weiter durch den scheinbar endlosen Wald.

Habe ich mich etwa verlaufen?

Auf einmal nahm er vor sich etwas Helles wahr. Er hoffte, dass es die Siedlung war. Dann aber erblickte er einen Roboterhund – der sich sogleich zu ihm umdrehte. Das Gewehr schwenkte herum.

Tucker wandte ihm den Rücken zu, um Kane zu schützen. Die Schüsse waren ohrenbetäubend laut. Er wartete auf die Einschläge.

Doch sie blieben aus.

Er wandte den Kopf und erblickte Frank und Monk, die mit rauchenden Gewehren angelaufen kamen. Der Roboterhund lag von Kugeln durchsiebt auf der Seite, seine Beine zappelten in der Luft.

Tucker eilte den beiden Männern entgegen. Er prallte gegen Frank, reichte ihm Kane an und fiel auf die Knie.

»Rette ihn …«

Frank packte den Hund. Auf den ersten Blick registrierte der Militärveterinär die Verletzung und legte die Hand fest ums Bein. »Er hat sehr viel Blut verloren.«

Nicht nur er …

Tucker kippte in Zeitlupe zur Seite. Nach und nach wurde ihm schwarz vor Augen. Trotzdem hielt er den Blick auf Kane geheftet. Erst jetzt bemerkte er, wie schlaff der Hund auf Franks Armen lag. Die dunklen Augen blickten starr; die Zunge hing zu weit heraus und war blau angelaufen.

Kane …

Franks Worte begleiteten ihn in die Bewusstlosigkeit.

»Er atmet nicht mehr.«