Nolan De Coster saß am Steuer seiner Jacht und ließ den Blick über die Zerstörungen schweifen, die er selbst angerichtet hatte. Sie aus der Ferne zu begutachten, war eine Sache. Aus der Nähe betrachtet stellte sich das anders dar.
Er steuerte das Sechzig-Fuß-Boot an den Ruinen der Mine vorbei und musterte den gewaltigen rauchenden Krater. Ein Nebenarm des Flusses ergoss sich ins neu entstandene Becken: Über kurz oder lang würde hier ein giftiger See entstehen.
Am anderen Ufer hatten die großen Lastkähne, welche die Druckwelle an Land befördert hatte, eine Schneise in den Dschungel gerissen. Vermutlich würden sie dort jahrhundertelang vor sich hinrosten, Monumente seiner Macht.
Die meisten Menschen hätte das Ausmaß der Zerstörung abgestoßen. Bei De Coster löste es Erregung aus, halb Stolz, halb ehrfürchtiges Staunen.
Das ist mein Werk.
Es war die Krönung seines Wirkens und stellte jedes jahrhundertealte Artefakt in den Schatten. Sein Blick fiel auf den mit Gold und Juwelen geschmückten zeremoniellen abessinischen Haarschmuck, der neben dem Steuer lag. Bei seiner Flucht über die Geheimtreppe hatte er ihn mitgenommen. Mit dem Geländewagen war er unbehelligt zu seinem gepanzerten Schiff gelangt. Mit Ngoys Hilfe hatte er kurz darauf abgelegt und die Jacht flussabwärts gesteuert.
Er schaute sich zum Detonationsort um, der allmählich hinter ihm zurückblieb.
Die Zerstörungen in den Bergen boten vermutlich einen ähnlichen Anblick.
Gerade eben war die erfolgreiche Bombardierung gemeldet worden. Er hatte einen Helikopter herbestellt, der ihn eine Meile weiter flussabwärts aufnehmen und nach Kairo bringen würde. Von dort aus wollte er zu seiner Firmenniederlassung in Belgien weiterreisen.
Er würde einen juristischen Sturm abwettern müssen, doch er war der geborene Überlebende. Seine Milliarden waren eine Burg, der kein Land und keine Armee etwas anhaben konnten. Er würde seinen Reichtum dafür einsetzen, die Geschichte umzuschreiben und sich als Retter darzustellen, denn sein Konzern würde Krankenhäuser im ganzen Land finanzieren. Kritiker würde er zum Schweigen bringen, sie bestechen und erpressen, um seine Stellung in der Region zu wahren.
Er legte die Hand auf die Goldkrone, denn das war sein angestammtes Recht. Zentralafrika gehörte ihm.
Und bald schon der ganze Kontinent.
Das Geräusch sich nähernder Schritte lenkte ihn ab. Er wandte sich zur Tür des Ruderhauses um und erblickte Ngoy, frisch geduscht und weit weniger panisch als zuvor.
Ngoy zeigte flussabwärts. »Wann wird der Helikopter …«
Nolan schreckte vor dem Forscher zurück, Entsetzen zeichnete sich in seiner Miene ab.
Ngoy duckte sich unwillkürlich und fuhr herum. Hinter ihm stand ein Tier, das lautlos vom Achterdeck gesprungen und hinter dem Ruderhaus gelandet war.
Die riesige Raubkatze sträubte das schimmernde schwarze Fell. Obwohl es heller Tag war, schien sie nicht aus Fleisch und Knochen, sondern aus Schatten gemacht. Kalte bernsteinfarbene Augen funkelten in der Schwärze. Die zurückgezogenen Lefzen waren mit weißen Schnurrhaaren besetzt. Das Tier machte kein Geräusch. Die langen Reißzähne waren bedrohlich genug.
Ngoy schrie.
Die Raubkatze schlug mit der Tatze nach seinem Kopf, riss ihm das Gesicht ab und schleuderte ihn herum. Noch immer schrie Ngoy durch rohes Fleisch und blanken Knochen hindurch. Er brach zusammen und wand sich vor Schmerzen.
Die Katze trat ungerührt über ihn hinweg.
Sie hatte es nicht auf den Forscher abgesehen.
Nolan wusste das.
Wochenlang hatte er sie grausam gequält und gegen sich aufgebracht. Das genetisch veränderte Tier hatte offenbar in einem der unteren Räume gewartet, vermutlich angelockt von Nolans Geruch, der auf dem Schiff allgegenwärtig war.
Er wich zur Steuerbordseite zurück, zum offenen Fenster des Ruderhauses.
Die Raubkatze folgte ihm spielerisch und knurrte leise.
Nolan wandte sich um und hechtete durch die Öffnung. Mit den Tatzen packte die Raubkatze sein Bein, zerriss Leinenstoff, Haut und Fleisch. Trotzdem schaffte er es nach draußen, stürzte zwei Decks in die Tiefe und landete im Fluss. Das dunkle Wasser schäumte, als er wild um sich schlug.
Er tauchte wieder auf und schwamm Richtung Ufer. Das zerfetzte Bein brannte, doch er gab nicht auf.
Ich muss mich verstecken.
Die Jacht fuhr an ihm vorbei, mit laufendem Motor, aber unbemannt – jedenfalls im engeren Sinn. Als er den Kopf wandte, lehnte sich die Raubkatze aus dem Fenster. Die Krallen ins Fensterbrett gegraben, reckte sie den Kopf, streckte den Hals und brüllte.
In diesem Moment begriff Nolan, dass nicht er der König des Landes oder des Dschungels war. Er strengte sich noch mehr an und hoffte auf ein Wunder, auf Gnade. Sie wurde ihm gewährt, denn die Jacht mitsamt der Raubkatze schwenkte zum anderen Ufer ab.
Er schwamm schneller.
Vor ihm ragte der Wald auf.
Fast geschafft.
Holz splitterte, Stahl kreischte. Die Jacht hatte sich tief in die gegenüberliegende Uferböschung gebohrt. Als sie zum Stillstand kam, sprang ein dunkler Schatten an Land und verschwand in der Tiefe des Waldes.
Nolan schwamm das letzte Stück zum Ufer. Er musterte den Fluss, denn es war nicht ausgeschlossen, dass die Raubkatze ihm hinterherschwimmen würde. Bislang zeichnete sich an der anderen Flussseite jedoch keine Bewegung ab. Mit einem Seufzer der Erleichterung erreichte er das Ufer, kroch an Land und blieb im Matsch liegen. Das Hochwasser war leicht zurückgegangen und hatte glitschigen Pflanzenwuchs freigelegt.
Ich darf hier nicht bleiben .
Er grub die Stiefelkappen in die Erde und kämpfte sich an der steilen Böschung hoch. Der Morast widersetzte sich ihm. Dass sein Bein zitterte und immer kraftloser wurde, machte alles nur noch schwerer. Halt suchend krallte er die Finger in den Boden. Doch die Hände gehorchten ihm nicht mehr. Er schrieb es seiner Erschöpfung zu – dann erinnerte er sich.
Er wandte den Kopf und musterte sein blutüberströmtes Bein. Die rohen Muskeln waren zu sehen.
Doch die Wunde war nicht der Grund für seinen Zustand.
Die Wirkung des Gifts an den Krallen der Raubkatze setzte ein. Nolans Forschungsteam hatte es analysiert – ein Derivat des Succinylcholins, das von Anästhesisten zur Muskelentspannung eingesetzt wurde. Der Stoff lähmte die Muskeln, doch das Opfer blieb bei Bewusstsein und nahm seine Umgebung wahr und auch den Schmerz.
Seine Gliedmaßen wurden immer schwerer, und er sackte im Morast zusammen. Da er fürchtete zu ersticken, wälzte er sich auf den Rücken, konnte die Bewegung aber nicht mehr stoppen und rollte die Böschung hinunter.
Sein Bein schmerzte noch immer. Warmes Blut strömte über seinen Oberschenkel und die kalte Wade. Das Atmen fiel ihm schwer, sein Brustkorb hob und senkte sich ruckartig.
Ich muss einfach nur abwarten.
An und für sich war das Gift nicht tödlich. Nach höchstens einer Stunde würde die Wirkung nachlassen.
An diese Hoffnung klammerte er sich.
Das hätte er besser gelassen.
Dafür kannte er den Kongo zu gut.
Sein Blut floss ins Wasser und sammelte sich im Morast. Er lockte den Dschungel an – der bereit war, sich am König von Afrika zu laben.
Als Erstes kamen die Krabben.