Kapitel 11
Logan brachte gerade die letzten Teile in den Abstellraum der Bar, als er in der Gasse hinter der Bar laute Stimmen hörte. Er trat nach draußen und sah Cade mit Declan Hale, die einander anfunkelten.
„Verpiss dich, Detective“, hörte er Cade sagen.
„Cade“, rief Logan und als dieser ihn ansah, schüttelte er den Kopf. Cade trat zurück, um den anderen Mann vorbei zu lassen.
Declan Hale war ein großer Mann wie Dom, aber er hatte helles Haar und seine Gesichtszüge hatten weniger von Doms rauer Schönheit an sich. Logan rechnete damit, Feindseligkeit im Blick des anderen Mannes zu sehen, als er näherkam, aber das tat er nicht. Was er sah, wirkte beinahe wie Bedauern.
„Können wir drinnen reden?“, fragte Declan und deutete auf die Tür, die in die Bar führte.
Logan nickte und als er Declan ins Haus folgte, sah er, dass Cade sich ihnen näherte. Offensichtlich wollte er ihnen folgen.
„Ich schaffe das schon“, versicherte Logan ihm.
„Ich vertraue ihm nicht“, erwiderte Cade und griff nach seinem Telefon.
„Nicht, Cade. Bitte“, sagte Logan, denn er wusste, wen Cade anrufen wollte. Der andere Mann muss das Flehen in seiner Stimme gehört haben, denn er steckte das Telefon weg. Logan wurde klar, welches Glück er hatte, einen Freund wie Cade gefunden zu haben.
„Ich warte genau hier“, murmelte Cade, als er sich neben den Türrahmen lehnte. Er zündete sich eine Zigarette an, die Logan ihm aber sofort wegnahm.
„Genug damit", sagte er und ließ sie auf den Boden fallen, wo er sie unter seinem Arbeitsstiefel zerdrückte. Cade beschwerte sich brummend, griff aber nicht nach einer anderen.
Logan ging in die Bar und stellte fest, dass Declan im Hauptraum auf ihn wartete, wo seine Augen die dunklen Fenster studierten.
„Ich habe gehört, Sie wollen verkaufen“, sagte Declan.
„Was kann ich für Sie tun, Detective?“, fragte Logan abweisend.
„In Ihrem Fall gibt es ein paar Fortschritte“, sagte er schließlich, als er sich zu Logan umdrehte. Logan war begeistert von dem Gedanken, dass alles vielleicht bald vorbei sein würde, aber diese Hoffnung wurde schnell zunichtegemacht, als Declan sagte: „Es ist aber nicht viel.“
„Was ist es?“
„Als wir festgestellt haben, dass die Leiche, die wir hier gefunden haben, nicht Reynolds war, haben wir begonnen, uns mit den örtlichen Krankenhäusern in Verbindung zu setzen, um zu klären, ob in einem von ihnen ein Brandopfer behandelt wurde. Es erschien uns unwahrscheinlich, dass er an diesem Tag ohne irgendeine Verletzung davongekommen war“, sagte Declan, während er sich durch den kleinen Raum bewegte. Seine Finger wanderten über die Bar, an der Logan vor so langer Zeit angefangen hatte, die Grundierung zu entfernen, aber nie fertig geworden war.
„Wir haben vor Ort nichts herausgefunden und die Suche erweitert. In Spokane gab es einen Treffer. Ein Mann mit schweren Brandwunden am Arm tauchte dort in einer Notaufnahme auf und erzählte von einem Unfall mit seinem Grill. Sie nahmen ihn stationär auf und haben ihn ein paar Tage lang behandelt, bevor sie festgestellt haben, dass der Name und die Adresse, die er angegeben hatte, falsch waren. Er hatte auch einige Verletzungen, die nicht vom Feuer stammen konnten. Hauptsächlich Kratzer am Hals und im Gesicht, außerdem hatte er eine leichte Verletzung am Auge. In der Aussage Ihrer Schwester steht, dass sie einige Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen ihn angewendet hat, die sie gelernt hat.“
Declan zog ein Bild aus seiner Tasche und reichte es Logan. Es war körnig, aber der Mann, den es zeigte, war definitiv Sam. „Er ist geflohen, bevor die Polizei ihn befragen konnte, aber wir haben von den Überwachungskameras ein paar gute Bilder bekommen.“
Logan gab das Bild zurück. „Sie haben tatsächlich nichts, nicht wahr? Er könnte mittlerweile überall sein.“ Er konnte nicht anders, als wütend zu sein, aber er war sich nicht sicher, wie viel dieser Wut aus persönlicheren Gründen auf Declan gerichtet war.
„Ich sagte doch, dass es nicht viel ist“, brummte Declan.
„Sicher“, sagte Logan. Er trat von der Tür zurück und verschränkte die Arme, um eine klare Botschaft zu senden.
Declan wandte Logan wieder den Rücken zu, als würde er wieder die Bar studieren. „Sie war meine kleine Schwester“, hörte er ihn gebrochen sagen. „Sie war alles, was ich noch hatte.“
Logan war überrascht, wie viel Schmerz in diesen Worten lag. Er lockerte seine Haltung, bewegte sich aber nicht vom Fleck. „Sie war unglaublich“, sagte er schließlich und sah, wie Declan ihn über die Schulter anschaute.
„Sie haben sie gekannt?“, fragte der andere Mann.
Logan wollte nicht über die Umstände sprechen, wie er Sylvie kennengelernt hatte, also nickte er einfach und sagte dann: „Sie hat mir etwas gegeben, von dem ich nicht wusste, dass ich es brauchte.“
Declan musterte ihn und Logan fragte sich, ob er wohl wusste, dass er über Dom sprach.
„Sie war zwölf, als es bei ihr zum ersten Mal diagnostiziert wurde. Leukämie. Ich habe sie zu all ihren Behandlungen begleitet, sie im Arm gehalten, wenn sie vor Schmerzen geweint hat, sie getragen, wenn sie zu müde war, um zu gehen, und mit ihr gefeiert, als sie in Remission war“, sagte Declan voller Schmerz.
„Wo waren Ihre Eltern?“, fragte Logan.
Declan schnaubte. „Dort, wo sie jetzt auch sind. Irgendwo in Übersee. Wahrscheinlich auf irgendeiner Party oder bei einer politischen Veranstaltung. Botschafter in irgendeinem winzigen Land zu sein, ist anscheinend wichtiger als die Krebserkrankung ihres Kindes ‒ insbesondere, wenn die Prognose für eine Genesung über fünfzig Prozent beträgt.“ Logan sah, wie Declan die Fäuste ballte. „Sie haben allerdings während ihrer Reden um Gebete für ihre kleine Sylvie gebeten. Und ein schönes, großes Blumenarrangement zu ihrer Beerdigung geschickt.“ Declan schien endlich zu bemerken, wie viel Wut von ihm ausging, und er holte tief Luft, als würde er sich zwingen, sich zu beruhigen. „Der Krebs kam zurück, als sie Anfang zwanzig war, aber sie hat ihn wieder besiegt.“
Aber nicht beim letzten Mal. Declan brauchte die Worte nicht auszusprechen. Logan spürte eine Welle der Traurigkeit in sich aufsteigen, wenn er daran dachte, wie sehr Sylvie gelitten hatte ‒ wie sehr alle drei gelitten hatten.
„Sie hatte Glück, Sie zu haben“, sagte Logan leise.
Declan schüttelte den Kopf. „Ich konnte nicht damit umgehen ‒ nicht beim letzten Mal. Als die Ärzte ihr sagten, dass es keine Besserung mehr geben würde. Sie war jedoch wie ein Fels in der Brandung. Genau wie Dom“, erzählte er. „Ich wusste, dass er sie liebte, aber all die Dinge, die er für sie getan hat…“ Declan verstummte.
Schmerz durchfuhr Logan, als er an den Mann erinnert wurde, an den er sein Herz verloren hatte.
„Die Dinge, die ich an diesem Morgen gesagt habe“, begann Declan stockend. „Ich hatte kein Recht dazu und es ging mich nichts an“, fuhr er fort und ließ vor Scham den Kopf hängen.
„Sie haben sich um Ihre Schwester gekümmert. Wie Sie es immer getan haben.“
„Sie hätte sich dafür geschämt, wie ich mich verhalten habe ‒ für das, was ich gesagt habe.“
„Declan“, sagte Logan leise und war erfreut, als der andere Mann zu ihm aufblickte. Er hasste es, die Qualen zu sehen, die dieser Mann durchmachte. „Zwischen uns ist alles in Ordnung“, sagte er. „Zwischen uns ist alles in Ordnung“, wiederholte er fest.
Declan zögerte und nickte schließlich. Er ging an Logan vorbei zur Hintertür. „Ich werde Sie auf dem Laufenden halten, wenn es weitere Entwicklungen gibt“, sagte er.
„Danke“, antwortete Logan und sah zu, wie er verschwand. Ein Schatten fiel über die Tür. Logan sah auf und entdeckte Cade, der ihn studierte. „Es ist alles gut“, sagte Logan. Cade nickte und verschwand wieder.
„Ich habe es mir anders überlegt“, sagte Eli, während er unbehaglich vor der Tür von einem Fuß auf den anderen trat.
„Alles wird gut“, sagte Dom, als er Schritte auf der anderen Seite hörte. Obwohl er zwei Männer hatte, die sowohl die Vorder- als auch die Rückseite des Apartmentgebäudes bewachten, behielt er den Flur im Auge.
Die Tür öffnete sich und Riley lächelte ihn strahlend an. Er bekam nicht einmal die Gelegenheit, sie zu begrüßen, bevor sie ihn umarmte. „Dom, es ist so schön, dich zu sehen. Ich bin wirklich froh, dass du angerufen hast“, sagte sie und richtete ihr strahlendes Lächeln auf Eli. Er hatte erwartet, dass der Junge zurückzucken würde, aber er stand stockstill, als sie sagte: „Du musst Eli sein“, und ihn dann ebenfalls in ihre Arme zog.
Gabe erschien hinter ihr in der Tür und er spürte, wie Eli näher zu ihm trat. „Eli, das sind Riley und Gabe“, sagte er.
„Kommt rein“, sagte Riley und zog Eli in die Wohnung. Der Blick des Jungen war misstrauisch, während er Gabe von oben bis unten betrachtete.
„Hey Eli, schön dich kennenzulernen“, sagte Gabe und streckte zur Begrüßung seine Hand aus. Eli zögerte lange, aber Gabe wartete geduldig und Eli schüttelte es schließlich. Dann weiteten sich seine Augen vor Freude beim Anblick des Pitbulls, der neben Gabe saß und dessen lange Zunge aus seinen breiten Kiefern hing.
„Das ist Bella“, sagte Gabe, als Eli vor dem Hund in die Hocke ging und anfing zu summen, genau wie er es bei Baby getan hatte. Allmählich wurde ihm einiges über den Jungen klar.
„Danke, dass ihr ihn für mich im Auge behaltet“, sagte Dom, als er sah, wie Bella sich auf den Rücken drehte, damit Eli ihren Bauch kraulen konnte.
„Wir sind so froh, dass du uns gefragt hast“, sagte Riley, bevor sie neben Eli und dem Hund auf den Boden setzte und erzählte, wie Gabe den Hund gerettet hatte.
Gabe deutete auf die Tür und Dom folgte ihm. „Süße, ich bin gleich wieder da, okay?“ Riley lächelte ihn an und nickte.
Gabe führte ihn in den Flur und zog die Tür zu. „Neue Hinweise?“, fragte er.
„Sie haben eine weitere der Frauen identifiziert. Sie hat in Portland als Prostituierte gearbeitet. Ich mache mich auf den Weg dorthin, um zu sehen, ob ich noch etwas herausfinden kann. Die Cops konnten keine Familie ausfindig machen, also hoffe ich, dass einige der Frauen, mit denen sie zusammengearbeitet hat, mit mir sprechen.“
Gabe nickte. „Kommt Logan mit dir?“
Dom wich zurück, zwang sich aber, einen neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen, als er den Kopf schüttelte. Es war zwei lange Wochen her, seit er Logan gesehen und seine Stimme gehört hatte. Und es brachte ihn um, verdammt. Gabe schien ihn zu studieren und seine dunklen Augen waren für Doms Geschmack zu aufmerksam.
„Wie läuft es mit Raul und Trevor?“, wollte Dom wissen und meinte damit die beiden Männer, die er abgestellt hatte, um das Paar zu bewachen.
„Wir sind froh, dass sie hier sind, aber es war schwer für Riley. Sie versucht immer noch, mit dem Angriff ihres kranken Ex fertig zu werden.“
Die junge Frau hatte Glück gehabt, mit ihrem Leben davonzukommen, nachdem ihr Ex-Verlobter ihr nach Seattle gefolgt und sie mit einer Waffe bedroht hatte.
„Vielleicht haben wir Glück und in Portland ergibt sich etwas.“ Er drehte sich zum Gehen um.
„Und was passiert dann? Was passiert, nachdem du ihn gefunden hast und er hinter Schloss und Riegel ist, wo er hingehört?“, fragte Gabe.
Dom seufzte, weil er wusste, worauf Gabe hinauswollte. „Dann ist alles wieder beim Alten“, sagte er schließlich.
„Und das ist in Ordnung für dich?“
Dom studierte den anderen Mann lange. Er deutete auf die Wohnungstür. „Du liebst sie mehr als alles andere, oder?“
„Ja“, antwortete Gabe, ohne zu zögern.
„Sie weiß, was du früher beruflich gemacht hast?“, fuhr Dom fort.
„Das tut sie“, antwortete Gabe.
„Es ist ihr egal, oder?“
Gabe zögerte kurz und sagte dann: „Sie sagt, dass es keine Rolle spielt.“
„Glaubst du, sie lügt dich an?“
„Nein“, sagte Gabe fest.
„Aber du hast immer noch damit zu kämpfen. Bedauern? Scham?“
Gabe seufzte und sagte: „Ein bisschen von beidem.“
„Multipliziere das mit tausend, dann weißt du, wie Logan sich fühlt. Wie kann ich ihm das nehmen? Wie mache ich die schrecklichen Dinge wieder gut, die ich in der Hitze des Augenblicks zu ihm gesagt habe? Wie gebe ich ihm das Vertrauen zurück, das Sam ihm genommen hat? Wie kann ich ihn davon überzeugen, dass das, was seiner Schwester passiert ist, nicht seine Schuld war? Dass er seinen Freunden wieder vertrauen kann, obwohl sie ihm etwas verschwiegen haben? Wie kann ich ihm klar machen, dass es in Ordnung ist, Gefühle für einen Mann zu haben, nachdem er sein ganzes Leben nur an Frauen interessiert war? Was sage ich, um ihm die Schuldgefühle zu nehmen, die er empfindet, wenn er jemanden will, dessen Frau nach zehn Jahren Ehe vor weniger als drei Monaten gestorben ist? Sag es mir, Gabe. Bitte."
Gabe lehnte sich an die Wand und blieb stumm. Es war nicht zu übersehen, dass er frustriert war, weil er darauf keine klare Antwort hatte.
„Danke, dass ihr auf den Jungen aufpasst“, sagte Dom leise. „Ich werde mich melden, wenn ich auf dem Rückweg bin. Wenn er ausflippt, benutz den Hund, um ihn zu beruhigen“, sagte er.
„Sei vorsichtig“, sagte Gabe.
Dom nickte und ging.
Logan beobachtete, wie das Wasser des Lake Michigan sanft an das Ufer schlug, während um ihn herum leise Schnee fiel. Bis auf das grünblaue Wasser war alles weiß bedeckt. Er hatte erwartet, dass Shanes Eltern eine schicke Wohnung in der Innenstadt hatten, kein großes Haus im Tudor-Stil nördlich der Stadt. Sie hatten eine hervorragende Aussicht auf Chicago gehabt, als sie Anfang der Woche in Doms Flugzeug angekommen waren, aber es hatte Logan nur daran erinnert, wie weit er von dort entfernt war, wo er sein wollte.
Als Riley, Gabe und er am Flughafen von Seattle angekommen waren, war er fassungslos gewesen, dass Dom ihnen seinen Jet lieh. Das hätte er nie für möglich gehalten, als Riley und Gabe ihm gesagt hatten, sie würden sich um die Reisevorbereitungen kümmern, um Weihnachten im Mittleren Westen mit Savannah, Shane und Shanes Eltern zu verbringen. Als er in das luxuriöse Flugzeug gestiegen war, hatte es sich sofort falsch angefühlt. Dom hätte mit ihm in diesem Flugzeug sein sollen. Er hätte neben Logan sitzen sollen, als sie aus dem Fenster geschaut und den Ausblick auf die schneebedeckten Bergketten bewundert hatten, während sie Richtung Osten geflogen waren. Es hätte Doms Hand sein sollen, an die er sich geklammert hatte, anstatt an die Armlehne, als das Flugzeug beim Aufsetzen in Chicago gerumpelt und gewackelt hatte.
Aber Dom war zu Hause, wo Logan ihn nicht mehr verletzen konnte. Es hatte sehr weh getan, als Dom gesagt hatte, er müsste sich von ihm fernhalten, aber der Mann hatte recht gehabt. Die körperliche Anziehungskraft zwischen ihnen war einfach zu stark, um auch nur zusammen im selben Raum zu sein. Und da er Dom nicht geben konnte, was er verdiente, war es nicht fair zu erwarten, dass sie irgendeine Form von Kontakt aufrechterhielten. Er hatte gehofft, dass die Qual, Dom nicht zu sehen oder mit ihm zu sprechen, nachlassen würde, wenn nur genug Zeit verging, aber stattdessen wurde es nur schlimmer und er fand es immer schwieriger, den Tag zu überstehen.
„Logan?“, hörte er seine Schwester irgendwo hinter sich sagen.
„Ja“, sagte er, ohne sich umzudrehen. Er brauchte diese paar Sekunden, um sich zu sammeln.
„Du hast deine Jacke vergessen“, bemerkte Savannah, als sie neben ihm am Strand erschien.
Er konnte ihr nicht sagen, dass die kalte Luft hier draußen dazu führte, dass er sich innerlich etwas weniger kalt fühlte, also dankte er ihr und nahm die Jacke an. Als er hineinschlüpfte, spürte er, wie sie seinen Kragen richtete. Er konnte nicht verhindern, dass er vor ihr zurückschreckte, und er sah ihren erschrockenen Blick, als er den Kragen selbst richtete.
„Habt ihr den Baum fertig?“, fragte er lächelnd in der Hoffnung, dass sie ignorierte, was gerade passiert war.
Sie nickte, blinzelte aber schnell mit den Augen und er wusste, dass sie Tränen zurückkämpfte. Aber was konnte er sagen? Wie konnte er erklären, dass er so fertig war, dass eine Berührung von ihr dazu führen würde, dass er zusammenbrach? Dass seine Wunden so tief waren, dass nichts, was sie sagte oder tat, sie heilen konnte?
„Das Abendessen ist fast fertig“, sagte sie leise. Er nickte und sah zu, wie sie ins Haus zurückkehrte. Die Dunkelheit begann gerade, sich auf den wolkigen Horizont zu senken, und er sah die Weihnachtslichter, mit denen Shanes Eltern das Haus für die Feiertage beleuchtet hatten. Der Weihnachtsbaum im Erkerfenster leuchtete ebenfalls auf, eine Fülle von leuchtenden Farben und schimmerndem Lametta. Er sah, wie Gabe und Riley ihn bewunderten, während er seine großen Arme um ihren kleineren Körper schlang. Shane war auch da und seine Arme öffneten sich für Savannah, die zurück ins Haus kam. Er wandte sich von der heimeligen Szene ab und blickte wieder über das Wasser. Er fragte sich, was Dom wohl gerade tat. Hoffentlich hatte Vin es inzwischen nach Hause geschafft, damit Dom morgen nicht allein war. Andererseits war Logan von den Menschen umgeben, die ihn am meisten liebten, und er hatte sich nie einsamer gefühlt.
„Frohe Weihnachten, alle miteinander“, sagte John Matthews, als er sein Glas hochhob. „Oder lieber frohe Vor-Weihnachten“, gluckste er. „Ich möchte meiner wundervollen Frau für dieses tolle Abendessen danken, das sie heute Abend für uns zubereitet hat“, sagte er und lächelte die Frau neben sich an.
„Und Savannah und Riley für die großartige Arbeit, die sie mit dem Baum geleistet haben“, fügte er hinzu. Er warf Shane einen Blick zu, bevor er sagte: „Wir fühlen uns dieses Jahr wirklich gesegnet, euch alle hier zu haben.“ Er schaute jeden Einzelnen von ihnen an. „Ihr seid schon sehr lange die Familie meines Sohnes und er hätte keine bessere Wahl treffen können. Wir hoffen, dass ihr uns jetzt vielleicht auch als eure Familie betrachtet. Und während eure eigenen Familien wachsen, hoffen wir, dass ihr wisst, dass ihr hier immer willkommen seid. Es wäre schön, eines Tages das Tapsen kleiner Füße in diesem Haus zu hören“, schloss er mit einem Augenzwinkern.
Alle lachten und hoben ihre Gläser. Logan nahm einen Schluck Champagner aus dem zarten Glas, das vor seinem Teller stand, aber es hätte auch Wasser sein können, weil er nichts davon schmeckte. Das Essen erschien vor ihm, aber er konnte sich nicht erinnern, ob er selbst es auf seinen Teller gelegt hatte oder ob es jemand anderes das getan hatte. Besteck klapperte, als alle es sich schmecken ließen. Er schaute sich um und zu seiner Rechten sah er, wie Gabe und Riley über etwas lachten. Er saß am Kopf des Tisches gegenüber von Shanes Vater, während Savannah zu seiner Linken an der Ecke saß. Shane war neben ihr und er sah seine Hand kurz auf ihrer, als sie einen intimen Blick teilten.
Er senkte den Blick wieder auf den Teller vor sich und nahm Gabel und Messer. Dann schien die Zeit stehen zu bleiben, als sein Blick auf das scharfe Messer in seiner rechten Hand gerichtet war. Das Licht fing sich darin und reflektierte sich von der gezackten Kante.
„Logan?“
Die Stimme klang weit weg, als er mit dem Daumen über die scharfen kleinen Vertiefungen fuhr und spürte, wie jede einzelne an seiner Haut zog und dort hängenblieb.
„Logan!“
Savannahs verängstigte Stimme drang zu ihm durch und er sah zu ihr auf. Ihre Augen, die seinen eigenen so ähnlich waren, waren von einer Mischung aus Angst und Verwirrung erfüllt. Alle anderen sahen ihn ebenfalls an.
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Savannah zu. „Ich verstehe es jetzt“, sagte er leise und warf einen Blick auf das Messer. „Ich verstehe, warum du es getan hast.“ Er hörte, wie sie scharf die Luft einsog. „Ich habe es vorher nicht wirklich verstanden ‒ ich habe nicht verstanden, wie sehr du innerlich verletzt sein musst“, sagte er. Er sah, wie Shane erneut ihre Hand ergriff.
Logan senkte zuerst die Gabel und fuhr mit dem Finger noch einmal am Messer entlang, bevor er es ebenfalls senkte. „Gott, ich wünschte, du wärst zu mir gekommen“, flüsterte er.
„Logan“, sagte Shane warnend.
„Nein, Shane, nicht“, sagte Savannah und drückte seine Hand. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit mit Tränen in den Augen wieder Logan zu.
„Das hätte ich tun sollen“, stimmte sie ihm zu.
„Vielleicht hätte ich es nicht wiedergutmachen können“, sagte er, „aber ich hätte es versucht.“
Sie nickte, brachte aber keine Worte hervor.
„Ich leide fürchterlich, Savannah.“
„Bitte, sag mir warum“, flehte sie.
„Ich habe ihn weggestoßen“, sagte er und die Worte stockten ihm in der Kehle. „Ich weiß nicht mehr, was wahr ist und was nicht. Ich weiß nicht, ob er mich so lieben kann, wie er sie geliebt hat. Falls er mir verzeihen kann, was ich getan habe.“ Er sah zu ihr auf und Tränen verwischten seine Sicht. „Aber es ist, als könnte ich ohne ihn nicht atmen“, sagte er und wischte sich mit der Hand über die Augen, um seinen Blick zu klären.
„Redest du über Dom?“, fragte Savannah sanft. Er nickte.
„Sohn“, vernahm er vom anderen Ende des Tisches und sah zu Shanes Vater auf. „Das Leben ändert sich von einem Moment auf den anderen“, sagte er ernst und ergriff die Hand seiner Frau. Logan wusste, dass sie sich an ihren Sohn erinnerten, der sich das Leben genommen hatte, nachdem sie ihn in einem wütenden Moment verstoßen hatten. „Wenn du diesen Mann liebst, musst du es ihm sagen. Zweite Chancen sind nicht garantiert.“
Savannah ergriff seine Hand. Sie zog sie an ihre Lippen und küsste den Handrücken. „Ich liebe dich so sehr. Ich wünschte, ich könnte zurückgehen und die Dinge ändern. Ich wünschte, ich könnte einen Weg finden, dein Vertrauen zurückzugewinnen “, sagte sie leise.
Er schüttelte den Kopf, aber sie sprach weiter, bevor er etwas sagen konnte. „Ich weiß, dass du mir vergeben hast … dass du uns vergeben hast, dass wir dir Dinge vorenthalten haben“, sagte sie und deutete auf die anderen am Tisch. „Du hast uns vergeben, aber du hast es nicht vergessen, oder?“
„Nein“, gab er zu. „Es tut mir leid", sagte er leise. Es war brutal, dies zugeben zu müssen.
„Es ist okay“, sagte sie und Tränen liefen über ihr Gesicht. „Wir werden dir beweisen, dass du uns wieder vertrauen kannst. Es spielt keine Rolle, wie lange es dauert“, sagte sie nachdrücklich. „So ist das in einer Familie.“
Er nickte und löste dann seine Hand von ihr, damit er die Tränen von ihrem Gesicht wischen konnte.
„Ich liebe dich“, sagte er, als er aufstand und ihre Stirn küsste. Er schaute sich am Tisch um und sah, dass Riley sich an Gabe klammerte, und stille Tränen über ihr Gesicht liefen. Shanes Eltern hielten sich an den Händen, während sie ihn besorgt beobachteten, und Shane rieb Savannahs Rücken, die sich mit einer Serviette die Augen tupfte. Dann fragte er: „Kann mich jemand zum Flughafen fahren?“ Er lächelte, als jeder einzelne Stuhl auf dem Boden kratzte, als sie zurückgeschoben wurden. Er hatte wirklich die beste Familie, die man haben konnte.